Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

XI Anhang

Stefan Schneider

Protokolle einer Forschung

Protokollnotiz 1 von Freitag, dem 20.9.1990, 17:30 - 20:15.

Ich steige U-Bahnhof Turmstraße in Fahrtrichtung aus. Am Ausgang ein junges Pärchen, vielleicht um 20 Jahre, schwarz, leicht punkig gekleidet. "Haste 'mal 'n paar Groschen?"- "Ja." Sie sprechen nicht jeden an, können nicht jeden ansprechen - suchen Sie sich gezielt Leute aus?

Eine belebte Ecke Turmstr. und Havelbergerstraße: Kaufhauseingang. Verschiedene Verkaufsstände und Waren ausgelagert, Imbisse. Ich esse am Schnellimbiß auf der Ecke eine Bulette und beobachte die beiden: Sie kaufen sich am Stand nebenan eine Suppe, essen sie an einem der Stehtische. Stehen bald darauf wieder am U-Bahnausgang. Arbeitsverteilung: Die Frau steht sehr viel zentraler in der Mitte, der Typ eher am Rand, ist aber nicht völlig passiv. Schnorrstrategie?

Finde die beiden sympathisch. Nehme mir vor, die beiden einzuladen zu einem Imbiß, wenn ich sie mal wieder an der Stelle treffen sollte. Aus meiner Alltagserfahrung weiß ich: Es sind einfach bestimmte Standorte, die sich zum "Schnorren" oder "Schlauchen" anbieten, häufig sind es auch dieselben Personen, die an diesen Orten stehen. Weiß aber nicht, was mit den beiden los ist. Sehen nicht sonderlich heruntergekommen aus.

Diese Art Beobachtung ist problematisch. Esse ich an der Bulette, kann ich nicht intensiv genug beobachten. Kann aber auch nicht dauernd auf die beiden starren. 8 Meter Luftlinie Entfernung. Umgekehrt: Aus der teilnahme heraus muß die Beobachtung erfolgen, wenn ich mehr erfahren will.

Gehe weiter die Turmstraße Richtung Rathaus/Sozialamt. Biege ab in die Bremer Str., rechts die Markthalle. Geschäftsschluß, die letzten Kunden verlassen die Halle. Auf der Ecke Bremer Straße/Bugenhagenstraße, was für gewöhnlich einer der Treffpunkte für Wohnungslose ist, steht gar keine Gruppe von Wohnungslosen, auch keine Einzelpersonen. Dafür aber, wie ich dann sehe, direkt vor dem Eingang der Markthalle und auf der Straßenseite gegenüber in der kleinen Parkanlage. Traue mich aber nicht, dorthin nach rechts abzubiegen, sondern gehe geradeaus weiter. Das ist komisch. Der Blick, der mir sagt, das sind Leute, die zu meiner Zielgruppe gehören. Ein Phänomen, das mir noch häufiger begegnen wird am heutigen Abend. Andererseits, ich habe Angst, da direkt zu den Leuten hinzugehen. Dasselbe nochmal, als ich am Warmen Otto in der Waldenserstraße vorbeigehe. Die Angst besteht wohl darin, daß ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, insbesondere wenn ich auf Leute treffe, die ich kenne. "Hallo, ich mache jetzt ein Forschungsprojekt..."? - Nee. "Tach, wie geht's? - Nee. Und wenn ich sie nicht kenne? Einfach voyeuristisch vorbeigehen, vielleicht noch stehenbleiben. Unter irgendeinem Vorwand Kontakt aufnehmen: "Haste mal Feuer!" Also, die Kontaktaufnahme wird noch ein Problem werden. Bin noch zu sehr unter einem Erfolgsdruck, der sich aber im Laufe des Umhergehens in Moabit legen wird. Mir wird klar: Ich muß heute keine Kontakte "schaffen". Nur mal gucken. Geduldig sein. Orientieren.

Zum anderen wird damit die Bedeutung von Kontaktpersonen in dieser Phase klarer: Ich muß also im Warmen Otto nach Bekannten suchen. Geht auch einfacher: "Tach. Hab' schon lange nicht mehr Karten gespielt..." Zeit mitbringen. Wieder so eine Athmosphäre aufbauen. Daraus ergibt sich viel ungezwungener ein Gespräch. Muß dann nur aufpassen, nicht an Cliquen hängenzubleiben.

Öffnungszeiten Otto: Sonntag-Donnerstag 13.00 - 17.00, Freitag 9.00 - 13.00. Samstag ist zu.

Beschließe, Sonntag hinzugehen.

Weiter durch den Kleinen Tiergarten. Zwei, drei einzelne Personen, die zur Zielgruppe gehören könnten. Suche, überhaupt im Verlauf der ganzen Begehung, mit Blicken die Gegend ab nach Orten, die "Platten" abgeben könnten. Bin aber nicht erfolgreich. Viele Kleinstgrünflächen in Moabit.

Laufe Stromstraße und dann Bundesratufer Richtung Elberfelderstr. Komme auf Alt-Moabit. Bekomme zwischenzeitlich wieder Angst: Der Bezirk ist ja viel viel zu groß für mich. Das überfordert mich. Stelle dann fest, daß es darauf nicht so sehr ankommt. Leute, und deren Beziehungen zu dem Stadtteil, nur das an dem Stadtteil, was die konkreten, spezifischen Bedingungen des täglichen Lebens angeht.

Muß gezielter Vorgehen. Mir einen Plan der Orte und Einrichtungen (vgl. Gesprächsnotiz und Liste Kurt/Herrmann) machen, die ich kennenlernen will, und das erstmal abarbeiten. Oder vielleicht überhaupt erstmal mit dem Fahrrad eine grobe Orientierung herstellen.

Während ich in der ersten Phase mit einem Erfolgsdruck ziemlich verspannt und gespannt herumlaufe, lasse ich mich nun langsam treiben. Setze mich für ein paar Minuten auf die Stufen eines Hauseingangs. Das Protokollieren ist mehr als nur das Aufschreiben, was da passiert ist und wie ich mich selbst dabei fühle, fällt mir ein. Nachträgliches Protokollschreiben beinhaltet eine enorme Chance: Die der Selbstverständigung. Alles das, was mir im Kopf umhergeht, hat die Chance, aufgeschrieben oder zumindest angedeutet zu werden. Ein enormer Prozeß der Vergegenständlichung von Gedanken. Das alte Problem, was nützen Gedanken, wenn sie nicht festgehalten werden, sie fliegen in die Gosse. Denke über die Terminplanung der nächsten zwei Wochen nach. Habe nicht übermäßig viel Zeit für lange, unbeschwerte Einheiten von Praxis und Protokollschreiben. Habe schon am 3.Oktober den nächsten Besprechungstermin mit Kurt und Herrmann. Bis dahin müssen Ergebnisse her. Georg kann evtl. noch warten. Denke darüber nach, ob ich den Termin platzen lassen soll. Nein, geht auch nicht. Würde einen zu schlechten Eindruck machen: Der Typ hat Angst vor der Praxis. Habe ich ja eigentlich nicht. Nein der Termin findet statt. Aber so ging das heute auch schon los: Hatte am Schreibtisch gestern geplant: 14.00 - 18.00 Praxis, 18.00 - 22.00 Protokollierung. Hab mich dann aber bis 17.00 im Büro aufgehalten, für Sachen, die eigentlich gänzlich unwichtig waren, d.h. auch hätten morgen oder später erledigt werden können. Halte dafür eine typische Vermeidungsstrategie von mir; kann dann immer noch sagen: Hatte so viel zu tun. Dabei ist im Ernstfall wirklich geschissen. Immer wenn ich anfange Ordnung zu machen - über eine grobe Srukturierung hinaus - ist das schon ein tendenziell schlechtes Zeichen.

Während ich so sitze: Die Straße ist ein wirklich schlechter Ort zum Leben. Du kriegst keine Räume zum Greifen, wenig, was dir Schutz bietet, du bist wie einen kleines Boot auf dem Meer, du kannst froh sein, wenn das Meer es gut mit dir meint. Und andererseits, du bist so unentrinnbar öffentlich. Alle sehen oder können sehen, was du machst. Ich bin so beobachtet auf den Stufen des Hauseingangs. Ich fühle mich zunächst nicht sonderlich wohl. Lange auf der Straße mich aufzuhalten, das ist eine Perspektive, die ich nicht kenne. In der Regel bewege ich mich zielgerichtet auf der Straße - oder mache das Gegenteil, ich gehe zur Entspannung spazieren - aber so gut wie nie allein. Anders kommt Straße bei mir nicht vor. Mein Leben verläuft in der Hauptsache in klar strukturierten Räumen oder Orten. Und selbst wenn ich im Freien bin: Ich fahre zu einem Wald oder Park, drehe dort meine Runde, und kehre dann wieder zurück nach Hause.

Ich habe auf der Straße nichts verloren...

Beschließe grob, in welche Richtung ich gehen will, sonst aber da, wo die Straße interessant aussieht. Die erste Spannung ist raus, mein Kopf wird angenehm leerer. Es läßt sich so besser gehen.

Emdener Str.
BALZ (Berliner Arbeitslosenzentrum) Emdener Str. 5; Tel: 785 36 38.
Öffnungs- und Beratungszeiten täglich. Will dort mal hin und mit den Leuten ein Gespräch vereinbaren. Stattbuch 4 kaufen (26,--) und Sozialhilfeleitfaden (8,--)

Unionstraße, Stephanstraße, Rathenaustraße, Quitzowstraße. Wird dunkel. Sehr viele Parterrewohnungen, in die man auch z.T. hineinsehen kann. Finde interessante Plakate an den Häuserwänden:

Moabiter Times, c/o Nachbarschaftsladen, Huttenstr. 36.
(Stadtteilzeitung, nehme ich an).

Eine Art Stadtteilfest am 22.9.1990 von 14.00 - 22.00 in der Wiebestraße zwischen Huttenstraße und Sickingenstraße, veranstaltet von S.T.E.R.N. (ex IBA). Hingehen, Kontakte herstellen.

Plakat an einem Auto:"Cafe der Schlechten" in Moabit (ab 22.00). Was ist das?

In der Wilsnacker Str. 61 auch ein Cafe "Scherele...(?). Treffpunkt von Antifa-Gruppe.

Überhaupt: Die Kneipen in Moabit. Die Kneipen, wo ich mir vorstellen kann, in meiner "Freizeit" hinzugehen, sind tendenziell andere, als wo ich Leute aus der Zielgruppe vermuten muß, nehme ich an. Das könnte ein Problem sein, mich in diese Pinten hineinzuwagen, diese Typischen Berliner Eckkneipen, wo der übliche Klüngel um Wirt und Wirtin um den Tresen hockt. Wobei: Wirkliche, offensichtliche Billigkneipen oder sog. Trinkerhallen hab ich noch nicht entdeckt. Denke, das läuft wohl auch am besten über Kontaktpersonen.

Inspiriert von dem einen Mann im Kleinen Tiergarten, der da so in der Gegend auf und ab lief und aussah wie der Zielgruppe zugehörig: Ich brauche für meine Erkundungsgänge auch eine Umhängetasche. Hinein gehört da eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Tasse zum Aufwärmen draußen, ein Fotoapparat, vielleicht ein Aufnahmegerät, ein Notizbuch, Stullen usw. also Dinge, die zu längeren Aufenthalten fürs Leben und Forschen notwendig sind. Damit stelle ich auch eine ganz praktische Art der "Teilnahme" her: ich stelle mich, soweit es für die Forschungspraxis notwendig ist, auf die Lebensumstände auf der Straße ein.

Phantasien in Richtung Selbstversuche. Im Erleben vor Ort erlebe, erfahre ich wie das ist auf der Straße. Muß nur darauf achten, was dabei mit mir passiert, wie ich dabei denke und fühle... Vorsicht.

In der U-Bahn Turmstraße zwei Wohnungslose; Der "Blinde", den ich noch vom Warmen Otto her kenne und ein zweiter, der sich mit einer jungen Frau unterhält. Generell politisch (Deutsche Einheit und so), lebensgeschichtliche Themen (Als ich so alt war wie Sie), soweit ich verstehen kann, werden vom Wohnungslosen angesprochen. Bierflaschen auf der Bank, beide einigermaßen gut gekleidet, vor allem der "Blinde", eine Art Trachtenjacke, der andere Strickpullover, dreckige Jeans. Ist mir nicht unangenehm, aber auch keine Gelegenheit, mich da groß einzuklinken.

Protokollschreiben anstrengend, Schultern tun mir weh, es geht nur langsam voran. Zu langsam. Verspreche mir einiges davon, Schreibmaschineschreiben zu lernen, wird aber erst, wenn der Kurs Ende Oktober beginnt, gegen Jahresende etwas nützen.

Merke: Wechsele beim Protokollieren häufig die Gedankenebene, muß versuchen, später konzentrierter zu werden (weiß jetzt noch nicht genau wie). Denke aber, schon aus dem Protokoll jetzt ergibt sich etliches an Stoff zur theoretischen Bearbeitung.

Fazit:

Dreigleisig vorgehen (entsprechend theoretischer Planung) :

1) Im Stadtteil umherlaufen, kennenlernen (21. u. 22. 9.)
2) Kontakte zu Einrichtungen herstellen, Termine machen (zusätzlich zu 1))
3) Besuch im Warmen Otto (23.9.)

Protokollnotiz 2 von Samstag, dem 21.9.1990, 14:00 - 16:00

Parke Auto in der Ottostraße. Gehe hoch in die Oldenburger Straße, biege ab in die Waldenserstr. Der Warme Otto ist zu. Vorne sehe ich eine Gruppe von vier Leuten die Richtung Bremer Straße gehen, darunter Volker und einen zweiten, die ich noch von meinem "Praktikum" im W.O. her kenne. Offenbar kommen die vier vom üblichen freitäglichen "Zweiten Frühstück" (vgl. Diplomarbeit, S. 123). Ich bin zunächst unentschlossen, ob ich Kontakt aufnehmen soll: Ihnen zurufen oder sie schnell einholen. Dann entschließe ich mich: Mit einigen schnellen Schritten habe ich sie an der Ecke Bremer Straße eingeholt. Ich begrüße Volker. Gebe ihm die Hand. Der erkennt mich, weiß aber im Moment nicht, wo er mich einzuordnen hat. Ich erkläre es ihm kurz. Dann beginnt er zu erzählen. Sie würden jetzt Fußball spielen gehen. Sie gehen jetzt jeden Freitag Fußball spielen. Ob ich nicht mitkommen wolle. Auf dem Sportplatz (Ich glaube, er sagte etwas von Park und Poststadion). Daß Frank jetzt einen Job in der Fleischerei am Großmarkt hat. Frank wäre noch im Warmen Otto. Ob ich hingehen wolle. Ich lehne ab mit der Bemerkung, daß ich sowieso am Sonntag kommen wolle. Volker erzählt, daß der Warme Otto jetzt auch wieder einen Praktikanten hat, die Sozialarbeiter, die jetzt gerade noch im Warmen Otto seien, würde ich nicht kennen, aber am Sonntag sei der Hans da. Dann fällt ihm ein, daß der zweite, von dem ich oben sprach, mich auch kennen müßte. Er sagt, "Werner, den kennst Du doch, das ist doch der Stefan". Wir geben uns die Hand. Die anderen beiden schauen auch interessiert und freundlich. Allerdings scheinen sie etwas zu tun zu haben. Wir gehen jetzt langsam weiter die Waldenserstraße und stehen vor dem Eingang. Während er weitererzählt, gehen die anderen darauf bald in die Markthalle. Volker spricht ziemlich hektisch. Als ob er in Eile wäre. Viel Zeit zum Unterhalten jedenfalls scheint er nicht zu haben.

Ich gehe dann weiter die Bremer Straße bis zum Ende, biege dann links ab in die Quitzowstraße, die später Siemensstraße und Sickingenstraße heißt, schaue mir die Wiebestraße und die Ufnaustraße an und gehe dann wieder über die Huttenstraße zurück zum Auto. Viel Industriegebiet hat es hier in Moabit, besonders die Sickingenstr. und den hinteren Teil der Huttenstraße.

Protokollnotiz 3 von Sonntag, dem 22.9.1990, 15:30 - 16:00

Bei meinen letzten Begehungen in Moabit bin ich auf Plakate gestoßen, die für das Huttenkiez-Spektakel am heutigen Tag (14.00 - 22.00) Uhr warben. Ort: In den BVG-Hallen in der Wiebestraße zwischen Hutten- und Sickingenstraße.

Ich gehe hin in der Absicht, dort etwas zu erfahren über verschiedene Gruppen und Initiativen, die für meine Arbeit von Belang sein könnten (z.B. S.T.E.R.N., Nachbarschaftsladen, BALZ usw.). Es waren auch einige Stände da, eine kleine Ausstellung von S.T.E.R.N., eine kleine Bühne usw. Es waren nicht sehr viele Leute da, viele standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich, kannten sich z.T. auch untereinander. Außerdem noch etliche einzelne Personen. Ich lief kurz umher, sah mir die Stände an, fühlte mich aber etwas einsam und verloren. Ich hatte keine Lust, jetzt groß Leute anzusprechen: "Ich mache ein Projekt über..." usw. Also zog ich dann bald wieder etwas frustriert von dannen.

Ich weiß nicht, woran das liegt, aber ich habe den Eindruck, ich komme nicht so recht zurande mit meiner großen Aufgabe. Morgen, wenn ich ich die Wärmestube gehe und Kontakt zu den Leuten aufnehmen kann, wird es richtig losgehen.

Protokollnotiz 4 von Montag, dem 23.9.1990, 14:00 - 17:30.

Kurz gesagt: Steige U-Bahnhof Turmstraße aus, gehe die Wilhelmshavener Straße (dort: DRK-Stelle und Kleiderausgabe) biege in die Bugenhagener Straße und treffe gegenüber der Markthalle auf Haschi (Robert). Spreche mit ihm, gehe dann in den Warmen Otto, spreche mit den Mitarbeitern Hans und Matthias, Schaue TV, dann wird die Wärmestube zugemacht, ich stehe mit den anderen noch etwas im Kreis, wir verlassen dann die Wärmestube und ich gehe ins Limit. (Frust).

