Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

OTTO

Lebenslage

Das ist das erste Mal, daß ich wirklich wohnungslos bin in meinem Leben. Sonst hatte ich immer meine Wohnung gehabt und halten können.

Bauwagen

Letztes Jahr hatte ich mir noch draußen in der Genshagener Heide ein Grundstück gepachtet, damit ich mein Sommerquartier da draußen hatte, 40 Kilometer von Berlin. Als die Mauer gefallen ist, habe ich mir gesagt, warum soll ich in der öden Stadt leben im Sommer, groß verreisen kann ich nicht, weil ich mir das nicht leisten kann, so sitze ich mitten im Grünen, kann da meine Sachen machen. Habe mir einen Bauwagen hingestellt, habe mir's schön gemütlich gemacht. Den Bauwagen habe ich mir damals von der Treuhand organisiert, da habe ich noch einen Freund angerufen, der hat einen großen 7,5-Tonner, hinten in die Kupplung rein, dem war es egal, ob das Ding angemeldet ist oder nicht, waren ja nur fünf Kilometer zu ziehen, da war die Sache erledigt gewesen. Das ist ein schöner Sommersitz gewesen.

Bauwagenromantik in Berlin. OTTO: "Zwangsläufig als Notquartier"

Also momentan sieht es ziemlich bescheiden aus. Zwangsläufig muß ich jetzt im Winter da draußen bleiben als Notquartier, was mir gesundheitlich nicht sehr zuträglich ist. 20 Quadratmeter. Acht Meter 50 mal zwei Meter 30, man kann drin leben. Nur ist es ein bißchen kühl, wenn man nicht gerade heizt. Mit der Wasserversorgung sieht es schlecht aus, ich muß immer fünf Kilometer bis zur Tankstelle laufen, weil da kein Auto hinfährt. Das Wasser, was auf dem Gelände ist, das kann man nicht trinken. Ich habe einen Kanister hängen, habe immer 100 Liter da, das reicht für drei Tage. Normalerweise, wenn ich genug Bares habe, dann gehe ich mit Fahrrad einkaufen da in der Nähe. Aber momentan habe ich so gut wie kein Geld, von daher muß ich sehen, wo ich bleibe. Und dann habe ich ja noch im Keller von meinen Eltern Kohlen. Dann hole ich mir ab und zu mal, für zwei Tage reicht so ein Kanister da mit Kohlen. Das sind immerhin 100 Kilometer immerhin jeden Tag zu fahren, und das ist immer das Problem, weil ich keinen Führerschein mehr machen darf. Durch die Hirnhautentzündung oder durch den Hiff kriege ich keine Fahrerlaubnis mehr. Das Schlimmste ist bloß, daß der Bus alle zwei Stunden fährt, und um dreiviertel sieben ist Feierabend. Oder ich könnte mit der S-Bahn fahren, mit dem Vorstadtzug bin ich vier Stunden unterwegs. So bin ich zwei Stunden unterwegs. Das ist ein ganz schöner Aufwand, das ist blöde momentan. Weil ich finanziell so ausgebeutelt bin.

50 Mark im Monat habe ich bezahlt. Seitdem der Rechtsstreit am Laufen ist, zahle ich überhaupt nichts mehr. Die Frau hatte uns das Grundstück angeboten zur Pacht. Es gehört ihr gar nicht, die wollte da ein bißchen Kohle abzwacken. Da haben wir gesagt, sie kriegt keine Kohle, bevor sie uns nicht schriftlich bestätigt, daß es ihr Eigentum ist. Das macht sie nicht, und dann sieht sie auch kein Geld. Jetzt werden wir sie verklagen, das Ding ist so gut wie narrensicher, aber das nützt mir auch nicht weiter, weil ich keine Bleibe habe. Ich habe eine einstweilige Verfügung erlassen jetzt, daß ich da erstmal bleiben kann, weil die Eigentumsrechte jetzt nicht geklärt sind. Erst hieß es, das Ding gehört der LPG, und jetzt ist die Baronesse von Großbeeren da mit am Wickel, also Altansprüche. Alles sehr kompliziert, große Lust auf prozessieren habe ich eigentlich gar nicht, weil ich mir das finanziell nicht leisten kann. Aber ich will das der Frau auch nicht so durchgehen lassen, denn ich finde das eine ganz schöne Schweinerei.

Das ist ein schöner Sommersitz gewesen, ich habe mich eigentlich sauwohl gefühlt im Sommer, konnte schön mit meinem Computer arbeiten, meine Elektronik machen so nebenbei, das ist mein Hobby, seitdem ich aufgehört habe zu arbeiten, daß ich viel mit dem Computer mache, ab und zu Spiele an Zeitschriften verkaufe für den C64er. Und was mein privates Hobby ist, was ich eigentlich nur für mich mache, daß ich mir einen Laser gebaut habe und mit dem Laser experimentiere. Das ist kein Problem für mich, daß ich im Moment keine Arbeit habe, daß ich mich nicht beschäftigen kann. Ich bin mehr oder weniger zum Einzelgänger geworden, mit meiner Freundin noch ein bißchen Kontakt, und meine zwei Freunde, die ich ich noch habe, das ist mein Freundeskreis, und mehr habe ich nicht, und den Kreis habe ich auch sicher, und mehr interessiert mich nicht. Ich habe mein Hobby, hatte meine Wohnung, und war eigentlich vollkommen zufrieden gewesen. - Und jetzt hat sich die ganze Sache wieder geändert, jetzt bin ich wieder am Kämpfen ums Überleben.

