Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

WERNER

WERNER ist 43 Jahre alt, geboren bei O.Stadt in Brandenburg bei Berlin.

Biografie

Nur weit weg von zu Hause

Ich bin gebürtiger O.Städter. Ich habe einen Stiefvater, und ich wollte von zu Hause weg. Und bei mir gab's zwei Sachen: Entweder ich gehe zur See, oder ich gehe zum Bergbau, weit weg. Bei mir war das nicht wegen den Berufen, bei mir war es, nur weit weg von O.Stadt, weit weg von zu Hause. Entweder nach oben, oder nach unten. Ich habe mich damals mit dem Zeugnis von der 8. Klasse beworben. Mein Lehrer wollte, daß ich zur EOS gehe, Erweiterte Oberschule, also Abi machen. Und ich wollte aus der 8. raus. Eben, bei mir war das Problem, ich wollte von zu Hause weg. Damals ging's ja noch, ich hätte nach der 8. Klasse auch bei Fischerei lernen können. Bloß mein Lehrer ist meiner Mutter zu Hause die Bude eingerannt, und wo er dann das sechste Mal da war, mit meiner Mutter, meinem Vater, mit mir geredet hatte, hat meine Mutter gesagt, "Der Junge geht weiter!" Als Kind kannst du ja nicht selber entscheiden, du mußtest ja machen.

FDJ

Ich habe in der Schule Ärger gehabt. Man wurde doch damals bei uns von den Pionieren übernommen in die FDJ. Und ich wollte nicht in die FDJ rein. Ich habe nun auch meinen eigenen Kopf ein bißchen versucht durchzusetzen. Dann war ich von unserer Schule in O.Stadt der einzige, der nicht in der FDJ war, in der 9. Klasse. Bloß dann habe ich mit meinem Klassenlehrer wieder gesprochen, wo ich dann angefangen habe, mich zu bewerben, da sagt er mir, "Werner", sagt er, "wenn du wirklich zur Hochseefischerei willst, schreib erst deinen Antrag aus für die FDJ! Wenn du nicht FDJ-Mitglied bist, dann wirst du nicht genommen." Naja, den Antrag ausgeschrieben, und in mein Bewerbungsschreiben: FDJ-Mitglied.

Rostock

Und in Rostock hat es geklappt gehabt. So, wo ich in die 10. Klasse kam, da hatte ich meinen Beruf schon. Die Lehrer fragten: "Wer hat denn schon seinen Beruf?", da sage ich: "Na gut", sage ich, "ich muß morgen", sage ich, "kann ich nicht zur Schule kommen", sage ich, "ich muß morgen zur Untersuchung, weil ich nach Potsdam fahre." Ich bin drei Tage unterwegs gewesen, nur wegen den scheiß Tauglichkeitsuntersuchungen. Ich habe dann in Rostock angefangen zu lernen... Nach der 10. Klasse, '65 also. Ich komme nach Rostock hoch, da waren ja denn mehr beruflich spezialisiert die Fächer, dann habe ich Fangtechnik gehabt, und da hatten dann drei oder vier Ingenieure aus dem Fischkombinat da so eine Berechnung aufgestellt, den Materialverbrauch bei einem kompletten Netzbau. Da haben die sieben Formeln zu gebraucht, und dann die sieben Ergebnisse zusammengezählt. Und ich habe mir das die erste halbe Stunde angeguckt, wo es der Lehrer uns erklärt hat, und dann habe ich versucht, aus den sieben Formeln eine zu bauen. Das ging! "Das geht nicht, das haben unsere Ingenieure berechnet, und die hatten das..." Ich sage, "Herr W.", sage ich, "ich schreibe Ihnen die ganze Scheiße an die Tafel. Ich habe das hier auf dem Papier", sage ich. Die zweite Stunde, da wurde kein Unterricht gemacht, da bin ich an die Tafel gegangen und habe meine Formel angeschrieben. Und die gesamte Rechnung habe ich ihm runtergerechnet, bis zum Verbrauch. Ich habe da hinterher noch Geld für gekriegt, weil das in der nächsten Veröffentlichung, die wir vom Fischkombinat aus gemacht haben, wurde ja meine Formal dann reingesetzt in dem Buch. Da steht noch mein Name drin, und der wird wahrscheinlich auch drin bleiben. Denn anders kann man das nicht berechnen. Und da habe ich 1.400 Mark für gekriegt. Wir haben da eine Party gefeiert im Lehrlingswohnheim, aber frage nicht, wie? Ich habe über 600 Mark ausgegeben dafür.

