Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

GERHARD

Lebenslage

Geld - Betteln:"bevor ich ganz kaputt gehe"

Wenn ich mein Geld abbettele, schäme ich mich nicht, vorher habe ich mich erst geschämt, aber ich sage mir, bevor ich unter die Räder komme und ganz kaputt gehe... Hauptsache, ich bleibe ehrlich und vernünftig. Demzufolge habe ich auch geschrieben, 'Obdachlos', und 'Lieber betteln wie klauen', da ich ja für Diebstahl nicht bin. Also ich klaue niemandem was, sagte ich ja schon, dazu bin ich zu ehrlich, ja. Ich schildere nur meine Situation. Ich bin nicht nur hier, auch woanders. Hier ist es immer so kalt. An der Kirche hier hinten, vor der Kirche. Wittenbergplatz, in der Nähe, Tauentzienstraße. Die Leute wissen's ja, daß es Obdachlose gibt, und die sollen ja auch helfen, wenn sie es können. Gab so eine Fernsehsendung vorhin, die Leute nehmen das auch nicht übel, und betteln mit meinem Schild ist auch nicht strafbar. Ich habe mich schon mit dem Wachtmeister unterhalten, und die Bullen können auch vorbeikommen, da wird mich nie einer hochscheuchen. Es würde zum

Beispiel strafbar jetzt sein, ich würde mich jetzt hier hersetzen, und ich hätte eine Wohnung, aber das Geld reicht nicht aus, weil ich Alkoholiker bin, angenommen, und sag ich, was machst du, und schreib da ein Schild, kommt das aber jetzt raus, und ich bin gar nicht eigentlich obdachlos, das ist strafbar. Das ist dann Betrug. Das ist logisch, ja. Das wäre schon wieder strafbar. Das wär ja Betrug. Naja, und da kommen manche und geben mir was. Freiwillig, ohne daß sie anhaue. Der eine gibt mir 'ne Mark, der andere gibt mir nen Fünfer. Ich habe auch schon ein Pfund[9] gekriegt von manchen, und daran sieht man, was es für Menschen gibt, ja, unterschiedliche. Hundert gehen vorbei, und mal doch einer. So in der Stunde habe ich immer, naja, so einen Schnitt von acht oder neun Mark, das kommt schon die Stunde. Gestern habe ich auch 25 Mark gekriegt, die habe ich ausgegeben, das ist klar. Und ich war auch gestern sehr müde, sehr abgespannt. Ich muß ihnen sagen, ich mach das auch nicht gerne. Und das kostet mich auch sehr viel Nerven, sagte ich ja schon. Das strengt mich sehr an, und ist mir auch nervlich sehr belastend. Und ich bin immer zufrieden, wenn ich das hinter mir habe. Weil eben Betteln die einzige Lösung ist, um nicht zu klauen. Da muß ich mich wiederholen von vorhin.

Rente: "Das Geld brauche ich für später"

1987 hatte ich den Unfall, und seitdem bekomme ich Rente. Klar, meine Rente läuft weiter, bloß ich hol sie mir sie nicht, weil ich da meinen Stolz habe. Und das werd ich eines Tages auch alles ausgezahlt kriegen, wenn ich eine Wohnung habe. Ich nehme an, daß das weitergeht, natürlich. Ich lebe ja noch. Die Leute wissen ja auch, daß ich noch lebe. Ich habe eben keine Wohnung. Was nützt mir die Rente, ja, wenn ich...? Ich meine, das kann ich ja nun mal später gebrauchen, wenn ich eine Wohnung habe, so seh ich das wieder. Nicht, wenn man 1000 Mark hat an Rente oder mehr, dann sind das ja schon über 12.000 Mark, wenn ich monatlich jetzt soviel kriege. Und ich würde ja auch etwas Geld kriegen vielleicht, wenn ich hingehen würde. Das ist von mir ein falscher Stolz, das weiß ich selbst einzuschätzen, aber das ist eben, was ich nicht mache. Aber ich möchte eine Wohnung haben, und da brauche ich Geld, die Mieten sind teuer. Und ich meine, nicht gegen den Staat gesprochen, aber das find ich beschissen. Zu teuer alles. 300 Mark muß man schon rechnen. Na wie soll ich denn das Geld aufkriegen? Ich mach das schon richtig. Ich denke mir, daß ich das so richtig mache. Das Geld brauch ich für später. Denn ich möchte ja nicht nochmal ein Jahr auf der Straße liegen. Das halte ich ja höchstens noch diesen Monat aus. Dann ist vorbei. Und dann ist es mit meiner Gemütlichkeit zu Ende, und dann muß ich irgendwie mal Schluß machen. Mit dem Straßenleben, ich muß wegkommen. Ich muß immer daran denken, daß ich loskommen will. Ich werde immer Optimist bleiben, und ich bin auch ein sehr starker Optimist.

