Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

DIETER

DIETER ist 24 Jahre alt, geboren in Berlin - Prenzlauer Berg im Ostteil der Stadt.

Biografie

Eltern

Im Prinzip kann ich sagen, halb und halb, halb aus gutem Hause, und halb aus weniger gutem Hause. Meine Mutter war irgendwie so eine verkrachte Existenz gewesen. Hat man ihr auch angesehen, psychisch labil, und da gab es auch ziemlich manchmal Ärger und Krach, und meinen eigenen Vater kenne ich kaum noch, weil er hat sich damals scheiden lassen schon, wo ich vier Jahre alt war. Meine Mutter hat dann damals meinen Stiefvater kennengelernt, aber trotzdem habe ich dann meistens Vater gesagt. Meine Mutter, mit der kam man vielleicht drei Tage aus und dann fing sie an, ihren Moralischen zu kriegen, und dann hat sie sehr aufs Familienleben gedrückt. Mein Stiefvater ist ein ziemlich toleranter Mensch gewesen. Der hat auch versucht, daß ich gewissermaßen selbständig werde. Naja, die Sache kam nie hinaus.

Berufswahl

Dann jedenfalls habe ich meinen '10-Klassen-Abschluß' gemacht, das war damals auf der Polytechnischen Oberschule in 'Prenzelberg' hier. Das war auch schon damals, als sich die Eltern haben scheiden lassen, beziehungsweise mein Stiefvater. Ich versuchte optimal so meine Interessen zu wecken. Nur das war nicht einfach, einen Beruf zu ergreifen, wo ich dann nach einer gewissen Zeit keine Lust mehr habe. Ich bin dann damals über einen Physiklehrer nach S.Stadt gekommen. S.Stadt ist eine Grenzstadt an der Oder zu Polen hin. Da war das Petrochemische Kombinat, die Erdöl verarbeiten und so weiter, Benzole und alles mögliche aus Erdöl herstellen und so weiter, das war damals das Renommierstück von der DDR gewesen. Naja, hingefahren und soweit nun alles klar gemacht dann, mit Lehrvertrag und so weiter. Das war auch günstig, das war ja nicht weit von Berlin, und der Lehrberuf war gewesen: Facharbeiter für chemische Produktion.

Lehre - Arbeitsplatz

Dann habe ich versucht, in S.Stadt meine Lehre zu machen, irgendwie habe ich da aber nicht die richtige Kufe gekriegt und dann damals eingebrochen. Ich habe damals die Lehre geschmissen, weil ich auch nicht mehr selber klar kam, weil ich das alles irgendwie öde fand. Sie haben halt damals so angeboten, damals war auch der Betrieb verpflichtet gewesen, mir eine Arbeitsstelle zu geben, wenn die Lehre gekündigt wird. Dann habe ich eine Arbeitsstelle dort gekriegt, und bin vom Lehrlingswohnheim damals in das Arbeiterwohnheim reingekommen erstmal. Und dort habe ich gewissermaßen vier Jahre gearbeitet.

In die Verladung bin ich da damals gekommen, aber da ist es ziemlich schwer, beschissene Arbeitsbedingungen. Vor allem im Winter, da war so ein strenger Winter gewesen, 14 Grad, da sind mir bald die Füße klamm gefroren. Da mußtest du ja die Kesselwagen hochziehen, Lufthahn öffnen, und gleich umklappen. Also daß du genau da auf das Ladegewicht jetzt kommst irgendwie. Die Verladung da war auf freiem Gelände auch, da hat richtig schön der Wind reingepfiffen, das war nicht gerade angenehm. Nachher bin ich dann in eine andere Verladung, wo Heizölbithym verladen worden ist, und im Winter ist da besonders schwer zu arbeiten, vor allem, wenn man die Deckel da öffnen muß, die so richtig fest sind. Teilweise ist es ziemlich körperlich schwer da oben. - Ich hatte mich da ein bißchen eingelebt, und ich war auch zufrieden gewissermaßen. Im Monat brauchte ich nur 17 Mark 50 zahlen, und wenn es gut gelaufen ist, dann habe ich im Monat so meine 900 Mark verdient als Nichtgelernter. Das war ziemlich viel eigentlich, wenn man so in Schicht arbeiten gewesen ist, körperliche Arbeit dann eben. Das war manchmal auch ziemlich extrem, und ich hatte die Schnauze voll und habe irgendwie alles hingeschmissen dann.

Dann wollten sie unbedingt das Haus zum Bürohaus machen, umfunktionieren. Und dann hatten wir noch einen Schichtleiter gehabt, mit dem ich gar nicht klargekommen bin. Der war ziemlich so arrogant und hochnäsig, du mußtest ihm irgendwie alles recht machen, ich habe mich öfters angelegt auch. Nicht gerade die feine Art. Ich versuche meistens dem Ärger aus dem Weg zu gehen, aber der war schon die Provokation manchmal selbst. Irgendwie war schon alles eingefahren, er wollte das so haben, wie er es für richtig hielt. Und dann habe ich mich öfters gehen lassen, und dann habe ich auch ein paar Freischichten gemacht, weil ich die Schnauze voll hatte. Und danach haben sie dann mir nahegelegt zu kündigen. Und dann kam noch dazu, daß ich da aus dem Wohnheim raus mußte, und ich bin auch nicht so ein Typ, der sich durchsetzen kann. Und dann haben sie mir so eine Bude gegeben, ich weiß auch nicht, das war richtig verschandelt gewesen, richtig verdreckt alles.

