Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

MARTIN

Lebenslage

Heute beziehe ich mein Geld vom Sozialamt jeden Monat, aber was ist denn das? Das sind 482 Mark, das hält nicht lange.[27] Du willst auch mal ins Kino gehen, dein Bier und deine Zigaretten, das auch noch. Das einzige, wo ich schlauer geworden bin, ist mit der Strafkriminalität. Da ist Gott sei Dank, toi, toi, toi, bis heute ein Riegel vor. Mich kriegt heute keiner dazu. Wenn ich mich irgendwie beweisen soll, dann mache ich das anders.

Jetzt bin ich mit drei Mann bis letzte Woche, wir sind getrampt von Hamburg, da habe ich meinen Vater besucht - bloß da kann ich auch nicht wohnen, das ist ein Altersheim, der hat bloß ein Zimmer -, da waren wir vier Tage. Dann habe ich meine Schwester angerufen in München, dann ging das auch nicht, denn die ist verheiratet und hat zwei große Jungs, die hat bloß eine 3-Zimmer-Wohnung. Seit letzter Woche sind wir wieder zurück. War bloß prima, da haben wir unser Essen gekriegt, unsere Schlafmöglichkeiten, auch bei der Heilsarmee oder beim Caritas-Verband. Also als Durchreisender geht das ja, die müssen dir ja helfen. Aber hier in Berlin ist das nicht möglich.

Beratungsstelle Levetzowstraße (1)

Beratungsstelle Levetzowstraße (2)

Beratungsstelle Levetzowstraße (3)

Beratungsstelle Levetzowstraße (4)

Hilfesystem

Es gibt da Möglichkeiten hier in Berlin, wenn du dich mal für drei Tage ausruhen willst, dann gehst du in die Franklinstraße. Ich war bis Montag morgen in der Franklinstraße, du kannst einmal im Monat für drei Tage hin. Also, wenn das Sozialamt jetzt anruft und du bittest um Verlängerung, dann machen sie das. Oder du gehst in die Levetzowstraße oder bei der Heilsarmee, das geht alles. Da kannst du aufs Bad oder duschen, waschen, oder deine Klamotten mal richtig durchwaschen, damit du nicht total verpennert rumläufst. Nur jetzt, wo der Winter oder Weihnachten ins Haus steht, ist es wieder überfüllt alles. Die haben ja auch eine Warteliste, die haben Häuser, bloß die sind vom Senat freigestellt auch für Obdachlose, bloß die Freigabe passiert über die Beratungsstelle in der Levetzowstraße. Das dauert natürlich, das geht nicht von heute auf morgen. Die haben ja meine Akte da. Normalerweise jeden Montag bin ich da. Ich habe nur wirklich Angst, wenn die Möglichkeit besteht, wenn sie dich auf die Warteliste setzen, daß du jetzt irgendwo in das letzte Pennerheim reinkommst. Das ist dann nachher so'n Milieu, ich meine, hier draußen kann ich meinen Lebensweg selber steuern, bloß da drin wirst du ja wieder mitgerissen. Also wenn da keine Pulle auf dem Tisch steht, bist du der letzte Arsch. Wenn ich wirklich mal einen Tag keinen Bock habe zum Trinken oder ich habe Sachen zu erledigen, dann erledige ich das, und danach kann ich einen trinken. Aber wenn ich schon frühmorgens da mit so einem Kopf hinkomme - ich war zwei Mal in so einem Heim gewesen, nie wieder! Ich bin ja jetzt draußen auch in einem gewissen Kontaktkreis, bloß da drin, das ist ein ganz anderes Milieu. Das sind andere Gruppenkreise als draußen. Die draußen sind freier, mit denen kannst du dich auch ehrlich und genug unterhalten, und da paßt einer auf den anderen auf, das ist da drin nicht der Fall.

