Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

3. Empirische Forschungsergebnisse

a) Anfänge

Das empirische Interesse am Problem Armut und Wohnungslosigkeit hat eine weit zurückreichende Tradition. Beispielsweise listet das um 1509/11 erschienene "Liber Vagatorum" 28 verschiedene Typologien vorwiegend "betrügerischer" Strategien und Techniken von wohnungslosen Gaunern- und Bettlern auf[24] - und ist dabei keineswegs eines der frühesten Dokumente zu diesem Thema. HAMPE 1924 geht in seiner Darstellung der "Fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit" bis auf die Antike zurück und diskutiert vorliegende Quellen, KOPECNY 1980 berichtet über "Fahrende und Vagabunden" im Mittelalter, JOHN 1988 verfolgt das Quellenmaterial zu Wohnungslosigkeit und Bettelei zurück bis in das 9. Jahrhundert, fügt aber einschränkend hinzu:

"Es kann dabei nicht darum gehen, in illustrierender Weise 'Nichtseßhaften-Geschichte' zu schreiben, sondern Daten zu ermitteln, die für die Beantwortung der heutigen Fragen nach Verursachung und Hilfemöglichkeiten von Bedeutung sind; gleichzeitig ist jedoch die historische Gebundenheit der gefundenen Daten und Zusammenhänge zu beachten, um eine kurzschlüssige Übertragung von geschichtlichen auf gegenwärtige Prozesse zu vermeiden."
(JOHN 1988, S. 159).

Trotz dieser einzelnen Ansätze einer historischen Aufarbeitung empirischen Materials zum Thema Wohnungslosigkeit im weitesten Sinne muß an dieser Stelle festgehalten werden: Eine umfassende kritisch-systematische und historische Erfassung, Aufarbeitung sowie Bewertung des Quellenmaterials über (Wander-)Armut, Bettelei und Wohnungslosigkeit steht noch aus. Eine solche Arbeit würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und eine eigene Publikation erfordern. Ein weiteres zentrales Problem ergibt sich aus der von JOHN angesprochenen Tatsache, daß die Ergebnisse einer historischen Aufarbeitung nicht ohne weiteres übertragbar auf die heutige Situation sind. Aus diesen Gründen beschränke ich mich auf eine Diskussion der neueren Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen empirischen Forschung zu Nichtseßhaftigkeit bzw. Wohnungslosigkeit.[25] Ich beginne, weil er viele Probleme der heutigen sozialwissenschaftlichen Empirie vorwegnimmt, mit einem etwas längerem Exkurs zu Emil KLÄGER.

b) Exkurs: Emil KLÄGER

Anfang dieses Jahrhunderts hielt der Journalist und Schriftsteller Emil KLÄGER (1880 - 1936) an der Wiener Urania Lichtbildervorträge zum Thema "Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens". KLÄGER hatte das Vertrauen einiger "Wortführer" der Wiener Wohnungslosen gewonnen und war - zusammen mit dem Gerichtssekretär und Fotografen Hermann DRAWE - monatelang durch die Wiener Sammelkanäle, Männerheime, Wärmestuben und Wasserquartiere gezogen. Der Vortrag mußte wegen des großen Zuspruchs der Wiener Öffentlichkeit mehr als dreihundertmal wiederholt werden, er lieferte zugleich den Stoff für das gleichnamige Buch, das 1908 in einer für damalige Verhältnisse riesigen Erstauflage von 10.000 Stück erschien. Der besondere Verdienst KLÄGERS besteht nicht nur darin, damit eine der ersten empirischen Systematiken dieses Jahrhunderts zum Thema Wohnungslosigkeit vorzulegen, er deckt zugleich auch zentrale forschungspraktische Problematiken auf, indem er sein qualitativ-methodisches Vorgehen detailgenau dokumentiert. Damit setzt er Standards, die selbst in neueren qualitativen Studien zum Thema Wohnungslosigkeit nur selten erreicht, geschweige denn überboten werden. Ein besonders signifikantes Problem schildert er im Kapitel "Eine Nacht im Männerheim":

"Es war im vorigen Winter, da wurde es überall in den Elendsquartieren erzählt: Ein Märchen von einer himmlischen Unterkunft auf Erden. In den Suppen- und Teeanstalten, den Klubs der Unterstandslosen, raunte man sich Geschichten zu von dem neuen "Männerheim" in der Meldemannstraße in der Brigittenau, berichtete aufgeregt von seinen Wundern an Eleganz und Billigkeit. Da beschloß ich, es auch eine Nacht dort zu versuchen. Ich legte mir also das Kostüm eines armen Teufels zurecht, markierte die Abgerissenheit möglichst auffällig und wanderte dann abends durch die Brigittenau. (...) Einige Minuten später stand ich vor dem Männerheim. (..) Während ich unter den paar Leuten Musterung hielt, entdeckte ich am letzten Tisch, der zuunterst im Saale stand, einen malerisch zerlumpten Vagabunden. Er hatte wunderbares, wirres Haar und dunkle Augen und lehnte in trotziger Haltung breit über dem Tisch. Meine bereits gesunkene Hoffnung auf ein interessantes Erlebnis belebte sich. Rasch stand ich auf, brachte meinen Lumpenanzug durch entsprechende Haltung zur Geltung und näherte mich kollegial jenem Tisch.

"Servus, Sö erlauben", sagte ich keck und setzte mich breit auf die Bank, meinem Vagabunden gegenüber.

"Ich habe nichts zu erlauben", kam es in deklamierendem Ton zurück.

Ich horchte entzückt auf. Meine Hoffnung stieg.

"Sö ham recht", sagte ich, auf den Ton eingehend; "so arme Hund' wie mir..."

"Warum arm?" erwiderte jener höhnisch und sah mich forschend von der Seite an. (...) "Ich frage nicht, wer du bist, oder ob du eines Diebstahls oder Mordes fähig, aber eines muß ich wissen, bevor wir noch ein 'Seitel' trinken: Welche Weltanschauung hast du?"

"Meine Meinung von der Welt hab' i mit meine guten Kleider verklopft", sagte ich.

Seine Augen glänzten. "So gefällst du mir. Jetzt erzählst du mir deine Geschichte, damit wir gute Freunde werden."

"Wissen S' was, fangen Sö z'erscht an", sagte ich, gespannt, den Lebensroman dieses originellen Kauzes zu kennen.

"Später, zuerst du", erklärte er jedoch in befehlendem Tone.

So erzählte ich denn eine Spitzbubengeschichte im Wiener Dialekt. "Herrlich, herrlich", rief mein neuer Freund jedesmal aus, und als ich fertig war, sagte er erschüttert: "Wunderbar! Mensch, ich werde Sie berühmt machen. Sie werden Geld verdienen." Und dann neigte er sich zu meinem Ohr und flüsterte mir zu:

"Jetzt kann ich es Ihnen sagen. Ich bin ja kein Vagabund, sondern Journalist. Redakteur des ... Blattes in Krakau, und wollte in dieser Verkleidung nur Studien machen."

"Wa-a-as!" schrie ich auf und machte beinahe Miene, meinem Vagabunden an die Kehle zu fahren. Ich besann mich aber und rächte mich viel fürchterlicher, indem ich ihm sogleich auch mein Geheimnis verriet. Was blieb uns übrig, als uns traurig die Hände zu schütteln und, da es bereits elf Uhr war, uns zu unseren Schlafstellen zu begeben.