Psychischer Druck - alles läuft aus der Bahn

Ich bin immer mehr unter psychischen Druck gekommen, und nach und nach habe ich damals, während der Arbeitsstelle, schon draußen gelebt. Also ich merkte, daß ich damit nicht klarkomme dann mehr. Wie ich draußen war, habe ich versucht, halbwegs was draus zu machen. Und im Februar, kurz bevor dann die Währungsunion war, bin ich einfach weggefahren nach Berlin erstmal. Da hatte ich Geld gehabt, aber das ging ziemlich schnell flöten dann auch. Zu meiner Mutter wollte ich nicht, weil ich mich mit der nicht verstanden habe, und zu meinem Vater habe ich mich nicht hingetraut, weil ich mich geschämt habe. Die wohnten nicht mehr zusammen. Die haben sich damals schon scheiden lassen, wo ich in der 10. Klasse war, also die sind auseinandergezogen.

Erst danach, wo das Geld alle war, ich wußte nicht mehr, was ich da in Berlin sollte viel mehr, und ich bin ja damals zu S.Stadt zurück, weil ich da meine Papiere gehabt habe, und habe da versucht halbwegs alles in die Reihe zu kriegen. Aber irgendwie ist alles aus der Bahn gelaufen, dann habe ich auch noch alles verloren, der Personalausweis ist verlustig gegangen, meine Papiere, dann kam nach und nach alles weg während der Zeit damals. Ich habe wohl noch versucht mich zu erinnern, wo die geblieben sind, aber da war nichts mehr drin. Ich war auch sauer, weil ich kein Geld mehr habe. Und was mache ich nun?

Behörden - Flaschen sammeln

Zuerst habe ich mir vorgenommen, du sammelst keine Flaschen, du hast das nicht nötig. Dann bin ich hingegangen zum Arbeitsamt und habe gefragt, wie es so läuft wegen Unterstützung und meine Papiere. "Ja, kein Personalausweis. Da müssen Sie zum Sozialamt gehen!" - Ich bin da hingegangen, da wurde mir gesagt: "Nur Personalausweis oder mit Sozialausweis." - "Naja," habe ich gesagt, "habe ich nicht!" - Vorher war ich noch bei der Polizei gewesen, die haben mir gesagt: "Kostet 20 Mark!" Und dann habe ich gesagt: "Die habe ich nicht!" - Wie gesagt, Arbeitsamt und Sozialamt, dann habe ich den Kreis rum gehabt. Wo ich das letzte Mal damals da bei der Polizei war, da haben sie gesagt, ich bin gar nicht mehr gemeldet hier. Da habe ich die Schnauze voll gehabt und auch kein Geld mehr, als ich dann anfing, Flaschen zu sammeln.

Am meisten habe ich Geld gemacht, wenn eine Kaufhalle Pfandflaschen eingeführt hat. Sie hatten ja damals solche Kästen, solche Gitterkästen aufgestellt, wo die ganzen Flaschen reingestellt wurden, und manche Leute haben da ihre Pfandflaschen reingestellt, die sie nicht sie nicht gebraucht haben, weil die Kaufhalle wieder neue Flaschen reingekriegt, beziehungsweise da nicht angenommen haben und so weiter. Die haben sie meistens, irgendwo alles hingeknallt oder abgelegt, weil sich die Leute nicht damit rumschleppen wollten, dann konnte ich, dann habe ich meistens nachgekiekt, dann habe ich eingepackt, meistens haben sie ja nichts gesagt, nur ein bißchen geguckt komisch.

Dann habe ich meistens fast zehn Stunden, je nach dem, wie das gedauert hat, bis ich ungefähr vier oder fünf Mark zusammen hatte. Meistens hat's nur gereicht, 5 Mark im Schnitt, mehr war's nie am Tag gewesen. Weil ich nicht der einzige war, der gesammelt hat, sondern meistens noch andere Leute, die haben auch gesammelt, um nebenbei ein bißchen Geld zu verdienen. Ich mußte die ganze Strecke zu Fuß ablaufen, und das war eine ganz schöne Strecke gewesen, abends war ich meistens geschafft, aber das Geld war ungefähr so zusammen, so fünf Mark dann. Das war ja irgendwie wie so ein Wahn gewesen bald. Irgendwie konnte ich eine ganze Weile gar nicht richtig wahrnehmen, oder wollte nicht wahrnehmen, das es so ist, ich meine, wie es war. An diese Zeit erinnere ich mich nicht gerne, das erfüllt mich heute noch mit Grauen.