Die ersten zwei Jahre, wo ich Lehrling war, und dann, wo ich die ersten Jahre als Matrose gefahren bin, du kannst sagen: Norwegische Küste und Island rum. Dann nach einem Jahr wurde ich, aber da wurde ich dann reingeschoben, wurde ich Bootsmann. Das ist dann in der Hierarchie schon wie Meister ungefähr. Da ich mit unserem Kapitän seiner Tochter was hatte. Naja, die hat ja, die hat meinen Ältesten. Bloß die wollte mich heiraten, und ich sollte an Land bleiben. Da habe ich gesagt: "Nein!" Und dann hat sie einen gefunden, der an Land war, der hat bei uns hier in den Kühlanlagen gearbeitet, naja, und den hat sie dann geheiratet. Wir waren ja immer 100 Tage unterwegs, du kannst sagen, so drei oder dreieinhalb Monate, da war ich wieder an Land, und sie, sie hat ja auch aufm Kombinat gearbeitet, sie hat ja hier Handelskaufmann gelernt, und ich habe Matrose gelernt, naja, und dadurch haben wir uns kennengelernt. Mein Kapitän wußte ja noch gar nichts von seinem Glück, wo ich auf seinen Dampfer kam. Ich bin siebeneinhalb Jahre zur See gefahren, ich möchte die Zeit nie missen. Mensch, ich bin runtergekommen bis Südamerika. Ja, ich war in Brasilien, ich war in Uruguay, ich war in Kanada, ich war in Island, ich war in Norwegen, ich war in Schweden, ich war in Holland gewesen, da war ich schon in der BRD gewesen, ich war in Uruguay gewesen, ich war in Elfenbeinküste gewesen, ich bin weit rumgekommen. In der Beziehung, für einen DDR-Bürger, war ich damals, ich bin sehr weit rumgekommen. Wie gesagt, erstmal hat's Spaß gemacht, zweitens hat's Geld gebracht. Ich habe sehr gut verdient.

Ich habe ja weiter in O.Stadt gewohnt. In Rostock hätte ich nie eine Wohnung gekriegt. Woher sollte ich als Hochseefischer, der ich alle Vierteljahre einmal zu Hause bin, eine Wohnung kriegen? Nein, wohnen mußtest du schon da, wo du hergekommen bist. Ich wollte von meinen Eltern weg, und das habe ich ja geschafft.

In dem Moment, wo ich in Rostock war, habe ich in O.Stadt eine eigene Wohnung gekriegt. Und das schon mit 17 Jahren. Mein Klassenkamerad war der Sohn vom Bürgermeister. Das war hintenrum. Da ich eine Wohnung brauchte, ist meine Oma vom Dorf nach O.Stadt gekommen, ich habe eine Wohnung gekriegt, und sie hat bei mir mit drin gewohnt. Offiziell war das die Wohnung von meiner Oma, mehr brauchte ich nicht, da ich ja sowieso, kannst sagen, alle Vierteljahre bloß zu Hause war.

Unfall

'72, da habe ich Urlaub gehabt, und da ist das passiert! Da bin ich mit dem Motorrad auf die Schnauze gefallen. Hier![8] Ich sage ja, das war mein Urlaub gewesen. Der erste Urlaubstag. Ich wollte, normalerweise wollte ich mit meinem Motorrad damals von O.Stadt bis nach Ungarn fahren, und bin an dem Tag noch einkaufen gefahren wegen meiner Oma, und bin auf einer Ölspur ausgerutscht. Der Arzt hat mir hinterher gesagt, daß er, wenn ich nicht mit der Brille gefahren wäre, wäre es ganz aus gewesen mit mir. Ich war zwei Jahre krank geschrieben, ich wurde zwei Mal operiert. Ja, siehst du ja, sieht man ja, daß sie Pfusch gebaut haben.