Auf der Kleingrünfläche gegenüber dem Ausgang der Markthalle an der Bugenhagener Straße sind zwei Bänke. Hinter den Bänken erstreckt sich, eingezäunt, eine Verkehrsanlage für Kinder. Neben Haschi sind noch zwei andere Personen da: Ein jüngerer Mann liegt langgestreckt auf der einen Bank, an seinen Kopfende befinden sich leere Bierflaschen. Auf der anderen Bank sitzt ein älter Mann, er raucht und liest einen Groschenroman. Haschi erkennt mich, wir begrüßen uns, er fragt mich, ob ich mal eine Mark hätte. Ich gebe ihm eine Mark. Er deutet auf den anderen Mann auf der Bank und fragt, ob ich für ihn auch eine Mark hätte. Ich lehne ab mit der Bemerkung, daß ich nur einmal am Tag einem etwas geben würde. Dann fragt er mich, ob ich nicht sein Fahrrad, das er neben sich zu stehen hat, kaufen will, ich solle einen Preis nennen. Ich werfe einen kurzen Blick auf das Fahrrad, zögere etwas und sage dann: Fünfzig Mark. Haschi sagt, für einen Zehner könnte ich es haben. Ich bin überrascht über den geringen Preis, lehne aber ab und sage, ich hätte bereits ein Fahrrad. Es betont, ein Zehner ist doch sehr billig und bietet mir das Fahrrad noch ein zweites Mal zum Kauf an. Er sagt, er hätte es in der Nähe im Gebüsch liegend gefunden, es sei nun seins.

bla bla bla.

Ich habe keinen Bock mehr Protokoll zu schreiben, Warum: Es kommt mir alles so banal, so unbedeutsam und so frustrierend vor. Es ist nichts "großartiges" passiert. Eine banale Alltagsbegegnung, diesmal hat mit einem vielleicht etwas schrägen Typen, ein Gespräch, das ich nicht geführt hätte, wenn ich nicht ein Forschungsinteresse an diesen Leuten hätte. Dabei ist bei dem Gespräch mit Haschi so viel für mich unverständlich geblieben, ich habe "ja ja" gesagt, ohne recht verstanden zu haben, keine Weltbewegenden Sachen zutage gefördert, oder, selbstkritischer gesagt: Nichts, mit dem ich mich hätte herausstellen können. Hier glaube ich, komme ich der Sache schon besser auf die Schliche: Ich denke, Forschung ist für mich auch ein Ding, mich selbst damit "besser" darzustellen. Oder mich zunächst erstmal überhaupt darzustellen. Das ist schlecht, weil d.h. mich interessieren nicht die Leute, mit denen ich Forschen will, sondern zunächst interessiere ich mich dafür, wie ich bei bestimmten Leuten ankomme. Dann reduziert sich die ganze Sache auf ein Ding von Selbstbestätigung, Buhlen um Anerkennung usw. m.a.W. das ganze bürgerliche ego.

Dies schreibend und am Bildschirm lesend fühle ich mich schon wesentlich besser. In mir kommt eine Wut hoch, die besagt: Jawohl, da ist etwas Wahres dran, das aber ist noch längst nicht die ganze Wahrheit. Hier fängt das Problem an: Ich will etwas, aber die Wirklichkeit ist nicht so, wie ich denke, daß sie ist: Die Kontaktaufnahme gestaltet sich nicht so und nicht so einfach, wie ich das in meinen antizipierenden Vorstellungen denke. Ich will etwas in diesem Forschungsprozeß, das hat nichts mit meiner bürgerlichen Eitelkeit zu tun, sondern mit einer existenziellen Unzufriedenheit, mit meinem Interesse an Leuten und mit meinem Interesse, etwas zu erfahren und zu bewegen. Ich bin nur im Moment ein wenig orientierungslos und: Unsicher. Unsicher darüber, wie ich mich verhalten soll. Und ich weiß, wenn ich nur will, wenn ich über mich gleichsam hinausgehe, kann ich etwas tun. Ich verlasse gewohnte Muster, vertraute Situationen und lasse mich auf etwas neues ein. Da ist ein inneres Tohubawohu nur normal. Andererseits ist da wieder die Frage, inwieweit ich aktiv werde und es "daraus ankommen" lasse. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ich kann in ein entferntes Land fahren, und mich da drei Wochen lang nur im Hotelzimmer aufhalten. Die fremde Sprache, die ungewohnten Gebräuche und die ungewohnten Gegenden schrecken mich einfach ab, hinauszugehen und damit für mich eine Wirklichkeit zu konstituieren.

Haschi und ich unterhalten uns weiter. Wir kommen darauf, wo ich wohne, ich sage in der Hauptstr. Erkennt die Gegend offenbar, erzählt, daß er dort mal mit ein paar Leuten einen Laden hatte, er zählt Namen auf. Sagt, einer hätte Bongos aus Indonesien mitgebracht, vielleicht 30 Stück. Die hätten sie dann aus dem Laden geklaut. Dann mußten sie den Laden aufgeben. Wir reden vom Fußball. Er selbst spielt nicht mit beim wöchentlichen Fußballspiel der Wärmestube. Leo hatte sich das Bein gebrochen, am Schlüsselbein, mußte ins Krankenhaus. Ich frage nach, da das Schlüsselbein eigentlich ganz woanders sitzt. Er sagt am Bein ganz oben, am Oberschenkelhals (wenn ich mich recht entsinne). Eine interessante sprachliche Studie.

Er spricht dann weiter vom Krankenhaus, daß ein Bekannter von ihm ins Krankenhaus gebracht wurde, dann erzählt er, daß er selbst ins Krankenhaus gebracht wurde. Wie ich oben sagte, es ist schwer, aus dem was er sagt, sich eine Vorstellung zu machen.

Wir reden wieder über das Fahrrad. Auf dem Lenker angebracht sind vier Bildchen von nackten Frauen. Er sagt, welche er am besten findet, und fordert mich auf, auch zu sagen, welche ich am schönsten finde. Zwei von den abgebildeten Frauen findet er nicht gut. Dann schaut er in der Gegend umher, da spazieren auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann und eine Frau nebeneinander lang. "Die hat dicke Titten", sagt Haschi, "guck mal, die hat vielleicht riesige Titten!" Ich sehe zunächst gar nicht, wen er meint. Die beiden sind von einem parkenden LKW verdeckt, als sie zum Vorschein kommen, ist die Frau vom Mann verdeckt. Die Frau war mit einer Jacke bekleidet, sodaß gar nicht zu sehen war, ob sie "dicke Titten" hat.

Ich sage, daß ich in den Warmen Otto gehen will. Er sagt: Das kannste dir sparen. Da ist nichts los jetzt." Ich sage, daß ich trotzdem dahingehen will. Ich hätte am Freitag den Volker getroffen und hätte ihm versprochen, daß ich am Sonntag in den Warmen Otto käme. Er wiederholt, daß da nichts los sei. Ich verabschiede mich von ihm, gebe ihm die Hand und sage noch: "Na dann bis demnächst, wir sehen uns ja bestimmt bald wieder!" und gehe die paar Meter zum warmen Otto.

Was Haschi nicht erzählt hat und was ich dann von Hans (SozArb) in der Wärmestube erfahre: Er war schon im Warmen Otto, wurde aber wieder herausgeworfen. Zu dem Fahrrad meinte Hans, es sein bestimmt "geklauft".

Ich fand die Begegnung ganz gut für den Anfang. Ich bin noch von dem Gespräch mit Haschi sehr aufgewühlt, und betrete den Warmen Otto.

Die Besucher im vorderen Zimmer sehen TV. Ich sage "Guten Tag" einige nicken mir zu, andere lassen sich nicht stören. Ich gehe in den zweiten Raum, sage wiederum guten Tag. Hier sitzt eine größere Gruppe am Tisch, ganz hinten sitzen Volker, Matthias (Sozialarbeiter), Werner (?), Alfred (?). Ich begrüße sie, die spielen zusammen Rommé. Nach einer Weile wird mir das rumsitzen zu dumm, ich gehe in den Flur, treffe dort Hans (Sozialarbeiter), er bietet mir einen Kaffee an, wir sitzen in der Küche und unterhalten uns.

Das Arbeitsklima ist besser geworden: Von der alten Besetzung ist nur noch Hans übriggeblieben, Sabine F., Sabine T., Iris, Friedrich, sind weg, dafür sind Matthias, Karsten und noch zwei andere dazugekommen. Die Arbeitssituation ist sachlicher geworden. Alle arbeiten jetzt 25 Stunden die Woche.

Seit der Öffnung der Mauer ist auch die Besucherstruktur eine ganz andere geworden. Waren es früher etwa 80% Stammpublikum, sind es jetzt nur noch etwa 50%. Ein Großteil der Besucher kommt aus dem Ostteil der Stadt. In anderen Wärmestuben ist es z.T. noch extremer. Auch sei es viel voller geworden. Montag, Dienstag, vor allem aber Mittwoch, wenn es Suppe gibt und Freitag zum Frühstück ist es sehr voll, sodaß zum teil auch die Notstühle ausgegeben werden mußten, heute sei eine echte Ausnahme. Wenn es noch voller wird, muß das mit den Besuchern anders geregelt werden. Er erzählt von anderen Wärmestuben, wo Essensmarken ausgegeben werden, wer keine mehr erhält, bekommt auch nichts mehr. Eine andere Variante, die auch schon in einer Wärmestube praktiziert wird, ist die, die Leute schichtweise hereinzulassen: Nach zwei Stunden müssen alle den Raum verlassen, dann kann die nächste Gruppe hinein.

Frank hat zwischenzeitlich eine über die Levetzowstraße eine Wohnung bekommen und eine Arbeit bei einer Fleischerei gehabt. Die Arbeit hat er nach einer Woche hingeschmissen, aus der Wohnung mußte er nach einem Monat wieder raus, weil er sich um das Sozialamt nicht gekümmert hat und die Wohnung hat verlottern lassen. Jetzt wohnt Winne in der Wohnung. Frank wohnt jetzt bei Rudi in einer Einzimmerwohnung, arbeitet inzwischen wieder in der Fleischerei beim Großmarkt in der Nachtschicht. Alle hätten ihm geholfen, auch die Leute von der Wärmestube hätten sich schwer engagiert, trotzdem hat das im Endeffekt nicht geklappt. Hans äußert die Vermutung, daß Frank sich einfach bockig gestellt hat, als so viele Leute ihm immer wieder zugeredet haben, was er zu tun hätte. Jetzt kommt er nur noch sehr selten in die Wärmestube.

Für Frank hat ein anderer Besucher den Küchendienst übernommen. Der wurde von ca. 2 Wochen zum Einkaufen mit 240,-- DM zu ALDI geschickt, und ist seitdem nicht mehr gesehen worden. Hans sagt, dieser Küchenmitarbeiter hätte an diesem Tag gerade seinen Geburtstag gehabt, wahrscheinlich hat der das Geld an diesem Abend einfach verfeiert. Seitdem gibt es bis Mitte Oktober in der Wärmestube keinen Kaffee mehr, weil das Geld dafür eingespart werden muß. Hans sagt, der Küchenmitarbeiter sei eh ein "unsicherer Kandidat" gewesen. Nun übernimmt wieder ein neuer Besucher den Küchendienst. Der ist aber heute nicht da, weil sich Volker und er an den Tagen, wo nur wenig los ist, die Arbeit aufteilen.

Auch Volker hat mal eine Zeit lang mit der Küchenmitarbeit ausgesetzt. Weshalb, habe ich nicht erfahren.

Das Fußballspielen wurde in diesem Jahr von Hans angeregt, in der Zwischenzeit kümmert er sich nicht mehr darum, weil ihm die Überstunden nicht bezahlt werden. Im Moment hat Volker dafür die Initiative übernommen und trommelt die Leute zusammen. Letzten Freitag seien aber nur zwei Leute aus dem warmen Otto dagewesen, Hans äußert die Vermutung, das werde wohl zum Winter hin langsam einschlafen.

Dafür hätte der Warme Otto aber jetzt jeden Freitagabend für zwei Stunden eine Sporthalle zur Verfügung.

Während wir uns unterhalten, kommen mehrere Besucher an: Einer will telefonieren, hat aber kein Geld und will von Büro aus telefonieren. Andere bitten um Stullen, Stullenausgabe war aber schon, sie erhalten mehrere Scheiben trockenes Brot. Andere wiederum bitten um Rasierzeug.

Der "Innere Kreis" (Vgl. SCHNEIDER 1989, 122ff) hat sich offenbar auch gewandelt. Zum "Schluß machen" sind neben den SozArb. noch Volker und Werner(?) da, sowie noch zwei andere, die ich nicht kenne. .

Diese Situation verweist auf eine typische Problemkonstellation zu Beginn meiner Forschung: Einerseits ist mir natürlich alles oder das Meiste vertraut - zumindest im Warmen Otto. Tatsächlich verbergen sich dahinter Entwicklungen und tatsächliche Veränderungen. Es ist nicht mehr wie früher, und somit muß ich mich in das scheinbar vertraute wieder völlig neu eingewöhnen.

Protokollnotiz 5 von Dienstag, dem 24.9.1990, 15:00 - 18:00.

Was ist heute eigentlich passiert?

Kurz und äußerlich:

Steige Turmstraße aus, esse Boulette mit Pommes, gehe zu HSK, kaufe Netzteil für Computer, Gehe zu BALZ, treffe nur einen von der Fahrradwerkstatt an, der sagt mir, die BALZ-Leute sind immer nur zwischen 13.00 - 15.00 Uhr da, ich solle auch zur Sozialhilfegruppe Mittwoch 17.00 ins DW Alt-Moabit kommen, er wird auch da sein, vielleicht kann er mir Kontakte zu Leuten aus der Quitzowstraße (Nr. 110 - 112; Obdachlosenheim) vermitteln, kennt Herrmann Pfahler. Gehe ins Rathaus, hinein, etwas orientierungslos, schaue mir den Wegweiser an, werde vom Hausmeister "angepflaumt": "Was suchen Sie?" - "Das Sozialamt!" - "Morgen wieder von 8.00 bis 12.00". Wollte da Kontakt machen mit Leuten, die da arbeiten.

Habe wieder Hunger, kaufe mir in diesem Bäcker-Service Turm Ecke Wilhelmshavener 4 Pfannkuchen mit Kirschfüllung (Nur -,79 das Stück, schmeckt aber nicht besonders, sind zwar riesengroß, aber nur wenig Füllung). Gehe dann zur Kleiderausgabestelle Wilhelmshavener 72, - Kleiderausgabe Dienstag und Freitag ab 9.00, Nummern 1- 20 - steht auf einem Schild, gehe hoch zur Anmeldung und frage nach der Person, die Kleiderausgabe macht: Die sei immer nur vormittags bis 14.00 da. Beschließe morgen wiederzukommen.

Gehe dann in den kleinen Tiergarten, sitze dort von 16.15 bis 16.45. Beobachte die Leute und meine Selbstbefindlichkeit. Bin unschlüssig, ob ich noch in den W.O. gehen soll, auf meinem Programm steht noch: Gespräch vereinbaren mit der Markthallenleitung. Gehe die Bredowstr. hoch und biege in die Bugenhagener ein und wollte eigentlich über den dortigen Eingang in die Markthalle gehen, sehe beim Näherkommen, daß dem Eingang sich Leute aufhalten, entdecke Haschi und beschließe dann doch, zu ihm rüberzugehen. In bin dann dort etwa eine Stunde lang, bis mir a) unwohl wird und b) ich den Eindruck habe, meine Aufnahmekapazitäten sind nun wirklich langsam erschöpft. Lerne im Gespräch Kalle und Max kennen, später kommt Leo, dann noch ein weiterer, später, kurz bevor ich gehe, noch andere Leute. Ich habe den Eindruck, daß es einfach wichtig ist, mich in meinem Äußeren noch mehr den Leuten anzupassen, d.h. von der Kleidung her, Tüte dabeihaben, sowie Kleingeld (Groschen, Fünfzig Pfennig stücke, Markstücke, Tabak etc.) Sinn und Zweck dieser Maßnahme muß sicher noch diskutiert werden, Stichwort: Annäherung an die Leute.

Auf dem Weg zur HDK, wo ich Protokoll schreiben werde, merke ich, daß ich richtig durchgefroren bin in den drei Stunden draußen.

Mein Programm für morgen wird nun sein, 4 Expertengespräche vorbereiten

1) Auf das Sozialamt gehen, dort "mich anstellen", um ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter zu vereinbaren bis 12.00, dann
2) zur Kleiderausgabestelle, um dort ein Gespräch zu vereinbaren bis 14.00, dann
3) zur BALZ bis 15.00
4) Markthallenleitung, wahrscheinlich bis 18.00

dann entweder wieder zur Gruppe vor der Markthalle und in den W.O., wenn ich das nicht auf Mittwoch verschiebe, weil dann bereits genug ist.

Hautärztin Schwarz, Thekla, Turmstraße 38 (Ecke Oldenburger),Tel 395 34 33. Wird von einzelnen Leuten aus der Gruppe gegenüber Eingang Markthalle in der Bugenhagener genannt im Zusammenhang von Ausschlägen bei Genuß von gepanschtem polnischem Vodka. Ist also offenbar eine Expertin.

Echt, die eine Stunde mit den Leuten vor der Markthalle zu protokollieren, was sicherlich das wichtigste dieser Protokollnotiz ist, fällt mir schwer. Wieso? Weil die Gesprächssituation und der ganze Kontext so ganz anders war wie Gespäche, die ich gewohnt bin zu fühlen. Zum anderen, weil ich aufgrund der Ungewohntheit der Situation selbst zum Teil so sehr von meinen eigenen Reaktionen und Verhaltensweise in Anspruch genommen war, daß ich kaum die nötige gedankliche Distanz dazu aufbringen kann. Ferner, weil ich selbst solcherart Gespräche, wenn ich sie privat führe, nicht im Gedächtnis behalte - und auch nicht gezwungen bin, die zu protokollieren.

Während ich mit Haschi spreche, spricht Max mit einem, der auf dem Motorrad sitzt. Es geht um 10,-- die irgendjemand verliehen hat und die offenbar nicht mehr aufgetaucht sind, da sie weiterverliehen wurden usw. Den genauen Kontakt verstehe ich auch nicht. Haschi erzählt, daß er das Fahrrad gestern noch für einen Zehner verkauft hat - mehr ist nicht drin gewesen, weil die Leute genau wissen, daß es sich um ein geklemmtes Fahrrad handelt. Daß sei hier in der Gegend viel: Leute knacken ein Fahrrad, fahren damit um die Ecken, schmeißen es irgendwo in einen Hof und kriegen eins über die Birne. Er erzählt weiter etwas über englische Fahrräder, mit dicken Reifen hinten (wie sie die Bahnpolizei früher hatte) , die mit 4 atü aufgepumpt werden müssen und die vorne ganz dünne Reifen haben. Daß man so um die Kurven fahren kann wie Rennradler, ganz weit nach vorn gebeugt und gegen die Fliehkraft, daß es aber lieber zurückgelehnt auf dem Fahrrad sitzt. und so um die Ecken fährt. Haschi sagt, er will noch zum Warmen Otto, sich eine Hose abholen. Da ich weiß, daß es schon spät ist, und der Otto um 17.00 zu macht, hole ich meine Uhr, sage, daß es schon 10 Minuten vor 5 ist, und daß es sich beeilen muß, um eine Hose zu holen. Als er später im Gespräch zum zweiten Mal erwähnt, daß er noch eine Hose braucht, sage ich nocheinmal, daß es höchste Zeit ist. Schließlich geht er, kommt dann auch später mit einer Hose zurück.