Hilfesystem

Es gibt auch Stellen, wo ich esse, von der Kirche. Das kommt auf meine Kasse drauf an. Da reicht ja nun die Kirche nicht aus, mit Mittagessen und so. Klar, mir schmeckt das sowieso, was heißt schmeckt, es ist was warmes. Und sonst gehe ich verschiedene Stellen. Also ich geh überall mal hin. In die Kaffeestube, da ist auch ein Gotteshaus, dann geh ich drüben im Ostteil auch essen, bei Krause, am Ostbahnhof, es gibt so viele, wo ich da noch essen gehen kann. In der Wrangelstraße, Lützow hier auch, ja, es gibt ja so viele, hier in Charlottenburg oben, Seelingtreff war ich auch schon gewesen. Aber meistens, wenn ich genug Geld habe und meine, ich komme gut aus, dann kauf ich mir im Laden was. In der Kaufhalle, bei Kaisers oder irgendwo. Wobei ich, wollen wir mal sagen, auch Obst esse, also Kalorien und so eß ich, also nehme ich in meinen Körper auf. Weil ich mir lieber zu essen kaufe wie Alkohol. Ich trinke ab und zu mal ein Bier.

Reflexionen

Ich habe nun viel erlebt, auch trauriges, ich möchte nicht alles so erzählen, es gibt manchmal Situationen, wo man nicht gerne drüber spricht, wobei ich an für sich objektiv rede und auch alles, will mal sagen, erzähle, aber im größten Teil bin ich eigentlich objektiv, ja. Also, objektiv zu verstehen ja im Ganzen. Ich spreche nicht zu einem Menschen etwas, was ich nicht vorher überlegt habe, ja, und ich würde auch nie einem Menschen schmeicheln, ja, sondern ich stelle den Menschen fest. Einen Menschen sollte man feststellen. Da gehört Intelligenz zu. Einen Menschen lernt man ja auch nie aus, weil ein Mensch so viel in sich verbergen, verborgen haben kann, da verbirgt sich immer etwas. Aber das weiß man manchmal nicht, aber das ist drin. Das ist die Wahrheit. Vielleicht interessiert Sie das nicht, aber das ist so.

Denn der Mensch ist doch wichtig, der Mensch ist doch ein Produkt, wenn ich mal so sagen darf. Und ein Mensch ist doch, sagen wir mal, kein Abschaum. Ich war ja auch mal ein Mensch, und halte mich heute noch für einen Menschen, und betrachte mich auch innerlich als einen sauberen Menschen, ja, denn wenn man äußerlich ein Penner ist, den kann man wieder herrichten, aber einen innerlichen, ja, der innerlich verpennert ist, der langsam verschmutzt ist, von innen, dann ist zu spät. Man sollte ja Mensch bleiben und sein. Man sollte nicht nur an sich denken, man sollte auch mal an die lieben Mitmenschen denken, nicht wahr, und nicht nur an sich. Denn das erste ist ja immer der Mensch, der steht im Mittelpunkt, aber der andere Mensch. Den braucht man noch. Denn man braucht doch jeden Menschen, einer hilft dem anderen, aber so ist das leider nun mal nicht. Es gibt zwar einen Film, da sagt einer der Musketiere 'Einer für alle, alle für einen', aber es ist ja nun mal nicht so. Das Leben ist hart, das Leben kann ein Kampf sein. Und ich war manchmal schon so weit, daß ich mir das Leben nehmen wollte, zuletzt habe ich mir mal überlegt und habe gesagt, nein, ich tu ja, für mich mach ich's gerne, aber nicht, wenn die anderen das wollen. Also unterließ ich das, und habe es nicht getan.