Und dann stand es zur Diskussion, ob sie nochmal das Ding auseinandersprengen und neu machen, oder nicht. Da habe ich gesagt: "Also nee", sage ich, "das Ding hat mir gereicht!" Da war schon über ein Jahr rum, da habe ich in der Zwischenzeit versucht, in O.Stadt Arbeit zu kriegen, habe ich auch gekriegt gehabt. Normalerweise in der Produktion, das gaben sie uns ja, bloß da ich ja aus dem Krankenhaus kam, schrieb mir der Stationsarzt einen Schonplatz-Zettel aus. Aber ich komme zu dem Betrieb hin, der Betriebsarzt, der hat dann auch erstmal auf den Schonplatz-Zettel geguckt: "Ist ja fast zwei Jahre her! Dann sind Sie ja voll einsatzfähig!" Der hat mich voll reingesteckt. Ich habe drei Tage lang halbe Zentnersäcke gehoben, dann fiel mir der Arm ab. Ich zum Krankenhaus zurück, zum meinem behandelnden Arzt: "Tut mir leid", sage ich, "ich kann den Arm nicht mehr bewegen!" Sofort geröntgt. "Was haben Sie denn damit gemacht? Haben Sie Möbel gerückt oder was?" Ich sage: "Nee", sage ich, "ich mußte arbeiten!" Der hat angerufen. Wie ich nächsten Tag zum Betrieb kam, war der Arzt nicht mehr da.

Von dem neuen Betriebsarzt, den wir dann gekriegt hatten, bin ich zwar in der Abteilung geführt worden, bin auch danach bezahlt worden, also ich habe gut verdient, verhältnismäßig gut verdient, aber als Pförtner vorne, Schonplatz. Der hat dann bloß den Zettel gesehen, wo ich das zweite Mal mit dem Schonplatz-Zettel kam, der hat nur meinem Namen gehört, da sagt er schon: "Herr W. geht zu den Pförtnern! Schonplatz!" Gut, in der Zeit kam dann, wo dann meine Großmutter den dritten Schlaganfall hatte, wo sie dann linksseitig gelähmt war, ja, und dann habe ich da gearbeitet gehabt die ganze Zeit, und dann, wie gesagt, kam dann meine Knastzeit.

Ausweiskontrolle - Knast

Wo ich dann drei Tage nach meinem Geburtstag mit Arbeitskollegen einen Trinken gegangen bin, um zehn haben wir Feierabend gehabt, weil wir den Plan drin hatten, das war ja alles nach Plan gewesen, sind wir in die Kneipe gegangen, haben gesoffen, da haben wir meinen Geburtstag gefeiert nach der Spätschicht, und dann kam ich um halb eins oder eins, wann das war, aus der Kneipe raus, und ich brauchte nur die Straße ein Stück runtergehen, um in meine Wohnung zu gehen, Ich wollte nur ins Bett. Ich wollte nur nach Hause gehen und in mein Bett. Und dann mich mein lieber Herr K. kontrolliert. Wie gesagt, wo ich Kind war, haben wir nebeneinander gewohnt. Der war zwei Jahre älter wie ich, wir haben zusammen gespielt im Buddelkasten, das weiß ich von hinterher noch, wir sind zusammen Baden gegangen, wir haben zusammen Äpfel geklaut, weiß ich was alles. Bloß er ist dann zur Polizei gegangen, und ich war normaler... Jedenfalls ich komme aus der Kneipe raus, die Straße runter, rechts hatte ich gewohnt. Klar war ich voll, ich bin Schlangenwege gelaufen, ich war noch nicht mal 100 Meter weg. Tippt mir einer auf die Schulter, ich, ich, ehrlich mal, das muß ich dir vormachen. "Ausweiskontrolle!" Da drehe ich mich um, ich sage: "K.", sage ich, "leck mich am Arsch", sage ich, "du kennst mich doch! Ich gehe nach Hause, ich bin besoffen!" Ich bin weitergelaufen, und da, ehrlich mal, der hat wirklich so reingekrallt in die Sachen, und reißt mich zu sich. Was machst du dann, wenn du besoffen bist? Da gab's nur eins: Bumm! Da habe ich ihm eine gelangt, dann lag er flach, dann kam er hoch und wollte mir was tun. Dann habe ich nochmal zugehauen.

