Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

HERBERT

HERBERT ist 50 Jahre alt, geboren im Stadtteil Moabit, Bezirk Tiergarten im Westteil Berlins.

Biografie

Kindheit - Wäscheaustragen

Mein Vater war Schneidermeister, meine Mutter Konfektionsschneiderin. Die haben sich beide in der Schneiderei kennengelernt. Die haben immer bei Juden gearbeitet damals. Mutter hat auch immer die Juden versteckt gehabt. Mutter war noch nicht verheiratet, die hat dann noch Ferntrauung eingereicht. Meinen Vater kenne ich nur vom Bild, der ist ja nicht mehr aus dem Krieg gekommen. Ich bin '41er Jahrgang, großgeworden mitten im Krieg. - Kohldampf habe ich ja früher immer geschoben in der Nachkriegszeit. Da gab's ja nichts groß, das ist ja klar. Dann hat Mutter Arbeit gekriegt, dann ging es etwas aufwärts. Da hat sie mir erstmal ein neues Federbett gekauft. Auf eine Art konnte Mutter uns immer über Wasser halten, weil ich Halbwaisenrente gekriegt habe. - Was ich immer gemacht habe, Mittwoch, wenn Schule war, hatten wir ab zehn immer Gottesdienst. Da war ich immer verschwunden, weil mein Bruder hier um die Ecke in der B.Straße jahrelang gearbeitet hat. Mittwochs mußte ich dann immer mit ihm mitlaufen, und er ist dann vögeln gegangen. Ich also die Karre geschoben, damals nicht mit Auto, durch Schnee und Wind, Handtücher vertragen. Aber das war ja auch mein Taschengeld bei den Kunden, die kannten mich ja mittlerweile. Mein Weihnachtsgeld, mein Obst, meine Äpfel habe ich immer gekriegt, irgendwas habe ich immer gekriegt, auch mal 'ne Tafel Schokolade oder sonstwas. Hinterher haben wir dann abgerechnet, die Karten, wer bezahlt hat, wer nicht bezahlt hat. Aber ich hab' ja mein Gutes davon gehabt. Er hat mir ja auch noch Geld gegeben, nicht bloß die Kunden.

Vormundschaft

Wie sich das mit meinem Vormund zusammensetzt, weiß ich nicht genau, aber der hat über das Geld verfügt. Mutter hat bloß die 72 Mark gekriegt und das war ja mehr, ein Drittel haben sie gespart, das habe ich dann zum 21. Lebensjahr rausgekriegt. Wenn wir mal Sachen brauchten, dann brauchte Mutter bloß ins Jugendamt zum Vormund gehen, einen Sachenantrag machen. Oder wenn ich mal verschickt wurde, dann hat sie es von der Rücknahme, also was das Ersparte war, genommen für die Reise, ein bißchen Geld und so extra.

Lehrzeit

Dann bin ich in die Lehre gegangen bei der G.Bauschlosserei, Bau- und Kunstschlosser. Dann habe ich 42 Mark Lehrlingsbeihilfe gekommen und die Halbwaisenrente und meinen Lohn. Dann wollte ich nach zweieinhalb Jahren die Lehre schmeißen, weil ich Schiß vor der Prüfung hatte. Da hat meine Mutter gesagt: "Wenn du die Lehre schmeißt, kommst du ins Heim!" Und die hat Tatsache ernst gemacht. Sagt sie: "Wenn ich von Arbeit komme, gehen wir zum Vormund, und dann werde ich denen das klar machen!" Also sie mit mir rein bei meinem Vormund, da sagt der: "Lassen Sie mich mal mit Ihrem Sohn reden." Er drinnen ganz cool, und das hat mir Auftrieb gegeben. Sagt er: "Du hast deine Halbwaisenrente, du hast deine Lehrlingsbeihilfe und du hast deinen Lehrlingslohn. Überlege dir mal, was das ist? Da kommst du entschieden besser bei weg, als wenn du die Lehre schmeißt. Wenn du Angst hast vor der Prüfung", und das habe ich ihm ja ehrlich eingestanden, weil ich mit dem Fachrechnen nicht so war, "dann schicke dich auf die B.Straße, und da hast du Nachhilfeunterricht!" Also auf der Abendschule. Ich auch gemacht, hingegangen. Und das war meine Rettung.