Kalle kommt aus der Markthalle mit einem Plastikbecher voll Kaffee. Er bietet Haschi einen Schluck an, Haschi hat eine Bierdose in der Hand, beide tun so als würden sie tauschen, tauschen aber nicht. Kalle gibt ihm ein Päckchen Tabak zum drehen, Haschi dreht eine, gibt sie aber (zu meiner Überraschung) an Kalle weiter, dreht sich selbst dann eine, gibt erst später Kalle den Tabak zurück. Kalle sagt, Haschi sei sein bester Freund. Minuten später sagt er von einem anderen, das sei sein bester Freund, korrigiert sich aber dann, sagt: "Mein Zweitbester Freund". Später, als Haschi gerade weg ist, spricht er von diesem Zweitbesten - Freund, daß es sein bester Freund sei.

Zunächst fängt Kalle ein Gespräch mit mir an. Später spricht auch Max mit mir. Beide erzählen mir etwas von ihrer Situation und ihren Lebensumständen. Dabei habe ich den Eindruck, daß Max seine Worte sehr viel mehr ausschließlicher an mich richtet, während Kalle mehr allgemein dann so in meine Richtung spricht, obwohl er mich phasenweise natürlich auch direkt anspricht, sogar zu mir rumkommt, als andere im weg standen. Kalle fragt mehrfach (!): "Also, irgendwo hab ich dich schon mal gesehen, irgendwoher kenne ich dich, ich weiß nur noch nicht, in welche Ecke ich dich stecken soll!" und "Was du warst wirklich noch nie hier?" Und es ist wirklich das erste mal, daß ich mich länger an diesem Platz aufhalte.

Max Beine sind kaputt, sagt er, daß er nicht so kann mehr auf die Beine, daß er aber sonst noch ganz mobil sei. Es hat graue Haare, einen grauen Vollbart und trägt unter einem grauen Jackett einen dicken, gestickten, grün und gelbfarbenen Rollkragenwollpullover, und eine grüne (Kunst-)stoffhose. Sein Unterschenkelknochen fällt ihm wohl immer aus dem Gelenk, und er richtet es selbst dann wieder ein. Es deutet es mit einer Handbewegung an. So hab ich das bei den Ärzten gesehen. Und wenn die das nur so machen, kann ich das auch so machen.Die Ärzte haben ihm vor einiger Zeit, wie er berichtet, eine künstliche Masse in die Knie gespritzt, und es wurde ihm angeboten, ihn zu operieren, allerdings haben ihm die Ärzte gesagt, sie können ihm nicht hundertprozentig garantieren, daß die Operation klappt. Wenn sie klappt, ist gut, wenn sie nicht klappt, muß er im Rollstuhl durch die Gegend fahren. Davor hat er große Angst und deshalb zögert er es immer wieder hinaus, ins Krankenhaus zu gehen. Es sagt, er fühlt sich nach wirklich gut. Neulich wäre so ein junger angekommen und wollte ihn verprügeln, drei mal hätte Max zugelangt, dann wäre der auf der Straße gelegen, erzählt er, wohl um das zu demonstrieren. Zumindest von seinem Körperbau sieht Max wirklich nicht schwächlich aus. er hätte früher einmal geboxt, jetzt nicht mehr, aber die Reflexe seinen noch alle da. 63 Jahre (Jahrgang 1927) sei er alt, sagt er, dafür hätte er sich doch noch gut gehalten, sagt er später nocheinmal.

Früher hätte er mit Möbeln gearbeitet, auch mit Klavieren. 10 -12 Klaviere, manchmal 14 hätte er an einem Tag "gemacht", erzählt er. Ich habe gearbeitet, ich war deren bester Mann, da könne ich die heute noch fragen, sagt er, und, daß er darauf stolz sei.

--Wenn mir jemand soetwas sagt, wird bei mir immer nur der eine gedankliche Automatismus ausgelöst: "Und was haste denn davon, daß du stolz sein kannst?" Das habe ich aber nur gedacht, nicht gesagt.

Er bekommt alle 14 Tage 514 DM Arbeitslosenhilfe, und er sagt mit stolz, daß ist mehr, als der auf dem Motorrad Arbeitslosengeld erhält. "da kannst mal sehen, was ich früher gearbeitet habe, wenn ich jetzt mehr Hilfe bekomme als der Arbeitslosengeld." (sinngemäß). Er sagt, daß er morgen Post aus Nürnberg erwartet, einen Scheck. Dann meint er, sei hier morgen etwas los. Dann würde er die ganze Mannschaft versorgen. Daß er morgen Geld erhält, deutet er in Verlauf des Gesprächs noch ein weiteres Mal an.

Als die anderen über polnischen Vodka und die Grenzen nach Polen und zur SU sprechen, streut er, zu mir gewandt ein: "Ja die Grenze kenn ich, da war ich auch schon mal, die hab ich 1947 passiert" Und dann in einem Nachsatz, "Jaja, ich bin eben noch von dieser Generation". M.a.W., er muß 1947 als 20jähriger aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt sein.

Er erzählt auch, daß er 22 Jahre mit seiner Frau verheiratet gewesen sei, die sei dann dann gestorben, und seitdem ist er nur noch am saufen. Dreimal hätte es es dann noch probiert, aber nicht mehr geschafft.

Ich überlege gerade: So ein Satz wie "Ich hab's dann noch dreimal probiert." Was besagt das eigentlich. Auf was bezieht er sich damit eigentlich. Mir fällt auf, wie tendenziell "glatt" diese Sätze bei mir durchgehen. Als wäre die Intention so Sonnenklar, müßte nicht mitgesagt werden. Dem ist aber nicht so. Er zielt ab auf einen intersubjektiven Verständigungsrahmen, den es (auch allgemein) erst einmal zu problematisieren gilt.

Kalle wohnt in Kreuzberg bei seiner Schwiegertochter. Er ist Opa, seine Enkelin wird am 2. Oktober 9 Monate alt. Sein Sohn ist im Knast, aber darüber will er nicht sprechen. Mit seiner Schwiegertochter ist es wohl auch so, daß sie trinkt. Er also kümmert sich um sein Enkelkind, aber er will das auch nicht immer tun. Er ist hier in Moabit in ärztlicher Behandlung wegen seinem Bein, er ist fast täglich hier, weil er Bestrahlungen erhält.

Protokollnotiz 6 von Mittwoch, dem 25.9.1990, 12:00 - 13:00

fehlt (verschusselt):
Sozialamt - ergebnislos,
Kleiderausgabestelle - abgewiesen
frustriert
Raff-Oma getroffen,
zur Markthalle gegangen,
dort im Eingangsbereich Leo getroffen, kurz aufgehalten, dann abgezogen.

Protokollnotiz 7 von Freitag, dem 27.9.1990, 15:00 - 17:00

Vor der Markthalle gewesen, bekannte Personen Kalle, Haschi, Max.

Vorwiegend Gespräch mit Vaddern geführt.

Vadder kriegt alles in Reihe.

Seit sieben Jahren am Zoo, hat heute seinen Freien Tag. Ist dort am Zoo auf der Seite vom Zoologischen Garten, bei den Bushaltestellen. Ist der älteste dort, heißt deswegen Vadder oder Opa. Der wirkliche Name ist zwar der Polizei bekannt, wird aber von niemanden benutzt, die anderen kennen ihn auch nur unter Vadder oder Opa. Kennt sich da aus. Er macht keinen Ärger.

Er weiß, wo's lang geht.

Protokollnotiz 8 von Mittwoch, dem 2.10.1990, 11:30 - 12:30

Hatte vorher ein Expertengespräch mit Herrn Bahr von der Markthallenleitung, das sehr gut verlief. Da es gleich in der Nähe war, ging ich auf den Treffpunkt vor der Markthalle. Dort sprach ich mit Heiner, den ich noch vom W.O. kannte und mit einem weiteren jungen Mann, später mit diesem jungen Mann und mit Kalle. Soweit ich mich erinnere, war Haschi auch anwesend.

Heiner im Knast, 20,-- auf dem Einwohnermeldeamt, wohnen bei einem Kumpel, ob ich mal Rasierklingen für ihn hätte, daß er betrunken nicht in den Warmen Otto gehen würde.

Der junge Mann: Alkoholentzug gemacht, ist aber leider zwei Tage zu früh abgehauen, ihm ist dann das Geld vom Sozialamt gesperrt worden. Seine Chance ist jetzt eine Therapie in Westdeutschland, , die will er auch machen, allerdings hat sich herausgestellt, daß er die ersten drei Monate in geschlossener Anstalt verbringen muß, das will er nicht, "weil, dann kann ich ja auch gleich in den Knast gehen."

Auch Kalle spricht dann mit uns darüber, sagt, daß er (früher) auch Alkoholiker (war) ist (Was er jetzt gesagt hat, ob er früher Alkoholiker war oder Alkoholiker ist, weiß ich nicht mehr). Sie erzählen von Beispielen, daß Leute Therapie gemacht haben, es hätte aber nichts genutzt, weil dann kämen sie an und nach einer Woche oder einem Monat wären sie wieder drauf. Auch Kalle hätte das nach einer Therapie nur einen ganzen Monat lang geschafft, dann aber nicht mehr.

Protokollnotiz 9 von Mittwoch, dem 9.10.1990, 15.00; 15:30 - 19:30.

Geplant: jetzt gleich ins Feld zu gehen, W.O. und zur Gruppe vor der Markthalle.

Subjektives Befinden:

Überlegungen, das auf morgen zu verschieben, weil es heute später geworden ist als geplant. Andererseits, bei dieser Überlegung ein schlechtes Gefühl. Kann meine Praxis nicht immer aufschieben. Ist eigentlich sowieso schon viel zu wenig, was ich da bringe. Muß also doch heute hingehen. Flaues Gefühl im Magen. Diese Ungewißheit: Was wird mich erwarten, wie komme ich damit zurecht. Unangenehm, ein solches Gefühl. Allerdings nicht so stark, wie früher...

Vergleich Segelprüfung letzten Samstag.

Durch meine TT-Reflexion und mein damit verändertes "Selbstbewußtsein" oder "Über-mich-selbst-Wissen" sind die (Angst- oder Unbehagen-) Emotionen nicht mehr so stark. Außerdem dieses "soziale Motiv" (?), daß ich gegenüber anderen etwas vorweisen muß (konkret: die Gesprächsvereinbarungen der nächsten Tage) treiben mich (an).

Nocheinmal innehaltend glaube ich, das auch unabhängig davon ein kleines Motiv vorhanden ist, jetzt loszugehen.

Diese in einem Spruch kristallisierte Alltagserfahrung: Es wird mir schon keiner den Kopf abreißen...

Gut, Computer. Wir sehen uns wieder zum protokollieren...

19.50: Wieder im Büro. Es lief verdammt gut, nur ganz anders als geplant. Was mich jetzt behindert, ist, daß ich nicht in aller Ruhe mein Protokoll bis zum bitteren Ende schreiben kann - was nocheinmal ein hartes Stück Arbeit werden wird, sondern um 21.00 umziehen muß - miese Arbeitsunterbrechung, und wie es dann zuhause werden wird...

Kurz gesagt:

Absicht war, zuerst in den W.O. zu gehen, dort bescheidsagen, daß ich Do 9.30 zur Teamsitzung kommen will, Lötkolben abholen und dann ab zur Gruppe vor der Markthalle, am Gruppengeschehen teilnehmen bis ich genug (zum verarbeiten) habe, dann ins Büro, Protokoll schreiben.

Mal anders gesagt - weil ich auch Angst und Unbehagen vor neuen, unbekannten Situationen habe, mache ich es häufig so ich so, solche Situationen im Geiste vorzubereiten. Die Vorstellung von einer Situation ermöglicht und vereinfacht es mir, mich solchen Situationen überhaupt erst zu stellen. In vielen Fällen, zum Beispiel bei Interviews ist ein solches Vorgehen auch hochgradig funktional, überhaupt in Situationen, die eine Vorbereitung erfordern.

Das besondere in der Art Forschung, die ich betreibe, ist, daß von dem sozialen Geschehen weniges vorbereitbar ist, und ich quasi ad hoc dem stellen muß, was da kommt. Dies liegt nicht nur in der mangelnden Kenntnis des situativen Kontexts begründet, sondern in der spezifischen Eigenheit (Dynamik der Armutsbewältigung - des Lebens auf der Straße usw.)

Offenes Problem, unterstreicht die Notwendigkeit, mich mit GIRTLER, WEBER u.a. zu verständigen...

Tatsächlich bin ich auf dem Weg zum W.O. durch die Markthalle, sehe beim Ausgang Bugenhagener am üblichen Platz Leute aus der Gruppe, begrüße Kalle, sehe noch ein paar andere, stelle fest, die nehmen keine große Notiz von mir (wieso auch) und ziehe, ohne mich groß zu verabschieden, betreten (!) rüber in den W.O.

Mache small-talk mit Raff-Oma, sehe, daß Matthias (SozArb.) den ich vor allem wg. Termin sprechen wollte, zu tun hat, gehe rüber zu Heinz, den ich beim reinkommen schon gesehen habe. Höre zunächst dem Gespräch von Heinz und Michael (Rannenberg) zu schalte mich langsam ein, dann geht Michael, unterhalte mich weiter mit Heinz, dann wird gegen 17.00 der Laden zugemacht ("Schluß machen"), ich unterhalte mich im Büro des W.O. mit Matthias über KIEBEL und Soziale Arbeit, dann mit Dorothee (SozArb. mit Suchtfortbildung) über Möglichkeiten suchttherapeutischer Arbeit im Kontext W.O.

Als wir den Laden verlassen gegen 17.30 kommen Heinz und ich ins Gespräch, wir gehen zusammen, uns unterhaltend zur U-Bahn, setzen uns auf die Bank und Reden, bis ich gegen 19.30 endlich wegkomme.

Endlich wegkommen meint eine widersprüchliche emotionale Befindlichkeit:

Zum einen hat mich das Gespräch sehr interessiert, zum anderen war in mir das Gefühl präsent, daß ich meine Aufnahmekapazität schon lange überschritten hatte, allein den Mut, mitten im Gespräch abrupt zu sagen, ich muß jetzt weg, brachte ich lange Zeit nicht auf. Als mich mich dann aber endlich arktikulierte: "Die nächste U-Bahn ist die meine", löste sich alles ziemlich gut auf.

Zu den Inhalten:

Und jetzt wird es wieder schwierig, weil das alles so viel war. Was davon ist wesentlich, wenn ich chronologisch schreibe, kippt mir das interessante, was hinten war, wieder weg, alles werde ich nicht erfassen können, was ist eigentlich wichtig.

1.- Heinz, was mit ihm ist, auch Quitzowstr.
2.- was mir Heinz über andere sagt
3.- Gruppe und ich vor Markthalle
4.- Heinz und Schillerpromenade. (Wärmestube Neukölln)
5.- Doro
6.- Matthias
7.- Gespräch Heinz - Michael

 

1. Heinz, das kam durch Zufall im Gespräch mit Michael und mir heraus, wohnt in dem "besetzten Haus" in der Quitzowstr. 138a. Das hat mich natürlich sofort interessiert, aber für ihn waren andere Sachen wichtiger. Ich kam vor allem im Gespräch in der U-Bahn dann zwei- oder dreimal darauf zurück, und er ist dann auch ausführlicher darauf eingegangen. Mieter des Hauses oder der Wohnung ist das DW (Diakon.Werk). Er selbst hat dort eine Wohnung, einen Schlüssel, den er mir auch zeigte, aber keinen Mietvertrag. In dem Haus sind noch drei oder vier andere von ehemals acht oder neun, die da so wohnen. Die sind aber alle zwischenzeitlich raus. Außerdem hat die Oranienetage - Krisenübernachtung dort ein Geschoß oder eine Wohnung, dort wird gerade umgebaut. Der Konflikt sieht wohl so aus, daß es wohl einen Mietvertrag geben soll, der ist aber damit gekoppelt, daß das DW dort eine Sozialarbeiterstelle vom Senat finanziert haben will. Das klappt aber wohl nicht so recht, und Heinz sagt, er selbst braucht (und will) keinen Sozialarbeiter. Solange aber er keinen Mietvertrag hat, wird er in der Wohnung auch nichts renovieren. Er hat dort einen Kalender gefunden aus dem Jahre 1979, seitdem also steht das Haus leer, vermutet er, und auch jetzt noch sind zwei oder drei Wohnungen leerstehend. Seine Sachen stapeln sich in Küche und Flur, das Wohnzimmer ist leer, für den Fall, daß es gleich losgehen wird mit der Renovierung. Strom wird vom DW bezahlt. Vorher wird er nichts machen, denn er will nicht die Wohnung renovieren, und dann ist sie nachher fertig und er muß eventuell raus. Morgen (Mittwoch) um 10.30 hat er in der Beratungsstelle deswegen ein Gespräch mit Katja(?)"die Krähe", er ist gespannt, was sie ihm erzählen wird, das kann ganz ruhig ungemütlich verlaufen, er wird seine Argumente ausbreiten, es kann aber auch laut und heftig werden, aber er ist lauter als "die Krähe"und das wisse sie. Er gebraucht that nickname aber durchaus nicht in einem abwertenden Sinne, sondern eher als etwas überspitzt ihren Typ kennzeichnend, ist mein Eindruck. Ich habe eine etwas ungewisse Vorstellung im Kopf, wen er wohl meinen könne, ich kenne die MitarbeiterInnen nur flüchtig. Die Wohnung selbst und der zustand des Hauses müssen alles in allem noch ganz okay sein, eine Wand ist eine Wand, und wenn da eine alte Tapete drauf ist oder fünf und wie die aussehen, du machst die ab, klebst eine neue Tapete drüber, und dann ist sie gut.

Okay, es ist 20.49, ich muß abspeichern und Arbeitsplatz wechseln, kann dabei auch kontrollieren, was ich bis jetzt geschafft habe. Es gibt (soviel) zu tun...

22.05, es dauert ein wenig,, mich wieder einzufummeln.

Heinz sagt, als ich am gehen bin, wenn ich wolle, könne ich auch morgen um 10.30 kommen. Ich sage, ich werde es mir überlegen, je nach dem, wie ich aus dem Bett kommen würde. Jetzt ist mir sehr klar, ich werde dorthingehen. Mit einer Einladung von Heinz kann mir ja nichts passieren.

Eigentlich wollte Heinz noch zur City - Station heute abend fahren, als ich ihm auf seine Frage, wie spät es ist, bescheidsage, meint er, es sei schon zu spät. Ich frage nach und er bestätigt nach kurzem Überlegen, daß sein Wochenablauf schon gewissen Regelmäßigkeiten folgt.