"Den Roman, den Sie erzählt haben, könnte man aber wirklich schreiben", sagte mein Kollege beim Abschied. "Werden Sie mir den Stoff überlassen?"

"Tut mir leid", antwortete ich kalt. "Conan Doyle, der ihn zu einem Roman verwendet hat, hat sich alle Rechte vorbehalten."

Ich bezog nun meine Schlafstelle Nr. 98 und muß gestehen, daß ich selbst auf dem schlechten Ruhekissen eines mit Falschmeldung beladenen Gewissens einen traumlosen, ruhigen Schlaf genoß.

Als ich die luftige Schlafkabine und bald danach auch das Männerheim verließ, traf ich beim Ausgange mit meinem polnischen Kollegen zusammen.

"Eine spaßige Geschichte!" sagte ich verbindlich.

"Ja, ja, sehr komisch", erwiderte er wütend.

"Ich habe die Ehre, Herr Kollega!"

Wir lüfteten höflich unsere defekten Hüte..."

(KLÄGER o.J., S. 75ff)

c) Sozialwissenschaftliche Ansätze

Auch wenn diese Episode auf komische Art das Eingeständnis eines methodischen Mißgeschicks darstellt, ist die Arbeit von KLÄGER insgesamt doch ein frühes Dokument eines empirischen und sogleich - im weitesten Sinne - sozialwissenschaftlich motivierten Bezugs zum Problem. Trotzdem dominierte auch im 20. Jahrhundert zunächst weiter eine Herangehensweise, die RUHSTRAT so zusammenfaßt:

"In der Forschung wurden die Lebenslagen der betroffenen Personen in der Regel auf die persönlichen und sozialen Defizite reduziert (...) Arme und Wohnungslose wurden nicht als aktiv handelnde Personen begriffen"
(RUHSTRAT 1991, S. 14).

Erst ab "Mitte der 70er Jahre geriet die wissenschaftliche Untersuchung der Ursachen von Wohnungslosigkeit auch in das sozialwissenschaftliche Blickfeld" (RUHSTRAT 1991, S. 15), wenn auch zunächst vorrangig in Form quantitativer Erhebungen.[26] Mit der Herausbildung und zunehmenden Etablierung des Ansatzes ambulanter, d.h. lebenslagebezogener Hilfen ebenfalls seit Mitte der 70er Jahre[27] einher geht auch die wissenschaftliche Entdeckung und Untersuchung des "wohnungslosen Subjekts" (TREUBERG) unter Verwendung qualitativer Untersuchungsmethoden.

Zum Tragen kommen jetzt

"Ansätze, nicht nur mit qualitativen Erhebungsverfahren bei den Ursachen von Wohnungslosigkeit zu arbeiten, sondern diese durch teilnehmende Beobachtungen und Intensivinterviews zu ergänzen, um damit die Alltagswirklichkeit alleinstehender Wohnungsloser differenzierter erfassen und darstellen zu können."
(RUHSTRAT 1991, S. 18).

Seit Beginn der 80er Jahre sind eine Reihe von Arbeiten erschienen, die sich auf dieser methodologischen Basis[28] unter Bezugnahme auf verschiedene theoretische Paradigma dem Problem der Verursachung von Wohnungslosigkeit und der Lebenslage Wohnungsloser zuwenden.[29] Aus den Veröffentlichungen neueren Datums zur Wohnungslosigkeit sind vor allem vier Arbeiten zu hervorzuheben, bei denen auf Grundlage eigener qualitativer empirischer Untersuchungen die Darstellung von Lebenslage und Alltagswirklichkeit Wohnungsloser einen breiten Raum einnimmt. Gleichzeitig läßt sich an diesen Arbeiten auch zeigen, wie sich das jeweilige zugrundegelegte theoretische Paradigma auf die Darstellung und Bewertung der empirischen Forschungsergebnisse niederschlägt. Es sind dies die Arbeiten von GIRTLER 1980, WEBER 1984, GIESBRECHT 1987 und RUHSTRAT 1991, auf die ich im Folgenden kurz eingehen werde:

Im Zeitraum von 1976 bis 1978 untersucht GIRTLER die Lebensformen und die Subkultur der 'Sandler' (= Nichtseßhaften) Wiens. GIRTLER arbeitet mit der Methode der direkten Beobachtung im Feld (unstrukturierte teilnehmende Beobachtung). Er glaubt, damit Ergebnisse erzielen zu können, die mit den üblichen quantitativen Methoden der Soziologie nicht zu erzielen sind. In seiner Intention, die untersuchten Personen "dort aufzusuchen, wo sie wirklich leben" (GIRTLER 1980, S. 2) vermeidet er bewußt Kontakte zu öffentlichen Stellen (Institutionen usw.) und sucht den direkten Zugang zu Sandlern, indem er von Sandlern frequentierte Gasthäuser häufig aufsucht, dort mit den Sandlern Kontakte herstellt, sich an ihren Aktivitäten beteiligt und sich in seinen Sprach- und Kleidungsgewohnheiten in die Lebenswelt der Sandler einfügt. Kritisch und in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Beurteilung des Stellenwerts dieser Untersuchung schreibt TREUBERG:

"GIRTLER beschreibt die 'Sandler' (Stadtstreicher) Wiens als Subkultur mit eigenen Werten, Normen und Handlungsweisen (...) Er beschreibt die Karriere zum Sandler als Folge eines Desintegrationsprozesses aus primären Sozialgruppen, der mit einer Verweigerung sozialer Anerkennung einhergeht, und als Suche nach Identität, nach sozialer Anerkennung seitens des autonomen Individuums. (...) Eine ausgeprägte Stigmatisierung mache es nötig, Strategien zur Neutralisierung der beschädigten Identität zu entwickeln, wobei die Subkultur der Sandler hilfreich sei. (...) In seiner sehr informativen Beschreibung der Alltagsrealität betont GIRTLER die Stigmatisierungsprozesse und das Problem der Identitätssuche. Sozialstrukturelle Faktoren bleiben dagegen weitgehend im Dunkeln, ein Ergebnis des ausschließlichen Zugangs über unstrukturierte teilnehmende Beobachtung auf dem Hintergrund der Theorie des symbolischen Interaktionismus. Für das Leben als Sandler, den Umgang mit der immer wieder brutal zu erfahrenden Diskriminierung und die praktische Alltagsbewältigung sind die von GIRTLER beschriebenen Techniken des Stigmamanagements nötig und hilfreich. Doch leider verfällt auch GIRTLER dem häufig anzutreffenden Fehler, aus festgestellten Charakteristika linear auf Ursachen zu schließen. Die Überbewertung von Prozessen der Identitätssuche und die damit einhergehende Geringschätzung der materiellen Armut führen ihn zu der unangemessenen Vorstellung, die Karriere der Sandler sei auf eine Identitätssuche zurückzuführen."
(TREUBERG 1990, S. 230f).

WEBERS Untersuchung gilt

"der Frage, wie und unter welchen Bedingungen diese Menschen ihre materielle und soziale Existenz sichern und wie sie sich selbst und ihre soziale Situation und die soziale Identität derjenigen erleben und definieren, mit denen sie interagieren und ein soziales Netz bilden."
(WEBER 1984, S. 13).