Freisprechung

Dann mußte ich mit 21 nachher zur Freisprechung, dann ist das passiert mit meiner Mutter. Ich war gerade 21, da ist Mutter gestorben. Und jetzt hat sich doch meine Keule, 14 Tage bevor meine Mutter starb, das Leben genommen. Hat aber immer für Mutter die Rente abgeholt. Jetzt hat er aber die Miete nicht bezahlt von Mutters Wohnung. Ich habe ja schon mein Junggesellenzimmer gehabt. Und mein Bruder, der älteste, der hat die Miete versoffen. Der andere Bruder war schon lange in Amerika. Und nun waren Mietschulden da. Und ich bin der Erbe. Was ich erbe, erbe ich auch an Schulden. Also ich mußte praktisch die Miete nachzahlen. Habe ich auch gemacht, aber nicht mit einem Mal, ich kannte ja nun den Hausverwalter, also habe ich mich mit ihm geeinigt, daß ich wöchentlich 30 Mark abzahle. Habe ich auch geschafft. So ein Vierteljahr später ging das mit meiner ersten Verlobten aus.

Tanzboden

Da war ich drei Tage im Knast. Das war Jugendstrafe gewesen. Ich habe bloß Holz aus dem Gelände geholt, ich dachte, das ist eine alte Laube, weil ich gerne Laubsägearbeiten gemacht habe. Und da hat mich einer bei erwischt, das war Hausfriedensbruch. Aber das habe ich doch nicht gewußt damals. Meine Verlobte war tanzen gegangen. Sie ist gerne tanzen gegangen, ich auch, wir waren ja jeden Abend auf dem Tanzboden, ich habe ihr das Tanzen ja beigebracht. Gut, sie ist tanzen gegangen, da hat sie einen anderen kennengelernt in den drei Tagen, wie das manchmal so ist. Den hat sie auch geheiratet, bei dem ist sie in Westdeutschland, der hat ein Häuschen drüben. Also sie hat eine ganz gute Partie gehabt, gönne ich ihr auch. Aber ich stand erstmal Kopf: Mein Bruder weg, Mutter weg, Verlobte weg. Dann fing ich erstmal eine Zeit lang an zu saufen. Dann habe ich noch ein Kumpel, der war noch 17, den hat seine Mutter rausgeschmissen, bei mir aufgenommen. Und wir beide haben nun immer getagt. Ich war zufrieden, ich war nicht alleine. Ich bin mit ihm astrein ausgekommen.

Ehe

Und dann habe ich aber durch Zufall, weil die in meiner Straße gewohnt hat, meine Frau kennengelernt. Ein Auge habe ich schon immer auf ihr gehabt, obwohl ich noch mit meiner ersten Verlobten zusammen war. Sie wollte erst nicht, jedenfalls habe ich sie doch rumgekriegt, ich hab's geschafft, also wir sind dann zusammengeblieben. Genau auf meinem Geburtstag kommt Schwiegermutter - Schwiegermutter in spe war sie ja noch - rüber und sagt: "Wie denkst du dir das eigentlich nun? Willst du nicht heiraten?" Und ich dachte dann: "Ach, bist ja sowieso alleine!" Ich sage: "Ja!" Also wir waren 6 Jahre verheiratet. Das erste Vierteljahr bin ich nun jede Nacht unterwegs gewesen. Ich komme rauf, ich sage: "Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß wir verheiratet sind."- "Nee," sagt sie, "ich auch noch nicht!" Jedenfalls konnten wir nachher ja nicht mit dem Kind in der kleinen Buchte bleiben, dann ist Schwiegermutter wegen Wohnung rumgefahren. Da hat sie was gehört und wir haben auch 'ne Bude gekriegt, gleich wieder in Moabit.

Dann hat sie einmal rausgekriegt, daß ich einmal fremdgegangen war. Da hat sie noch drüber hinweg gekiekt. Aber ich bin ja nun so'n Luftikus, ich ticke auf dem Schreibtisch auf meinen Globus, ich sage: "Ich fahre nach Holland!" Meine Frau wußte von gar nichts. Ich nach Holland, für 14 Tage, ich weiß nicht mehr, wie lange. Komme ich wieder, da hat Schwiegermutter meine Frau schon aufgewiegelt: "Der wird doch wieder da drüben fremdgehen und alles so 'ne Scheiße! Mann! Und was ist denn das?" Sie hat ja auch nichts gesagt. Ich sage: "Tobst du denn gar nicht?" Sagt sie: "Was soll ich denn bei dir toben? Du machst doch sowieso, was du willst. Das bringt doch gar nichts." So, das war ja nicht das schlimmste. Nach einer Weile, ich wieder weg in Hamburg, nur um eine Tasse Kaffee zu trinken. Mit meinem Kumpel, der hat sich einen VW gekauft gehabt, der bei mir gewohnt hatte. Auf einmal kriegt sie eine Karte aus Köln. Wir sind einfach abgehauen, die wußte von gar nichts.