Dann wußte ich selber nicht mehr, was ich machen wollte, und dann bin ich so rumgelaufen, hier und da mal Arbeitskollegen getroffen, ich habe da irgendwie, will mal sagen, nach einer gewissen Zeit mich öfter bißchen bei Arbeitskollegen durchgeschlaucht, mit denen ich mich halbwegs verstanden habe, weil die da irgendwie Mitleid hatten mit mir, die mich eine gewisse Zeit dann auch durchgefüttert haben. Auf die Dauer war's mir doch peinlich gewesen, und dann habe ich versucht, mich Richtung Berlin abzusetzen, das war kurz vor Weihnachten gewesen. Die haben mir angeboten auch, bei ihnen da zu übernachten, aber ich wollte das nicht, das ging mir irgendwie selber zu weit, weil das war mir auch selber peinlich gewesen. Ab und zu mal habe ich mich da gewaschen. - Das Sozialamt hätte normalerweise damals Geld zahlen müssen, ob sie wollten oder nicht spielt keine Rolle, einen Mindestsatz für drei Tage. Das habe ich damals aber noch nicht gewußt, sonst hätte ich ja drauf bestehen können. Beim Arbeitsamt die Alte, die hat's mir auch nicht erzählt, die hat ja gute Miene zum bösen Spiel gemacht. "Wieso bist du so dusslig?" - So kam mir das bald vor.

Also, wie gesagt, vor Weihnachten '90 war das so gewesen, da bin ich dann wieder nach Berlin und schwarz gefahren dann. In D-Zügen geht's ja meistens noch. Da habe ich Glück gehabt und bin so durchkommen. Denn bis Berlin hatte ich ja auch keine Lust zu laufen, es war ja auch ziemlich kalt gewesen schon damals.

Wohnungslos in Berlin

Dann da erstmal in Bernau gehaust. Das ist ein Vorort von Berlin. Ich bin oben im Wartesaal gewesen. Da habe ich auch einen ehemaligen Obdachlosen kennengelernt, der hat mir auch ein bißchen Geld gegeben, so 40 oder 60 Mark waren so zum Schluß beisammen. Im Prinzip war er fast jeden zweiten Tag immer da gewesen, der war nett. Es war kalt gewesen, und den ganzen Tag auf dem Bahnhof wollte ich auch nicht hängen, dann habe ich also gewissermaßen die Leute hier kennengelernt. Die haben mich gewissermaßen ein bißchen hingeführt. Das erste Mal waren wir Bahnhof Zoo gewesen fast jeden Tag, und haben mir dann nach und nach alles gezeigt, zum Beispiel Wrangelstraße, wo diese Kirche ist. Ja, da war ich einmal gewesen, wie gesagt, das war, wo ich damals neu angekommen bin. Hat mich jemand da erstmal gewissermaßen unter die Arme gegriffen, weil ich, wie gesagt, mich hier kaum zurechtgefunden habe. Und meistens übrigens selber auf Entdeckungsreise gegangen. Da haben sie ja einen Zettel zu hängen, wo die Wärmestuben sind, und das haben sie da aufgehangen. Das war mir recht gewesen, weil erstmal war es auch gewissermaßen eine Selbstüberwindung, da überhaupt reinzugehen, überhaupt was anzunehmen da. Ich war ziemlich völlig durchgehungert. Ich ziehe immer so, gewissermaßen also alleine, das ist besser.

Freßtourismus

Die erste Zeit war immer relativ schlimm, ich stand da so richtig unter Zwang, da regelrecht alles mitzunehmen, was ich kriege. Das war mehr ein Angstzustand gewesen oder ein Zwangszustand. Das ist ungefähr so eine Art wie Freßtourismus, dann fährst du um sechs zum Bahnhof Zoo, fährst du dann deine Tour ab, Wannsee damals, war ja immer offen gewesen, um zwölf gab es Mittag, und das war auch gutes Mittagessen gewesen, haben sie leider eingestellt, weil es zu viele waren. Du bist dann vormittags, dann hast du gewartet, bis Bismarck aufgemacht hat, und dann bist du dann zum Otto oder je nach dem, was offen hatte. Und abends dann Bahnhof Zoo immer irgendwie. Wollte ich dann auch nicht mehr, das war mir im Ganzen zu viel. Und über die Wochen in der Wärmestube XY dann auch reingerutscht, halt saubermachen und so weiter, dann gab es Abendbrot, eine warme Suppe oder Kaffee.

Die haben zu Anfang gefragt, das haben sie schon, das versuchen sie. Aber wenn du so ständig da mitmachst, dann wissen sie schon Bescheid. Dann kennt man die Leute näher, die Sozis[1] näher, ein bißchen besser, und dann kommt man, man braucht manchmal sich nicht hinten anstellen, wenn da vielleicht 20 Mann stehen und so weiter, kannst schon mal vorher hingehen und fragen wegen Unterhosen oder Strümpfe, aber allzu gerne mache ich das auch nicht, das ist irgendwie Extrabehandlung. Aber daß ich so, also hinterher nach einer warmen Suppe bin ich nicht. Also, ich bin nicht sehr anspruchsvoll, kann man so sagen. Aber sonst, wie gesagt, falls alle Stricke reißen, fahre ich in die Wollankstraße. Zum Beispiel Wrangelstraße gehe ich nicht gerne.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97