Grundlage der Untersuchung sind unstandardisierte teilnehmende Beobachtungen, offene Intensivinterviews, standardisierte Fragebögen zu statistischen Angaben zur sozialen Alltagswirklichkeit und zum Personenkreis, sowie die Verwendung von "Stimmungsdiagrammen" bzw. "Stimmungskarten" WEBER legt seiner Untersuchung einen devianztheoretischen Ansatz (Abweichendes Verhalten) zugrunde, der sich auf das Konzept des Symbolischen Interaktionismus bezieht. Damit entschließt er sich für eine Ausgangsposition, mit der im Verlauf ihrer empirischen Anwendung in einer Untersuchung die Wohnungslosen immer nur auf die vorhergehende Annahme des abweichenden Verhaltens festgelegt werden können. Darüber hinaus erfolgen gemäß dem Konzept des Symbolischen Interaktionismus die Vermittlungsprozesse zwischen den gesellschaftlichen Bedingungen und Individuen über Situationsdefinitionen, durch die den handelnden Personen ein "Etikett" von sich selbst vermittelt wird. Damit wiederholt WEBER nur in abgeschwächter Weise den Fehler, den er an GIRTLERS Stigmakonzept kritisiert, nämlich die vereinseitigte Betonung von Zuschreibungen gegenüber der Bedeutung realer Bedingungen für das Handeln der Akteure. Die relative Verselbständigung der Prozesse der Situationsdefinition durch den Symbolischen Interaktionismus, ohne die das Handeln der Betroffenen selbst bedeutungslos ist, kennzeichnet den allgemeinen Mangel dieses Konzepts.

GIESBRECHT beschreibt auf Grundlage einer sozialisationstheoretischen Perspektive die biografische Entwicklung in die Wohnungslosigkeit zusammenfassend mit dem Bild eines Hindernislaufes, in dem gesellschaftliche Bedingungen und individuelle Krisensituationen die Hürden darstellen. Gemessen an der von ihm geforderten Sichtweise, in der "das jeweilige Individuum in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, institutionellen und interaktionistischen Bedingungen ... immer auch eine aktive Rolle einnimmt" (GIESBRECHT 1987, S. 19) ist das von GIESBRECHT vorgestellte Bild von einem mechanistischen Problemverständnis bestimmt. Mit dem Begriff der Krisensituationen hebt GIESBRECHT auf die Ergebnisse der life-event-Forschung ab, wobei

"die Bedeutung kritischer Lebensereignisse im Zusammenhang mit Nichtseßhaftigkeit bislang weder theoretisch geklärt noch systematisch erforscht ist."
(GIESBRECHT 1987, S. 146).

In einer Studie über Niedersachsen interpretiert RUHSTRAT die Wohnbiografien von 17 Wohnungslosen. Jedoch wird die Darstellung des empirischen Materials dem vorgestellten Theoriemodell, demzufolge Wohnungslosigkeit als Resultat einer Abfolge unangemessen gelöster Schlüsselsituationen eintritt, untergeordnet. Dokumentiert werden die einzelnen Passagen in den jeweiligen Biografien, die nach Ansicht von RUHSTRAT eben solche "Schlüsselsituation" darstellen. Jedoch die meines Erachtens wichtigen Fragen nach dem "Warum?" des eingeschlagenen Lösungswegs - Antworten also auf die jeweils zugrundeliegende individuelle Subjektlogik -, bleiben außen vor, sie fallen der gewählten Darstellungsform zum Nachweis des "sozialen Abstiegs", der "Karriere nach unten" zum Opfer.

In einer Zwischenbilanz kann somit festgehalten werden: Trotz der Fülle von Forschungsaktivitäten in den letzten Jahren ist immer noch JOHN zuzustimmen, wenn er in seiner Überblicksarbeit zu "Ursache und Geschichte der Nichtseßhaftigkeit und die Möglichkeiten der Hilfe" die Forschungslage zu Wohnungslosigkeit mit der Feststellung charakterisiert:

"Keiner der (...) bisherigen Erklärungsansätze vermochte mit dem bisher vorliegenden Material die Tatsache, daß in unserer Gesellschaft Menschen als Wohnungslose leben, über einzelne wichtige, aber eng begrenzte Teilaspekte hinaus hinreichend erklären."
(JOHN 1988, S. 122. Hervorhebungen durch den Verf.).

Er verweist damit berechtigterweise auf den engen Zusammenhang zwischen den (empirischen) Kenntnissen über die Personengruppe der Wohnungslosen und dem Stand der Forschung und der Theoriebildung[30]. Auch wenn in der (sozial)wissenschaftlichen Forschung zu Wohnungslosigkeit eine zunehmende Hinwendung zu den Wohnungslosen selbst, ihrer Lebenslage und Biografie unübersehbar ist und sehr wohl auch die Aussagen der Wohnungslosen in die Untersuchung mit einbezogen werden, muß dennoch kritisch eingewendet werden: Noch immer dominiert der 'deviante Blick' (TREUBERG), eine Sichtweise, Wohnungslose in erster Linie als die Anderen, die Unbekannten, die Abweichenden, ja als die Opfer, als personifizierte Träger eines wie auch immer gearteten Defizits anzusehen, sie auf diese Zuschreibung zu reduzieren und sie auf diese Rolle festzulegen, statt sich ihnen in ihrer Ganzheit, ihrer gewordenen Persönlichkeit zu nähern und sich mit ihnen als Subjekte ihrer Tätigkeit und Biografie auseinanderzusetzen. Ich schließe mich der Bewertung von TREUBERG an, wenn er zu den neueren 'Annäherungsversuchen an das unbekannte Wesen' der Wohnungslosen bilanzierend feststellt:

"Als ein bedeutsamer Mangel bisheriger Forschungen wurde das Fehlen der Subjektperspektive, der Sichtweise der Betroffenen konstatiert. Fremdes zu verstehen, die Lebenswelt der Betroffenen mit ihren Augen zu erfassen, ist ein wichtiger Schritt vor einem integrativen, die wechselseitige Beziehung von Verhalten und Verhältnissen erfassenden Erklärungsversuch. Dieser steht noch aus."
(TREUBERG 1990, S. 252).

Und vor allem mangelt es dazu an geeignetem empirischen Material.

d) Exkurs: Künstlerische Zugänge

Auch außerhalb bzw. am Rande des sozialwissenschaftlich motivierten Bezugs sind einige interessante Formen des empirischen Zugangs zum Problem Wohnungslosigkeit zu konstatieren. In einem zweiten, ebenfalls etwas längeren Exkurs möchte ich einige davon etwas ausführlicher benennen, vorstellen und diskutieren, um dann abschließend auf die empirische Materiallage speziell bezogen auf die Stadt Berlin einzugehen.