Aber mittlerweile Wochenende, ich natürlich auch runter, einen genommen. Sagt sie: "Du brauchst dir keine Ausrede einfallen zu lassen, wenn du einen saufen gehen willst, geh!" Und meine Frau hat nun gar nicht getrunken. Und dann habe ich sie doch überredet, daß sie mitkommt in mein Stammlokal. Aber das wurde mir zu teuer. Die hat nur am Spielautomaten gestanden, das Geld ging schneller weg, als ich gesoffen habe. Dann habe ich aber nicht mehr gesagt: "Komm mit!" Ich war ja mehr mit Kumpels unterwegs als wie zu Hause. Da sagt sie: "Herbert, ich weiß nicht, ich glaube, wir haben uns auseinandergelebt. Wollen wir uns nicht scheiden lassen?" Ich sage: "Ich glaube auch, das ist wohl das Beste. Ich werde nie ein Ehemann werden!" - "Ja!", sagt sie. "Du hast dir auch die größte Mühe gegeben. Und wenn du kein Geld hattest, warst du der netteste, liebste Kerl. Du warst auch ein guter Liebhaber. Aber das haut nicht hin. So geht das nicht mit uns hier!" Da hat sie schon ein bißchen Verstand gekriegt, die war ja 17 erst auch, wo wir geheiratet haben, das mußt du dir vorstellen. Wenn ich einen Zug klappern höre im Sommer, dann kriege ich Fernweh. Dann muß ich raus. Das war es ja auch, weswegen ich so ruhmlos in der Ehe war. Ich habe mich ja so mit meiner Frau verstanden, wir haben uns nie über Geld oder irgendwas gestritten. Und übers saufen auch nicht. Die hat gesagt: "Laß ihn doch saufen. Ich habe meine Ruhe hier oben! Ist mir doch egal!"

Scheidung - Holland

Während der Scheidung denke ich: "Jetzt haust du ab. Aber für immer!" Ich kaufe mir eine Karte nach Hannover, mehr Geld hatte ich nicht, "Hauptsache, daß du erstmal durch den Osten bist!" Ich also im Zug, jetzt ein Abteil weiter, ich kieke rein, da sitzen fünf Mann drin und saufen. Das war ja schon wieder was für mich. Ob ich vom Bau bin, fragt er mich der eine. Fragt der mich: "Willst du nicht bei uns anfangen?" Ich sage: "Wo ist denn das?" Da sagt er: "In Holland, Stahlhochbau!" Da habe ich ja nun überhaupt keine Ahnung. Da sagt er: "Du sollst ja bloß Schweißen!" Ich sage: "Ich habe doch nur bis Hannover bezahlt." Da sagt er: "Den Rest zahlen wir dir zu!" Ich sage: "Das hört sich ganz gut an, ich komme mit!" Ich wollte ja sowieso weg. Er hat den Nachbetrag bezahlt und alles. Nachher mußte ich nur die Kaninchen füttern. Die haben geackert, und ich mußte unten die Kaninchen füttern den ganzen Tag, habe aber das gleiche Geld gekriegt, weil der Schieber gesagt hat, der hat was los gehabt: "Du bist mein Maskottchen, du fütterst unten die Kaninchen!" Im Hotel waren wir vier Mann gewesen, und wir konnten auch Frauen mitbringen. Einer hat ja immer nur angeschleppt. Und natürlich gesoffen. Aber war gut. Da hast du Frühstück gehabt, auch Mittag gehabt, wenn du von der Arbeit kamst abends. Ja schade, da bin ich bloß drei Wochen geblieben. Ich war ja blöde, ich schreibe meiner Ollen auch noch aus Holland. Da war ich ja in Scheidung, und ihr Anwalt bloß: "Böswillig verlassen!" Und ich Idiot fahre zurück, ich hätte noch dableiben können, ich wäre auch in Abwesenheit geschieden worden. Dann wäre ich eben schuldig geschieden worden, das ist doch scheißegal, ob halbe-halbe oder schuldig. Da habe ich einen Fehler gemacht, da hätte ich bleiben sollen.

Die Scheidung hat sich bald ein halbes Jahr hingezogen, jedenfalls kurz nach Silvester '71 bin ich geschieden worden. Jetzt kommt mein Drama, ich alleine. Ich bei der Schultheiss-Betriebsschlosserei[13] gearbeitet, da war ich schon von der G.Bauschlosserei weg. Erstmal hast du ja Freibier gekriegt, da habe ich nie verschlafen, beim Frühstück schon wegen dem halben Liter. Da konntest du schon Bier trinken, aber das hat ja nun nicht gereicht. Jetzt im Schweißraum stand immer eine Pulle im Kühlschrank. So, wenn der Schnaps aber alle war, mußte ich raus, ich wieder neu geholt. Das hat ja nicht gereicht, dann abends ging das noch weiter. Dann rein in die Kantine und wieder Freibier.