Heinz ist Jahrgang 1930. Im Frühjahr geboren. Wurde noch im Frühjahr 1945 eingezogen: Er war in Westpreußen auf Landjahr, dann kam die russische Front, die haben sich aber nicht besonders für ihn interessiert, sondern wollten weiter, auch Richtung Berlin, dann wurde der Abschnitt, wo er war, von der Wehrmacht wiedererobert, ihn haben sie dann eingezogen, er konnte über die Halbinsel Hela flüchten, kam in englische Gefangenschaft, weil er zwar in Uniform, aber ohne Papiere war, kam er in ein Flüchtlingslager mit 15.000 Frauen und Kindern, wurde 1947 entlassen, hat dann eine zweijährige Lehre gemacht (als Elektriker) und ging 1949 zu den Amis hier in Berlin. Hat eine Frau, von dieser geschieden, drei (zwei?) Kinder, einer mit einer Türkin verheiratet in der Türkei lebend, ein anderer in Augsburg(?). Hat sich zehn Jahre nach der Geburt seines jüngsten Sohnes sterilisieren lassen, weil seine Frau eine künstliche Bauchdecke bekam, viele Operationen am Unterleib hatte und Kinderkriegen nicht mehr drin war. Hatte vor etwa 10 Jahren eine Vaterschaftsklage am Hals, konnte aber nicht von ihm sein (erzählt diese Geschichte bereits zum zweiten Mal, seit ich ihn kenne).

Seine ideale Freundin sieht so aus, daß sie wissen muß, was sie will und auch eine eigene Meinung haben muß. Er hat es gerne, sich auch ab und zu mal zu streiten, als eine Frau, die immer nur tut, was er sagt und rechtgibt.

Heinz sagte auch dem Weg zur U-Bahn, er könnte auch eine Frau hier besuchen, dann aber wollte er doch nicht. er meinte Heidi, die früher in der Schillerpromenade (Wärmestube Neukölln) gearbeitet hat, Sozialarbeiterin über 2. Bildungsweg, so um die 40. Er sagt zwar, das mit dem Altersunterschied könne zwar hinhauen, aber die Frau sei doch ihm gegenüber zu kritiklos positiv eingestellt, und er wolle doch vielleicht lieber alleine bleiben.

Heinz hat einen Führerschein Klasse 1 und 3, den hat er nur vor einigen Jahren verloren und nicht wieder beschafft. Er hat kein großes Interesse, selbst ein Auto zu besitzen, schon allein wegen der vielen Arbeit, um für die Kosten aufzukommen. Er erzählt von verschiedenen Jobs, die er in der letzten Zeit hatte, zum einen über die Arbeitsamtschnellvermittlung, zum anderen über Sklavenfirmen (z.B. eine in Kreuzberg, Name ?). Der Vorteil von Sklavenfirmen sei, daß man dort wenigstens kranken- und sozialversichert sei, wenn man dort arbeite. Sie würden einen zwar rauswerfen, wenn man krank würde, aber wer länger als sechs Wochen oder so da sei, ginge das auch nicht mehr so ohne weiteres. Aber Heinz war sich darüber auch nicht sehr sicher.

Im Gegensatz dazu sei die Arbeitsamtschnellvermittlung so eine Art geduldete Schwarzarbeit, zu der die Leute da hingeschickt werden. Es gäbe zwar Vermittlungsscheine, die da ausgestellt werden, die müssen aber nirgendswo quittiert, sondern nur bei den Arbeitgebern abgegeben werden. Nur in den seltensten Fällen hatte er z.B. für erhaltenes Geld quittieren müssen, meist gibt es Geld "bar auf die Kralle und dann ist gut". Er meint, die Firmen würden das nirgendwo anmelden und keinen versichern usw.

Heinz erzählt von den verschiedensten Jobs in den verschiedensten Firmen.

Meist waren es Jobs im Produktionsbereich. Er erzählt von verschiedenen Aufgaben, die er dort hatte und von verschiedensten merk-würdigen Situationen und Begebenheiten, an denen er beteiligt war. Auffallend ist seine, für meine Begriffe(!) sehr genaue und anschaulich klare Beschreibung von Maschinen, Produktionsanlagen usw.

Er meint , jetzt im seinen Alter, er sei 60, könne er langsam die Rente beantragen und brauche sich keine großen Sorgen mehr zu machen wg. Arbeit. Wegen seinen Fingern, (er zeigt sie, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand sind etwas gekrümmt) könne er auch nicht mehr, wenn er mit der rechten Hand etwas machen müsse, würde die ganze Hand verkrampfen, und ohne eine rechte funktionsfähige Hand sei schlecht zu arbeiten. Er betont aber auch, daß es schon geht, wenn er will.

Im Frühjahr dieses Jahres war er das erste Mal im Krankenhaus, er hat dort etwas gehabt mit seinem Auge (Vereiterung/ Infektion?). Ansonsten kuriert er Beschwerden immer selbst aus. Vor ca. zwei Wochen sollte er bei einem Bekannten etwas an der Lampe machen, dieser wollte beim Nachbarn eine Leiter leihen, der Nachbar war aber nicht da, dann haben sie einen Stuhl auf den Tisch, auf den Stuhl einen Hocker gestellt. Als er gerade fertig war, wollte der Tisch nicht mehr mitmachen, er fielt herunter, hat sich eine Rippe gebrochen, Prellung an der Schulter, den Kopf aufgeschlagen. Dann hat er erstmal in seiner Wohnung ein paar Tage gelegen, bis das einigermaßen wieder in Ordnung war. Beim Ein- und Ausatmen hat es jeweils geschmerzt. Weil es aber eine Rippe auf dem Brustkorb war, war es nicht ganz so schlimm.

Letztes Jahr im Sommer hatte er sooo eine Backe. Er war in der Schillerpromenade, da war gerade wenig los, hat sich mit einer Plastikflasche stillem Wasser dort hineingesetzt, zweimal einen großen schluck genommen. Da war aber Vodka drin. Das wußten die Betreuerinnen. Zuerst diskutierte er mit ihnen darüber, daß es zwar einerseits in der Wärmestube Alkoholverbot gäbe, daß es aber in seinem Falle Medizin war. Er ging dann nach draußen auf eine Bank, und es kam immer eine von den Betreuerinnen raus, erzählt er. Am nächsten Tag zum Frühstück war dann alles okay, auch zum Erstaunen der Betreuerinnen, was sie aber nicht wußten, daß er "soo eine Birne" hatte.

Gegen Durchfall wurde ihm empfohlen, ein ganzen Glas lauwarmen Vodka mit drei Teelöffel Salz vermischt zu trinken. Auch das hat bei ihm geholfen. Bei einem Bekannten, dem er das weiterempfohlen hat, hat es nicht funktioniert. Er meint, er hätte eben eine Pferdenatur.

Auf dem Weg zur U-Bahn wollte ich ihn auf der Ecke der U-Bahnstation zu einem Kaffee einladen. Er fragte etwas unwillig: "Muß das sein?" Ich verneinte und wir gingen in die U - Bahn und setzten uns dort auf eine Bank und unterhielten uns. Er bot mir auch an, vielleicht in den Park auf einer Bank uns weiter zu unterhalten. Noch sei es nicht so kalt und ihm mache das nichts auch. Ich sage, "Dann laß uns mal in die U - Bahn gehen." Das fand er auch gut.

Im Verlauf des Gesprächs kam Ellen. Sie schlauchte zunächst bei einer jungen, gestylten Frau etwas (ich hörte etwas von "bin auf Trebe"), kam dann zu uns hinüber, sagte etwas von, "Ne Übernachtung im Hotel kostet 100 DM, soviel werden wir wohl nicht haben, aber ob ich, sie sprach mich an, wohl etwas Geld, und dann, nach kurzen zögern, vielleicht eine Zigarette hätte. In dieser Situation hat sie wohl auch Heinz erkannt, ich gebe ihr eine Zigarette, dem Heinz biete ich auch eine an, nehme selbst eine und gebe beiden Feuer. Heinz sagt, er hätte sie lange nicht mehr gesehen drüben im W.O., sie sagt, was soll sie dort. Was könnten die ihr geben, wegen dem Brot, was es dort gibt. Und Kleidung gäbe es wirklich überall. Ellen ist in Begleitung von zwei jungen Männern, von denen einer so betrunken ist, daß er schwer torkelt. Er hat Tätowierungen, auch im Gesicht. Heinz sagt, daß ist Spinne. Spinne werde manchmal gefährlich. Später sehe ich beide, etwas weiter in der Mitte des Bahnsteigs, zusammen mit zwei Uniformierten und einem Schäferhund mit metallenem Maulkorb. Beide stehen nur rum, unternehmen aber nichts. Auf meine Frage antwortet Heinz, die seien vom Wachdienst, von der BVG angestellt, um für Ordnung zu sorgen.

Solche Leute habe ich auch schon vorher gelegentlich in der U-Bahn gesehen. Heinz sagt, eigentlich dürften wir nach [[section]] xyz gar nicht hier sitzen und uns unterhalten, wir müßten in den nächsten Zug einsteigen. Wir einigten uns darauf, trotzdem erstmal sitzenzubleiben und abzuwarten. Vielleicht kämen sie gar nicht. Es hänge auch davon ab, wie sie unser Äußeres beurteilen würden. Auf dem Weg zur HDK sah ich Ellen und Spinne wieder mit den beiden vom Wachdienst in der selben Konstellation auf dem U-Bahnhof Zoo stehen.

Ich wollte sowieso "nach Hause", trotzdem die Frage, wenn ich ausgestiegen wäre: Einfach hinstellen und dumm zusehen?
Mich da einmischen? Wie? und Wieso? Shit, what's the point of view?
Andererseits: Hypothetische Fragen sind scheiße.

Heinz, denke ich, ist ein ganz wichtiger Partner. Ähnlich wie Frank, den ich bis jetzt nicht erreicht habe. Wieso?

Für den Bezug zu den Leuten, an die ich rankommen will, ist die Kluft ziemlich groß. Die Leute sind in der Lage, sie zu überbrücken, weil ich mit ihnen klar komme und sie über die Kontakte verfügen, die sie mir vermitteln könn(t)en. Diesen Zusammenhang genauer aufarbeiten.

Was die Leute aus der Wärmestube angeht:

Über Frank erzählte er mir, was ich schon von Volker (W.O.) und Hans (SozArb. W.O.) wußte. Was ich nicht wußte, vorher im Februar war Frank für einige Tage im Kahn. Er kam da rein wg. Schwarzfahren. Das kam ihm gut in den Kram, er hatte da genug zu lesen, seine Ruhe. Er hat auch später noch andere Bücher bekommen. Sie haben ihn einen Schlüssel angeboten (offenbar offener Strafvollzug). Dann wollten sie ihn nach Hause schicken, er habe aber darauf bestanden, seine Zeit abzusitzen.

Dieter "Speckdeckel" hätte sich dann etwas mehr engagiert in der City-Station, zu den Andachten Stühle aufstellen, er hätte auch mehr gemacht im Seeling-Treff (Wärmestube in der Seelingstr.) und hätte dann eine Kneipenwirtin kennengelernt, die drei gutgehende Kneipen in Berlin hat und würde jetzt in einer davon in der Küche arbeiten, Teller spülen usw. und hätte dann da auch seinen Schlafplatz sicher.

Allgemein auf die Wärmestube angesprochen meinte er, von den Alten von früher seien vielleicht noch etwa dreißig da, viele sind weg, einige tot. Angesprochen auf die vielen jungen Leute meint Heinz, die seien fast alle aus dem Osten. Ob sie erst jetzt rübergekommen sind wo die Grenze offen ist oder früher über die Botschaften, das könne er auch nicht sagen. Auf jeden Fall könne man sie daran erkennen, das sie die größte Klappe hätten. Aber viele hätten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Er meint, diese Leute hätten zu Teil noch Zeugs im Kopf, so wäre er vor dreißig Jahren drauf gewesen.

Aus dem teil der Diskussion bin ich nicht so recht schlau geworden...

Er sagte, er könne verstehen, wenn die jetzt schlecht auf die Vietnamesen zu sprächen wären. Die hätten früher viel mit der SED gemacht und das wär oft gegen die Arbeiter in der DDR gelaufen. Das mit der deutschen Nationaleuphorie sieht er gelassen. Die sollen mal feiern, viele hätten auch Gründe dafür, in einem halben Jahr hätte sich das wieder gegeben.

Überhaupt war auffällig, daß Heinz mir unterstellte, wesentlich mehr Personen zu kennen, als ich tatsächlich meine zu kennen. Oder sollte mein Gedächtnis wirklich so schlecht sein...

Okay, ich hab jetzt - ziemlich unsortiert, aber schon etwas auf Themen konzentriert, einen sicherlich großen und wichtigen Teil protokolliert. Es ist jetzt 0:30 und jetzt ist Schicht, wenn ich morgen wieder fit sein will, geht heute nicht mehr... von 15:00 bis 0:30, das sind 9,5 h Arbeit fast ohne Pause Feldarbeit, m.a.W. alles in Allem komme ich heute auf einen lockeren 12 h Tag, und habe aber noch genug offen. Die Frage ist, was ist zu reißen mit meiner Arbeitskraft...

Auf der anderen Seite nocheinmal die dringliche Frage: Was ist zu protokollieren und was nicht? Sicherlich nicht jeder Pfurz. Vermutung: Je mehr mir Feld, Akteure und Situationen bekannt sein werden, desto mehr wird sich das reduzieren und ich kann dazu übergehen, mich in Protokollen nur noch auf das dann neue und Berichtenswerte zu konzentrieren. So long..

Ergänzung (11.10.1990): Habe auf dem Weg zum W.O. auf der Turmstraße "den Blinden" gesehen. Er setzte sich gerade zwischen Wilhelmshavener und Bredowstr. vor ein Schaufenster (eines leerstehenden Ladens ) hin und begann Sitzung zu machen.

Protokollnotiz 10 von Freitag, dem 11.10.90., 11:30

Auf dem Weg von der Teamsitzung zur U-Bahn sehe ich auf dem Ottoplatz eine Gruppe von ca. 6-8 Leuten um eine Bank herum. Ich erkenne Max, der auf der Bank sitzt.

Hansaplatz steigt ein junger Mann von vielleicht (unter?) dreißig in die U-Bahn, der noch eine Zigarette hat, die er aber, noch bevor die Türen schließen, rauswirft. Er erzählt, das es früher besser war mit den Raucherwaggons und das man das wieder einführen könnte. Ich lasse mich auf ein Gespräch mit ihm ein. Er ist etwas gekleidet wie ein Handwerker, nur seine Kleidung ist schon etwas verdreckt und an einigen Stellen zerrissen, er hat schlechte (fehlende) Zähne und beim Sprechen rieche ich seine Fahne. Er sagt, er fährt nur bis Zoo, will auf den Ku-Damm, zum arbeiten. Arbeiten, und zwar auf seine Weise. Er fragt mich, ob ich nicht ein paar Groschen hätte. Ich sage: "Nee, aber eine Zigarette kannste haben!" Mein Standardspruch in solchen Situationen. "Ne Zigarette nehme ich doch auch gerne!"

Ich frage ihn, ob er Vaddern kennt. Er versteht mich nicht, kommt näher zu mir ran, ich muß nochmal wiederholen. "Na klar" kennt er den, mit dem war er erst gestern abend am rudern - er sagt dann erläuternd hinzu "rudern - na betteln. Mit Vaddern ist gut rudern!" Der kann das sehr gut. Ich sage, er soll Vaddern schön von mir grüßen. Das will er auch machen, verspricht er zweimal, sagt beim zweitenmal noch dazu, daß er ihn womöglich jetzt gleich sehen wird. Er will noch wissen, von wem? "Ich sage: "Vom Stefan".

Die U-Bahn erreicht Bahnhof Zoo, er steigt aus, sagt, er bedankt sich für das Gespräch, auch wenn es nur kurz war.

Aufgefallen ist mir dann danach, daß die anderen Leute in der U-Bahn - sie war nicht voll - anscheinend ganz interessiert Anteil genommen haben an unserer Gesprächssituation. Oh - hier passiert was aufregendes.

Wär mal wichtig, das ein bißchen mehr zu sortieren...

Protokollnotiz 11 von Freitag, dem 18.10.1990, 11:30 - 15:30

Karin - Henri, Georg (Bayer);wg. ummelden.
Haschi;
Heiner - Angelo
Tom??? der große,mit Bauch, Brille und Fahrrad,
Frank - Jaqueline (?)

zeitweise noch andere.

der Blinde auf dem Rückweg macht Sitzung,
gesehen: Armin(?!!!), Leo,
Fotos gemacht: Pocket, bis Bild 18.

Lampenfieber ist immer. Diese ganzen Ängste sind, so stellt sich im nachhinein immer wieder heraus, sind wirklich unbegründet. Ich komme mit den Leuten klar, ich kann auch von mir aus Fragen stellen, die Leute kommen darauf zurück, geben mir Antwort, einige signalisieren und sagen mir, daß sie mich mögen: Shit, was mache ich mir einen Kopf. Und ich erfahre immer mehr, kann auch erwarten, immer mehr einbezogen zu werden und nicht nur mit ihnen herumzusitzen und zu quatschen.

Ich muß jetzt einigermaßen systematisch auf Reihe kriegen, was passiert ist, was mir die Leute erzählt haben, was abgelaufen ist, wie ich mich dabei gefühlt habe.

Ich komme an, kenne außer Haschi und Heiner keinen von der Gruppe. Haschi spricht mich an, was ich da in der Brusttasche habe, ob das ein ... sei. Ich sage, das ist ein Fotoapparat, nehme ihn heraus, sage, du kannst damit Photos machen. Haschi nimmt ihn, macht Photos von der Bank, wo ich nun auch sitze auf der Ecke. Auch sitzen da Henri, Frank, Karin, (Georg). Karin legt sich so über alle, Haschi macht zwei Photos. Muß ihm noch kurz erklären, wie ein neues Bild aufgezogen wird. Fordert mich auf, auch Bilder von ihm zu machen. Sitzt auf dem Kantenstein und lehnt am Papierkorb. Fragt mich, ob ich Geld hätte, für ihn, eine Mark. Sage nein, bin nicht die Bank von England. Henri will seine Uhr versetzen. Will dreißig Mark dafür haben. Gibt sie dann Haschi, der zieht damit los. Kommt aber mit der Uhr wieder, hat sie nicht losschlagen können. Ist wohl wichtig, einen Ausweis zu haben, um sie loswerden zu können.

Werde gefragt, ob ich nicht was beitragen will zu einem Kasten (6er Träger). Sage, trinke kein Bier. Henri sagt, wenn du schon hier sitzt, mußte dich auch beteiligen. Sage, daß ich das einsehe, gebe auch eine Mark.