Naja, jedenfalls, dann wurde ich da eingesperrt, beziehungsweise wo ich dann dem zwei gelangt habe, war plötzlich ein Auto ran, waren sie drei, und nächsten Morgen bin ich dann aufgewacht in O.Stadt in der U-Haft, mit einem Schachbrettmuster auf dem Kreuz. Dann haben sie mich da gleich gewichst gehabt mit ihren Knüppeln. Und dann habe ich verlangt, ich wollte zum Arzt, durfte ich nicht, die haben mich sechs Wochen da liegen lassen. Jeden Tag kam der Sani zwei, drei Mal, hat mich mit meinem Rücken bepflastert und eingeschmiert. Wo es dann verheilt war, dann durfte ich das erste Mal zum Arzt. Vorher haben sie mich nicht zum Arzt gelassen, dann hätte ich ja eine Gegenklage machen können. Dann habe ich meine Anklageschrift gekriegt, ich habe dann noch ein bißchen geschimpft, wo sie mich im Auto, die haben mich nicht ins Auto einsteigen lassen. So nüchtern war ich noch, ich wußte noch, die haben mich reingeschmissen. Da habe ich dann geschimpft, hier: "Ihr seid schlimmer wie die Gestapo!", und weiß ich, was alles, und das wurde mir dann ausgelegt als, erstmal 'Widerstand gegen die Staatsgewalt', weil ich dem ja zwei geknallt habe, und 'Herabwürdigung von staatlichen Organen', so nannte man das.

Das schönste dabei, und nach zwei Jahren kam ich dann raus, wie gesagt, die haben mir keinen, nicht einen Tag geschenkt. Wie ich da drin saß, ich habe meine Arbeit da gemacht, ich habe im Zementwerk hier in R.Dorf gearbeitet als, ich war am Ofen gewesen, im Brenner gewesen, ich habe meinen Plan wirklich übererfüllt meistens, wenn der Ofen in Ordnung war. Ich habe den über den strengen Winter gekriegt, '78 zu '79, da wo alles eingefroren war, da wo normalen Zementwerke arbeiten in dem Betrieb, wo kein Knast war, die ihre Ofen sind eingefroren. In Z3, alle Öfen eingefroren, bei uns, wir haben vier Öfen gehabt, drei sind eingefroren, ich habe meinen gehalten gehabt. An dem Tag habe ich über 16 Stunden gearbeitet, weil die nicht in der Lage waren, unsere Ablösung vom Knast zu uns hinzufahren, weil es bergauf ging, und da ist der Bus nicht hochgekommen. Ich habe über 16 Stunden da geschindert gehabt, ich habe, also mein Ofen lief. Jedenfalls mein Erzieher wollte, daß ich dann vor meinem Geburtstag entlassen werde. Und das konnte man normalerweise innerhalb des Strafvollzugs regeln. Da hätte nur der Leiter vom Strafvollzug sagen müssen: "Ja, ist in Ordnung, der geht", weiß ich was. Abgelehnt! Weil er ja auch der Meinung war, einer, der unsere Genossen im Dienst schlägt, ist mit zwei Jahren viel zu wenig bestraft. Ich hatte am Freitag Geburtstag gehabt, und Montag wurde ich dann entlassen. Wie gesagt, mir haben sie nicht eine Minute geschenkt.