Ich fühle mich nicht einsam, ich habe immer einen bei mir, und das weiß ich. Ich kann zwar mit ihm nicht reden, aber er versteht mich. Ich bin nun mal gläubig. Ich glaube an die Kirche und ich liebe die Kirche, ja, auch die Menschen, die dort arbeiten, ja, und ich werde immer, die katholischen Schwestern immer achten und würdigen und habe auch den Glauben, daß es irgendetwas gibt, ja, und das glaube ich auch, ja, daß es ein höheres Wesen gibt. Man kann mich Christ nennen. Warum ich Christ bin weiß ich nicht, auf jeden Fall denk ich an das Gute, und es gibt auch gute Sachen, ja, und Gott ist das. Gott ist keine menschliche Gestalt, Gott ist was anderes. Gott ist alles, was der Mensch im Leben gutes erfährt und erlebt, das ist Gott. So sehe ich das, ja. Denn Gott kann man ja nicht unter einer Menschengestalt betrachtet sehen, sondern Gott ist für mich alles. Das kann ich ja nicht erklären, ja, denn Gott muß man fühlen, Gott muß man, ich würde immer wieder daran glauben, ja, es gibt irgendwie. Ich meine, Gott wird man nie erreichen. Wer an ihn glaubt, ist gut, und wer an ihn nicht glaubt - das muß jeder einschätzen können, ja, wie er darüber wirklich denkt. Nur so reden soll man nicht. Man soll davon überzeugt sein. Und ich werde auch immer dran glauben. Und ich werde auch immer wieder sagen, ich kenne viele Leute, aber trotzdem leider wenige Menschen, wa, und die wenigen Menschen haben mir schon geholfen. Auch fremde Menschen. Ja, was soll man sagen? Ich fühl mich auch nicht einsam.

Ich gebe mich meistens mit mir selber nur ab. Ich distanziere mich, Distanz halte ich auf jeden Fall. Ich bin an und für sich ein Typ, der gerne für sich alleine ist. Unterhalten tu ich mich gerne, aber ich meine, wenn ich so unterwegs bin, dann mache meinen Schreibkrieg alleine, das ist ja schon hart genug für mich. Noch andere durchziehen, daß kann ich nicht. Ein Nervenbündel bin ich nicht, im Gegenteil, ich bin relativ sehr ruhig, manchmal bin ich zu ruhig, das ist vielleicht mein Fehler. Man sollte sich mehr verteidigen, ich müßte offensiver werden. Ich behalte das alles gerne immer für mich, weil ich möchte ich nicht gerne verteidigen, weil ich immer nicht weiß, ob's richtig ist. Meistens weiß man nicht, wie macht man's, was ist richtig, was ist verkehrt.

Aber, wie gesagt, deswegen braucht man mit mir kein Mitleid zu haben, denn vom Mitleid habe ich sowieso nichts, weil, es freut einen ja, wenn es ehrlich gemeint ist, meist ist es ja nicht ehrlich, was der Mensch erzählt. Das ist ja nicht immer die Wahrheit, was ein Mensch erzählt. Sie denken vielleicht von sich aus, alles was der Mensch erzählt, ist ja die generelle Wahrheit. Das ist meistens alles gelogen im Leben. Denn die Welt ist ja nun mal leider verlogen. Es gibt ganz wenige Typen, die ehrlich sind. Die auch ehrlich das meinen, was sie sagen. Die reden, aber denken anders. Man sollte so reden, wie man denkt. Das ist eine Tatsache, ist eine Feststellung. Ich glaube nicht, daß ich eine Wahnvorstellung habe. Das hat mir noch keiner gesagt. Psychiater brauche ich auch keinen. Ansonsten, was soll ich Ihnen noch erzählen? Es wird eines Tages besser sein. Ich bin auch zufrieden, wenn ich denn von der Straße wegkomme, und würde sehr mich freuen und glücklich sein.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97