Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

JOCHEN

Lebenslage

Unterkunft

Dann war ich den einen Tag in der Bismarckstraße, habe da Kaffee getrunken, und dann quatscht mich einer an: "Was hast du den Nachmittag heute vor?" Da sage ich: "Zur S.Wärmestube fahren!" Wir haben uns in der S.Wärmestube unterhalten, dann fragte er: "Wo wohnst du denn?" Ich sage: "Überall und nirgends!" Und dann meinte er: "Das geht nicht. Ich habe dich so einigermaßen kennengelernt, beobachten tue ich dich schon seit zwei Wochen. Du kommst morgen mit zur Heilsarmee, und dann werden wir sehen, ob wir dich dort unterbringen können!" - "So," sage ich, "mache ich! Wo ist das und wann soll ich da sein?" Dann hat er mir das aufgeschrieben, und kurz vor Feierabend sagt er dann: "Nein, so traue ich dir nicht. Du sagst bestimmt jetzt nur, du kommst da hin. Aber das mußt du auch machen. Nein, du kommst jetzt mit!" Und jedenfalls dann war ich da, habe mit dem Sozialarbeiter gesprochen, und dann war soweit alles klar. Ausweis hatte ich da nicht, war wieder abhanden gekommen, und als ich das gesagt hatte, meinte er: "Du mußt morgen zum Sozialamt, die Kü[13], holst dann die anderen Sachen, und dann kannst du hierbleiben!"

Sozialamt

Dann hat das Sozialamt nochmal angerufen zur Kontrolle, dann haben die mir erstmal eine Kostenübernahme für drei Tage gegeben, in der Zeit mußte ich mich anmelden mit dem Personalausweis, meine Identität mußten die erst feststellen, da haben sie bei meinen Eltern angerufen, ob ich auch derjenige bin, für den ich mich ausgebe, und bei meiner Mutter war mein Portemonnaie mit meinem Personausweis. Hat jemand an der Autobahn gefunden und zu meiner Mutter geschickt, und so war mein Ausweis innerhalb von zwei Tagen hier. Die haben meine Eltern angeschrieben, und da ich noch einen minderjährigen Bruder zu Hause habe, der andere Bruder wohnt auch noch zu Hause, also brauchen die nichts bezahlen, die Kosten sind hoch genug, die sie haben. 41 Mark am Tag bezahlen die für Unterkunft und Verpflegung. Seitdem ich hier im W.-B.-Haus[14] wohne, habe ich eigentlich mein Taschengeld von 144 Mark 90, was sehr viel ist. Vorher habe ich nie was von gewollt vom Sozialamt, weil ich immer mein Geld hatte. Ehrlich gesagt, ich bin auch am Anfang nie auf den Gedanken gekommen: "Sozialamt? Was sollst du da?"

Ich habe beim Sozialamt noch keine Probleme erlebt. Ich habe das, was ich erledigen sollte, gemacht, und bis jetzt habe ich immer für den vollen Monat meine Kostenübernahme gekriegt, die wird Monat für Monat verlängert, solange du deine Pflichten erledigst, sprich Arbeitsamt, gemeinnützige Arbeit, wenn dir sowas aufgezwungen wird. Irgendwann kommen sie auf dich zu und sagen: "So, Junge, es ist Zeit! Wir haben für dich bis jetzt alles bezahlt, jetzt wird es mal Zeit, daß du auch was machst!" - Da kriegst du drei Mark die Stunde, naja, dieser Lohn besteht schon seit 15 Jahren, ist noch kein einziges Mal erhöht worden, und wie gesagt, normalerweise wirst du dazu gezwungen, etwas zu machen, bloß dann kannst du es auch auf freiwilliger Basis. Ich will es freiwillig machen, ich habe mir vorgestellt, im Peter-Frank-Haus[15] eine Putzstelle zu machen, da habe ich mir ein Empfehlungsschreiben geben lassen, und damit hin zum Sozialamt, die bearbeiten das dann, und irgendwann kriege ich dann mal eine Antwort.

W.-B.-Haus - Beziehung - Arbeit

Dann darfst du dir im Haus nichts leisten an Problemen wie Alkohol, oder Gewalttätigkeiten, also an die Hausordnung halten, deine Sachen auf dem Sozialamt erledigen, und natürlich mit der Polizei keine Konflikte. Wenn das öfters vorkommt, wirst du wohl auch gehen dürfen.

Seitdem bin ich da, mit dem F., der mich da in der Bismarckstraße angesprochen hatte, habe ich ein Verhältnis, aber da läuft nichts, da sind noch zwei andere, wir sind vier Mann auf einem Zimmer. Bloß wir arbeiten auch zusammen am Wochenende, ich zumindestens in einer Diskothek als Klofrau, da bin ich jetzt auch schon seit drei Monaten.

Also ich kenne mehrere schwule Obdachlose. Der überwiegende Teil ist hetero. Einige, die ich kenne, sind vielleicht gar nicht richtig schwul, sondern also verkaufen sich nur so, weil die leben auf der Straße, haben kein Geld, Bahnhof Zoo, Jebensstraße, Knabenstrich. Verdienen so ihr Geld, finden da vielleicht auch noch Spaß dran, lernen jemanden kennen. In dieser Szene kennst du von überall welche. Es gibt halt nicht überall Treffpunkte, wo man sich trifft. Und wenn dann, was weiß ich, du wirst gesehen. Das ist bei mir gewesen. Also, ich habe als Propagandist, also hier Schallplatten, CDs, Cassetten, für eine Schallplattenfirma verkaufen, da sollte ich drei Wochen Probe machen, und dann hätte ich einen Vertrag auf ein Jahr kriegen können. Und am Wochenende laufe ich hier die F.Straße durch in die D.Kneipe, und da sieht mich doch auf einmal ein Arbeitskollege da reingehen, und dann fragt er mich am nächsten Tag: "Sag' mal, was hast du denn da in der Kneipe gemacht? Bist du etwa so?" - Und ich habe ihm wohl nicht gleich eine Antwort darauf gebracht, und dann war alles klar. Wie die drei Wochen vorbei waren: "Ja, tut mir leid, das wird nichts!"

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97