Einen bemerkenswerten empirischen Zugriff repräsentiert der in New York lebende Musiker und Künstler Lou REED. Das Erleben von Wohnungslosigkeit und der darüber geführte Diskurs in der Weltmetropole ist Bestandteil einer Alltagserfahrung, die im Rahmen seiner Arbeit "New York" zu einem einzigen Stück verdichtet reflektiert wird - "Dirty Blvd.":

"Pedro lives out of the Wilshire Hotel. He looks out a window without glass. The walls are made of cardboard newspapers on his feet. His father beats him 'cause he's too tired to beg. He's got 9 brothers and sisters. They're brought up on their knees. It's hard to run when a coat hanger beats you on the thighs. Pedro dreams of being older and killing the old man but that's a slim chance he's going to the boulevard. This room cost 2.000 dollars a month you can believe it man it's true. Somewhere a landlord's laughing till he wets his pants. No one here dreams of being a doctor or a lawyer or anything they dream of dealing on the dirty boulevard. Give me your tired your poor I'll piss on 'em. That's what the Statue of Bigotry says. Your poor huddled masses, let's club 'em to death and get it over with and just dump 'em on the boulevard. Outside it's a bright night, there's an opera at Lincoln Center. Movie stars arrive by limousine. The klieg lights shoot up over the skyline of Manhattan. But the lights are out on the mean streets. A small kid stands by the Lincoln Tunnel. He's selling plastic roses for a buck. The traffic's backed up to 39th street. The TV Whores are calling the Cops out for a Suck. And back at the Wilshire Pedro sits there dreaming. He's found a book on Magic in a garbage can. He looks at the pictures and stares at the cracked ceiling. "At the count of 3," he says, "I hope I can disappear." And fly fly away..."

(REED 1989)

Lou REED erzielt mit dieser Art der Präsentation seiner sicherlich sehr stark subjektiv gefärbten empirischen Befunde eine Verbreitung, mit der er die Auflage der wissenschaftlichen Publikationen zu Wohnungslosigkeit um ein Vielfaches übertrifft. Seine Arbeit "New York" muß inzwischen zu den Standardwerken der musikalischen Sozialreportage über die Problematiken großstädtischer Lebensweise gezählt werden, und auffällig ist zudem, daß ausgerechnet das mit dem Stück "Dirty Blvd." repräsentierte Thema Wohnungslosigkeit insbesondere in der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf eine überaus breite Resonanz stößt (vgl. REED 1993). Dabei ist ein solcher Ansatz keineswegs nur auf den musikalisch-künstlerischen Bereich beschränkt. In einem öffentlich aufgeführten Hörspiel "Klagelied Manhattan" hat der in New York und Berlin lebende Autor und Regisseur Uwe MENGEL

"aus Interviews mit Obdachlosen, Zeitungs- und Fernsehschicksalen auf dem Wege der künstlerischen Verdichtung 14 Einzelschicksale gefiltert, die fragmentarisch und doch beispielhaft Auskunft geben über das soziale und vor allem menschliche Elend, das in vielen Metropolen unseres Wohlstands immer mehr um sich greift."
(SCHNEIDER 1991a, S. 10).

Auch die Idee der musikalischen Verarbeitung wohnungsloser Realität wurde bereits früher schon aufgegriffen: Bereits im Jahr 1974 produziert der New Yorker Künstler Don MCLEAN ein ganzes Konzeptalbum unter dem Titel "Homeless Brother". Im weitesten Sinne könnte man auch die bekannten "Lasterhaften Balladen und Lieder des François VILLON" (ZECH) aus dem 15. Jahrhundert oder die "Carmina Burana, cantiones profanae" von Carl ORFF zu dieser Gattung zählen. Als Beispiele für andere, weitere Formen künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Thema seien - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - genannt: das Theater, die Lyrik, Zeichnungen, Grafik und Malerei, Skulptur, Ausstellungsprojekte, die Oper, die Fotografie, Bilder-, Kinder-, und Jugendbücher, der Krimi sowie der Film.[31]

Bei näherer und genauerer Betrachtung fällt auf, daß in nahezu jeder Kunstgattung das Problem der Wohnungslosigkeit beinahe schon kontinuierlich thematisiert wird, und daß fast immer ein (persönlicher) empirischer Bezug des Künstlers bzw. der Künstlerin zu dieser Realität nachgewiesen werden kann. Gleichzeitig ist eben genau die Frage nach dem Empiriegehalt eines der zentralen Probleme im Umgang mit künstlerischen Dokumenten zu, von und über Wohnungslosigkeit. Im Unterschied zu einer (sozial-)wissenschaftlichen Annäherung, die versucht ist, absichtsvoll reflektiert und intersubjektiv, also unter Bezug auf objektive, nachvollziehbare Anhaltspunkte empirisches Wissen zunächst hervorzubringen, um sie dann einer überprüfbaren und diskutierbaren Bearbeitung zuzuführen, ist in der künstlerischen Darbietung Empirie(-bezug) und Be- oder Verarbeitung nicht ohne weiteres differenzierbar und auch nur selten intendiert. Im Gegenteil, es handelt sich um Artefakte des wirklichen Lebens, der gemeinte und in der Regel subjektiv wahrgenommene Gegenstand ist Substanz des Mediums, in ihm gegenwärtig und nicht eigentlich greifbar, aufgehoben im Prozeß kunstschaffenden Arbeitens und seiner Präsentation. Nicht die objektiv analytische Trennung, sondern die subjektiv synthetische Brechung ist das Wesen und Anliegen des Kunst-Werks - ganzheitlich fraktal als Transformation des (empirisch) Gegebenen in eine neue Qualität, eine das subjektiv Wahrgenommene im Handeln des Wahrnehmenden gerinnende Antizipation des Vergangenen für die Gegenwart und in Ewigkeit: Eine Brechung in der Brechung in der Brechung..., aber auch eine Spielart von Vermittlung, Annäherung, Kommunikation im besten Sinne. Am Problem der Objektivierbarkeit also entscheidet sich die Frage, ob und inwieweit solche Arbeiten und Dokumente als empirische Belege Verwendung finden könnten.

Zwei weitere zentrale Schwierigkeiten stehen außerdem einer weitergehenden Befassung mit diesen Arbeiten im Wege:

Beide Defizite aufzuarbeiten, wäre eine lohnenswerte künstlerisch-wissenschaftliche Herausforderung und würde eine Reihe langjähriger und interdisziplinärer Forschungsarbeiten erfordern. Eine bislang ebenso ununtersuchte wie unbewiesene Hypothese würde m.E. dahin gehen, daß in der künstlerischen Annäherung Dimensionen wohnungsloser Realität sowohl erschließbar als auch enthalten sind, die sich einem wissenschaftlich-rationalem Zugriff weitgehend entziehen. Auffällig vor allem ist der hohe Grad an Verbreitung und die erhebliche Resonanz, die - im Unterschied zur (fach-)wissenschaftlichen Form der Bearbeitung und Präsentation - mit dieser Art des Umgangs mit dem Problem Armut und Wohnungsnot möglich ist - einmal unabhängig von der Frage, welche Wirkungen damit erzielt werden können. Aus einer ähnlichen Motivation gespeist ist wohl auch der abenteuerlichste Weg einer empirischen Annäherung an das Thema:

e) Selbstversuche

Einen interessanten anderen Zugang zur Realität des Lebens und Überlebens auf der Straße repräsentieren die Selbstversuche. Hierbei dominiert häufig das Kalkül, durch diese spektakuläre Form der Annäherung an den Gegenstand eine andere, den gewöhnlichen Bürgern nicht mögliche Sichtweise (stellvertretend?) einnehmen und dann als Berichtende(r) eine breite Öffentlichkeit interessieren zu können. In der Regel handelt es sich um Ausflüge von Journalisten, die mal für ein paar Stunden, einen Tag oder eine Nacht oder sogar länger in die 'Gefahrenvolle Welt der unteren Klassen' (PREUSSER) abtauchen, um tags darauf oder später einen entsprechenden Bericht über diese Personen oder die einschlägigen Einrichtungen für solcherlei Subjekte abzudrucken. Unter der Fülle derartiger Beiträge finden sich aber auch Arbeiten von so bekannten wie renommierten Autoren wie MÜHSAM (1905ff), LUXEMBURG (1907) KISCH (1928) und WALLRAFF (1975). Allgemein kann gesagt werden: Die Tradition dieser Art von Berichterstattung ist ebensoweit zurückreichend, wie ihre Anzahl mittlerweile unüberschaubar geworden ist. Zudem gibt es bislang keinerlei Versuche, diese Dokumentengattung historisch und systematisch zu erfassen, geschweige denn auszuwerten.[33]