Da habe ich eine kennengelernt in O.Stadt, die A. An dem Abend kam ich von der Spätschicht, ich hatte keine Zigaretten mehr, wollte in eine Gaststätte gehen, wo ich da gewohnt hatte. Und da war eine geschlossene Veranstaltung, normalerweise wärst du nicht reingekommen, ich kannte aber den Kellner, weil er in der Nähe gewohnt hat, und die haben immer hinten bei mir auf dem Hof ihre Autos geparkt. Und so habe ich die kennengelernt. Nur zu der Familie paßte ich nicht. Vater Parteisekretär, Mutter Lehrerin, auch in der SED, sie auch in der SED, FDJ-Sekretärin vom Kreis-O.Stadt und stellvertretende CV-Leiterin. Mit der war ich trotzdem fast vier Jahre zusammen.

Familienleben - Wende

Ich habe danach mit einem Mädel zusammengelebt über acht Jahre bis voriges Jahr. Ich habe den Fehler gemacht, ich habe eine eigene Wohnung gehabt, ich habe meine Wohnung aufgegeben. Ich bin bei ihr mit eingezogen als Untermieter, und wo es voriges Jahr zum Riesenkrach kam, stand ich plötzlich auf der Straße. Ich hätte zwar in der Wohnung noch Wohnrecht gehabt, sie hätte mich nicht rausschmeißen können, da ich ja Untermieter war, und das zählt ja nun mal, wenn du enger zusammenlebst mit einer Frau und nicht verheiratet bist, auch fast wie eine Ehe. Und ich hätte theoretisch da ein Zimmer beanspruchen können. Bloß ich weiß eins, hätte ich da weiter gewohnt, entweder sie hätte mir den Kopf eingeschlagen, oder ich hätte ihr den Kopf eingeschlagen. Wir haben uns seit der Wende so auseinandergelebt gehabt, das gab's gar nicht. Ich war nach dem Westen orientiert, so ungefähr kannst du es sagen, sie wollte im alten Trott noch weitermachen.

Ich hatte dann voriges Jahr noch, wo wir noch zusammen waren, auf Montage gearbeitet, das war das zweite dabei. Ich war über Wochen, manchmal über zwei Wochen weg gewesen. Ich habe Geld rangeschafft, und sie hat verlebt, im Prinzip. Ich bei so einer komischen Firma gewesen, die hat jedenfalls dann pleite gemacht, das war bei Bremen, und dann war Schluß. Das hatten wir noch abgesprochen, ich bin direkt nach der Wende im Februar - damals gab's das ja noch - ins Auffanglager übergesiedelt. Hier im Osten, ich wußte genau, daß ich am 1. April entlassen werde bei meinem Betrieb, dann wäre ich arbeitslos gewesen. Ich sage: "Mädel, wir müssen jetzt zusammen halten, wir müssen übersiedeln! Ich muß übersiedeln. Ihr bleibt hier, ich siedle über und versuche, da eine Arbeit zu kriegen!" Hatte ja auch geklappt gehabt, ich habe wunderbar verdient, über 3.000 Mark. Und das habe ich in die Wohnung, wo wir gewohnt haben, alles reingesteckt. Ich habe die Wohnung im Prinzip total neu eingerichtet. Daß in der Zeit natürlich das Problem da kam, daß, naja, ich weiß ja nicht, ich bin nicht fremd gegangen... Aber weil ich nicht verheiratet war, konnte sie sagen... Bloß ich sage, ich hätte mich darauf berufen können, ich möchte weiter in der Wohnung wohnen, dann hätte ich ein Zimmer gekriegt. Weil ich ja da gemeldet war. Bloß ich habe selber eingesehen, das hat keinen Sinn. Entweder hätte sie mir den Schädel eingeschlagen, oder ich hätte ihr den Schädel eingeschlagen. Es war ja bald schon bis zu Schlägen gekommen gewesen, und dann habe ich gesagt: "Mädel, leck mich am...!"

Bevor die Wende war, ein halbes Jahr davor im Mai, da war sie schwanger. Wenn wir es hätten kommen lassen, wäre es vielleicht anders gewesen, ich weiß es nicht. Bloß, sie hatte zwei Kinder, große Kinder. Die Kinder sehe ich ja immer noch. Die kommen auch noch zu mir. Ich treffe sie, du kannst sagen, jede Woche. Für die beiden bin ich immer Papi. Ich habe sie ja mit großgezogen.