Ich gehe auch Wrangelstraße, mehr oder weniger gehe ich tagtäglich essen, was Warmes ist schon angebracht, verhungern brauchst du draußen nicht. Und wenn wirklich mal so'n Scheißwetter ist, fahre ich eben nach Moabit, gehe rein und trinke meine Tasse Tee oder Brühe, du kannst dich auch ein bißchen unterhalten oder ein bißchen was machen. Das mache ich auch schon über Jahre. Das gibt so viele Möglichkeiten hier, zum Beispiel am Wannsee draußen gibt es eine Tageseinrichtung, von frühmorgens um 8 bis abends um 20 Uhr kannst du dich da drin aufhalten. Ohne daß du Gefahr läufst, daß du draußen rumlaufen mußt und mit Alkohol konfrontiert wirst. Meine Gesundheit ist mir sehr wichtig. Solange ich vom Sozialamt versichert bin und jederzeit die Möglichkeit habe, zum Arzt zu gehen, mich untersuchen zu lassen, nehme ich das wahr. Eines Tages kann es zu spät sein.


Auf der Straße

Tagsüber kannst du ja gut rumpendeln. Und so fährst du nach einem Punkt, nach dem anderen. Bahnhof Zoo, Hansaplatz, oder in Steglitz oder hier Turmstraße. Natürlich nur an solche Anlaufstellen, die du kennst, da triffst du einen Kumpel mal, oder da könnte einer sein. Und so war es gestern ja auch der Fall gewesen an der Markthalle. Das sind mehr oder weniger Straßenkontakte. Viele kenne ich auch von früher aus der Jugend, und auch aus dem Knast dann mehr oder weniger. Aber ein fester Freundschaftskreis ist es natürlich nicht, ein Freundeskreis kann das ja nicht sein. Gut, du hast ja auch mal gute, lustige Stunden. Ich meine, wenn ich wirklich heute wieder einen sehe oder treffen sollte, das kann auch in die Hose gehen, dann fangen die gleich an zu streiten oder machen da Kacke, und dann kommt die Polizei, das ist natürlich blöde. Aber wenn so vier oder fünf Mann so erzählen, und wir machen unsere Späßchen, das ist was anderes. Dann ist es lustig, dann ist das gut, und wenn du einen drin hast, dann wird es noch besser, dann gehst du auf deine Platte, legst dich hin und schläfst, dann ist das erledigt. Aber ein direkter Freundeskreis unter unseresgleichen ist nicht drin.

Zum Beispiel gestern der Achim[28], der hat ja schon reichlich was gehabt. Ich kam da an, ich hatte keinen Tropfen drin. Und jetzt weiß ich nicht, ob mich das angeödet hat oder ob das nur Neid war, daß er einen drin hatte und ich nicht, du kannst das nicht lange mit anhören, setzt dich in die U-Bahn rein und haust wieder ab, fährst du zum nächsten Punkt. Selbst wenn ich auf der Straße liege, muß ich das auch so versuchen, daß ich meinen Tag so gestalten kann, daß ich gut wieder in die Reihe komme. Wenn ich jetzt in so einer Phase bin, auch wenn ich angetrunken bin, und ich sage mir: "Mensch, verdammt noch mal, jetzt mußt du noch ein paar Mark machen, willst heute noch ein Päckchen Tabak haben oder dies und jenes, also sprichst du mal ein paar Leute an!" Ja, was willst du denn denen sagen? "Also hören Sie mal zu, so und so ist der Fall, ich liege auf der Straße!", dann kiekt der mich schon oben bis unten an. Ich habe auch schon mit Bundfaltenhosen und mit Jackett, ich sage: "Tut mir leid, ich liege auf der Straße!" Der dachte, ob ich den verkackern will. Dann mache ich das anders, wenn ich wirklich ein bißchen gepflegter rumlaufe, habe ich das wieder anders drauf, dann gehe ich irgendwo in eine Kneipe oder ein Restaurant, und dann klopfe ich einem auf die Schulter - ich meine, das ist eine Inspiration, wen man dann anredet. Ich sage: "Kollege, kannst du mich zu 'nem Bier einladen!", wenn ich wirklich was zu trinken brauche. Ist mir auch schon passiert, da habe ich mich da mit dem an den Tresen gesetzt und mich vollaufen lassen. Wenn du jetzt wirklich mal ein Mädel kennenlernst, wenn es solche Gelegenheiten gibt, dann sollte man die auch wahrnehmen. Jetzt im Grunde, letztlich in Verbindung ob du säufst oder ob du nicht säufst, ich meine, ich gehe auch hin, wenn ich angesoffen oder besoffen bin. Ich meine, das macht mir nichts aus.