Heiner erzählt später eine Geschichte, daß er auch von einem Kumpel eine Uhr versetzen sollte. Ging damit zum Zoo, hat aber nicht geklappt. Hat einen Türken getroffen, hat mir ihm gespielt (Irgendwie mit Geld hochwerfen auf die Rückhand usw., nicht klimpern - an die Wand werfen). Hat verloren,Heiner sagt: "und mußte ihm die Uhr gegen". Andere sagen, sowas kannste nicht machen, hättest du nicht spielen sollen. Heiner sagt, normal ist das ja richtig, Erzählt dann, das der Typ, von dem er die Uhr hat, daß der ihn auch angeschissen hatte vor einiger Zeit.

Haschi ist dreißig, Karin 43 (Zwilling), Henri 38, Frank 27(28?), Jacqueline 24.

Henri ist Steinsetzer gelernt, muß in den offenen Strafvollzug nach Spandau, zeigt das grüne Formular, die Ladung zum offenen Strafvollzug, für ein Jahr. Sagt, wer will schon gerne freiwillig in den Bau. Will vorher noch etwas Geld machen. sagt, das ist besser. Mit einem festen Job ist das jetzt schwierig, einen zu bekommen. Andererseits sagt er, wenn er jetzt einen hat, könne er ihn dann weitermachen. Sagt, daß er schwarz gearbeitet hat, daß er weiß, was arbeiten heißt, schwarz 150 DM gekriegt, auf die Kralle. Daß er mal eine eigene Firma hatte, ein paar Jahre. Zwei Mauerer angestellt, irgendwannmal hätten die dann einfach zwei Wochen nur gesoffen. Dann gab es Schwierigkeiten mit den Aufträgen. Konventionalstrafe. konnte er aber mit einem Anwalt weitgehend abbiegen. Meint, man kann sich nur mehr oder weniger auf sich selber verlassen. Arbeitsmäßig heißt das, das für ihn auch nur noch solche Jobs in Frage kommen. Will wissen, was ich mache. Sage, habe einen Job an der HDK. Kenne hier einige Leute, mich interessiert, was sie machen, wie sie die Dinge sehen. Daß ich einige noch von früher kenne, als ich studiert habe. Was ich denn studiert hätte. Sozialarbeit. daß ich jetzt was schreiben will. Er sagt, daß findet er aber nicht gut. Ich frage nach. Was findest du daran nicht gut. Daß er das alles nicht versteht. Daß er vor 20 Jahren noch eine Wohnung gekriegt hat, das aber jetzt nichts damit ist. Und die Politiker: Daß wir alle wählen können undsoweiter, daß aber doch in allem... dann druckst er rum... ich sage: ... der Wurm drin ist. Stimmt mir zu, bin erleichtert, daß er nicht mich und was ich will, kritisiert. Dann erzählt er weiter von sich, sagt, ich muß das alles mal miterlebt haben, um zu wissen, was da läuft. Er selbst hat auch drei Monate lang Platte gemacht, unter der Brücke. Und weiß jetzt, was da abgeht. Daß er mit Karin da zusammen war, drei Monate.

Hier ist einer für den anderen da, helfen einander, auch wenn es meistens nur um Alkohol geht, aber auch um essen. Alkohol ist ganz wichtig, und wenn der ausgeht, werden die Leute aggressiv. Spricht Karin darauf an. Was ist los? Der ..

Haschi spricht mich als "Professor" an.

Frank, mehr noch als Jacqueline, scheint mir gegenüber etwas mißtrauisch zu sein. Spreche im Laufe der Zeit dann auch mit J., die mir gegenüber mehr aufgeschlossen scheint. J. ist jetzt mit Frank zusammen. Seit etwa einen Monat. War früher mit einem Typ zusammen, der war wie Henri. Hat sie geprügelt, daß sie jetzt noch Wunden hat.

Henri liebt Karin. Ich frage, wieso er sie liebt. Karin liebt in nicht mehr. Er ist ein Arschloch, ein mieses Schwein, er hat sie ausgenommen, von ihrer Kohle, Sozialhilfe gelebt usw. Er könne sie am Arsch lecken. Will mit dem Typen nichts mehr zu tun haben (einerseits). Er liebt sie, wieso kann er nicht sagen,. später sagt er zu mir, weil er mit ihr so gut bumsen kann, und das ist das wichtigste. Bumsen sei das schönste. Das Wichtigste. Das ist die Hauptsache, wieso er überhaupt mit einer Frau zusammen ist. Ist es nicht so, fragt er mich. Ich sage, ja das ist schon ziemlich wichtig. Sexualität ist ein Thema, wo ich selbst nicht gut reden kann, vor allem, wenn es ernsthaft wird, mir wird immer er bißchen komisch dabei, aber hier fühlte ich mich einigermaßen wohl. Er sagte dann, er hätte mit ihr gemacht, wer am längsten kann. Ich dachte da zunächst an "unterm Tisch trinken", das ging aber ums bumsen. Wer von den beiden länger bumsen kann. Und er ist dabei aber fertig gewesen, und er sah aus, als wär er bis nach Spanien geritten. Und sie wollte immer weiter und deswegen liebt er sie.

Henri war mal verheiratet gewesen mit einer Frau. Als er zwanzig war, bis siebenundzwanzig, sieben Jahre. er hat zwei Kinder. Eines (r) sei jetzt achtzehn. Daß es dann aber nicht mehr so lief mit der ehe. genaueres wollte er mir nicht sagen, auch als ich dann fragte, ob sie nicht mehr so wollte mit bumsen... Jetzt wohnt er bei einer Frau. Ob er die denn nicht liebt? Das sei eine Thailänderin.

Mehr war denn auch in der Situation nicht herauszukriegen. Wegen der Sache mit dem Knast gibt es für Henri auch nichts an Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe.

Sie sagt, wieso sie sich überhaupt auf ihn eingelassen hat, sie muß wohl betrunken gewesen sein, wenn sie morgens aufwacht und ihn nüchtern sieht, kommt ihr das kotzen. Diese so angedeutete Konflikt bestimmt das soziale Geschehen zwischen den beiden. Er sitzt zunächst neben ihr, er versucht, sie in den Arm zu nehmen, sie am Hals, auf der Wange zu küssen, zu beißen. Sie muß ihn immer wieder abwehren, nimm die Finger von mir, laß meine Titten los usw. Später fordert sie mich auf, als ich so am stehen bin, mich zwischen ihn und sie zu setzten.

Karin schneidet den Leuten im Warmen Otto immer die Haare. Sie hat 11 Kinder. Ich frage, was die machen. Sie sagt, na was sollen die schon machen. Ich frage, daß ich mir vorstelle, daß sie ja mit so vielen Kindern ja noch voll in Äktschn sein müßte so als Mutter. Ja, sagt sie, das früher einmal, als die noch klein waren. Jetzt kommen die ab und an mal vorbei.

Karin macht seit drei (sechs) Jahren Platte. Seit drei Jahren mit Georg. Georg ist ein Kumpel. Transvestit...

Die Platte, die sie jetzt hat, hat sie seit zwei oder drei Wochen. Das hat sie sich wie eine Puppenstube eingerichtet, sie hat da Teppiche hochgeschleppt und alles. Frank hätte ihr gezeigt, wie sie da rein kommt: Mit einen umgebogenen Löffel und und einem umgebogenen Nagel. Sie war vorher unter der Brücke, mußte da aber weg, weil sie da nicht bleiben kann. Da hätten sie zweimal Leute - Araber oder Palästinenser - überfallen, Messer an die Gurgel - und ausgeraubt. Das ganze Geld weg, und auch Ausweis weg. Als ihr Frank das gezeigt hat, war Kohlen... mit dabei. Jetzt will der ihr die Platte streitig machen. Kommt da immer an, will aber nur ihr Bier wegtrinken. Sie hat aber nichts gebunkert, hat nur immer ein Bier da, wenn sie morgens früh den Flattermann kriegt - so als Reserve. Sie wartet auf den Langen, damit der dem Kohlenmann (verprügelt), daß der sie in Ruhe läßt. der kommt aber nicht. Einmal wär den gekommen, der Kohlen... und hätte gesagt, der hätte ein Zweimarkstück verloren. Kann aber nicht sein. Sie hätte ihm ein Fünfmarkstück gegeben, davon hat der sich ein 6er-Pack geholt, und die eine Mark, die er noch hatte, hätte er am selben Tag noch verliehen. Das mit dem Zweimarkstück kann also gar nicht sein, der Typ ist falsch... --- Weint...

Georg Brot, Tücher W.O
Victor heiraten
Horoskop,
ficken,
Georg Anmeldung
Frank etwas essen, lange schlafen
J.fünf Kinder, wie es ist auf der Straße,
nach Hause gehen,
Fotos von Platte

Frage Haschi, was er jetzt machen werde. Er sagt, warten. Ich frage, worauf warten. Sagt, er wartet auf den Tod.

Er sagt, er wär mal verheiratet gewesen. Mit Susanne. Die hätten sie verrückt gemacht: Er sagt, daß ich verstehe, sie wurde grausam umgebracht. Muß an den Song Suzanne von Leonard Cohen denken. Die verrückte Heilige, die heilige Verrückte (?).

Haschi spricht mich mir "Professor" an. Nimmt, auch schon an anderen Tagen, meine Hand in seine Hand, "begrabbelt sie, fäßt einzelne Finger meiner Hand an, bewegt sie, als ob er testen wolle, wie biegsam sie sind. Das macht er schnell, fest, aber nicht grob.

Karin in ihrer Stammkneipe. Dann ist ein Mann(Henri?!!!) gekommen und hätte ganz laut gesagt, so daß es alle hören konnte: "Ich will dich ficken!" Sie sei ganz rot geworden, fand das überhaupt nicht korrekt. Sie hätte zwar nichts dagegen, wen ein Mann ihr sagt, was er will, das könne er aber auch anders machen, zum Beispiel.du ich hab dich sehr lieb usw., aber so sei das nicht gut. J. sagt, daß sie so eine Sorte Männer auch kennt und sich von so einer Sorte Männer nicht mehr reinlegen läßt. Ihr früherer Freund war so einer, er hätte sie auch geschlagen.

Protokollnotiz 12 von Dienstag, dem 22.10.1990, 12:40; 13:30 - 15:15

Ich werde jetzt gleich wieder ins Feld gehen. Ich fühle mich ziemlich gut dabei. Ich habe wesentlich weniger "Angst" bzw. komische Gefühle als sonst vorher. Das hat zum einen wohl damit zu tun, daß es das letzte mal ziemlich gut lief (auch wenn das Protokoll hätte besser sein müssen, ich habe mir zuwenig Zeit dafür genommen, und als ich dann für etwas länger unterbrechen mußte, ging es mir, wie zu erwarten: Es war weg...). Der andere Punkt ist einfach der, ich glaube, einen Standpunkt gefunden zu haben. Ich bin Partei... Auch wenn es sicher noch notwendig ist, genauer aufzudröseln, was es jetzt genau heißt, wenn ich sage: "Ich bin Partei", erlaubt mir dieser Standpunkt ein aktiveres Vorgehen. Ich traue mich was, ich traue mich, die Leute zu fragen, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, die Fragen sind noch nicht gut genug, noch nicht treffend genug.Trotzdem: Schon beim letzten Mal hatte ich den Eindruck, daß mir das A) geholfen hat und daß ich B) gut damit gefahren bin.

In den nächsten zwei Wochen bin ich durch die beiden Tagungen ziemlich mir meinen Energien beansprucht und werde sicherlich kaum Zeit für Besuche im Feld haben. Meine Perspektive für die Zeit danach wird sein: Mich aktiver in das Leben der Leute hineinzubegeben. Die Leute, d.h. einzelne Personen auffordern: "Zeig mir deine Platte" oder: "Ich möchte gern kennenlernen, wie dein (euer) Alltag so aussieht. Kannst du mir dabei helfen?" usw.

Wenn es sich ergibt, weitere Fotos machen. Den Leuten die Fotos mitbringen. Vielleicht, wenn sich sich ergibt, Tonbandaufnahmen machen...

Okay, ich werde jetzt in mich gehen, versuchen, mich zu konzentrieren, auf meine Befindlichkeit achten, meinen Feldbesuch gedanklich vorbereiten ( die nächsten zwei Wochen noch etwas planen) und mich dann auf die Socken machen.

Es ist zwar schönes Wetter, die Sonne scheint, aber es ist doch einigermaßen kühl geworden, sodaß ich nicht weiß, wie lange ich wohl aushalten werde. Muß mich bei den nächsten Feldbesuchen kleidungsmäßig besser vorbereiten. Werde Fotoapparat mitnehmen.

13:30 - 15:15

Angelo
Horst(?, Werner), ?
Henri, Kalle,
später Armin
Frank und Jacqueline
Georg

Der W.O. ist "wg. Überfüllung geschlossen". Vor dem kleinen Fenster des Büros stehen Horst und einer, den ich nicht kenne, reden durch das Fenster mit Matthias (Soz.Arb.). Horst hat wohl Probleme mit einer Behörde, zeigt ein Schreiben dem Matthias, das ist das aktuelle, es gibt aber noch mehr Schreiben (ähnliche Formulare) zu diesem Vorgang. gehe weiter. Auf der Ecke Bugenhagener/Bremer sitzen zwei, ein jüngere und ein älterer, den jüngeren kenne ich vom W.O., ich habe ihn dort öfter Schach spielen sehen. Gehe weiter die Bugenhagener, auf dem Treffpunkt vor der Markthalle sitzt (zu meiner Enttäuschung) nur Henri. Ich erkenne ihn nicht auf anhieb. Er hat einen leicht geröteten Kopf, ist ordentlicher gekleidet als beim letzten mal, scheint aber sonst ziemlich klar zu sein. Neben sich eine Pappe von Dosenbier, rechts neben sich zwei geöffnete Flaschen Bier. Unterhalte mich mit ihm, später kommt Kalle, unterhalte mich mit den beiden, dann kommt Armin, dazu kommen kurz Frank und J., sind dann aber schnell wieder weg, dann gehen auch Kalle und Henri (ohne sich zu verabschieden), unterhalte mich dann kurz mit Armin, der dann auch weiter will, bin dann ganz alleine, mir ist kalt geworden, beschließe zu gehen, sehe gegenüber Georg Richtung W.O. gehen, in am gehen, winke ihm zu, gehe mit ihm Richtung W.O., erzähle ihm, was ich erfahren habe, was er wegen seiner Ummeldung (neuen Paß ausstellen lassen) machen soll, er geht dann in den W.O., ich gehe über die Oldenburger und Turmstraße in die U-Bahn, hätte zwar noch gewußt, wo ich weitere Leute aufs der Gruppe gefunden hätte, mir ist aber wirklich kalt, fahre hierher zum Protokollieren.

Wie die Leute angezogen sind und sonstiges äußeres:

Henri mit braunen Wildlederstiefeln, brauner Stoffhose, grüner Windjacke. Sieht fein aus, ordentlich, sauber. Im Gegensatz dazu letzten Donnerstag: helle Sportschuhe, helle, etwas dreckige Jogginghose, andere Jacke (wird auf dem Foto sein). Oberlippenbart, sonst rasiert.

Hat wohl heute keine Zigaretten dabei.

Kalle (wie immer): schwarze Lederschuhe, ausgewaschene Bluejeans, Pullover, Schwarze Lederjacke. Immer rasiert.
Heute Bierdose, Flachmann mit Vodka in der Tasche, Tabak, Feuerzeug.

Armin: Immer mit Franzosenmütze, flache Schuhe, karierte, helle Stoffhose, Windjacke. Sieht sehr seriös aus mit seinem grauen Vollbart. Hat eine Hälfte seiner zerbrochenen Brille (eine Art Lesebrille, zum drüber hinweg schauen) bei sich.

Frank Turnschuhe, grüne Militärhose, Windjacke (plastikmäßig, modern style)

J. heute modische Turnschuhe, Jeans, Brille (!), die sie Donnerstag nicht trug.

Was (mir) Henri erzählt:

Die letzten zwei Tage mit Karin zusammengewesen. Heute wäre Karin schon zuhause, sie hätte heute viel getrunken, alles mögliche Durcheinander, ganz früh am Morgen Wein, dann Bier, Vodka, Schnaps usw. alles durcheinander, jetzt sei sie breit und deshalb zuhause. Karin sei ein ganz liebes Mädel, aber wenn sie besoffen ist, wird sie zänkisch, macht jeden an ... Heute hätte sie jemand mit Nachnahmen angeredet (sie heißt Ruhne oder s.ä.), sie hätte verstanden "Nutte" und sei sofort auf den los, hätte ihre Schuhe ausgezogen und sein auf den los, hätte versucht ihm in die Eier zu schlagen, wär aber nicht gelungen beim ersten Mal, beim zweiten Mal aber schon. Unterhält sich mit Kalle darüber. Kalle bestätigt, das Karin eine ganz liebe sei, aber wenn sie besoffen ist...
Manchmal, sagt Kalle, gehe das ganz schnell, du trinkst und trinkst, es geht die gut, und plötzlich bist du weg.

Heute vormittag, sagt Henri, sei es ganz vol hier gewesen. Vielleicht zwanzig Leute, sodaß er fast den Überblick verloren hat. Er kennt sie nicht alle von Namen, als er sich mit Kalle über einige davon unterhält, muß er sie auch kurz beschreiben. Und dann seinen sie alle langsam verschwunden. Aber vielleicht füllt es sich wieder zum Nachmittag.

Er hat dann leise mit Kalle gesprochen. Das war wohl absichtlich so, daß ich nicht unbedingt verstehen sollte. Es ging wohl darum, daß um drei(es war da 14:30) ein Geschäft offen macht, ich glaube, es ging wohl darum, seine Uhr zum Pfandleiher zu bringen. Kalle sagte, er hätte wohl einen Ausweis da und er würde wohl mit ihm dahin gehen.

Tatsächlich sind sie dann auch kurz nach 15:00 zusammen, ohne sich zu verabschieden, abmarschiert.

Ich frage nach, was willst du machen. Er sagt, was er heute arbeiten wollte? Er hätte heute Glasbau arbeiten sollen, war aber nicht dazu gekommen. Später wird es denn klarer: Er war heute Nacht mit Karin zusammen, hat ihr erzählt, daß er heute arbeiten wollte, und dann morgens früh: Er formulierte das etwa so: "Nachts will sie schlafen, und dann morgens früh, wenn du aufwachst, sie wußte das ganz genau, aber wenn du zwischen ihren Schenkeln liegst..."

Karin sei heute besoffen abgezogen. Sie hat nach Henris Worten wohl erwartet, daß er dann nachkomme. Das wird er aber nicht machen. Er werde ihr doch nicht hinterlaufen. Die letzten beiden Tage sei es nicht so schlimm gewesen. Sie seien beide nicht besoffen gewesen. Zwar leicht angegangen (er wählte eine Formulierung, sinngemäß "angenehm angetrunken"), gestern schon gegen halb sieben "zuhause" gewesen.

