Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

"Alleinstehende Wohnungslose"

EHLERS/ STENGLER/ WOLF argumentieren zur Begründung ihres Vorschlags:

"Uns erscheint der Begriff des alleinstehenden Wohnungslosen als eine brauchbare Arbeitskategorie, die als Basis für eine umfassende Konzeptentwicklung dienen kann, in deren Verlauf dann auch eine 'stabile' Begriffsbildung möglich wäre. (...) Dies ist aber gerade der Vorteil dieser Kategorie, da eben nicht alles, was im Bereich von Armut und Randgruppen an Vorurteilen und Halbwahrheiten existiert, von vornherein latent im Begriff enthalten ist. Wenn sich jemand auf eine Diskussion um den Begriff des alleinstehenden Wohnungslosen einläßt - und dies ist eine Voraussetzung für eine eventuelle Revidierung von Vorurteilen - dann sind im Vergleich zum Begriff des 'Nichtseßhaften' eben von Anfang an bestimmte Aspekte ausgeschlossen, die nur für einen Teil der Betroffenen zutreffen, aber zu einem Gesamtbild verwendet werden (...) Ein alleinstehender Wohnungsloser hat keine Wohnung, alles andere sind Probleme, die auftreten können, die zum Teil auch die Wohnungslosigkeit beeinflußt haben"
(EHLERS/ STENGLER/ WOLF 1985, S. 10f. Hervorhebungen im Original.).

In kritischer Auseinandersetzung zur vorgeschlagenen begrifflichen Alternative "Alleinstehende Wohnungslose" stellt ROHRMANN fest:

"Zum einen enthält der Begriff eine Kritik an der Praxis der kommunalen Obdachlosenbehörden, alleinstehende Männer im erwerbsfähigen Alter im Falle des Wohnungsverlustes anders zu behandeln - d.h. in der Regel sich selbst zu überlassen, bestenfalls an die Einrichtungen der Nichtseßhaftenhilfe zu verweisen - als andere Personengruppen, die z.B. - manchmal gegen ihren Willen - in die städtischen Obdachlosenunterkünfte eingewiesen werden. Zum anderen muß der Begriff als Versuch verstanden werden, auf den gesellschaftlichen Skandal hinzuweisen, der darin liegt, daß aufgrund spezifischer Strukturmerkmale dieser Gesellschaft einer bestimmten Anzahl von Menschen mit der Möglichkeit, in einer Wohnung zu wohnen, jede Voraussetzung eines sozialen Lebens, d.h. eines Lebens mit anderen Menschen (Freunden, Angehörigen oder Partnern bzw. Partnerinnen) genommen ist. In diesem - beschreibenden - Sinn wäre 'alleinstehend' lediglich eine Präzisierung von 'Wohnungslos', die Bezeichnung 'alleinstehende Wohnungslose' gewissermaßen eine Tautologie. (...) Es ist nicht auszuschließen, daß der Begriff der 'alleinstehenden Wohnungslosen' künftig und in wachsendem Maße auf die Planung und Gestaltung der Hilfen einem ähnlich ungünstigen Einfluß nimmt, wie dies beim Nichtseßhaftenbegriff der Fall ist. Wie dieser (...) könnte auch der Begriff der alleinstehenden Wohnungslosen zunehmend eine erklärende Bedeutung erlangen und dazu herhalten müsssen, die vermeintliche Zielgruppe abzugrenzen. Wenn den 'alleinstehenden Wohnungslosen' dann ebenso unterstellt wird, alleinstehend zu sein, wie den 'Nichtseßhaften' ihre 'Nichtseßhaftigkeit', bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf das Hilfesystem."
(ROHRMANN 1990a, S. 40).

Wenn Partnerschaften von Hilfeeinrichtungen ignoriert werden, Sozialarbeiter vermuten, daß wohnungslose Außenseiter keine Liebesbeziehungen wollten oder unfähig dazu seien, legt das "ihnen der Begriff der 'alleinstehenden Wohnungslosen' wörtlich genommen eben auch nahe." (ROHRMANN 1990a, S. 41).

An der vorgeschlagenen begrifflichen Alternative wird beispielhaft die Problematik des von ROHRMANN kritisierten bloßen Austausches der Begrifflichkeiten deutlich. Der Gewinn besteht in dem fragwürdigen Vorteil, daß eine Stigmatisierung der Betroffenen durch einen weniger zuschreibenden Begriff etwas zurückgenommen werden kann, an der Situation der Zielgruppe wird damit wenig geändert. Alle benannten Probleme der Zielgruppendefinition nach dem Strickmuster der bestehenden tautologischen sozialhilferechtlichen Definition bleiben bestehen. Ich befasse mich nun mit der zweiten vorgeschlagenen begrifflichen Alternative:

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97