Ich habe dann den Schnitt gemacht, das zweite ist dabei, ich bin arbeitslos, habe keine Arbeit, und ich habe es wirklich sehr schwer, überhaupt Arbeit zu kriegen. Weil ich eine kaputte Schulter habe. Und wenn ich jetzt irgendwo hingehe und mir einen Job suche, kriege ich erstmal. Aber wenn dann der Arbeitgeber eine ärztliche Untersuchung verlangt, dann kommt das raus, und bei der nächsten Gelegenheit bin ich wieder weg.

Wohnungslos

Ich hatte erst mir vorgestellt gehabt, eine eigene Wohnung zu suchen. Da ich aber erstmal auf der Straße lag, hatte ich eben meine beiden Koffer gehabt, und wo bin ich gelandet erstmal den Abend? Auf dem Hauptbahnhof. Und wo ich nächsten Morgen wieder wach geworden bin, habe ich nichts mehr gehabt. Komplett Geld weg, Papiere weg, alles weg. Und dann war ich total voll bedient. Danach habe dann mir alles halbwegs in Reihe gebracht, ohne Papiere kriegst du ja nichts, habe ich mir Papiere erstmal besorgt, und dann wollte ich eine Wohnung haben. Aber kriege mal eine Wohnung? Arbeit habe ich sowieso keine gehabt, also auch nicht allzu viel Geld, dann wollte ich, beziehungsweise habe ich versucht, erstmal hier im Osten zur Untermiete wohnen, bloß das hätte ich nicht bezahlen können, das konnte ich vergessen. Und dann habe ich auch ein bißchen von mir aus resigniert. Ich habe dann gemerkt, wenn ich mich vorstelle, wir unterhalten uns, und die fragen ja auch ein bißchen nach dem körperlichen Zustand, naja, ich kann das nicht verschweigen. Das geht nicht in der Arbeitswelt, wo ich hier, weiß ich was, einen Zentner heben soll, und das fällt mir aus der Hand. Und in dem Moment, wo ich gesagt habe, ich habe eine kaputte Schulter, sofort Distanz, Ruhe.

Hauptbahnhof - S-Bahn - Besetztes Haus

Ich hatte ja keine Wohnung gehabt, da habe ich erstmal, du kannst sagen, übern Winter bis zum März auf dem Hauptbahnhof auf der Bank geschlafen. Nachts. Nacht für Nacht. Beziehungsweise, wenn da Stunk war, das konnte man schon abends absehen, wer auf dem Bahnhof ist, dann bin ich eben nach Schönefeld gefahren, beziehungsweise dann nach Bernau rausgefahren mit der S-Bahn, beziehungsweise ich habe da auf dem Bahnhof gepennt im den Warteräumen. Im März habe ich dann in Berlin hier in der F.Straße ein besetztes Haus gefunden, wo da eine Wohnung leer war, da habe ich mich dann reingesetzt. Im Prinzip waren da fast nur junge Leute. Ich war als älterer nachher schon mehr wie ein Papi oder ein Beichtvater. Wenn die ihre Probleme hatten, dann kamen die zu mir. Ich sage: "Junge, ich kann mir selber nicht helfen, also", sage ich, "dann kommst du mit deinen Problemen noch zu mir, dann soll ich dir helfen! Ich kann doch selber erstmal nicht!" Da rein bin ich durch Zufall. Da man ja auch leben muß, und mit dem bißchen Geld, was man gekriegt hatte, konnte man ja nicht leben, bin ich viel in Wärmestuben rumgekommen. Damals habe ich noch ALU gekriegt gehabt, bloß dann sind mir das zweite Mal die Papiere weggekommen dieses Jahr im August. Das Haus hatten wir besetzt gehabt ohne Gewalt, der Hausbesitzer hatte nichts dagegen gehabt, aber der hat es verkauft. Und die neuen Besitzer wollen dieses Jahr noch anfangen zu bauen. Da mußten wir am 15. Oktober raus. Dann bin ich umgewechselt, da stand noch ein Haus, aber das war schon mal geräumt von der Polizei, unten am Keller war immer noch das Polizeisiegel. Dann bin ich erstmal da eingezogen. Das hatte ich für mich alleine gehabt, aber da war das Problem dazu gewesen, da hätten sie jeden Tag kommen können, beziehungsweise wenn da schlafe, ich bin ja nur nachts dagewesen. Und wenn die Polizei kommt: "Was wollen Sie hier? Wir haben das Haus schon einmal geräumt, Sie gehen wieder!" Da kam mir dann das mit dem Hegelplatz gerade recht.

