Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

4. Erklärungsmodelle
zur Verursachung von Wohnungslosigkeit

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es gibt nicht die Theorie zur Erklärung der Verursachung von Wohnungslosigkeit. Vielmehr ist eine ganze Vielzahl unterschiedlicher, teilweise sich widersprechender, teilweise sich ergänzender Annahmen zu konstatieren. Die ganze Fülle der theoretischen Ansätze in ihren Facetten und im Kontext ihrer Entstehung und Geschichte darzulegen, kann aber nicht Gegenstand der Erörterung sein,[56] vielmehr geht es hier darum, die zentrale Widersprüchlichkeit der bestehenden theoretischen Reflexion zu Wohnungslosigkeit herauszuarbeiten, in ein Verhältnis zur Ausgangsfrage der Untersuchung zu bringen und dieses kritisch zu bilanzieren. Generell können die Erklärungsmodelle zu Wohnungslosigkeit, wie im folgenden kurz dargestellt, in eher gesellschaftstheoretische und eher individualtheoretische Annahmen eingeteilt werden:

Beide Tendenzen der oben angedeuteten Theoriebildung bleiben letztlich unbefriedigend: ROHRMANN 1987 macht auf das grundlegende Problem dieser Annahmen aufmerksam: Wenn Wohnungslosigkeit gesellschaftlich determiniert ist, dann sind die Wohnungslosen bloße Opfer, sie können gar nichts für ihre Wohnungslosigkeit. Wenn Wohnungslosigkeit im Ergebnis individuellen Defiziten zuzuschreiben ist, können die Betroffenen erst recht nichts für ihre Situation. Wohnungslosigkeit ist demzufolge schlüssig weder als allein gesellschaftlich verursacht, noch als allein individuell defizitbedingt zu erklären, auch eine Kombination beider Annahmen - im Sinne von "gesellschaftliche Bedingungen bewirken individuelle Defizite" ist wenig überzeugend.

Eine beide Positionen vermitteltende Annahme wird von ROHRMANN 1987 - relative Handlungsfähigkeit - sowie von AVRAMIS/ KRÜGER 1988 - Tätigkeit und Persönlichkeitsentwicklung - vertreten. In historisch-dialektischer Weise wird angenommen, daß Individualentwicklung von vorneherein gesellschaftlich vermittelt ist und sich im Prozeß der gesellschaftlichen Tätigkeit bzw. Handlungen des Subjekts vollzieht. Allerdings liegen noch keine empirischen Arbeiten zur Frage der Verursachung von Wohnungslosigkeit bezogen auf diese Annahme vor.

Ist also schon die Frage nach der Verursachung theoretisch nicht eindeutig geklärt, so ist in einem nächsten Schritt zu fragen , wie denn auf der Ebene der bereits eingetretenden Wohnunglosigkeit das Verhältnis Wohnungsloser zu den Hilfeangeboten - m.a.W.: die Frage nach der Distanz Wohnungloser zur Hilfe - theoretisch behandelt wird und welche Erklärungsmodelle dazu vorliegen.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97