Auf die meisten dieser journalistischen Selbstversuche ist eine Kritik zutreffend, die von HENKE/ ROHRMANN so formuliert wird:

"In den Zeitungen - nicht mehr nur im Lokalteil - lesen wir von Erfahrungen einiger Journalisten als One-Day-Hobo, mal als Penner in Hamburg ..., mal in einer Milieukneipe ..., und auch mal als Stadtmensch, der in der heutigen Zeit den Umgang mit der Umwelt bei Tag und bei Nacht wieder erlernen will. .... Aber auch die Dokumentationen häufen sich, ohne jedoch Hintergründe, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten im Sinne der Betroffenen zu publizieren. Selbst hier (oder darf man gar nichts mehr erwarten?) reicht das Bild der Wohnsitzlosen von randalierenden Monstern bis zu den lachenden Vagabunden, die sich offensichtlich in ihrer selbst gewählten Lebensweise recht wohl fühlen."
(HENKE/ ROHRMANN 1981, S. 23).

Im Unterschied zu diesen journalistischen Schnellschüssen der 'One-Day-Hobos'[34] gibt es noch eine weitere Tradition von Berichterstattung: Selbstversuche, die von vornherein auf einen längeren Zeitraum angelegt sind. Am bekanntesten wohl ist die Unternehmung des Journalisten Michael HOLZACH. Mit seinem Hund "Feldmann" ist er Anfang der 80er ein gutes halbes Jahr "zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland" zwischen Hamburg und Lindau unterwegs. Er berichtet darüber in einer Publikation mit dem Titel "Deutschland umsonst" (HOLZACH 1982), die im Jahre 1994 mit Robert ATZORN in der Rolle des Michael HOLZACH verfilmt wurde und im Frühjahr 1995 in einer vierteiligen Reihe im Fernsehen gesendet wurde. Wenige Jahre nach HOLZACH vollzieht Dieter EUE ebenfalls einen Selbstversuch, sein "Trip durch die Republik" (EUE 1989) fällt jedoch wesentlich kürzer aus. Bereits Anfang der 30er Jahre begibt sich Joachim RÜGHEIMER für einige Monate auf die Straße und schildert das Wohnungslos-Sein in der Weimarer Republik. Selbstversuche sind dabei durchaus nicht nur eine Domäne der Männer: Bereits 1970 veröffentlicht Sally TRENCH unter dem Titel "Verachtet" einen Bericht über ihre Zeit "bei Trinkern und Rauschgiftsüchtigen" in London.[35] Die Überlebensbedingungen auf der Straße aus weiblicher Sicht schildert exemplarisch der Bericht von Heike BÖNING 1986. Und in jüngster Zeit begab sich sogar ein Politiker - der Bötzinger Landtagsabgeordnete Ulrich BRINKMANN - für längere Zeit auf die Straße, "er zog als Berber durchs Land, in Berbertracht und mit Tarnungsbart." (KIEBEL 1994).[36] Allgemein für diese Gattung der auf längere Zeit angelegten Selbstversuche gilt, daß sie bisher weder systematisch erfaßt noch wissenschaftlich ausgewertet wurden. Bei nahezu allen diesen Selbstversuchen dominiert das Moment des Unterwegs-Seins: Es sind eher Reiseberichte aus der Perspektive von Armut und Wohnungslosigkeit als eigentliche Innenansichten wohnungsloser Existenz, zumal sich die Autorinnen und Autoren jederzeit die Chance der Rückkehr in das "normale Leben" offengehalten haben. Von daher sind diese Texte und Arbeiten zwar als Einstiegsliteratur zum Problem Wohnungsnot geeignet, und wichtige Aspekte der Thematik sind darin wiederzufinden, jedoch für eine Untersuchung zur Subjektperspektive Wohnungsloser ist der empirische Aussagewert dieser Arbeiten nur bedingt brauchbar. Ähnliches gilt für eine weitere Sparte der Selbstversuche:

Aus spezifisch sozialwissenschaftlicher Intention führen HENKE/ ROHRMANN 1981 einen Selbstversuch durch, den sie bereits nach einer Woche abbrechen. Ein Versuch, bei dem sie

"Einrichtungen der Nichtseßhaftenhilfe und andere Institutionen, die für alleinstehende Wohnungslose von Bedeutung sind, aufgesucht und vorgegeben habe(n), ohne Wohnung und ohne Einkommen zu sein."
(ROHRMANN 1987, S. 63).

Die beiden Autoren machen dann Jahre später noch einmal einen "Übergang nach Nirgendwo" und sind unterwegs "als Penner im Resoheim" (HENKE/ ROHRMANN 1984). Im Frühjahr 1990 führt Michael SPOTT mit Billigung und Unterstützung seines Arbeitgebers, den Diakonischen Heimen Kästorf bei Gifhorn, einer stationären Einrichtung für Wohnungslose, einen Selbstversuch durch, den er ebenfalls vorzeitig abbricht (SPOTT 1990). Die Auswertung dieses Versuchs wurde aber bislang nicht veröffentlicht. Gemeinsam unternehmen im Jahr 1992 Martin und Jutta HENKE einen weiteren Selbstversuch. Ihnen geht es dabei in erster Linie um das Problem, als wohnungsloses Paar gemeinsam eine Unterkunft zu finden. Probehalber versuchen sie es sowohl in einer westdeutschen als auch in einer ostdeutschen Stadt, und konstatieren in ihrem Bericht sowohl zentrale Unterschiede als auch gemeinsame Schwierigkeiten im Vergleich der ihrer Erfahrungen in den alten und neuen Bundesländern (HENKE/ HENKE 1992 und HENKE/ HENKE 1993).