Wohnungslosigkeit

Da haben wir doch alle 14 Tage Deputat gekriegt, also einen Kasten Bier. Offiziell. Nach Hause transportieren mußt du alleine. Aber irgendeinem Fahrer kannst du immer sagen: "Nimm mal mit!" Und dann zu Hause, ich den Fernseher eingeschaltet, Radio eingeschaltet, nur damit Leben in der Bude ist. Weil ja die Olle weg war. Das hat ja nicht gereicht. Da standen sechs Kästen Bier oben. Ja, aber keinen zum Quatschen. Ich habe alles jubeln lassen da oben, gehe runter in die Kneipe gerade rüber - die ist ja nicht mehr, ist ja ein Neubau jetzt - ich sage: "Mutter!", das war die Wirtin, da habe ich immer Mutter gesagt. "Schreibe mir mal bloß was an!" Damit ich einen zum Quatschen hatte. Nun kannte ich die alle da drin. So ging das los. Ich da nun wieder noch weiter gesoffen. Oben stand das ganze Bier, und unten habe ich getrunken. Da kannst du sehen, was ich für 'ne Macke hatte. Mir war wichtig, daß ich Konversation betreiben konnte. Die Umstellung. Das ging ja auch alles ganz gut mit denen. Dann habe ich gewisse Kumpels kennengelernt, dann fing das an. Praktisch nur gesoffen, nur gesoffen, zwar arbeiten gegangen, aber Lohn versoffen, alles. Gepumpt in den Kneipen. - Ich habe ja bald fünf Jahre zu tun gehabt, um das wieder geradezubiegen. - Dann bin ich bei Schultheiss geflogen, weil ich ein paar Mal verschlafen habe und nicht gegangen bin, und weil ich besoffen war. Und jetzt ging das los, Geld gekriegt, jetzt: Zahlst du nächsten Monat die Miete? Sonst kommst du nicht hin! - Doch? - Ja! - Nächsten Monat zwei Mieten? - Mensch, Scheiße! - Ich unten im Schuhmacherladen Bescheid gesagt, das war auch so eine Art Treuhänder für die Mieten, ich sage: "Können Sie mir die Miete nochmal stunden? Ich mache das im dritten Monat. Ich werde sehen, daß ich bis dahin das Geld zusammen habe." Der dritte Monat kam auch - wieder kein Geld. Also bin ich praktisch exmittiert worden. Jetzt habe ich die ganzen Möbel für'n Appel und 'n Ei verschleudert, nun hatte ich ja gleich wieder Geld, nun ging das wieder weiter. Und dann ein paar Kumpels kennengelernt, da war ich erstmal in den gewissen Kreisen drinne. Da ging das los, Bude los, alles los: "Naja, gehen wir doch da auf Platte, gehen wir da auf Platte!", und seitdem mache ich das mit der Platte.

Unterhalt - Arbeit - Arbeitsamt

Ich habe zwei Söhne. Der Älteste ist ja schon 27, da brauche ich nicht mehr zahlen. Der Jüngere, da hatte ich zwischendurch mal wieder eine, die P. so dreieinhalb Jahre, mit der habe ich auch noch mal nach 10 Jahren angesetzt, ich Idiot. Der wird jetzt im November 18, der ist in Westdeutschland. Dann ist das auch erstmal abgelaufen. Dann brauche ich wenigstens nicht mehr wegen der Scheiße in Knast. Bloß ich habe das mit der Unterstützung immer im Sande verlaufen lassen, ich habe immer gedacht, die können mich mal.

Nach Schultheiss habe ich auch schwarz gearbeitet. Das war dann schon in den 80er Jahren. Und sonst höchstens über die Börse[14], beim Schnelldienst. Aber fest habe ich eigentlich nicht gearbeitet. Es ist ja schwierig, was zu kriegen. Dann mußte ich aufs Arbeitsamt den Arbeitslosenantrag beantragen, sonst hätte ich hier nichts gekriegt. Dann sagt der: "Wo kommst du denn wieder her?" Ich sage: "Wieder aus dem Knast!" Sagt er: "Na, du bist gelernter Bau- und Kunstschlosser und hast mittlere Reife." Ich stutze. Mittlere Reife? Habe aber nichts gesagt. Ich gehe raus mit so einer Brust. Ich habe doch nicht gewußt, daß die Abendschule, weil das abgeschlossen war, als mittlere Reife gilt. Aber bevor ich draußen war, sagt er noch: "Willst du denn arbeiten, oder wollen wir es so belassen?" Ich sage: "Belassen wir das so, ich habe noch ein kleines Nachholungsbedürfnis!" Es war auch gerade Sommer. Ich sage: "Ich will mich auch noch mal ein bißchen amüsieren!" - "Naja!", sagt er, "Belassen wir es so." Da habe ich alle Vierteljahre einen Meldetermin gehabt, das ging ja dann schon.