Wärmestube

Ich habe jetzt über den Sommer eine ganze Zeitlang die Küche in der S.Wärmestube gemacht. Da habe ich dann die Küche gemacht gehabt, von mir aus. Der einzige Vorteil, den ich hatte, ich konnte abends ein bißchen Brot oder was mitnehmen. Einen Nebenverdienst hatte ich nicht. Man wurde ein bißchen abgelenkt. Mir ging das nicht mal um die Verantwortung, Hauptsache, ich hatte Beschäftigung gehabt. Ich wußte, wo ich den nächsten Tag hingehen kann, und daß ich was zu tun habe. Habe da Kaffee gekocht, Tee gekocht, und dann ausgegeben alles und so. Und dann habe ich einen Fehler gemacht. Da war dann Erntedank gewesen, und danach brachten die Kirchen alles, was sie in der Kirche ausgelegt hatten zum Erntedankfest, brachten den Scheiß da hin. Und da ich gleichzeitig eine Wurst in der Hand hatte, und zwei Körbe Birnen wegbringen mußte, habe ich die Wurst auf den Schrank gelegt und oben liegen lassen, auf dem Schrank oben und vergessen. Am nächsten Tag findet doch die B. die Wurst oben auf dem Schrank. Da dachte sie natürlich, ich will sie klauen.

Dann hat sie mir aus der Küche rausgeholt, ich solle mit in das Büro kommen. Ja, für mich wäre es besser, wenn ich die nächste Zeit nicht in der Küche wäre. "Na ist gut", sage ich, "erledigt! Bloß eins, wenn ich die Wurst hätte klauen wollen, hätte ich sie gestern eingepackt, dann hättest du sie erst gar nicht gesehen!" Da war ich auch sauer. Das habe ich auch gar nicht nötig gehabt. Wenn ich gesagt habe: "B., ich brauche mal irgendwas!", dann habe ich ja gekriegt. Sowas hätte sie auch normalerweise denken müssen. Ich sage: "Ist erledigt", sage ich, "gut, ich gehe nicht mehr in die Küche!" Da war ich weg von der Küche. Die hat mich direkt aus der Küche rausgeschmissen. Naja, ich habe es nicht tragisch genommen, andersherum, ich war nicht auf die S.Wärmestube angewiesen. Wenn ich Geld brauche, wie heute zum Beispiel, da finde ich immer was. Das war nicht, daß ich dadurch nicht überlebe. Bloß für mich war es eine miese Tour. Dann bin ich sowieso krank geworden, war ich 14 Tage nicht da gewesen, dann habe ich fast nur zu Hause im besetzten Haus, da habe ich ja nur im Bett gelegen, Erkältung bis zum geht nicht mehr, dann kam ich wieder hin, dann war B. nicht da. "Ach, Werner, läßt du dich auch mal wieder sehen?", hier C., der Sozialarbeiter, "Bist auch mal wieder da?" Da war ich gerade umgezogen in das neue rein, und da habe ich keinen Strom gehabt. Da sage ich: "Ich bin bloß gekommen", sage ich, "ich brauche mal eine Kerze, damit ich abends beim Ausziehen wenigstens Licht habe!" Hat er mir gegeben. Dann bin ich wieder mal hingegangen, aber wo ich das letzte Mal da war, war B. ja auch nicht da. Ich will jetzt noch mal hingehen, wenn B. da ist.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97