Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

5. Fotografien

Alle Fotos in dieser Arbeit wurden von Karin POWSER während ihres Besuchs in Berlin in der Zeit vom 6. - 16. Juli 1992 erstellt. Ein kleiner Teil dieser Fotos wurde bereits in ihrem Fotoheft "obdachlos - keine Gnade auf der Straße" (POWSER 1993) abgedruckt. Karin war selbst lange Jahre ihres Lebens wohnungslos und auf der Straße.[11] Seit 1984 hat Karin wieder eine Wohnung in Hannover, außerdem ist sie ehrenamtliche Mitarbeiterin im Kontaktladen "Mecki" seit dessen Gründung im April 1985. Der "Mecki" ist eine Anlaufstelle für Wohnungslose in der unterirdischen Fußgängerzone Passerelle unter dem Hauptbahnhof in Hannover, geöffnet für jeweils zwei Stunden zwischen 8:00 und 10:00 Uhr an einigen Vormittagen in der Woche. Karin besitzt wie die Sozialarbeiter einen Schlüssel und öffnet den Laden oft genug schon eine Stunde oder früher vor den offiziellen Öffnungszeiten auf eigene Verantwortung - Gäste und Besucher finden sich fast immer. Seit Februar 1986 beginnt sie wieder zu fotografieren.

"Daß man mir die Aufgabe gestellt hat, Fotodokumentationen über die Problematiken der Obdachlosen zu erstellen, hat wohl den Grund, daß ich schon früher, auch während meiner Obdachlosigkeit und Sauferei, viel fotografiert habe und auch mit einer einfachen Pocketkamera einige gute Aufnahmen gemacht habe. (...) Die Obdachlosen haben zu mir Vertrauen, sie wissen, daß ich keine Sensationsbilder für die Presse mache und auch kein Bulle Fotos von mir zu sehen bekommt."
(POWSER 1989a, S. 21 f).

Mit ihren Fotoarbeiten hat sie Erfolg. Das schlägt sich unter anderem nieder in zahlreichen Veröffentlichungen[12] und in vielen kleineren und größeren Ausstellungen in der Bundesrepublik[13] und bald auch im Ausland.

Karin sah ich das erste Mal auf dem von Willy DRUCKER organisierten "Kongress der Kunden, Berber, Obdach- und Besitzlosen" vom 19. - 22. Juni 1991 in Uelzen[14]. Als mir im Laufe des Verarbeitungsprozesses meiner Untersuchungsergebnisse der Projektarbeit immer klarer wurde, daß Fotos eine sinnvolle und wichtige Ergänzung der schriftlichen Darstellung sein könnten, rief ich sie eines Tages im Mai 1992 in Hannover im "Mecki" an. Ich erzählte ihr von meiner Projektarbeit und daß ich sie nach Berlin einladen wollte, um für mich Fotos zu machen. Karin erklärte sich spontan dazu bereit, obwohl ich ihr abgesehen von der Erstattung ihrer Kosten aus meinen Projektmitteln nur ein eher symbolisch zu nennendes Honorar zahlen konnte. Meine große Sorge, was da wohl alles auf mich zukommen würde, wenn eine ehemalige "Pennerin" in meiner Wohnung wohnen würde - weil es sich gerade so ergab und weil es die bei weitem kostengünstigste Variante der Unterbringung war, bot ich ihr das an: Karin hätte sonst womöglich in Berlin irgendwo "Platte gemacht" - lösten sich bald in Wohlgefallen auf. Ihr Besuch in Berlin war für mich eine großartige Zeit und der Beginn einer wichtigen Bekanntschaft. Die Erarbeitung der Fotos war nicht ein bloßes Abfotografieren, sondern gleichsam eine neue Untersuchung, ein eigenes Projekt. Ausgehend von gemeinsamen Bekannten vom Kongress in Uelzen, die wir besuchten, fuhren wir in den folgenden Tagen kreuz und quer in der Stadt umher, besuchten Einrichtungen und Angebote für Wohnungslose sowie Projekte, gingen Straßen und Plätze auf und ab auf der Suche nach GesprächspartnerInnen, trafen liebe alte Bekannte wieder, lernten neue und liebenswerte Menschen kennen. Wir redeten, sprachen, fragten, diskutierten, bis uns der Mund trocken war, wir verweilten, tranken Kaffee und rauchten die eine oder andere Zigarette, und Karin fotografierte zudem noch unermüdlich. Zwischendurch holten wir im Fotoladen die ersten Kontaktabzüge ihrer Filme vom Tag zuvor ab, die wir dann sofort im Cafe oder abends zuhause mit Lupe in Augenschein nahmen, um abschätzen zu können, wie die Fotos geworden waren. Und während ich am nächsten Morgen gegen halb neun Uhr Mühe hatte aus den Federn zu kommen, war Karin schon lange Zeit wach, hatte die Stunden genutzt, Kaffee gekocht, Zeitung gelesen, Korrespondenz erledigt, Nachrichten gehört, gelesen und war schon lange fertig, wieder aufzubrechen, um neue Fotos zu schießen. Die Fotos, die für eine Veröffentlichung im Frage kamen, suchten wir später in Hannover gemeinsam aus. Nahezu 200 Fotos waren verwendbar, und daraus eine übersichtliche Auswahl für diese Arbeit zu treffen, war keine leichte Aufgabe. Karin ließ mir dabei weitgehend freie Hand. Seit dieser Zeit ist unser Kontakt nicht abgebrochen - und dafür bin ich dankbar. Es war unter anderem Karin, die immer wieder nachfragte und drängelte, wann ich denn soweit sei mit meiner Arbeit. Ich mußte sie immer wieder vertrösten. Nun endlich kann ich sie vorlegen.

Ich möchte Karin danken für ihr Engagement und für ihre Geduld! Mit ihren Fotos kann sie etwas zeigen, was mit Worten allein nicht zu sagen ist.

Nicht alle auf den Fotos abgebildeten Personen sind wohnungslos, sie könnten es sein. Die Zuordnung der Fotos zum Text folgt systematischen Kriterien, die Fotos dienen der Erläuterung des Gesagten, sie sind gemeint als Zitat und nicht als Illustration, die darauf abgebildeten Personen sind nahezu durchgängig nicht identisch mit den Personen, die in meinen Falldarstellungen in dieser Arbeit zu Wort kommen. Der Fotonachweis am Ende der Arbeit dokumentiert den Entstehungsort und das Datum der Fotos.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97