Gleise, Brücken - Kumpels, Diebstahl

Zu der Zeit war ich aber noch bei H. Dann hat er mich wieder mal rausgeschmissen, dann bin ich gerade rüber in die L.Straße an die S-Bahn-Gleise. Und drüben ist doch DDR, und auf der anderen Seite ist Westen. Also ist es neutrales Gelände. Da darf unsere Polizei nicht rauf, und die von drüben dürfen da auch nicht rauf. Das war vor der Wende. Und ich einfach eine Decke, und wenn das nachts geregnet hat, dann einfach eine Plastikplane rüber, dann ist dir ja nichts passiert. Stand ja alles auf dem Gelände rum damals. Ich bin dann immer auf den Hof, da ist auch eine Wasserleitung mit einem Hahn. Habe ich mir einen Eimer besorgt vom Imbiß nebenan, und dann habe ich mich im Sommer da hingesetzt, schön braun werden lassen, die Beine in den Eimer mit Wasser. Habe mich von oben bis unten abgeseift, einfach da unten ausgezogen da, und dann sind da die großen Reklameschilder, da habe ich mich hintergestellt, das sieht ja keiner. Und drüben die vom Osten haben mich gar nicht interessiert.

Bei S.M. war ich auch ein paar Mal oben. Und wieder raus und wieder rein. Da haben wir uns wieder mal in der Wolle gehabt, aber wir sind beide sture Böcke. Und wenn wir angeschossen sind, dann geht es immer rund mit uns. Dann drückt der mir wieder meine Tasche in die Hand und sagt: "Dann kannst du gehen! Hat sich erledigt!" Und wenn ich ihn dann hier in der Markthalle treffe, wenn er mal einkaufen geht, zu saufen holt der ja auch immer, dann gehe ich wieder mit. Dann habe ich da erstmal gesessen. Und dann habe ich geknobelt: "Was machst du, wo gehst du zuerst hin? Wo kriegst du Schnaps her?" Das ist immer der erste Gedanke beim Berber. Ich losmarschiert. Naja, wo natürlich hin? Hier Markthalle, S.Platz, ich kenne ja die ganzen Ecken, wo sie immer alle sitzen.

Ich sitze mit den Kumpels, das liegt jetzt auch schon zwei Jahre zurück, das war im Sommer. Ich hatte Geld gekriegt, schicke die los, Schnaps holen. Das ist mit Lodsch[15] auch, schicke die Schnaps holen. Kommen auch immer wieder mit dem Schnaps, wa. Jetzt kommt olle W.M., der wohnt auch in der L.Straße, und sagt er: "Herbert, willst du einen Cassettenrecorder mit Fernseher kaufen?" Ich sage: "Na, was soll denn der kosten?" "Ja!", sagt er, "einen Hunni mußt du mir schon geben!" Ich sage: "Habe ich ja gar nicht mehr!" Ich sage: "Kann ich dir jetzt 50 geben!", sage ich, "Und nächste Woche, wenn ich Geld kriege, wieder 50?" - "Ja!", sagt der, "Mache ich. Ist in Ordnung. Bei dir weiß ich ja, ich kriege es." Also, ich habe das schöne Ding genommen, weil wir keinen Strom oben hatten bei H., ging alles auf Batterie, das war ja gerade das wertvolle daran. Ich freue mich, daß ich das Ding habe, spüle dem den Hals aus, schicke die Stoff holen nach Lodsch. Wie ich besoffen wach werde, Portemonnaie weg, Radio weg, Ausweis weg. Haben mich die eigenen Kumpels beklaut. Das war wirklich fies. Aber vorher spülst du ihnen noch den Hals aus. Das Geld war natürlich auch weg. Ein Glück, daß ich das Ding noch gekauft habe, bloß, das Radio war weg. - Beklaut bin ich reichlich worden, so auf Platte und so überall, da ist reichlich weggekommen. Mir haben sie Schuhe unterm Schlafsack weggeklaut, an der F.Brücke, da habe ich auf der Bank am Kanal gepennt. Und als ich an der F.Brücke gepennt habe am Wasser, habe ich, da ist doch an der Brücke so ein bißchen Beton vergossen, und da ist 'ne Unterhöhlung. Da habe ich meine Tasche dann am Tag immer reingeschoben, und den Schlafsack, daß ich das nicht immer mitschleppen mußte. Und ein paar Badelatschen, ja. Ich komme an, das ist weg. Da muß mich einer beobachtet haben. Alles weg. Alles neu drin gewesen. Da war ich natürlich auch ein bißchen verknatscht. Da war ich gar nicht mehr gut gelaunt. Ach was, wie oft haben sie mich beklaut!