Sitzt auf der Bank, sagt, er gehe noch nicht nach Hause. Das Wetter sei doch ganz schön. Was er denn zuhause solle... Zuhause, meint er wohl die Thai-Frau. Auf die frage, wie es denn wohl mit ihr sei, sagt er, mit ihr sei nicht so viel los. "Mal linksrum, mal rechtsrum, was soll schon sein?"

Über seine Beziehung zu dieser Thai-Frau werde ich nicht schlau. Was verbindet Henri mit dieser Frau. Wie kommt er zu ihr, wie kommt er dazu, mit ihr zu wohnen, bei ihr zu wohnen. Bei Kalle ist mir das, was er erzählt, viel transparenter. Jedenfalls, wenn mir bei Kalle etwas nicht klar ist, frage ich nach (so heute), und bekomme schlüssige Antworten. Bei Henri ist das irgendwie nicht so sehr klar. Vielleicht traue ich mich bei ihm auch nicht offensiv genug, Klarheit herzustellen. Teilweise, wenn ich einfach den Leuten (so Kalle und Henri usw.) Fragen stelle, habe ich ein ungutes Gefühl, daß ich sie ausfrage, d.h. Informationen von ihnen nur in meine Richtung abziehe. Was kann ich den Leuten geben.

Nach Georgs Logik müßte ich genau dieses mein Problem

a) den Leuten klarlegen,
b) mit den Leuten bereden. Ich halte das für den richtigen Standpunkt. Komische Assoziation: Henri sagt über Karin, er kenne diese Frau so gut, er kenne "sie in- und auswendig, ich kann ein Buch darüber schreiben". Ich sage ihm, na dann mache das doch. Für ihn vielleicht nicht mehr als eine Redensart, für mich schon gehaltvoller: Um genau diesen Prozeß geht es eigentlich, wie läßt es sich machen, dieser herausfinden der Lebenslage der Leute - also von meiner Seite - in einen gemeinsamen Prozeß umzumünden. Ich kann doch meinen Arbeitsprozeß - z.B. Protokoll schreiben, mein Büro doch nicht auf der Straße einrichten.

Jetzt einfach mal weitergesponnen: Auf der Straße mit den Leuten Flugblätter schreiben, Protestbriefe aufsetzten, Öffentlichkeitsarbeit machen, Forderungen erheben. usw. usw.

Es gibt da historische Vorbilder, etwa Gregor Gog, aber auch nachzulesen in "Wohnsitz nirgendwo". Am meisten auffällig scheint mir, daß da eine Kluft entsteht. Ich sehe immer mehr Sachen aus der Position der Betroffenen, und muß feststellen, daß sie den Sozialen Einrichtungen a)gegenüberstehen, und zwar b) durchaus nicht unkritisch.

Mir scheint es wichtig, diese Frage nicht aus den Augen zu verlieren, das wird sich ergeben.

Was Kalle erzählt:

Scheiße, mir gehen soviele Sachen von dem, was Kalle erzählt, im Kopf herum, ist kann das aber in keine vernünftige Reihenfolge bringen. Vielleicht könnte eine Aufzeichnung der Sache mehr Aufschlüsse darüber geben, wie sich die Gespräche ergeben und entwickeln. Das halte ich für einen nicht unbedeutenden Teil der Forschung, welchen Mustern, Formen, Gesetzmäßigkeiten usw. Unterhaltungen folgen.

Kalle hat früher auch Shit geraucht und dazu gesoffen. Wie das kam? Er hat früher (etwa zwei Jahre lang) zusammen mit Pakistanis gewohnt. Und zwar deswegen, weil seine Schwägerin mit einem Pakistani zusammen ist. Zuerst war sie mit seinem Bruder verheiratet, dann ist sie mit einem Pakistani gegangen. Bei den Pakistanis hat er alles gehabt, Shit, und auch jede Menge Alkohol. Er hat nichtmal für den Shit bezahlt, im Gegenteil, er hätte was um die Ohren gekriegt, wenn es nach Bezahlen gefragt hätte. Dafür ist er dann aber immer mit den Pakistanis auf die Ämter gegangen, weil die kaum ein Wort Deutsch können. Also eine Art Arbeitsteilung.Teilweise ist er mit denen dahingegangen, sagt er, und sie hätten schon auf dem Weg dahin eine Tüte durchgezogen. Die Pakistanis seien aber jetzt alle wieder zuhause, bis auf den einen, der mit seiner Schwägerin zusammen ist. Kalle selbst aber kann gar kein Pakistanisch. Das hat ihn nicht interessiert zu lernen, wo die sowieso alle wieder weg sind. Die haben ihn auch auf Feten eingeladen. Das seien Feten gewesen, das könne man hier gar nicht erleben, das könne man sich gar nicht vorstellen. Und selbst, wenn alle Besoffenen gewesen waren, hätte es niemals Streit oder Ärger oder sowas gegeben. Er wollte zunächst nicht hingehen, sagt er, was solle er denn dort, aber sie hätten gesagt, Mensch Kalle, kommt mit, komm doch, und dann sei er doch gegangen. Die Pakistanis hätten viel Geld gehabt. Ja, wovon denn? Die hätten Geschäfte gemacht.

Mit seiner Schwägerin würde er sich nicht verstehen, sie kann nicht lesen und nicht schreiben, deswegen ja nicht, aber er konnte sie von Anfang an nicht leiden. Ich frage, woran das liegt. Er sitzt auf der Bank, denkt nach. Er konnte sie von Anfang an nicht ab, sie war ihm unsympathisch und er war ihr unsympathisch. Ich sage, wenn man Arbeitskollegen z.B. nicht gut leiden kann, müsse man mit ihnen auch klarkommen. Ja, Arbeitskollegen, das sei etwas ganz anderes. Da könne man dann zum Chef gehen und sagen, komm, setzt mich mal woanders hin, weil das mit dem ist so und so. Als ich ihn frage, ob es es denn wenigstens versucht hat, bestätigt er nochmal, daß er sie nicht leiden könne, daß das auf Gegenseitigkeit beruhe und daß er es auch nie versucht hätte. Die Frau hätte Geschichten gemacht, die man hier gar nicht erzählen könne. Sie würde mit jedem ins Bett gehen (und dann kommt ein Nachsatz, den ich nicht verstehe, und der sich, so wie ich das verstehe, auf seine Beziehung zu ihr bezieht. Ich weiß nicht, ob er meinte: "Nur mit mir nicht!"). Der Pakistani, mit dem sie zusammen war, hätte mal ihre Sachen genommen, zerrissen oder verbrannt, und hätte sie dann nackt über die Turmstraße gescheucht und ihr nachgerufen: "Dann geh doch zu deinem Mann" (sinngemäß).

Er hätte am Freitag Geld vom Sozialamt bekommen. Sechshundert Mark. Er sagt auch später die genaue Summe: 574(?), nochwas. Einen Teil davon bezahlt er an seine Schwiegertochter an Kostgeld, manchmal zweihundert, auch 350, manchmal auch dreihundert. Er meint, er zahle zuviel, dafür, das er so selten zuhause ißt. Er sagt, er würde manchmal nur so zweimal die Woche zuhause essen. Das ist für mich eine willkommene Gelegenheit, mich so in das Gespräch einzuschalten, daß ich auch mal von mir erzählen kann: Daß ich jeden Monat 190,-- in die HH-Kasse einzahle, und daß ich davon gut lebe und auch noch zwei Katzen versorgt sind. Kalle fragt, ob ich noch bei meinen Eltern wohne. Ich erzähle von der WG. Kalle will wissen,wieviel wir denn sind.

Es ist schon bemerkenswert, daß ich froh bin, auch etwas von mir erzählen zu können. Darüber nachdenken.

Nächste Frage: Was heißt das, wenn Kalle glaubt, ich würde noch bei meinen Eltern wohnen.

BOOOOOOH, verdammt, ist das anstrengend. Ich habe vorhin schon kurz Pause gemacht, um mir "Wohnsitz nirgendwo"zu holen, aber langsam reicht mir das Schreiben. Es ist - das will ich gar nicht bestreiten- alles furchtbar spannend, aber es strengt mich an. Es ist richtige Arbeit: Und, was das schlimmste ist, ich kann es nicht verschieben, ich muß es weiterbringen, fertigmachen, sonst ist es weg.....

Scheiß Spiel. Ein anderer Gesprächsgegenstand ist seine Schwiegertochter.

Armin, kommt, ist eine fertige Filter am rauchen, gibt Kalle eine Dose Pils, er sagt, es ist seine letzte, entschuldigt sich bei Henri, daß er keine für ihn hat, Kalle sieht, er raucht ein Filter, fragt ihn, ob er eine haben kann, Armin holt ein Päckchen Tabak heraus, Kalle lehnt ab, will eine Fertige haben, sagt, er sieht da ein Päcken Marlboro in seiner Tasche, Armin lehnt wieder ab, Kalle sagt, wenn du mir schon ein Bier gibst, kannste mir auch eine Fertige geben, Armin will erklären, wieso er keine Fertige bekommt, weil... , wird aber unterbrochen, weil Frank und J. kommen.

Armin spricht etwas langsam, arrogant, herablassend, überheblich wirkend. Ich kann nicht einschätzen, ob es daran liegt, daß er so ist oder weil er schon erheblich angetrunken ist.

Als alle weg sind, unterhalte ich mich alleine mit ihm. Das Gesprächsthema, daß wir schon begonnen haben, ist der W.O. Er geht da nicht mehr hin, weil da nichts mehr los ist. Früher war noch viel mit Skat, Doppelkopf und Kegeln und Film usw., heute sei da aber tote Hose. Da liege zum Teil aber auch an den Soz.Arb.

Scheiße, fühle mich jetzt beim protokollieren unwohl. Mir tut der Kopf weh, so ein komisches Gefühl, vor allem in der rechten oberem Stirnhälfte. Als ob mein Kopf mir jetzt sagen wollte, mache Schluß hier. Ich habe mit Kalle, was so ziemlich der Schluß war von meiner heutigen Feldbegehung angefangen, weil ich das auch noch erwähnen wollte, damit mir das nicht hinten wegkippt. Stelle aber fest, daß es nicht so einfach ist, diesen Teil mit Armin zu protokollieren. Das Gespräch war nicht eindeutig, d.h. ich habe nicht eindeutig verstanden, was genau er mir sagen wollte. Es mag für den Anfang angehen, daß ich Leuten erst zuhöre, und versuche, das zu verstehen. Er kann sein, daß ich später, wenn ich Leute besser kenne und mich öfter mit ihnen unterhalten konnte, mir einen Reim darauf machen kann. Grundsätzlich ist es aber Scheiße, weil, wenn ich nicht genau erfasse, was jemand mir sagen will, kann es auf Dauer keine befriedigende Kommunikation geben. Die Schlußfolgerung muß sein, immer dann, wenn ich etwas nicht verstehe, muß ich nachhaken, auch wenn ich dann Gefahr laufe, daß meinem Gesprächspartner der Geduldsfaden reißt. Es könnte doch sein, daß ein Teil des Problems der Leute auch darin besteht, daß sie nicht verstanden werden, weil sie keiner mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich verständlich ausdrücken zu müssen (vgl. SCHNEIDER 1989,170ff.)

Okay. ich habe, als ich gehen wollte, dann Georg angesprochen, der vor der Markthalle Richtung W.O. lief und ihn einfach "vollgequatscht" wg. dieser Geschichte mit den 10,-- (Ausweis abgelaufen, wg. Ummeldung notwendig, neuen Ausweis machen zu lassen, kostet normal DM 10,--, die er nicht hat. Habe bei Herrmann (Levetzowstr.) angerufen, der sagt, Sozialamt kann Zettel ausstellen, der Mann ist mittellos, dann kostet es nichts). Sage ihm das. Georg sagt, er wisse das schon, brabbelt dann beim Gehen etwas von Lohnsteuerkarte und Arbeitsamt usw., ich sehe also, die Sache ist komplizierter, aber ich verstehe ihn (akustisch & ...(?)) nicht, er brabbelt mit seinem bayerischen Akzent so dahin,

Scheiße ist...

Um weiter von Kalle zu berichten:

Und ein anderer Teil des Geldes vom Freitag - die Sozialhilfe für den ganzen Monat - hat er zurückbezahlt (also offene Beträge), sodaß er von dem ganzen Batzen nur noch einen Hunderter für sich hatte. Und dann war er mit dem Geld hier und dann war das Geld natürlich auch gleich wieder weg.

Er erzählt das so, als wäre das ganz selbstverständlich. Es tut ihm offenbar nicht leid um das Geld und er hat auch kein schlechtes Gewissen deswegen. Das scheint eine Regel des Umgangs dieser Gruppe zu sein, daß wenn einer etwas hat, geht das gleich in die Gruppe ein (und wird in Alkohol umgesetzt). Was er braucht, ist Alkohol und Tabak. Tabak kriegt er von seiner Schwiegertochter, ich frage, ob das von seinen HH-Kosten finanziert wird, er sagt, nein, das laufe so nebenbei, das kriege er immer so von seiner Schwiegertochter. Und Alkohol würde er hier immer kriegen, das sei kein Problem. Am Freitag, so erzählt er später, wär auch Besuchstag von seinem Sohn gewesen, der z.Zt. im Knast sitzt. Er hat natürlich den Fehler gemacht, und sei gleich hierhergekommen, das hätte er nicht machen sollen, sondern gleich zu seinem Sohn gehen. Und als er hier war, ist es ihm noch eingefallen, aber er war schon ziemlich zu, (was er dann berichtet, scheint mir nicht logisch, ich habe es auch nicht ganz verstanden:) Er sei dann aber dennoch hin, hätte auch seinen Sohn getroffen, Kalle hätte Hasch in der Socke gehabt, das er ihm gebracht hat, "Ich laß doch meinen Sohn nicht hängen", aber mit ihm in den Besucherraum zu gehen, war wohl nicht möglich "Habe ihm gesagt, Mensch, du siehst doch, was mit mir los ist!", im Suff würde er nur die Bullen anpöbeln und das würde nichts bringen in der Situation.

Also: Einerseits doch ein realisierter Besuch bei seinem Sohn - Übergabe von Shit? - aber andererseits doch nicht???

Nachtrag 28.10.1990

was mir immer noch im Gedächtnis geblieben ist, und deshalb im Protokoll nachgetragen wird, weil es einigermaßen wichtig und interessant ist:

Im Verlauf des Gesprächs kommt Kalle darauf zu sprechen, daß in zwei Monaten, am 22. Dezember seine Bewährung abgelaufen ist. Insgesamt fünf Jahre sind es gewesen. Dann erwähnt er, beinahe beiläufig, daß da noch eine andere Geschichte dazwischen gekommen ist, nochmal zwei Jahre auf Bewährung, dann seien also insgesamt sieben gewesen. Ich frage ihn, weswegen. Er schaut, wie ich meine, mich etwas "schief" an. Ich sage sofort hinterher, er müsse es nicht sagen. Wir reden darüber kurz hin und her. Es ist eine komische Situation. (Ein bißchen das Gefühl, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein. Zu forsch bei meiner nachfragenden Herangehensweise. Oder besser, in einem falschen Moment eine falsche Frage gestellt zu haben.) Ich wiederhole nocheinmal, er muß es nicht sagen, wenn er nicht will. Und das es okay sei. Er sagt denn noch, nach dem 22. würde er es sagen - aber auch nur vielleicht. Und danach spricht Kalle etwa in dem Sinne, könne man sich wieder was erlauben. Das war eine Gesprächssituation, wo auch Henri dabei war. Kalle behandelt das Thema so, als wären es Ausrutscher, die eben mal so passieren, was an und für sich - so höre ich heraus - auch nicht so arg schlimm ist und "in den besten Familien vorkommt". Wir unterhalten uns dann über den Unterschied von Bewährung und polizeilicher Führung. Polizeiliche Führung sei wesentlich schärfer, man sei unter richtiger Kontrolle, müsse sich wöchentlich melden, und die (Bullen??) könnten jederzeit in die Wohnung kommen, ohne Anmeldung, und man könne auch nicht so ohne weiteres die Stadt verlassen. Bewährung dagegen heißt, man müsse sich in regelmäßigen Abständen bei seinem Bewährungshelfer melden. Kalle berichtet dann, als ich nachfrage, wie er das gehandhabt hat - in dieser Gesprächsphase ist dann mein komisches Gefühl wieder weg, wir sind bei einem Thema, wo wir uns wieder ganz locker unterhalten können. Seine Bewährungshelferin ist eine Frau, zuerst, das erste halbe Jahr (oder 1/4 Jahr) war er regelmäßig jeden Monat da, dann alle zwei Monate, dann noch seltener, schließlich hat er sich dann halbjährlich gemeldet, dann nocheinmal angerufen - sie hätte gesagt: Tun sie mir den Gefallen: Melden sie sich - rufen sie an usw. Das mit der Bewährungshelferin sei wohl insofern wichtig, als das sie regelmäßig Berichte schreiben müsse, aber Kalle äußert sich so, als hätte er mit ihr so ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, daß das schon in Ordnung gehe. Sie hätte gesagt, am 22. Dezember würden sie dann zusammen essen gehen. Das können wir auch gerne tun, sagt Kalle, macht dann eine Pause, und setzt dann nach: nur wird sie alleine gehen. Einen Witz hat er gemacht!

Ein anderes Thema, das Kalle schon früher mal erwähnt hat, ist seine Schwiegertochter und sein Enkel. Er liebt sein Enkel, kümmert sich um ihn, kann sie auch wickeln, selbst wenn er besoffen ist, was in nur nervt, ist, daß seine Schwiegertochter sich darauf verläßt. Und sie zieht dann immer, auch schon tagsüber los. Sie hat einen Freund, den Partrick. Wenn das sein Schwiegersohn wüßte. Sie würde wohl auch Kiffen. Auf jeden Fall geht sie dann immer zu dem, wen sie aber zurückkommt, leugnet sie, daß sie was mit dem hat. Dabei weißt Kalle genau, daß die mit dem bumst. Als er sie dann einmal direkt darauf anspricht, bricht sie in Tränen aus. So war auch meine Nachfrage, ob Kalle denn nicht ein ernstes Wort mit ihr redet, wenn sie sich einfach so auf Kalle verläßt, daß er sich um das Kind kümmert: Sie würde in dann immer nur in Tränen ausbrechen.

Dabei hätte Partrick eine Freundin gehabt, und die hätte gar nicht mal so schlecht ausgesehen. Aber offenbar ist seine Schwiegertochter eben besser im Bett.

Er zieht dann im Verlauf des Gesprächs seine Brieftasche heraus und zeigt Fotos von sich mit seiner Enkeltochter (wobei ich Kalle kaum darauf erkenne), dann auch noch ein Bild von seinem Sohn mit seiner Tochter. Sein Sohn ist ein junger Mann mit lockigen Haaren und Schnurrbart. Sieht nett aus.

