Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

PAULA

PAULA ist 33 Jahre alt und kommt aus einem Dorf im Schwarzwald.

Biografie

Meine Mutter hat, als sie 18 war, in einem kleinen katholischen Nest im Schwarzwald gewohnt, und mein Vater hat sich, als sie schwanger war, von ihr abgesetzt. Dann hat sie jemand anderes geheiratet, und der Typ war ein fürchterlicher Alkoholiker. Der hat immer schon gesoffen, also das war schon immer ein ziemlicher Streß. Und wir hatten immer den Gerichtsvollzieher auf den Fersen, wir sind von einem Nest ins andere gezogen, und von einem Bundesland ins andere. Ich habe, bis ich 16 war, elf Mal die Schule gewechselt und cirka 14 Mal den Wohnort. Dann hatten wir noch drei Brüder und wir hatten nie was zum Brechen und zum Beißen. Dann hat meine Mutter sich endlich scheiden lassen, mein Bruder und ich waren im Internat. Eines Tages steht meine Mutter in der Tür und sagt: "So, morgen verschwindet ihr zwei in ein Internat!" Ja, das ist erfreulich, so als Kind! Da hat sie uns ins Auto gepackt und uns ins Internat gefahren. Dann hat sie mich nach Monaten mal besucht. Und das war einfach typisch für meine Mutter. Meine Mutter ist damals LKW gefahren. Die war eine von den ersten Frauen, die einen LKW-Führerschein hatten. Und ich glaube, sie wollte uns anschließend auch gar nicht mehr zu Hause haben im Endeffekt, weil sie nämlich endlich ihre berufliche Freiheit und Verwirklichung hatte und danach wurde das Familienleben noch schlechter.

Ich war später bei meinen Großeltern, ich habe in der Zeit da gelebt und bin da zur Schule gegangen. Als mein Großvater gestorben ist, bin ich wieder zurück nach Hause geholt worden. Meine Mutter war inzwischen geschieden, hat sich aber einen zehn Jahre jüngeren Mann gesucht. Und damals war die Situation zu Hause aber schon so angespannt, daß ich zum notorischen Ausreißer geworden bin. Ich war mit 16 Jahren schon mal kurz in Italien. Da war ich noch zu naiv, da bin ich aufs Konsulat gegangen. Die haben mich zurückgeschickt. Dann bin ich gleich weiter ausgerissen und nach Amsterdam gefahren. Das war natürlich noch schlimmer.

Meine Mutter ist eben ewig mürrisch, ein Mensch, für den immer die anderen Schuld sind, und wir wurden nie gefragt, was wir machen wollten beruflich oder welche Schule oder so. Das hat alles ganz despotisch meine Mutter abgeregelt oder mein Vater. Und dann haben sie mich in die Speditionslehre gesteckt mal kurz und ich habe da gar kein Talent für. Ich bin da ausgeflippt, das war wirklich das Schlimmste, was man mir antuen konnte. Ich wurde wirklich nie gefragt: "Welche Begabungen hast du?" Oder: "Gehn wir mal zum Arbeitsamt?" Und da ging es dann gar nicht mehr. Ich habe dann die Ausbildung gemacht, nur ganz kurz eigentlich. Ich habe sofort festgestellt, daß ich das nie im Leben durchhalte und daß mir der Beruf verquer ist. Und ich habe auch keine kaufmännischen Talente, Mathematik war mir schon immer ein Greuel. Also, ich bin dann ausgerissen und so, und meine Mutter hat mich dann wieder in so ein freies Wohnheim gesteckt. Weil sie gesagt hat, sie kommt mit mir nicht klar. Und da bin ich erst recht immerzu abgehauen. Also ich war eigentlich schon ganz jung auf Trebe.

Da im Wohnheim bin ich geblieben, bis ich 18 war, und dann stand ich eigentlich quasi wirklich auf der Straße. Und ich war so froh, als ich endlich 18 war, und 100prozentig sicher, daß ich sie jetzt von hinten gesehen habe. Ich habe mich auch seitdem nie wieder gemeldet. Dann hab' ich eine zeitlang Fuß gefaßt, aber nie richtig, weil ich nicht gelernt habe, mit Geld umzugehen und irgendwas durchzuhalten. Ich habe erst noch eine Weile gejobbt, habe einen Freund gehabt, mit dem zusammen gelebt, gejobbt, aber ich habe es einfach nicht lange durchgehalten. Ich habe dann immer wieder irgendwie hingeschmissen, Fabrik war mir zu langweilig auf die Dauer, dann in dem Krankenhaus bin ich mit der Nonne nicht zurechtgekommen. Immer so kurz gearbeitet, dann wieder aufgehört, mir einen anderen Job gesucht, zwischendurch wieder Arbeitslosengeld kassiert, und ich kam einfach nicht richtig klar.