Anrudern

Anrudern habe ich mal versucht im Suff. Ich denke, du kannst ja nicht überall was verkehrt machen, du mußt ja mal was zulernen. Ist mir aus geglückt. Aber höher wie ein Zehner bin ich nicht gekommen. Das liegt mir nicht. Ich habe da Komplexe. Ich halte mich lieber an die Stellen, wo ich immer meine Schulden bezahle, wo ich dann pumpen kann, dann brauche ich auch keine Not leiden im Prinzip. Da habe ich nicht das Talent. Ich habe das mal ergründet. Ich habe mal versucht, einen Drücker für Zeitschriften zu machen. Ich habe eine platte Nase gehabt, wie sie mir die Türen vor der Nase zugeknallt haben. Ich habe nicht einen Schein gemacht. Mein Paßmann, der mich angelernt hat, der hat reichlich gemacht. Aber was wir gemacht haben, Rente gekriegt. Das ist verboten, aber die Leute werden dann auch angebettelt, damit sie dich loswerden. Der gibt eine Mark, der gibt zwei Mark, der gibt einen 50er, der andere gibt 30 Pfennige, und das so'n Tag übereinander, was denkst du, was da zusammenkommt? Das nennen sie Rente, die Drücker. Ist verboten vom Chef normalerweise. Ich war ja bloß drei Wochen mit, dann habe ich die Schnauze voll gehabt. Treppauf, treppab, du kommst dir vor wie der letzte Bettler. Und dadurch liegt mir das nicht, das hat mich vergrault, das ist nicht meine Welt. Außerdem habe ich auch viele Kumpels hier, wo ich sagen kann: "Gib mir doch mal!" Du hast ja gesehen, wie vorhin der mir was geschenkt hatte. Das geht immer noch. Ich brauche ja nicht am Tag 30 oder 50 Mark. Ich bin ja gelinde. Essen haben sie mir heute auch gegeben, nun habe ich meinen Flachmann, so komme ich doch gut über die Runden. Vor allen Dingen komme ich übers Wochenende. Morgen kann ich wieder in Warmen Otto gehen, Stullen abholen, dann fahre ich Wrangelstraße Mittag essen anschließend, da habe ich doch keinen Hunger!

Gefährliche Spiele

W. ist damals immer mit uns am Zoo Betteln gegangen. Damals war das noch verboten, und ich habe da Wache geschoben, bis die Bullen kommen. In der Stunde hat der 120 Mark manchmal gemacht. Ist Tatsache. Abends natürlich...[16], - ist doch klar. Da sagen die zu mir, besoffen alle: "Los, hoch, stell dich auf den Tisch! Wir hängen die Schlinge oben an." Da hing mal eine Lampe dran, da war der Haken noch. Und das war so ein wackliger Dreieckstisch mit drei Beinen bloß, und der war schon wacklig. Und die hatten tatsächlich ein Seil bei, die Idioten. Ich stelle mich natürlich rauf, und die legen mir die Schlinge um. Wenn ich gezittert hätte, dann wäre das Ding zusammengesackt, dann hätte ich wirklich gebaumelt. So eine Scheiße haben die gemacht. Dann haben sie mir die Schlinge natürlich wieder abgemacht. Die wollten bloß sehen, ob ich den Mut habe. Aber das hätte schiefgehen können, dann hätte ich wirklich gebaumelt. Heute lache ich drüber, aber da habe ich ja doch geschwitzt.