Vor weniger Tagen hätte sein Sohn aus dem Knast sich mal gemeldet, seine Frau war da gerade gegenüber zum Zeitungsladen. Kalle hätte ihm gesagt, es müsse kurz waren, sie würde gleich wiederkommen, und dann kam sie auch. Sein Sohn müsse noch (bis Weihnachten nächstes Jahr ???) sitzen, würde aber wohl zu Weihnachten dieses Jahr rauskommen. Knasturlaub. Das alles erzählt Kalle im Gespräch mit Henri und mir.

Ein weiteres Gesprächsthema ist die Frage (von mir), wann hier etwas los sei. Das sei immer Montag, Dienstag und Freitag, die Sozialhilfetage. Es gäbe aber zwei Treffpunkte. Ein zweiter sei hinten im Park, an der Turmstraße, gegenüber dem Rathaus, da ist so ein Imbiß, und dahin. Er nennt auch einen Namen für diese Stelle (Kreisel, Laube ???). Früher war er oft da, er hätte da auch im Winter gestanden, ganz starr vor Kälte und sein Bier getrunken. Jetzt wären wohl viele da und würden dort trinken.

Protokollnotiz 13 von Dienstag, dem 29.10.1990, 11:40 - 14:20

Max, der Dicke (mit dem Motorrad), Max' Bruder, eine Frau mit Kind,
Georg, Karin, Haschi, der Junge, ein weiter Mann, den ich nur vom sehen kenne, Spinne, der "edle Plattegänger, der zu Vadder will", Doris
Heimatmuseum in der Zwinglistr.
Sozialer Laden in der Waldstr.
Bredowstr. 43!

Kurz gesagt: U-Bahnhof - Turmstraße, gehe dann am Kiosk (gegenüber dem Rathaus) vorbei in den kleinen Park (Ottoplatz), treffe, da wo es einen Durchgang zur Turmstraße gibt, Max, den Dicken, die Frau mit Kind. Mache dann eine Runde über Zwinglistraße (HEIMATMUSEUM/ ARCHIV), Gotzkowskystraße, Waldenserstr. (wollte eigentlich größeren Bogen machen, zieht mich aber doch zu dem Platz gegenüber der Markthalle) zur Markthalle, wo neben Haschi noch Max, sein Bruder (wie ich später erfahre), die Frau mit Kind, den Dicken, den Mann, den ich nicht kenne. Wenig später kommen Georg und Karin, der Junge. Dann sind Karin und Georg wieder weg, auch der Junge ist zwischenzeitlich weg, ist dann aber wieder da, Zwischenspiel von Spinne,auch Max ist später weg, ich unterhalte mich die meiste Zeit mit Haschi, als der Junge wieder da ist, er unterhält sich mit Doris, die geht dann auch, ich sitze neben dem Jungen - diese komische Situation - er sagt, ihm ist kalt, er gehe in die Markthalle, geht auch rüber, ich sehe ihn aber gleich darauf mit Karin abziehen - und das, obwohl ich den Eindruck hatte, sie würden sich nicht kennen. Haschi gelingt es bei den anderen Geld zu schlauchen, holt sich ein Bier, mir wird kalt, ich verabschiede mich von ihm, komme aber nicht richtig weg, weil Haschi spannendes berichtet, dann der "Edelplattengänger", dann gehe ich mit Haschi bis Ecke Bredowstr., Frank kommt, als wir gehen, er sagt das mit den Haus, Abschied, ich gehe dann zur U-Bahn.

Ich gehe auf den Ottoplatz, wo, wie mir beim letzten Mal Kalle berichtete, daß dort auch ein Treffpunkt sei, in der Erwartung, dort eine Gruppe (beim Biertrinken) anzutreffen und mich ihnen zuzugesellen (Vorausgesetzt, ich würde einige davon kennen. War aber keine, ich bin schon ein wenig enttäuscht, bin dann aber wieder etwas froher, als ich dann doch Max treffe.

Max, den ich mit Begleitung im Ottopark am Durchgang zur Turmstr treffe, ist ziemlich angetrunken. Er erkennt mich, ein begrüßender Gesichtsausdruck, ich gehe zu ihm hin, begrüße ihn mit Handschlag. Er erzählt etwas davon, daß sein Geld nicht gekommen sei. Ich frage nach, haben die dich beim Sozi wieder weggeschickt. Er verbessert mich, daß er kein Sozi bekommt, sondern von Nürnberg (Arlohilfe). Daß hatte er mir mal erzählt, ich hatte es wieder vergessen. Als ob ich in ein wenig beleidigt hätte mit meiner Unterstellung: Sozi. Er will sich nicht weiter auf mich einlassen, zieht mit seiner Begleitung weiter Richtung Turmstraße. Ich fühle mich regelrecht "hinauskomplimentiert". Nicht, daß es böswillig gemeint sei, so habe ich es nicht verstanden, eher, ich hab hier mein Busineß, ich habe keine Zeit für dich. Ein komisches Gefühl. Will am liebsten wieder nach Hause fahren. Komisch, meine Erwartungen, die Leute würden nichts sehnlicher wollen, als sich mit mir zu unterhalten und mir möglichst umfassend ihre Lebensgeschichte erzählen. Komisch, ich dachte, ich wär mit diesem Problem schon fertig gewesen... So kann ich mich irren.

Als ich dann später Bugenhagener vor der Markthalle nur Haschi, Max mit der Gruppe, den einen Mann treffe, bin ich wieder ein wenig enttäuscht, daß da nicht mehr Leute sind und mehr Bekannte aus der Szene. Die Begleitung von Max würde ich nicht unbedingt zur Szene rechnen. So stelle ich mich zu Hasch hin, begrüße ihn, rede mich mir ihm. Mit Haschi kommt immer eine Art Kommunikation zustande, jedenfalls habe ich das bisher so erlebt, und ich bin einigermaßen dankbar, daß ich so einen Grund habe, mich dort aufzuhalten.

Haschi fragt nach Geld. Ich sage, ich habe kein Geld für ihn, aber er könne sich gerne von mir eine Zigarette drehen (das ist mein Programm: Ich werde kein Geld geben, wenn ich danach gefragt werde, biete dann aber immer meinen Tabak oder meine Zigaretten an. Auch sehr auffällig, die meisten, die ich kenne, rauchen. Zwar unterschiedlich viel, bei einigen habe ich den Eindruck, sie rauchen sehr viel, andere rauchen nur gelegentlich, eher seltener. Auch ich rauche eigentlich ziemlich viel, wenn ich mich bei ihnen aufhalte. Ich habe immer so ein bißchen das Gefühl, unter Strom zu stehen, wenn ich da bin. Immer, wenn ich unter Strom stehe, rauche ich mehr).

Max kommt auf mich zu. Sein Gesprächseinstieg war etwa so, daß er wieder sagte, daß die Leute hier einander unterstützen, und daß er so sein Bier gekriegt hat. (Etwa sinngemäß). Er sagt, ich hätte ihn geärgert, er wisse zwar nicht mehr genau, wann, und was es war, aber geärgert hätte ich ihn. Ich war mir keiner Schuld bewußt. Er erzählt dann etwas von er sei zwar ein alter Mann, aber er hätte früher geboxt usw., und er würde mich auch noch fertig machen können. Es ist eine Stimmung, die mir ein wenig Angst macht, es ist etwas bedrohlich, aber das ist nur ein Teil des Gefühls. Er kommt beim Sprechen sehr nah an mich ran, daß teilweise nur eine Handbreit zwischen mir und seiner dicken Nase ist. Er sieht mir in die Augen, ich sehe ihm in die Augen. Das ist eine Situation, die kann ich sehr gut aushalten. Ich fühle mich dann immer ein bißchen herausgefordert.

Max spricht sehr leise, sehr kontrolliert zu mir, teilweise auch schon unverständlich. Ich frage dann meistens nach. Er beendet seine kurzen Aussagen dann meistens mit der Redewendung: Haste verstanden. Das kling immer ein bißchen bedrohlich. So als wolle er mir mit seinen Aussagen "beibringen", "wo's langgeht" (diese Redewendung könnte von Vaddern sein. Um gleich Klarheit in die Sache zu bringen, sage ich, wenn ich ihn geärgert hätte, dann entschuldige ich mich bei ihm. Er nimmt meine Hand, die ich ihm dazu reiche. Trotzdem ist die Situation damit, so empfinde ich, immer noch nicht ausreichend geklärt. Er erzählt dann, daß auch der Dicken und der andere, wäre sein Bruder, ganz schön etwas drauf hätten. Die würden mich hier fertig machen. Später noch erzählt er ganz genüßlich, er würde nicht einfach so mir seine Fast ins Gesicht knallen (er deutet das auch an), sondern erst weiter unter (er deutet wieder an, irgendwo in den Bauch oder in die Eier), dann würde ich nach vorne klappen, (er deutet wieder an), und dann erst würde ich eine in die Fresse kriegen.

Dann fügt er noch hinzu, wer er sei, da könne ich in die Staatsbücherei gehen, und über ihn nachlesen, haste verstanden. Ich habe nicht verstanden, mache ein fragendes Gesicht. Nach einer kleinen Pause erzählt er, er sei dreimal Berliner Meister gewesen, im Boxen. Er sei seit 1947 in Berlin, er kenne alle hier. Er wisse Bescheid.

Dann etwa kam das Zwischenspiel mit Spinne. Als der dann weg war, sagte er, siehste, jetzt sind nur noch Freunde da. Ich trete dann noch in einen zweiten Fettnapf: Ich frage in, als ich den Eindruck habe, jetzt ist die Stimmung ein wenig gelöster, ob er denn Platte machen. Auch hier habe ich ein wenig den Eindruck, als hätte ich ihn beleidigt. Glaubst du denn wirklich, daß ich hier Platte mache. Ich sehe ihn an und sage eindeutig in verteidigender Absicht: Naja, ich hätte den Eindruck, daß viele Leute von hier Platte machen. Er erzählt dann, er hätte ein Wohnung, mit Heizung und Warmwasser usw.

Er erzählt im Verlauf des Gesprächs dann wieder, daß er mehr Arbeitslosengeld kriegt als andere Arbeitslosenhilfe, daß das aber auch von was kommen müsse, und daß er - als ich ihn auf seinen Job mit den Möbeln und Klavieren anspreche - geschuftet hätte "wie verrückt" bzw. "wie ein Verrückter". Daß die Kollegen heute noch sagen würden, wenn der Max noch da wäre und es nicht mit den Beinen hätte, dann würde es aber losgehen. Max sagt, daß er alles getragen hätte, was nur eben zu heben geht.

Ich denke mir nur - naja, in einer ruhigen Minute nimmst du dir das Thema auch noch mal vor....

Ich hätte auf jeden Fall angenommen, daß Max Platte macht. Seine häufige Anwesenheit, seine etwas heruntergekommene Kleidung, sein Alkoholkonsum, sein voller, grauer Bart und sein braunes, wettergegerbtes Gesicht scheinen darauf voll hinzudeuten. Hier ist das eingetreten, was Hermann mir sagte: Es gibt Leute, die total zu dieser Szene dazugehören, aber doch eine Wohnung haben. Das Beispiel später mit dem "Edelplattengänger" zeigt das Gegenteil: Es gibt Leute, von denen würde ich gar nicht glauben, daß sie Platte schieben. Ich bin ein wenig verwirrt bezüglich der Zielgruppe meiner Forschung: Zielgruppe mit den Leuten vor der Markthalle, die ich kennengelernt habe, verfehlt? Anderseits gibt es genügend Belege dafür, daß das genau der Kreis ist, wo Plattegänger verkehren.

Ich frage mich dann, mache ich eher Armutsforschung als Wohnungslosenforschung? Oder sind meine Beobachtungen und Erkenntnisse Königsweg zur zu begründenden Erkenntnis, daß die ganze Wohnungslosensozialarbeit nur eine ziemlich komische Spezialsortierung ist???

Die nächste Geschichte, die ich erlebt habe, geht im weitesten Sinne auch um diese Fragestellung, das hat mich in der Situation ziemlich mitgenommen und läßt jetzt, wo ich das protokolliere und eine Weile daran gedacht habe, meine ganze Wut in mir hochkommen. Der Junge.

Als ich da mit Max, Haschi und den anderen stehe, kommen an Georg, Karin und der Junge. Georg gekleidet wie immer, Karin, neuen, beigen langen Mantel, sieht sehr neuwertig und sauber aus, Karin angetrunken, aber noch nicht sehr, und der Junge. Der mag wohl zwischen 16 und 19 sein, Turnschuhe, Jeans, einen dicken Pullover, trägt über der Schulter einen blauen Beutel, schon etwas aufgerissen, da ist ein Schlafsack drin, wie er später erzählt, und eine Aldi-Tüte, wo aber nicht sonderlich viel drin ist. Alle begrüßen sich, auch ich gebe Karin und Georg die Hand, der Junge steht etwas abseits, ich sage zu ihm "Tach". Der junge verhält sich abwartend, steht so mit dabei, erzählt von sich aus nichts, scheint etwas zu frieren, kennt die anderen offenbar nicht. Haschi spricht ihn an. Machst Du Platte (oder so ähnlich). Der sagt ja. Die beiden unterhalten sich kurz, (andere schalten sich ein??). Nee, wo wohnst Du denn? - Na hier und da, wo's halt geht! - Nee, ist nicht wahr! - Doch! - Kannste nicht bei deiner Mutti wohnen? - Ja, nee? - Wie, kommste mit der nicht klar? - Doch schon, mit der ja, aber die hat so einen Mann und mit dem... - Und da willste nicht bleiben? - Der Junge nickt. So in etwa hat sich das Gespräch abgespielt. Die Erklärung wird so hingenommen. Andere hören mit, schnappen Fetzen vom Gespräch auf, so auch Karin: Die sagt, was, weißt du keine bleibe, denn komm mal her (so etwa in dem Sinne, na, das müssen wir denn mal zusammen bereden, mal sehen, was sich für dich machen läßt). Gleichzeitig ist Karin aber mit dem Dicken in einem Gespräch verwickelt. Der sagt, was ist den. Karin sagt, mit dem ist "kakalake"(etwa in dem Sinne, der hat Probleme oder mit dem ist nicht alles in Ordnung). Der Dicke sagt: Kakerlaken.... Die kenn ich. Karin wiederholt nocheinmal, komm doch mal hierher... Aber irgendwie kommt eine solche Situation, wo sich Karin mit ihm unterhalten kann, nicht zustande....

Interessantes Beispiel für meine bedeutungsorientierte Wahrnehmung und Erwartung von sozialer Kommunikationssituation und Kommunikationsgestaltung: Ich erwartete so etwa: Jetzt kommt ein Lehrbeispiel dafür, wie Leute aus der Gruppe andere in das Einführen, was zum Überleben auf der Straße von Bedeutung ist, was man wissen muß. Dem war aber nicht so, eine solche Situation hätte ich gerne erlebt (Wunschdenken), das kam aber nicht zustande.

Haschi hat den Jungen dann noch gefragt: Warst du schon im Warmen Otto. Der sagt nee. Haschi sagt, der ist da drüben und weißt mit den Kopf dorthin. Weil es schon kurz vor 1 ist, und der W.O. gleich aufmachen wird, hat sich schon eine ganze Gruppe von Leuten vor dem Laden versammelt. Ich wollte schon sagen, das ist da, wo die ganzen Leute sind und dann etwas darüber erzählen, was es dort gibt usw., habe das dann aber doch sein lassen.

wieso eigentlich...? Nochmal drüber nachdenken...

Karin und Georg waren dann weg, die Gruppe um Max war etwas abseits, der Junge saß dann auf einer Bank mit einer Bierflasche, neben sich eine junge Frau von etwa 30 Jahren , von der ich nur erfahre, daß sie Doris heißt. Von ihrem äußeren nicht zur Gruppe zuzuzählen, hat sie sich mit dem Jungen unterhalten, ich setzte mich auch auf die Bank, war aber unbeteiligt, Doris verabschiedete sich von dem Jungen, bedankte sich für die Zigarette, ging dann. So saß ich dann neben ihm, wissend, er macht Platte, hat kein Geld (habe ich vorher von ihm aufgeschnappt, ist anscheinend neu, ich vermute (wieso eigentlich) er sei wahrscheinlich aus dem Osten.

Gleichzeitig bin ich aber noch in ein Gespräch mit dem neben mir stehenden Haschi verwicklet, d.h. ich höre nur noch mehr zu, Haschi erzählt über Fußball, mich interessiert das schon gar nicht mehr, mit dem Jungen "IRGENDWIE" in Gespräch zu kommen, ist mir wichtiger. Und was ich dabei denke... Kommt gleich. Der Junge greift zweimal Bemerkungen auf. Sagt einmal "aber wir sind Fußballweltmeister", das nächste Mal, als Haschi in seinen Üblichen völlig überraschenden Assoziationen sagt: ... (weiß ich nicht mehr)...und bin staatenlos. Da sagt der Junge: NA wenn du staatenlos bist, was willste dann hier in Deutschland? Dann müßtest du am besten nach Rußland in die Pampa (sinngemäß). Etwas später schleudert er dann mit einer ziemlich aggressiven Bewegung seine leere Bierflasche ins Gebüsch. (Statt, wie es die anderen machen, sie einfach stehenzulassen oder sie in den Müllkorb zu tun).

Anhand seiner Äußerungen kommt in mir der Verdacht hoch, daß das wohl ein "ziemlich rechter Typ" sei. Nicht daß ich ein Faschistenfresser bin oder etwa der Meinung, jedem Nazi gehört gleich was aufs Maul geschlagen (dafür bin ich gar nicht der Typ), aber solche Leute ziehen mich irgendwie an, jedenfalls solange es nicht zu Situationen kommt, die ich bedrohlich finde. Es ist so ein zwiespältiges, ich kann diese Nazi - Ideologie und das was sie schwätzen, nicht ab (vielleicht, weil ich mit 12/ 13/14/(15) auch so ähnlich gedacht habe (Fähnlein Fieselschweif, totalitärer Staatskatholizismus, Symmetrie und Ordnungswahn), als ich anfing, über meine direkte Alltagslebenswelt hinaus mir allgemeine Gedanken zu machen. Andererseits zieht es mich an. Ich habe den Eindruck, daß bei solchen Leuten das eben nicht nur eine dumme, oberflächliche (beliebige) Meinung ist, sondern daß, was da als Faschistisches aus den Leuten herauskommt, ganz ganz tief in denen drinnen ist, ein ganz komischer Ausdruck einer Art Verzweiflung. Vielleicht auch deswegen, weil ich bisher kaum richtig rechte Leute habe sauber argumentieren hören, es sind immer diese Stereotyen Kneipenelemente, die aber dermaßen verinnerlicht herauskommen - gleichsam als tiefste, unerschütterliche innere Überzeugung.