Italien - Pflastermalerei

Wir hingen ja alle ziemlich viel rum und wußten nicht so recht, was wir machen sollten. Und dann sind drei Kumpels von mir, die haben immer so geschwärmt, wieder abgereist nach Italien. Das war dann der typische Deutschland-Frust, den die meisten Teenies so schieben. Dann habe ich meine Kumpels vermißt, die haben gesagt, sie sind in Rom auf der Plaza Navona, daraufhin habe ich meine Tasche zusammengepackt, mich an die Autobahn gestellt und runter gefahren. Von Rom sind wir dann gleich nach Neapel. Ein ziemlich wildes Ambiente, total spannend. Für den, der das noch nicht gesehen hat, ist das total wild.

Da habe ich erst eine Weile geschnorrt, dann angefangen zu Jobben und bißchen Tomaten geerntet. Dann habe ich angefangen zu lernen, wie man Pflastermalerin wird. Und da habe ich ein bißchen Talent zu gehabt. Ich kann gut kopieren, Madonnenbilder und Heiligenmotive hauptsächlich. Die Italiener wollen ihre alten Meister sehen. Damals, als ich angefangen habe, konnte ich nichts. Da war ich ständig pleite. Das war eine Durchbeißerei. Meine ersten Malversuche waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Und mit der Zeit ist dann gut geworden. Kopieren lernt man schnell. Das ist eine Arbeit wie Schreibenlernen. Dann habe ich es ein bißchen gekonnt und so und habe auch die Tricks und Schliche gekannt, zum Beispiel, wo man nicht hingehen darf, und wo es gut ist, wo die Leute zwischen 30 und 35 sind, weil die zahlen eigentlich, nicht die Teenies und auch nicht die Rentner. Da mußt du erstmal draufkommen. Und durch den Hund, die Italiener waren entzückt von dem Rassehund, den ich da hatte, daß ich meistens Geld für den Hund noch dazugekriegt habe. Die haben immer gesagt: "Das ist für dich, und das ist für den Hund zum Fressen." Also es ist wirklich gegangen. So langsam kenne ich ganz Italien, ich war kurz auf Sizilien, auf Sardinien, und durch die Malerei, gerade in den Kleinstädten, kannst du höchstens zwei oder drei Tage mal bleiben, dann kennt dich jeder, dann kriegst du kein Geld mehr. Du bist eigentlich ständig auf Achse.

Das Haus

Später sind wir dann in den Norden, und dadurch, daß wir das Haus gefunden haben, sind wir da auch geblieben. Ich mit meinen Kumpels, wir haben ein Bauernhaus angeboten gekriegt. Das war ein bißchen baufällig, der Besitzer hätte es abreißen lassen müssen. Und in Italien gibt es ein Gesetz, ein Haus, wenn das lange leersteht, die Leute dürfen das dann besetzen, dann kannst du die so einfach nicht rausschmeißen. Ihm war das auch recht, weil andererseits hätte er es abreißen lassen müssen, und das wäre ihm natürlich wesentlich teurer gekommen, als daß er da die Leute drin hausen läßt. Dann haben wir uns damals die Mühe gemacht und den bewohnbaren Teil renoviert. Die Typen waren handwerklich unheimlich begabt, die haben angefangen, die haben sich so ein Dreirad gekauft mit einer Ladefläche und haben angefangen, Kartons zu sammeln zum Weiterverkaufen, Eisen, alte Waschmaschinen und so, man konnte also wirklich davon leben und ich bin weiter malen gegangen. Da bin ich frühmorgens, das war in Brescia, da bin ich frühmorgens in den Zug gestiegen, habe mir ein Hin- und Rückfahrbillett gekauft, und bin nach Mailand reingefahren, habe da gemalt oder geschnorrt, je nach Wetterlage oder je nach Finanzlage auch, ob ich mir Kreiden leisten konnte oder nicht, und abends bin ich zurückgefahren und dann war ich zu Hause. Und wir hatten ja so alles. Ein bißchen in der Peripherie, aber nichtmal weit weg vom Bahnhof.