Die sozialwissenschaftlich motivierten Selbstversuche sind vor allem deshalb interessant, weil sie wichtige Aufschlüsse geben über die Struktur der "vertreibenden Hilfe" und all ihren Facetten, aber auch über die enormen Hindernisse und Schwierigkeiten, ohne Geld, ohne Papiere, ohne Wohnung und Arbeit zum einen das bloße Überleben sicherzustellen, zum zweiten auch noch in den Genuß der rechtlich vorgesehenen Hilfemaßnahmen zu kommen und dies durchsetzen zu können, und drittens schließlich überhaupt eine Chance der Rückkehr in das normale bürgerliche Leben zu erhalten. Übereinstimmend schildern alle diese - aus einem sozialwissenschaftlichen Interesse entstandenen - Beschreibungen die extremen physischen und psychischen Belastungen, denen Menschen in der Wohnungslosigkeit ausgesetzt sind. HENKE und ROHRMANN bilanzieren - stellvertretend auch für die anderen - ihre Erfahrungen mit der verallgemeinernden Einschätzung:

"Indem nämlich die Menschen versuchen, die Bedingungen ihrer Existenz zu gestalten, gestalten sie sich auch selbst. Aber von diesem zentralen Prozeß der menschlichen Tätigkeit als Ausgangspunkt der Kulturentwicklung waren und sind die in Armut lebenden Menschen ausgeschlossen. Dies gilt sowohl für den Bereich der Produktion, wie auch für die Partizipation an der gesellschaftlich vermittelten Reproduktion."
(HENKE/ ROHRMANN 1981, S. 23).

Dennoch muß an dieser Stelle kritisch festgehalten werden: Auch wenn alle diese Selbstversuche gekennzeichnet sind durch das Bemühen, in die Welt der Wohnungslosen einzutauchen und damit praktisch ihre Situation und Lage, ihr Leben und Denken nachzuvollziehen, sind dem auf diesem Wege zu gewinnenden empirischen Wissen und der Erkenntnis enge Grenzen gesetzt. Der große und bedeutende Autor Jonny G. RIEGER (1908 - 1985), der lange Jahre seines Lebens wohnungslos auf der Straße verbrachte, hätte diesen Ambitionen eines Nachvollzugs wohnungsloser (Über-)Lebensweise nur trotzig entgegenhalten: "Mein Leben gehört mir!"[37] In der Schilderung einer Begegnung mit seinem 'redlichen' bürgerlichen Freund namens Ferdinand, bei dem er für einige Zeit Unterkunft finden kann, bringt RIEGER das Problem auf den Punkt:

"Wir redeten viel und gründlich aneinander vorbei. Unsere Welten waren so verschieden. Ich watete im Morast herum, und er schwebte über den Wassern. Wenn ich zu dem realen Grund der Dinge kam, dann kletterte er schon wieder auf einer Himmelsleiter in überirdischen Dimensionen herum. Ich holte ihn wieder herunter, und dasselbe begann von vorn. Alles bekam einen tieferen Untergrund oder einen höheren Übersinn, wenn er es betrachtete. Wenn ich vom Hunger sprach, meinte ich den Hunger. Er meinte - 'ein Stadium harter Prüfungen, die erlösenden Einfluß auf die geistige Durchdringung ausübten, um die ethischen Fähigkeiten des Menschen fördernd zu entwickeln.'
Ich verzieh ihm. Er hatte nie gehungert. Ich wollte einmal satt werden und Kräfte sammeln, um mich von dem erdrückenden Ballast zu befreien. Er wollte ein makelloser Mensch von der Reinheit einer Kristallvase werden und lud seine unschuldige Seele voll mit theosophischen Konfliktstoffen."

(RIEGER 1990, S. 247f).

In diesem Sinne ist es nur konsequent, wenn Eckhard ROHRMANN, der 1981 zusammen mit Martin HENKE einen (vielbeachteten) Selbstversuch unternahm, wenige Jahre später dazu relativierend feststellt: "Diese Erfahrungen können jedoch keinerlei Aussagen über die individuelle Betroffenheit von den beschriebenen Lebensbedingungen enthalten, sie können diese Bedingungen nur beschreiben. Was es wirklich bedeutet, unter diesen Bedingungen zu leben, können nur Betroffene berichten, die nicht, wie wir bei unseren Selbstversuchen die Möglichkeiten haben, 'auszusteigen', wenn das Leben ohne Wohnung zu unerträglich wird." (ROHRMANN 1987, S. 64).

Bilanzierend zu diesen Ansätzen ist festzuhalten: Auch hinsichtlich der im weitesten Sinne sozialwissenschaftlich motivierten Selbstversuche ist nach meinen Beobachtungen davon auszugehen, daß über die bekanntgewordenen und publizierten Experimente hinaus noch eine Reihe weiterer Versuche in diese Richtung unternommen wurden.[38]. Eine systematische Erfassung und wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Versuche steht also ebenfalls noch aus und erfordert im Grunde genommen eine eigene Publikation, in der insbesondere das Phänomen der versuchten und angestrebten praktischen Teilhabe am (letztlich unverstandenen?) Gegenstand des wissenschaftlichen oder beruflichen Interesses kritisch zu untersuchen wäre.[39]

f) Autobiografische Dokumente

Und schließlich eine letzte in diesem Zusammenhang zu erwähnende Kategorie empirischer Dokumente zum Thema Wohnungslosigkeit: Das sind Arbeiten, die weder als wissenschaftliche Auseinandersetzung, noch als künstlerische Annäherung, aber ebensowenig als Selbstversuch zutreffend zu charakterisieren sind. Gemeint sind Berichte, Notizen und Aufzeichnungen (auto-)biografischen Charakters[40] bis hin zu vollständigen (auto-)biografischen Darstellungen zeitweilig wohnungsloser Menschen, darunter auffällig viele KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und PoetInnen. Ihre Arbeiten dokumentieren eindrucksvoll, daß Wohnungslosigkeit ein ebenso bedeutender Einschnitt wie eine eindringliche Erfahrung in ihrer Biografie darstellte.[41] Das Vorhandensein solcher Dokumente als eigenständige Ebene der Artikulation (zeitweilig) Wohnungsloser wurde in der bisherigen Forschung nicht zur Kenntnis genommen. Die darin enthaltenen Aussagen zum Problem Wohnungslosigkeit, deren Ursachen, Folgen und Verlaufsformen und ihre je subjektive Bedeutung sind wissenschaftlich bislang nicht erschlossen. Ihre besondere Qualität besteht in der Eigenständigkeit und inhaltlichen Unabhängigkeit im Unterschied etwa zu den Aussagen, die überhaupt erst durch die Beteiligung Wohnungsloser an Forschungsvorhaben motiviert sind - das gilt auch bezüglich der Frageintention der hier vorgestellten Untersuchung. Entscheidend an diesen Dokumenten - und deswegen gehe ich an dieser Stelle nicht weiter darauf ein - ist weniger das Thema ihres empirischen Gehaltes, sondern die Frage, inwiefern sich mit diesen Formen autobiografischer Verarbeitung tatsächlich ein "Dritter Weg" eröffnet, um aus der Wohnungslosigkeit heraustreten zu können - jedenfalls punktuell und im Ansatz.[42]

g) Berlinspezifische Empirie

Abschließend stellt sich noch die Frage nach dem Stand der empirischen Forschung in Hinblick auf die spezifische Situation der Stadt Berlin, insbesondere bezüglich der Daten zur neueren Entwicklung seit dem Fall der Mauer und der Einheit der Stadt. Naheliegend wäre die Vermutung, daß hier die Materiallage deutlich besser ist als im bundesweiten Vergleich, da sich gerade in dieser Metropole das Problem Wohnungslosigkeit schon immer deutlicher als in anderen Städten und Regionen Deutschlands manifestierte[43] und Berlin von daher nicht zu unrecht als "Hauptstadt der Obdachlosen" (KUPPINGER 1990) bezeichnet werden kann. Genau das Gegenteil scheint aber der Fall zu sein: Generell ist festzuhalten, daß auch bezogen auf die Stadt Berlin eine umfassende kritisch-systematische und historische Erfassung, Aufarbeitung sowie Bewertung des Quellenmaterials über (Wander-)Armut, Bettelei und Wohnungslosigkeit als spezifisch städtisches Problem noch aussteht. Die sehr allgemein gehaltene Darstellung von KRULL 1990 in einer Diplomarbeit zu "Wohnungslosigkeit in Berlin gestern und heute" bietet einige wenige Anhaltspunkte; wichtige Quellenhinweise zur Geschichte des Problems Wohnungslosigkeit enthält ebenfalls die Zusammenstellung von KIEBEL 1987 zur Fachtagung "Arme und Obdachlose im 750. Jahr" anläßlich der 750-Jahrfeier der Stadt Berlin.[44]