Frankreich - Platte - Polizei

Dann war ich in Frankreich gewesen sieben Wochen auf Autostop mit einer Mark 35, das war 1989. Gut, und das ging mir gut da. Ich habe da auch paar Clochards kennengelernt, bin ja auch einer im gewissen Sinne, also im klaren Deutsch: Penner. Als ich wieder in Berlin war, bin ich am nächsten Morgen los, mein Gepäck habe ich oben auf der Platte gelassen, ich wußte ja, da kommt nichts weg. Ich in die S.Straße, das ist da für Haftentlassene, die können ein Vierteljahr wohnen, und wenn sie Glück haben, wird es nochmal um ein Vierteljahr verlängert, bis sie sich etwas anderes gesucht haben, so eine Überbrückung. Und da treffe ich W., wir kannten uns noch vom Knast, und über ihn habe ich olle E. kennengelernt. Ich sage: "E., was mache ich denn bloß? Bei B. kann ich nicht mehr bleiben!" - "Mensch!", sagt er. "Du kommst bei mir mit auf Platte." Ich sage: "Wo ist denn das?" - "Na neben dem Warmen Otto!", sagt er. Das war im Keller. Erst habe ich bei ihm mitgepennt, weil ich keine Matratze, nichts drin hatte. Jetzt war aber noch die andere Seite frei, da habe ich mir das Ding eingerichtet, da stand ein Wandschrank drin, dann habe ich mir aus den anderen Kellern drei alte Teppiche übereinander reingelegt und eine Federkernmatratze. Dann habe ich Schlösser gekauft, daß wir, wenn wir gehen, abschließen können. Wir konnten unsere Sachen da mit runter nehmen, konnten uns umziehen. Und dann habe ich das Fenster verkleidet, weil Winter war, war ja schon unter Null, also das war warm. Ich hatte massive Wände rechts und links, nur vorne war der Bretterverschlag. Natürlich überall Decken vorgehangen und dicht gemacht. Also, ich habe da unten nicht gefroren. Dann habe ich ein imitiertes Bärenfell gefunden, habe ich schön aufs Bett gelegt, also ich habe geschlafen wie ein Wicht.

Das ging über ein Jahr lang gut. Einmal kam die Polizei. Da kamen die Handwerker, und einer von uns beiden muß geschnarcht haben. Ich sehe bloß ein Feuerzeug blinken. Es dauert nicht lange, eine Viertelstunde: Stablampen. Ich denke, was ist das hier für ein Licht, was ist denn los? "Ja, was machen Sie denn hier? Das sieht ja aus wie eine Wohnung!" Ich sage: "Meine Braut hat mich rausgeschmissen, und ich bin hierher gegangen, ich habe das hier gefunden, da habe ich mich hingelegt. Wo soll ich denn hin in der Kälte?" - "Naja!", sagt der, "Haben Sie einen Ausweis?" Ich sage: "Ja. Gemeldet bin ich ja immer pro forma!" Er schmeißt mir den Ausweis wieder auf den Bauch, er hat schon draußen durchgefunkt, war nichts offen bei mir. "Wohnt hier noch einer?" Ich sage: "Nein." Na gut, ich mußte mit nach vorne, jetzt steht der Hausbesitzer da Der junge läuft nochmal los mit seiner Stablampe, der war mißtrauisch: "Hier ist ja noch einer!" Und E. kommt raus mit einem Jackett überm Arm und einer Bierpulle in der Hand. Und das ist das erste Mal, wo ich mich verquatscht habe. Ich sage: "E., gib mir mal einen Schluck ab!" - "Ach, Sie kennen sich ja doch? Ja, dann kommt mal beide mit raus." Also wir raus, dann haben sie E. überprüft, ob der was offen hat, aber er hatte nichts. Jetzt war der Ältere aber pfiffig, sagt zu dem Hausbesitzer: "Wie können Sie denn auch, die Kellertür ist ja gar nicht oben abschließbar. Das müssen Sie aber machen lassen! Das ist unter Null, wo sollen denn die Kerle hin?" Und der Junge wieder: "Wollen Sie Anzeige wegen Hausfriedensbruch machen?" - "Nein!", sagt der Hausbesitzer, "Da nehme ich Abstand von." Der war cool. Da sagt der Ältere: "Habt ihr unten noch was vergessen?" Der Hausbesitzer war schon gegangen. "Mensch!", sagt E., "Mein Pullover!" Ich sage: "Mensch!", sage ich, "Ich habe auch meinen Pullover vergessen, ist ja so kalt!" Schnee lag draußen, ziemlich hoch. Also wir wieder runter, legen uns hin und haben weitergekokst.