Ich bin auch schon beklaut worden, das war am Bahnhof Zoo. Seitdem werde ich mich auch nie irgendwie niederlassen oder zum Nächtigen hinlegen. Tagsüber zum Quatschen oder eine rauchen und das alles, aber nie zum Schlafen gehen. Das würde ich nie wieder machen, das ist für mich kein Thema mehr. Wenn du betrunken bist, merkst du sowieso nichts mehr. Wenn das Geld dann weg ist, das geht ja noch, das kannst ja wieder besorgen, aber dann die Papiere? Was willst du denn da noch machen? Dann läufst du als Wohnungsloser, als Obdachloser, und dann geh du mal los und besorge dir mal Papiere, Ausweispapiere! Und wenn du jetzt wirklich keinen Ausweis bei dir hast, von der Polizeikontrolle nehmen die dich doch gleich mit.

Seitdem, entweder schlafe ich ganz alleine und suche mir da wirklich was ruhiges, wo keiner weiß, wo ich bin, und ich weiß, ich kann mich dann auch nachtsüber ruhig verhalten, ich baue da keine Scheiße oder ficke andere Leute da auf der Matte oder so, wie es meistens der Fall ist. Oder ich schlafe dann irgendwo draußen, aber dann nie alleine. Ich habe mal eine gute Toilette gehabt, da war es warm gewesen, da haben wir uns arrangiert mit der Stadtreinigung: "Wir machen den Mist sauber, aber laßt uns hier in Ruhe pennen!" Das ist heute alles auch wieder zu, da waren Leute drin, die haben das versaut. Dann gehst du irgendwo auf einen Dachboden, wo eine Heizung ist oder wo ein Teppich liegt, das geht alles auch im Grunde genommen. Aber ein Leben auf die Dauer ist das natürlich auch nicht. Früher sind wir viel rübergefahren in den Osten nach leerstehenden Häusern. Die werden jetzt auch schon kontrolliert von den Bullen. Furchtbar ist das! Wir haben ja auch bloß das Recht, mal eine Nacht in Ruhe zu schlafen. Ich meine, anders herum, es gibt auch Leute, die versauen sich das alles selber. Wenn du mal die Polizeiberichte gelesen hast, was drüben so alles abgefackelt wird an Häusern oder Dachböden, das ist schlimm. Und wenn nicht, setze ich mich in einen Bus rein, da kann ich auch schlafen. Monatskarte habe ich, da können sie mir nichts anhaben. Dann fahre ich solange mit der S-Bahn hin und her, bis gesperrt ist, dann setze ich mich in einen Nachtbus rein. Suche mir die letzte Stecke aus, und wenn da ein guter Fahrer drin ist und du dem sagst: "Wenn du zurückfährst, laß mich oben!" Das geht auch alles, Hauptsache du machst keine Scheiße, dann schläfst du durch, und dann sind die ersten vier Stunden wieder rum. Wenn das nachher halb fünf ist, dann ist die Nacht ohnehin wieder vorbei, dann fängt wieder das Leben an zu toben. Dann mußt du dir wieder die erste Toilette suchen, wo du dich ein bißchen frisch machen oder umziehen kannst.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97