Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

WERNER

Lebenslage

Ich habe immer sowas wie Gelegenheitsjobs. Bei der Börse brauchst du mindestens einen Ausweis, sonst kannst du nicht arbeiten. Ich hänge ja hier im Prinzip ohne Ausweis, ohne alles.

Ich bin heute nicht allzu gut drauf jetzt. Da habe ich ja gerade zwei Stunden vorher zwei Stunden gearbeitet, Möbel geschleppt in den fünften Stock hoch, das hat gereicht gehabt. Wo ich im Warmen Otto war, da kamen die um zehn ungefähr in den Otto rein, Möbeltransporter, und sagten, sie brauchten drei kräftige Männer. Na, ich: "Hier! Wenn es um Geld geht", sage ich, "bin ich da!" Für zwei Stunden 35 Mark. Also 17 Mark 50 ist ein guter Preis, würde ich sagen.

Hegelplatz

Das wurde ja direkt geplant, die Besetzung hier, Seeling-Treff, K.H., Levetzowstraße, und da bin ich dann auch mit eingestiegen. Zum Anfang habe ich mir nicht allzu viel davon versprochen. Weil ich wieder anders gerechnet hatte, im Prinzip sind wir doch hier schon fast in der Bannmeile vom Reichstag. Da sage ich: "In dem Moment, wo wir uns da versammeln, räumen uns die Bullen weg!" Ich hatte vorher zu wenig zugehört. Ich wußte nicht gleichzeitig drei oder vier verschiedene Fernsehstationen da sind, Radiostationen, und die Presse auch dabei. In dem Moment, wo das aktuelle Ereignisse sind, die haben ja sogar das live übertragen von hier, stehen die ja oben unter Druck, da muß der Senat ja reagieren. Vor allem, wir sind ja nicht mit Gewalt hier reingegangen, wir sind ja friedlich gekommen. Die mußten ja reagieren, die können uns hier nicht so einfach rausschmeißen, geht nicht, weil wir zu viel Wirbel gemacht haben. Dann hatten wir erst den ersten Container hier aufgehabt, mehr war ja erst nicht. Dann sind die ersten 40 Mann hiergeblieben, die hier mit 15 Mann in einem Raum geschlafen. Ich habe gesagt: "Ich will hier keinen Platz wegnehmen, ich fahre nochmal zurück zu meinem Quartier!" Und dann so peu à peu wurden die nächsten zwei Container aufgemacht.

Das Diakonische Werk hat die Oberhoheit übernommen. Im Prinzip macht ja meistens K.H. Vertreter für die Sozialarbeiter. Aber im Prinzip ist hier Selbstverwaltung. Es gibt einen Sprecherrat, das sind drei oder vier Leute, die mit bei den Verhandlungen dabei sind. Weil die Sozialarbeiter sind normalerweise mal ein oder zwei Stunden hier. Ansonsten läuft das alles hier alleine, und verhältnismäßig gut. Wir auch eine Hausordnung, das war von vorneherein klar. Was verboten ist, sind Drogen. Sowie hier einer erwischt wird, daß braucht bloß Kiff sein, wenn ich dabei einen erwische, beziehungsweise, wenn hier einer erwischt wird, der fliegt sofort raus. Drogen ist total tabu. Wenn da einer erwischt wird, dann der hat noch eine Viertelstunde Zeit, dann muß er raus sein, ansonsten wird er rausgeprügelt. Alkohol? Nö, warum? Entschuldige bitte, jeder trinkt mal. Wir sind hier Selbstverwalter. Aber wir haben hier drin auch einen Wachdienst, der nachts durchgeht. Eigene Leute, die laufen in der Nacht durch, falls mal wirklich einer hier voll wie ein Amtmann kommt und vielleicht auf dem Bett einschlafen sollte. Denn, wenn die Dinger brennen, kommen wir nicht mehr raus, sind wir tot. Aber normalerweise ist Rauchverbot hier, weil die Container unheimlich brandgefährdet sind. Gut, heute ist letzter Tag, heute kiekt sowieso keiner mehr danach. Aber normalerweise, das wurde vorher eingehalten. Da haben sie hier draußen auf der Treppe geraucht, ist ja auch kein Problem. Kleine Streitereien gibt es immer mal. Gut, wir hatten auch schon welche bei, die hatten andere beklaut, gut, bei sowas... Aber schwerwiegende Probleme in dem Prinzip gab's hier noch nicht. Bis jetzt jedenfalls noch nicht. Das würde vielleicht welche geben, wenn wir wirklich bis zum März hier drin geblieben wären.