Relativ gut dokumentiert sind die mit der Entwicklung der Wanderarmenfürsorge bzw. Nichtseßhaftenhilfe Mitte/ Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin entstandenen Einrichtungen, vor allem über die bedeutendsten von ihnen existiert gut dokumentiertes Material: Die heute nicht mehr bestehenden Einrichtungen "Wiesenburg", ein Männerasyl des "Berliner Asyl-Vereins für Obdachlose" in der Wiesenstraße in Berlin-Wedding sowie das dazugehörige Frauenasyl in der Füsilierstraße, die "Schrippenkirche" des Vereins "Dienst an Arbeitslosen" in der Ackerstraße in Berlin-Wedding, die "Palme", das Städtische Asyl in der Fröbelstraße am Prenzlauer Berg, so genannt wegen der in der Eingangshalle stehenden riesengroßen Palme, und einige andere. Die dazu vorliegenden Dokumente beziehen sich in der Regel auf den Zeitraum der Gründung dieser Einrichtungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Zeit und dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland.[45] Von den wohnungslosen Menschen aus jener Zeit existieren vor allem Fotos, die sie in den Einrichtungen zeigen, Dokumente und Berichte über ihre Lebenslage und Biografie sind so gut wie kaum vorhanden. Auch hier gilt in verallgemeinerter Hinsicht, was Hannes KIEBEL anläßlich einer historischen Recherche zum 100jährigen Jubiläum der Arbeiterkolonie in Erlach bilanzieren mußte: "Ich wollte auch die Heimatlosen sprechen lassen, jedoch diese hatten wenig für mich hinterlassen" (KIEBEL 1991 S. 11).

Bezogen auf den Nationalsozialismus sowie den Zeitraum zwischen 1945 und dem Beginn der 70er Jahre besteht - bezogen auf die Stadt Berlin - eine eklatante Forschungslücke, weder sind Dokumente aus dieser Zeit publiziert, noch liegen Untersuchungen dazu vor. Das Schweigen der Fachöffentlichkeit und die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung erweckt den Anschein, als hätte das Problem Wohnungsnot, Wohnraummangel und Obdachlosigkeit zu diesen Zeiten in Berlin nie existiert.[46] Erst wieder in den 70er Jahren, beginnend mit dem Obdachlosenplan des Berliner Abgeordnetenhaus zur "Vermeidung und Reduzierung der Obdachlosigkeit" aus dem Jahr 1974 und der daraufhin erfolgten Einrichtung einer Beratungsstelle für Wohnungslose im Jahr 1978, ist eine deutliche Verbesserung der Materiallage zu konstatieren, aber auch hier beziehen sich die Beiträge vor allem darauf, neue Entwicklungen der Hilfe, vor allem neu geschaffene Einrichtungen und Angebote der Wohnungslosenhilfe vorzustellen.[47] Auch im Einzelnen ist die Arbeit von Einrichtungen und Angebote der Hilfe für Wohnungslose vergleichsweise gut dokumentiert. Neben den Jahresberichten der Beratungsstelle gilt das insbesondere für die ab dem Winter 1982/1983 wiedereingerichteten Wärmestuben (bzw. vornehmer: Tagesstätten für Wohnungslose), darüber existieren eine ganze Reihe von Diplomarbeiten, Praktikums- oder Hospitationsberichten, auch Jubiläumsschriften, selten mal eine Publikation. Besonders gut dokumentiert ist Berlins älteste Wärmestube (der Neuzeit - Wärmestuben existierten in Berlin auch schon früher, vor allem in der Weimarer Zeit), der "Warme Otto" in Berlin-Moabit, aber auch neuere Gründungen wie die Suppenküche in der Wollankstraße in Berlin-Pankow.[48] Dabei werden in der Regel die Einrichtungen vorgestellt. Die Aussagen zu den Besuchern, ihrer Struktur und Lebenslage bleiben sehr generell und pauschal, nur selten wird exemplarisch ein Fall oder mehr dargestellt, und dann auch häufig nur, um an der Darstellung dieser "Schicksale" die Notwendigkeit und Nützlichkeit solcher Einrichtungen und solcherlei Arbeit zu unterstreichen.

Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß im Unterschied zur Bedeutung, die Berlin spätestens seit der Einheit als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands und als Hauptstadt der Obdachlosen speziell erlangt hat, der geringe Umfang und (und genaugenommen auch) die Qualität der empirischen Berichte und Dokumente dazu in keinem Verhältnis steht: Die empirische Materiallage reflektiert Wohnungslosigkeit in Berlin in einem Maße, als handele es sich bestenfalls um ein marginales Problem mit provinziellem Charakter. Das aber ist es keineswegs mehr.

Darüber hinaus gibt es auch in Berlin bisher keinerlei (wissenschaftliche) Arbeiten, die sich konsequent mit der Subjektperspektive Wohnungsloser befassen. Zwei Ausnahmen bestätigen diese These: Zum einen die Arbeit von Heiner LEGEWIE zum Thema "Alltag und seelische Gesundheit". In seinen "Gesprächen mit Menschen aus dem Berliner Stephansviertel" im Bezirk Berlin-Tiergarten dokumentiert er unter dem Titel "Bin ich ein Penner?" die Lebensgeschichte eines in Abbruchhäusern des Viertels lebenden Wohnungslosen[49]. Interessant ist zweitens ein Roman von Leonie OSSOWSKI mit dem Titel "Die Maklerin". Der Roman handelt über die offenbar weitgehend auf der Straße lebende, in Berlin stadtbekannte "Tütenlady" vom Kurfürstendamm. Obwohl die Biografie vollkommen fiktiv ist und von der Autorin frei erfunden wurde, beruht die Darstellung der wohnungslosen Lebensweise auf mehr als einem Jahrzehnt persönlicher Recherche der OSSOWSKI und wird von ihr mit der fiktiven Biografie in künstlerischer Verarbeitung verwoben.[50] Beide Arbeiten sind eindrucksvolle Dokumente wohnungsloser Existenz in Berlin, und sie verweisen zugleich auf ein zentrales wissenschafts- und sozialpolitisches Problem dieser Stadt. Offenbar sind die Kompetenzen und die Kapazitäten von sozialer Arbeit mit Wohnungslosen einerseits und von wissenschaftlicher Reflexion, Lehre und Forschung zu (Sozialer Arbeit in Sachen) Wohnungslosigkeit und Armut an den Berliner Hochschulen und Fachhochschulen andererseits derart ungenügend und mangelhaft entwickelt, daß noch nicht einmal das empirische Material hinreichend erstellt werden kann, welches zur Legitimation und Optimierung der eigenen Arbeit eigentlich dringend notwendig wäre.[51]