Ich habe hier ausführlich (auch schon reflektiert) dargestellt, was da kurz als Verdacht in mir hochkam. Das packte ich aber schnell wieder weg, weil ich mir den Kopf darüber zerbrach, was redest du mit dem Typen. Auf meine Probleme dabei, was mir durch den Kopf ging, später...

Ich entschloß mich schließlich, perspektivisch zu fragen: "Und was haste jetzt für Pläne?" Er: "Ich habe keine Pläne!"

Das für mich so eine Sorte Antwort, damit ist für mich das Gespräch erledigt, dazu fällt mir dann "beim besten Willen" nichts mehr ein. Wenn er gesagt hätte, "weiß nicht?" - oder in irgendeiner Form, wo ich den Eindruck gehabt hätte, da ist noch was offen, ich hätte SOFORT nachgefragt, irgendeine Sorte Gespräch hätte sich schon entwickelt. Naja, vielleicht habe ich auch zu schnell aufgegeben...

Nach einer kurzen weile sagt er, ich gehe in die Markthalle, mich aufwärmen. Er stand auf, ging auf die andere Straßenseite herüber, unmittelbar darauf sah ich ihn mit Karin Richtung Stromstraße abziehen, als hätte er auf sie nur gewartet...

Als ich die ersten Informationen über den Jungen hatte, habe ich mir in meinem Kopf überlegt (s.o.: W.O.), was würdest du (als Sozialarbeiter, als jemand, der sich Gedanken macht, wie dem Jungen zu helfen sei usw.) dem jetzt sagen können: Zunächst fragte ich mich: Ist der Typ schon 18 oder noch unter 18. Muß der, wenn er jetzt in die Klauen irgendwelcher Behörden kommt, vielleicht wieder dahin zurück, wovon er abgehauen ist (und das wär ja scheiße). Also, was sagst du ihm: Geh in die Wärmestube, da gibt es Tee, Brühe, Stullen, Klamotten (Klamotten würden bei dem Jungen allerdings schon wichtig, der fror ja richtig), und außerdem noch ein paar Sozialarbeiter, - solche wie ich - die dich da vollquatschen können (so eine richtige ausführliche Beratung habe ich im W.O nie erlebt, wenn, dann wurden Sachen immer so nebenbei besprochen, vielleicht liegt das aber auch nur an meinem beschränkten Einblick, das müßte man den dort arbeitenden Soz.Arb. durchaus zugute halten. Eine andere Denkrichtung war: Wenn ich mich jetzt persönlich um den kümmere? Aber wie soll das gehen. Welches Engagement soll ich da jetzt aufbringen. Ihm Geld geben? Nein. Ihn mit an die UNI nehmen? Bringt nichts, geht gar nicht? Er mit zu mir nach Hause. Na, erstens macht das eine Menge Arbeit, zweitens: soweit geht mein Engagement nun wieder auch nicht! Vielleicht ist das gerade ein Teil meines Problems ... in Sachen Standpunkt usw. ... etwas über die Leute wissen und erfahren will ich ja, aber eher in dem Sinne, daß ich schön von Schreibtisch aus sagen kann, schaut mal hier, so schlecht geht es denen. Aber mich so engagieren, daß es persönlich nahegeht und mich verändert, (schlechte Formulierung, trifft es nicht genau) so auch nicht.

Die dritte gedankliche Bewegungsrichtung: Schickst du ihn zur Zentralen Beratungsstelle: Das ist schlecht, werden schon zuhaben. Vertröstest du ihn auf morgen (mache mal heut nacht noch Platte!)morgen gehen wir (dann) da zusammen hin! Das ist irgendwie gemein. Welche anderen Institutionen, Einrichtungen, Anlaufstellen kennst du, fragte ich mich. Mir fiel partout nichts ein (was muß ich dich für ein schlechter Sozialpädagoge sein).

Und selbst bei der Zentralen Beratungsstelle: Ne Wohnung für ihn haben die auch nicht, mit Sicherheit nicht. Das aber wär genau das, was der wahrscheinlich bracht. irgendwie macht der schon den Eindruck, als würde er ganz gut zurechtkommen können - andererseits auch nicht: In meinem Kopf spukte so der Satz rum, der aus meinem tiefsten Inneren zu kommen schien: So ein junger Mensch, und weiß sich nicht anders zu helfen? Das kann doch nicht sein. Und dann im Anschluß: Und wenn die von der Beratungsstelle dann so eine zwangsgemeinschaftliche Unterkunft für ihn haben - "Läusepension", Asyl etc - der Umgang ist sicher auch nicht das richtige für ihn! Die andere Richtung, weiterzudenken ist, Scheiß Gesellschaft, Scheiß Soziales System, das genau ist es, was die Leute kleinmacht, fertigmacht.

Ich denke: Okay, die Leute vor der Markthalle nehmen sich ihm sicher an, helfen ihm auch zu einem guten Stück, aber dann ist er auch, ohne sich groß wehren zu können, ihren Gesetzen und Regeln unterworfen: Und diese heißen: 1) Bier saufen (bis zum Abwinken) 2) Alles Geld zu diesem Zwecke verballern 3) Sich in verschiedene Geldleih- und Verleihgeschäfte zu verwickeln 4) Viel dummes Zeug quatschen (vor allem im Suff) und summa summarum kaum noch Chancen zu haben, aus dieser Scheiße wieder herauszukommen.

Weil der Typ (der Junge) noch so jung und noch so unverbraucht aussah, wurde mir irgendwie klarer: Die ganze Geschichte scheint im wesentlichen eine Ressourcenfrage (von denen die Leute ausgeschlossen sind und werden), erst davon getrennt werden sie so.

Haschi äußerte sich auch in dem Sinne: Ich habe schon viel Schlimmes durchgemacht oder durchmachen müssen (ob aktivische oder passivische Wendung, kann ich nicht mehr sagen).

Protokollnotiz 14 von Mittwoch, dem 30.10.1990, 13:00 - 14:30

Ich hatte Haschi gestern versprochen, daß ich heute wiederkommen würde. Ich sagte ihm: Dann bis morgen. Es war auch tatsächlich meine Planung, heute vormittag wieder ins Feld zu gehen und den Platz vor der Markthalle aufzusuchen.

Das ist ein Problem: Es ist mit Sicherheit richtig, Anwesenheit zu planen...

Jedenfalls wollte ich ziemlich früh hin, so gegen 8:00, um das vormittägliche Geschehen zu erfahren, und weil ich den Eindruck habe, daß die Leute von der Zielgruppe da noch nüchterner sind, d.h. ich kann mich mit ihnen unterhalten, (das ist die Ebene, mit denen ich besser kommunizieren kann, und das geht schwerer, wenn die Leute angetrunken oder betrunken sind. Trotzdem, weil ich denke, ich habe dem Haschi gesagt, ich würde morgen wiederkommen, denke ich, daß muß ich jetzt auch machen, auch wenn es schon spät geworden ist. Hier ist die Stelle, wo ich mich auch fragen müßte, wie es kommt, daß ich verschlafe. Sicherlich hatte ich die Nacht vorher schon wenig geschlafen, aber das kann nicht der alleinige Grund sein.

Es war angetrunken, sagte: Kannst du mich in Ruhe lassen, bitte.

Protokollnotiz 15 von Donnerstag, dem 7.11.1990, 14:45 - 16:15

Putlitzstr. ausgestiegen, mich gefragt, ob am stillgelegten U-Bahneingang/S-Bahnhofsgelände nicht gute Räumlichkeiten zum Plattemachen sind. Sah Birkenstr. Ecke Putlitzstr. auf der Ecke einen Mann auf der Bank, Plastiktüte, rauchend, Dose Bier trinkend. Setzte mich daneben. Überlegte, wie ihn ansprechen? Denke zuviel. Rauchte eine Zigarette. Mann drehte sich während der Zeit zweimal um nach mir, aber ich vermied, ihn direkt ins Gesicht zu schauen.

Ich denke zuviel, dachte in die Richtung: Guten Tag, ich möchte Sie kennenlernen, konnte mir keine rechte Gesprächssituation vorstellen, fand das Problematik. Sollte vielleicht mal mir Georg ein Experiment machen, weil er sich glaube ich ganz gut in die Situation hineinversetzen kann. Also, er spielt den "Penner", ich spiele mich und versuche, mit ihm Kontakt herzustellen. Anschließend werten wir beide gemeinsam die Situation aus.

Habe heute das Buch von GIRTLER, Methoden der qualitativen Sozialforschung, Anleitung zur Feldarbeit, mitgenommen, weil ich dachte, das konnte forschungsstrategisch sehr sinnvoll werden, daß mich, wenn ich es offen bei mir trage, Leute aus der Gruppe mich darauf ansprechen würden. Dachte, könnte zu meiner Zuschreibung/Legitimation als Forscher dienlich sein. Hat aber nicht funktioniert, da am Platz anstatt einer erwarteten Gruppe nur Georg und ein weiterer Mann da war.

Ich tu mich sehr schwer gegenüber Einzelpersonen, bei einer Gruppe kann ich mich dazustellen, mich an Zigaretten festhalten. Warten. Vielleicht ergibt sich eine Situation, wo ich in das Gespräch einbezogen werde. Bei Einzelpersonen glaube ich, reden zu müssen.

Den Mann mit den Tüten (Vgl. Protokollnotiz 14) den ich letztesmal Havelberger Ecke Birkenstr. traf, der seine acht Tüten immer in zwei Etappen weitertrug, trag ich diesmal im Ottopark. Der Mann war auch hier wieder in Bewegung. Von einer Parkbank zur anderen. Hier habe ich mir überlegt, vielleicht den Mann anzusprechen und zu fragen: Guten tag: Darf ich ihnen ihre Tüten tragen helfen? Hab ich aber nicht gemacht, wie gesagt, ich denke zuviel.

Eine Überlegung in die Richtung Kontakt-schaffen war letzte Nacht: Ich gehe einfach mit dem Aufnahmegerät offen zu Gruppen, wo ich einzelne kenne und frage in einer günstigen Situation, ob der oder die Betreffende nicht Interesse hätte, ein Interview zu geben. Ich würde denn sagen, daß mich interessiert, was der/diejenige zu sagen hätte über seinen Alltag, seine Situation, usw. Nur, wenn dem/der nichts einfällt, würde ich offene Fragen stellen wollen: Erzähl doch mal, wie dein Tagesablauf aussieht? Wie geht es dir? Bist zu zufrieden mit Dir? usw.

Eventuell auch versuchen, Gruppeninterviews zu führen.

Verläßlichkeit, oder Vertrauen insofern wiederherstellen, als daß ich dann den/die betreffende wiederaufsuche mit dem Transkript. Das schafft Zusammenhänge. Die eventuell weitergeführt werden können.

Eine weitere Überlegung, die mir jetzt kommt, ist, die Photos, die es gibt, endlich entwickeln zu lassen, auch wenn der Film noch nicht voll ist, und mit den entwickelten Fotos zu den Leuten hinzugehen. Ich denke, das könnte eine wichtige Signalfunktion haben.

Dann habe ich mich in Gedanken damit beschäftigt, ob nicht Alkohol eine wichtige Rolle bei der Kontaktaufnahme und als Kontaktfunktion hätte: Darf ich ihnen ein Bier anbieten ? Was heißt, ich müßte Bierdosen oder Flaschen dabeihaben. Wie verhalte ich mich dazu? Ich glaube, zu Forschungszwecken wäre es vertretbar, wenn auch ich Bier mittrinken würde, allerdings äußerst kontrolliert und äußerst zurückhaltend. Ich kann mir gut vorstellen, daß mein Nichttrinken eine große Barriere aufbaut bei Leuten, bei denen das Trinken äußerste Wichtigkeit hat und bei denen viele soziale Beziehungen über das "gemeinsame Dritte" realisiert werden. Ich könnte es auch so machen, daß ich frage, Darf ich sie auf ein Bier einladen? und mit dem,/der Betreffenden dann, falls Einverständnis besteht, zu nächsten Imbißstube oder in die nächste Kneipe gehen. Dann wäre die Fragelast erstmal bei dem anderen - wieso lädt der mich zu einem Bier ein? - und wir könnten über dieses "Mittel", vielleicht geht es ja gut - in ein Gespräch kommen.

Wie gesagt, Hintergrund der Überlegungen ist die Tatsache, daß ich heute, weil ich, statt direkt zur Markthalle zu gehen, mehrere Straßen durch Moabit gelaufen bin und dabei auf mehrere Einzelpersonen gestoßen bin, die ich zur Zielgruppe rechnen würde.

Das ganze ist insofern eben spekulativ, als daß ich durch das viele Denken darüber mich eigentlich nur selbst blockiere, als daß ich tätig werde und so mehr und mehr Erfahrungen sammele. Aus Erfahrungen werde ich klug.

Eines jedenfalls ist klar: Der Kontakt zu den Leuten muß die nächsten Wochen Schwerpunkt der Arbeit sein. Ich muß mich treiben lassen, einlassen, im Feld tätig werden, Beziehungen herstellen usw. Ich glaube, ich bin bisher zu statisch herangegangen, ich habe geglaubt: ich kann dann hingehen, wenn ich Lust habe und es mir Zeitlich in den Kram passt, und dann genau und dort wo ich bin, werden dann die tollen Sachen abgehen. So aber ist das Leben nicht. Vielleicht muß ich einfach mal ohne Schlüssel, ohne Geld früh aus dem Haus gehen, mit der mir selbst gestellten Aufgabe, heute den ganzen Tag herumkriegen zu müssen. Kontakt zu den Leuten suchen, beobachten, wie ich mich dabei fühle usw.

Wenn ich das, was mir einzelne Leute aus der Gruppe vor der Markthalle gesagt haben, ernst nehmen, dann teilen sie wirklich das Geld, was sie über Sozialamt oder Arbeitsamt erhalten, wirklich in der Form auf, daß derjenige, der Geld hat, bzw., diejenigen, die Geld haben, tatsächlich die anderen zum Biertrinken einladen. Und ich könnte tatsächlich beobachten ,wenn einer mit einem Sechserträger aus der Markthalle herauskam, er den einfach hingestellt hat und die anderen sich davon genommen haben. Sicher, es gab auch Ausnahmen, nee, du kriegst nichts usw., das heißt, dieses Prinzip wird nicht durchgängig angewendet und hat sicher etwas mit der Vorgeschichte zu tun: Schulden nicht zurückgezahlt oder Kumpel angeschissen usw. Das weiß ich im Einzelfall noch nicht und kann es nur vermuten. Auf der anderen Seite immer wieder die Beobachtung, wenn die alle in der Gruppe zusammenstehen, holt niemand nur für sich etwas raus, auch wenn einzelne Personen einen Flachmann haben, wird der meist geteilt, gelegentlich wird Bier auch anderen angeboten: Hier, nimm? - Danke, Hab noch. Das machen auch Dritte, d.h. beispielsweise bietet Karin vom Sixpack, welches Haschi geholt hatte, einem anderen etwas an.

Mein Eindruck ist, wenn wirklich jemand etwas für sich alleine trinken will, gesellt er sich auch nicht in den sozialen Zusammenhang der Gruppe, sondern sondert sich ab, d.h. geht alleine z.B. in die Markthalle, holt sich dort seinen Alkohol und trinkt ihn dann in Ruhe irgendwo für sich allein aus.

Insofern wäre zu überlegen, ob ich nicht auch mein Teilnehmen so signalisieren sollte, daß ich frage, "Na, eigentlich wäre ich jetzt auch mal dran, ein Sixpack zu besorgen" oder in Ähnlicher Form...

Ich weiß nicht, woran es liegt, daß ich heute gegen 15:45 - 16:00 bis auf Georg und einen weiteren am Treffpunkt vor der Markthalle keinen angetroffen habe. Auch hinter der Imbißbude gegenüber dem Rathaus war niemand. Diese Tatsache ist insofern gut, als daß es meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, daß es im Stadtbild Moabits noch eine große Anzahl weiterer einzelner Personen gibt, die ich dem Aussehen nach zur Zielgruppe rechnen muß und die ich auch ansprechen will. Daß die Gruppe vor der Markthalle nicht das ein und alles ist, und daß die Frage nach einzelnen Personen wiederum eine ganze Reihe von methodischen Problemen aufwirft.

Wieso keiner vor der Markthalle ist, kann daran liegen, daß es auch schon einigermaßen spät war, daß sich das Geschehen offenbar meistens am frühen Nachmittag aufzulösen beginnt und daß heute auch kein Sozialhilfetag ist. Vom Wetter allerdings war es heute gut längere Zeit im freuen Auszuhalten.

Den Blinden sah ich an seinem üblichen Platz Turmstr., zwischen Wilhelmshavener und Bredowstr. mit einem weißen Stock auf dem Boden sitzend "Sitzung" machen. Ich sah auch einige Leute ihm Geld gebend. Der Blinde hatte einigermaßen gepflegte Kleidung, einen 10 Tage Bart. Ich sah genauer auf seine Hände und Entdeckte viel Schorf und Wunden. Auch schien er etwas vor Kälte zu zittern. Auch bei mir erweckte der Eindruck des Blinden Mitleid, der allerdings etwas gebrochen wurde durch meine Beobachtungen von ihm, rauchend und betrunken mit anderen Pennern im Bahnhof. Wo sich die anderen Penner, das wurde mir damals in der Situation deutlich, sich von ihm wegen irgend einer Sache verarscht gefühlt haben und ihm vorwarfen, er sei in Wirklichkeit gar nicht blind, und wolle sie nur mit seiner Masche reinlegen, eben verarschen.

Daß ist auch eine Erfahrung, die ich für bemerkenswert halte: Also. Behinderte lösen, aus der Ferne betrachtet (und in der Distanz bleiben wollend), auf irgendeinem Grund soetwas wie Mitleid aus, so wie ein Bulle, der mich unerwartet anspricht, auch immer eine besondere Emotion des Ertappt-Seins auslöst.

Es paßt aber überhaupt nicht zu meinem stereotypen - Mitleidsbild, wenn ich sehe, der Behinderte ist am Rauchen, am Saufen usw. Soetwas tut ein anständiger Behinderter eben nicht. Insofern diese Bemerkung von der gebrochenen Wahrnehmung.

Er mag angehen, daß mein Bild von den Wohnungslosen auch einem solchen Mechanismus folgt, daß heißt, daß ich in ihnen ein bestimmtes Bild sehen will und es auch deswegen, weil ich es will, auch tatsächlich sehe, ohne daß es mir tatsächlich bewußt wird.

Es ist komisch, ich scheine während des Forschungsprozesses mehr über mich selbst als über die Zielgruppe zu erfahren. Aber das ist insofern nicht von Nachteil, als das Arbeit immer auch ein Erfahren seiner Selbst beinhaltet.

Langsam aber ist das, was protokollierenswert ist, erschöpft.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97