Der größte Teil ist jung, ich bin mit einer der älteren hier. Wir haben viele junge aus dem Osten, für die im Prinzip auch eine halbe Welt zusammengebrochen ist, die kommen nicht klar mit dem Neuen. Denn die haben ja vorher nie was von Arbeitslosigkeit oder sowas gehört oder erlebt. In der Ex-DDR, Arbeitslose gab es da nicht, Arbeit hast du immer gehabt, auch wenn du keine Arbeiten hattest. Die Wohnung, die Arbeit, das war gesichert zum Beispiel, die Unfall- und Krankenversicherung war auch gesichert. Man kann die Scheiß-DDR verdammen bis zum geht nicht mehr, aber ein paar Sachen waren noch gut, und die hätte man vielleicht, wenn das nicht so schnell gegangen wäre, ausgleichen beziehungsweise übernehmen können. Mir ging die ganze Wiedervereinigung zu schnell. Bloß ich verstehe eins nicht, daß alles verdammt wurde, was ja nun 40 Jahre gelaufen ist. Einiges war gut dabei. Wie ich mir das jetzt überlege, die Wiedervereinigung hätte vielleicht '93 oder '94 kommen können.

Zum Lachen hatten wir hier die letzten Tage nichts, weil wir damit rechnen mußten, wir werden geräumt, und wir wußten noch nicht, wohin? Gut, wir werden geräumt am Sonntag. Aber die haben ein Objekt gekriegt bis zum 1. Mai in der Rhinstraße. Das ist, kannst du sagen, fast die Grenze zwischen Lichtenberg und Marzahn. Da ist ein Objekt mit 1- und 2-Mann-Apartments, komplett eingerichtet, also in jeder abgeschlossenen Wohnung ist dann eine Küche, Bad und so eine kleine Sitzecke. Die haben die ja angeguckt, das ist ja wunderbar. Heute vormittag war wieder eine Versammlung gewesen, wir kriegen morgen Busse gestellt und LKWs, um unsere Sachen, die wir hier drin haben, dahinzubringen. Im Prinzip brauchen wir ja bloß mitnehmen das Bettzeug, alles andere ist ja da. Das ist 100%ig gesichert. Der Mietvertrag ist abgeschlossen, da hat das Diakonische Werk übernommen als Rechtsträger, zahlen tut hier - der Senat, oder beziehungsweise die Senatsfinanzdirektion. Die zahlt die Miete beziehungsweise das Grobe, was anfällt. Und wir dürfen bis zum 1. Mai drinbleiben. Das ist auch wichtig.

Bilanz

Wir haben mehr erreicht, als wir eigentlich erreichen wollten. Wir wollten eigentlich nur, daß wir hier drinbleiben dürfen, daß wir über den Winter kommen. Denn als Obdachloser liegst du auf der Straße, und du weißt ja nicht wohin mit der Zeit. Was habe ich denn vorher gemacht? Ich bin von einem besetzten Haus zum anderen gezogen. Ich liege auf der Straße! Ich habe nichts! Gut, manchmal ist dir wirklich so, da fragt man sich am Tage, komme ich überhaupt noch wieder? Gehst du wieder auf die Parkbank, beziehungsweise wieder in ein besetztes Haus rein, und dann ist gut? Bloß, andersrum, wir haben jetzt soviel erreicht, das kann nur so weitergemacht werden.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97