h) Straßenzeitungen

Eine neuere Entwicklung bricht dieses Wissens- und Materialdefizit in Ansätzen auf. Mit dem Entstehen von Obdachlosenzeitungen in Berlin wie auch bundesweit werden exemplarische Eindrücke in die Lebenswelt Wohnungsloser gewährt. Seit dem Frühjahr 1994 gibt es in Berlin insgesamt vier Wohnungslosenzeitungen: "Haz. Hunnis Allgemeine Zeitung", "mob - das straßenmagazin", die "Platte" sowie "Zeitdruck", ein Magazin, das vorrangig die Problematik jugendlicher Wohnungsloser thematisiert.[52] Gedichte, Geschichten, Texte und journalistische Artikel von Wohnungslosen werden veröffentlicht, Wohnungslose werden in Kurzportraits vorgestellt, einzelne Projekte geschildert. Eben gerade wegen ihrer besonderen Aktualität und ihrer unabgeschlossenen Entwicklung, aber auch wegen grundlegender Unterschiede in Organisation, Struktur und Entstehungskontext ist dieses Phänomen bisher wissenschaftlich noch nicht hinreichend erfaßt, geschweige denn untersucht worden.[53] Entscheidend an diesen Zeitungen - und deswegen gehe ich an dieser Stelle nicht weiter darauf ein - ist weniger das empirische Material über Wohnungslosigkeit, welches - zum Teil von Wohnungslosen selbst erstellt - damit und dadurch verfügbar wird, sondern vielmehr die Frage, inwiefern das Entstehen und die Existenz, vor allem aber der Vertrieb und der Verkauf dieser Zeitungen durch die Wohnungslosen selbst eine neue Form und neue Qualität von Selbstorganisation und Subjektentwicklung ist bzw. ermöglicht oder beinhaltet - jedenfalls punktuell und im Ansatz. Daneben stellt sich noch einmal das Problem der Authentizität dieses empirischen Materials. Ähnlich wie die Produkte des künstlerischen Diskurses bewegen sich diese Dokumente nicht notwendig innerhalb der Regeln wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion, sie verdanken ihr Entstehen vielmehr der Dialektik von (gewollter oder geförderter) Selbstartikulation und der Notwendigkeit profitabler - zumindest aber: kostendeckender - Vermarktung. Mit der massenweisen Verbreitung dieser Zeitungen wird der Alleinvertretungsanspruch von Wissenschaft und Sozialer Arbeit relativiert, ein in diesem Bereich vergleichsweise neues und vielleicht sogar dominierendes Medium vermittelt gesellschaftliche Beziehungen und Sichtweisen und wirkt damit als sozialer Prozessor. Was das aber prinzipiell bedeutet, darüber kann im Moment nur spekuliert werden und ist von daher zunächst einmal nicht Gegenstand meiner Analyse in dieser Arbeit. Ich werde an anderer Stelle versuchen, mit aller Vorsicht einige sich schon jetzt abzeichnende und durchaus widersprüchliche Elemente dieser neuen Qualität - soweit sie im Kontext von Subjektentwicklung und Wohnungslosigkeit relevant sind - zu skizzieren.[54]

i) Bilanz

Bilanzierend ist bei der Durchsicht des vorhandenen empirischen Materials festzuhalten, daß zwar auf der einen Seite durchaus eine Fülle an Material vorhanden ist, mit dem - ganz allgemein - die Lebenslage Wohnungslosigkeit - oder verschiedene Teilaspekte davon - beschrieben und wiedergegeben wird und in denen die Ursachen - oder besser: die jeweils individuellen Vorgeschichten - der Wohnungslosigkeit exemplarisch dokumentiert werden. Auf der anderen Seite ist aber festzuhalten, daß so gut wie keine sozialwissenschaftlichen Arbeiten vorliegen, die sich konsequent mit der Subjektperspektive Wohnungsloser befassen. Die wenigen Ansätze in diese Richtung sind entweder exemplarischer Art, oder aber sie repräsentieren einen spezifisch autobiografischen oder künstlerischen Zugang zum Thema. Vor allem aber reichen diese wenigen Arbeiten nicht aus, das ganze Spektrum der subjektiven Widerspiegelung und Verarbeitung von Wohnungslosigkeit und ihren Ursachen untersuchbar zu machen. Was bilanzierend für die jüngste sowie aktuelle empirische Materiallage in der Bundesrepublik festgehalten werden kann, gilt in besonderem Maße für die Stadt Berlin: Zwar liegen Zahlenangaben vor, die belegen, daß die Zahl der Wohnungslosen im Zeitraum unmittelbar vor dem Fall der Mauer bis zur jetzigen Situation im Jahr 1995 drastisch in die Höhe geschossen ist[55], andererseits existiert so gut wie kein empirisches Material über eben diese dramatisch zunehmende gesellschaftliche Gruppe der Wohnungslosen in Berlin, vor allem seit der Einheit. Das vorliegende Material erschöpft sich vielmehr in einigen wenigen Falldarstellungen, die lediglich exemplarisch mehr oder weniger plausibel belegen, wie es denn im jeweiligen Fall zur Obdachlosigkeit kommen konnte, und daß in zunehmendem Maße auch ein Auftritt von Wohnungslosigkeit im Ostteil der Stadt bzw. im Umland von Berlin und in Bezug auf Frauen zu konstatieren ist, aber dann auch nur aus der Perspektive der Inanspruchnahme bestehender Hilfeeinrichtungen und Angebote.

Wissenschaftlich erschließbares empirisches Material, welches dokumentieren könnte, mit welchen Leuten wir es in der Stadt Berlin und darüber hinaus bei den Wohnungslosen zu tun haben, was ihre Lebensgeschichte ist, und wie sie in der Situation der Wohnungslosigkeit überleben und welche Rolle dabei die Einrichtungen und Angebote der Wohnungslosenhilfe spielen, weshalb der Kontakt zur Wohnungslosenhilfe gesucht oder gemieden wird und ob und inwieweit die Wohnungslosenhilfe überhaupt wahrgenommen wird und wie sie eingeschätzt wird, ist - einmal abgesehen von einigen zufällig entstandenen kurzen Pressemeldungen - so gut wie nicht vorhanden.

Ausgehend von dieser eher pessimistischen Beurteilung der empirischen Forschungsergebnisse befasse ich mich nun mit den - auf dieses Wissen Bezug nehmenden und daraus erwachsenden - theoretischen Erklärungsmodellen. Dabei unterscheide ich - entsprechend der Fragestellung nach der Distanz Wohnungsloser zu den Einrichtungen und Angeboten der Hilfe - die Erklärungsmodelle zum einen die Modelle bezüglich der Verursachung von Wohnungslosigkeit , zum zweiten bezüglich der Ursachen für die Distanz zur Wohnungslosenhilfe und schließlich drittens bezüglich der Ursachen des "Wohnungslos-Bleibens" als möglichem Ausdruck eines gewollten Verbleibs in der Wohnungslosigkeit.

Weiter (=Linear Lesen)

Zurück zur Homepage dieser Arbeit

© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97