Aber dann kam das so nach und nach, daß es hieß, das ganze Gelände wird verkauft, und das Bauernhaus wird abgerissen, da wird ein Hotel hingebaut. Das stimmte auch, da kam schon langsam so richtig die Trabantenstadt auf uns zugerückt, lauter Baugerüste. Und die haben das Stück für Stück aufgekauft und angefangen, da Bürohochhäuser hochzuziehen. Und da, wo unser Haus steht oder stand, ich weiß es jetzt nicht, kommt jetzt ein Hotelhochhaus hin. Dann haben wir also eine Frist gehabt, daß wir ausziehen müssen, und keiner wußte so recht, wohin? Wir hatten uns ja fest auf das Haus verlassen, wir waren da über drei Jahre drin. Ich weiß nicht, wie die anderen sich arrangiert haben, aber ich für meinen Teil bin dann ausgezogen. Ich wollt mir einfach nicht angucken, wie sie's abreißen. Ist halt Schade, daß das jetzt kaputtgeht. Das war natürlich auch frustrierend.

Auf Trebe

Ich bin dann eine Weile wieder auf Trebe gegangen, habe gemalt und im Schlafsack gelebt. Aber dann haben sie mir den Hund geklaut, der vorher immer schön brav aufgepaßt hat, und als der Hund weg war, habe ich kein Leben mehr gehabt. Dann kam mein Ausweis weg, mein ganzes Gepäck, meine Malsachen. Und das hat kein Ende mehr genommen. Ich habe dann immer gebettelt, daß ich das Zeug wiederkriege, dann ist das geschwind schon wieder verschwunden. Das war vor zwei Jahren circa. Mir ist alles verschwunden, und ich wußte nicht richtig, wohin mit mir. Ich habe mir das so leicht vorgestellt. Ich habe gedacht, gehst ein bißchen auf Trebe, suchst dir halt andere Kumpels, irgendwo kommst du schon unter. Dann habe ich nach zwölf Monaten ein bißchen einen Kumpel gehabt, da konnte ich mal kurz wohnen. Aber der kam gerade aus dem Knast auf Halbstrafe, und der hatte so eine Art Bewährungshelferin, Katholikin und unverheiratet und über 50, und mit der mußte er gut stehen. Die hat auch die Berichte an seinen Knast geschickt. Und die war ganz schockiert, wie ich da mit ihm unter einem Dach leben kann, die hat dann gemeint, das ginge partout nicht. Die war wirklich völlig aus dem Häuschen.

Dann stand ich wieder draußen, dann habe ich schon aus lauter Trotz noch eine Weile Trebe gemacht und habe immer gedacht, das muß doch funktionieren. Das wurde immer schlimmer. Ich habe dann eine Lungenentzündung gekriegt, weil sie mir noch die Decken geklaut haben. Irgendwann habe ich einen Rappel gekriegt, bin zurück aus Italien nach Deutschland gefahren.

Alkoholprobleme - Landesverbot

Dann kommt nach dazu: In der Zwischenzeit in Italien, einfach weil alles getrunken hat, war ich plötzlich auch Alkoholikerin. Anfangs, als ich hinkam nach Neapel, ich konnte keine halbe Flasche Bier trinken, dann war ich schon ziemlich angeschäkert. Und später wurde das immer mehr. Und als es das erste Mal kalt wurde, habe ich mir angewöhnt, auch aus Dummheit, weil die anderen haben auch so viel getrunken, und da wollte ich mitmachen. Das war auch ein bißchen lästig, wenn alles besoffen ist und man selber ist als einzigste nüchtern. Dann habe ich angefangen, mit denen Brandy zu trinken, dann habe ich auch alleine getrunken, und das wurde dann immer mehr. Da habe ich in München erstmal versucht, eine Kur zu machen. Die ging aber ziemlich ins Auge, weil die Leute alle 50 waren, ich war da die einzig jüngere drin. Und das hat mir alles so nicht gepaßt, dann eine Weile gejobbt wieder. Da bin ich wieder zurückgefahren nach Italien.

Da ging das Spiel promt von vorne los. Einkaufen, sich beklauen lassen, einkaufen, sich beklauen lassen. Ich bin auf keinen grünen Zweig gekommen. Ich hatte soviel Geld manchmal und habe nie was gehabt. Dann hat mich auch die Polizei erwischt ein paar mal mit Betteln, das ist in Italien verboten, dann haben sie mich rausgeschmissen und ich habe drei Jahre Landesverbot gekriegt, weil sie mich einfach zu häufig erwischt haben. Wenn sie mich jetzt kontrollieren und kommen dahinter, dann gehe ich in den Knast, das haben sie mir mitgeteilt. Und ich keine Lust, da unten in den Knast zu gehen.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97