Wiederbeschaffung einer Wohnung

Für mich ist es eine ganz neue Lebenssituation, weil ich jetzt das erste Mal wirklich ohne Wohnung dastehe und ohne eigene Schuld. Nur durch die finanziellen Geschichten. Und ich bin jetzt ganz schön am Wirbeln, ich habe jetzt alles in die Wege geleitet, was ich in die Wege leiten kann für in puncto Wohnung. Wohnberechtigungsschein für zwei Zimmer beantragt, mich hier gemeldet. Jetzt habe ich meine privaten Kontakte zu Hausbesitzern spielen lassen, für die ich damals so nebenbei gearbeitet habe. Ist alles nichts zu löten. Entweder sind die Wohnungen zu teuer, oder ich brauche einen Wohnberechtigungsschein.

Ich habe jahrelang gebraucht, um mich durch den Sozialwulst, was ich für Ansprüche habe, was ich für Rechte habe, durchzubeißen. Das habe ich so drin, und deshalb bin ich nicht so gerne gesehen auf dem Sozialamt. Die Gesetzgebung ist brutal eigentlich beim Bundessozialhilfegesetz, das sind für mich Gummiparagraphen. Das liegt immer im Ermessen des Bearbeiters, und wenn dem deine Nase nicht gefällt, bist du angeschissen. In die Anträge schreibe ich lieber Laube rein, das hört sich besser an als Bauwagen. Denn die Ämter haben ja hier momentan so einen Haß auf Bauwagen, Bauwagen sind ja auch Berlin-Mitte zum Beispiel am Potsdamer Platz.

Gesundheit

So sieht meine Situation momentan aus, daß ich wirklich am Rudern bin und daß ich jetzt totale Panik kriege, daß ich wieder, durch diesen ganzen Streß, der mir wirklich an die Nieren geht, ganz schnell im Krankenhaus wieder lande. Über meinen Tod denke ich nicht nach. Wenn ich darüber nachdenken würde, würde ich verrückt werden. Ich habe das zwar eine Zeit lang gemacht, aber da habe ich gemerkt, daß es mich runterzieht und es mir immer beschissener geht. Und ich denk darüber einfach nicht nach, ich sage mir, jeder Mensch muß irgendwann sterben, und wenn es soweit ist, werde ich es merken. Nur daß ich aufpassen muß mit meiner Gesundheit. Ich muß aufpassen, daß ich mir nicht eine Infektion einfange, also grobe Sachen wie ein Grippevirus, das könnte mich töten, weil mein Immunsystem nicht so stark ist: Oder, sagen wir es mal so, es könnte mich so weit runterbringen, daß ich mich davon nicht mehr erhole. Also ich passe auf, daß mir so etwas nicht passiert, also ich achte ein bißchen drarauf, wie ich mich kleide, wie ich lebe und wie ich mich ernähre. Das macht ja schon viel aus, daß man sich nicht unnütz der Gefahr aussetzt wie früher, wenn ich auf dem Bau ohne Regenjacke gearbeitet habe oder im Regen spazieren gegangen bin, solche Sachen mache ich nicht mehr. Nur muß ich zusehen, daß ich eine warme Bude habe. Daß ich nicht so fahrlässig mit mir umgehe. Bei mir könnte jede Infektion gefährlich werden. Den Anfang von Hautkrebs habe ich schon, und mein Immunsystem ist momentan auch nicht das dollste, also bin ich wieder auf Hab'-Acht-Stellung. Es ist eine große Unterstützung, wenn es dir psychisch gut geht, aber es ist auch nicht alles. Du kannst zwar über die Psyche dein Immunsystem gut beeinflussen, aber wenn es jetzt wirklich zu hart kommt, dann nützt die beste psychologische Grundausstattung nichts, dann bist du fällig. Das sind Sachen, die ineinanderspielen. Über das Immunsystem wissen sie nicht viel, die lieben Ärzte, und ich habe für mich persönlich festgestellt, daß ich besser lebe ohne Medikamente. Alle Medikamente habe ich abgesetzt, auch das Retrovir. Retrovir ist AZT. AZT ist ein Wirkstoff, der die Ausbreitung des Aids-Virus hemmt. drei, vier oder sechs Monate hast du gute Erfolge damit, aber danach ist Banane. Danach, das ist meine Erfahrung, hilft es nicht mehr, aber die Nebenwirkungen sind tierisch, das ist eine chemische Keule. Teilweise wollten sie jetzt bei mir, seitdem ich den Hautkrebs habe, Interferon und Retrovir wieder ansetzen, aber ich will nicht herumlaufen wie eine Leiche. Und dann psychische Störungen kriegt man dadurch, alles solche netten Sachen. Das sagen die Ärzte ja auch, also bei dem AZT oder Retrovir ist der Verkaufsname, haben sie zwar gute Erfolge gehabt mit geringen Dosierungen, aber über längere Sicht ist es das gleiche, als wenn man gar nichts nimmt. Und ich bin auf den Standpunkt gekommen, daß ich keine Medikamente mehr nehme, die mir nicht absolut helfen. Was ich höchstens noch nehme, sind Antibiotika. Und das dann aber auch sachte. Und seitdem lebe ich besser, seitdem ich mich nicht alle zwölf Stunden, wo ich so ein Ding einpiepen mußte, immer daran erinnert werde.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97