Presse

Dann ging es wieder eine ganze Weile weiter. Einen Tag geht die Tür wieder auf, von innen konnte ich ja nicht abschließen, da kommen zwei rein. Ich denke: "Schon wieder Kripo, was ist denn nun los?" - "Nein, nein!", sagt der, "wir sind nicht von der Kripo, wir sind von der Presse." Dann zeigt der mir den Presseausweis, sagt er: "Dürfen wir Sie mal interviewen?" Ich sage: "Warum denn nicht?" Sagt er: "Das sieht ja auch aus wie eine Wohnung hier." Ich jedenfalls ein Interview abgegeben. Sagt er, wie lange ich das hier schon mache. Ich sage: "Ein Jahr hier unten." - "Sagt denn hier keiner was?" Ich sage: "Nein, das ist schon so stillschweigend geduldet!" - "Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?" Ich sage: "Seit meiner Scheidung mache ich Platte!", so wie ich jetzt das insgesamt so bei dir gesagt habe, und so und so. "Naja!", sagt er, "Wie stellen Sie sich denn den nächsten Sommer vor?" Ich sage: "Ich möchte wieder nach Frankreich, weil ich kenne das jetzt schon ein bißchen!" Also bla bla bla, jedenfalls gibt er mir zehn Mark. Ich wollte sie gar nicht annehmen, dann habe ich gedacht, die Markthalle ist nicht weit, nimm mal lieber, dann kannst du dir noch einen genehmigen, falls die Pulle alle ist. Ist gut, ich nehme die zehn Mark.

Nächsten Tag, ich komme in die Halle rein: "Na, du Schauspieler!" Ich habe doch gar nicht mehr an die Reporter gedacht. Ich stehe an dem Glaskasten in der Halle, auf einmal kommt einer vorbei, drückt mir fünf Mark in die Hand. Ich stehe eine Weile, hole mir einen Flachmann, stelle mich wieder an den Schaukasten ran, nehme erstmal einen Hieb, kommt der nächste ran, gibt mir zwei Mark. Ich sage: "Was ist denn in euch gefahren?" Ich gehe an den Weinstand: "Du bist ja berühmt, du Schauspieler!" Da stand ich schon in der Zeitung. Und der nächste kommt mit der Zeitung in der Hand, hat schon den Ausschnitt ausgeschnitten und drückt mir den in die Hand. Da stand das alles drin. Und in der Abendschau war ich auch, aber das erst an dem Tag, wo die Zeitung rauskam. Und das ging soweit, dann kommt eine Frau an, die gibt mir 50 Pfennige, jetzt habe ich mir selber die Zeitung gekauft. Ich habe ja noch zu dem Reporter gesagt: "Wehe, ihr schreibt die Adresse rein. Dann bin ich hier hopps. Dann wird der Hausbesitzer wahnsinnig, weil ich bin hier stillschweigend geduldet!" Haben sie auch nicht gemacht! Sonst sagen sie immer: "Machen wir nicht!", und dann hinterher ist es doch drin. Aber das haben sie nicht gemacht, da waren sie korrekt. Der nächste kommt mit der Bild-Zeitung an, ich sage: "Habe ich schon gelesen!" Einmal eine Großaufnahme, wie ich auf dem Bett liege, das sah wirklich aus wie ein Wohnzimmer, weil die Plastiktischdecke am Fenster, da waren so Blumen drauf, das sah aus wie Tapete auf dem Bild. Und dann die Kumpels alle. "Na, Herbert, du bist ja berühmt!", und dann die Verscheißerei.

Gewinne und Verluste

Eine Zeit später, als wir noch unten im Keller waren, kommt E. auf einmal an: "Herbert, halt dich fest. Mach' doch mal die Kerze an! Hast du noch ein Bier da?" Und das war ein Alkoholiker. Und ich habe immer nein gesagt, aber er wußte genau, daß ich eins habe, habe ich ihm dann ja auch immer gegeben, ich habe ihn ja bloß immer geärgert. Sagt der: "Hast du die Zeitung von gestern da? Halt dich fest, Herbert, ich habe im Lotto gewonnen!" Ich sage: "E., hör' doch auf mich zu verscheißern!" Ich habe das nicht geglaubt. Hat der 33.000 Mark gewonnen. Jetzt wir aber los. Nach und nach hat er das runtergeholt und das haben wir überall verteilt. Also auf die Post, auf die Banken, daß ihm die Steuer nicht an'n Arsch kann. Dann ist er mit mir Essen gegangen, wir haben ja nur vom Feinsten gelebt. Jetzt kriegt der aber einen Rappel und sagt: "Herbert, ich gehe zu meiner geschiedenen Frau!" - Jetzt richtet der ihr die ganze Wohnung neu ein. Geld hatte er ja gehabt. Gut und schön, das ging so ein Vierteljahr gut, ich liege noch unten auf Platte, auf einmal kommt er rein: "Herbert, komm, wir gehen einen Saufen!" Wir gehen rüber, er meint er nur: "Ich habe mich mit meiner Ollen in der Wolle gehabt. Scheiße. Geld flöten, alles flöten! Naja, ein bißchen habe ich noch!", sagt er. "Aber das ist ja nicht mehr doll. Jetzt habe ich noch Unterhalt im Voraus bezahlt und alles so eine Scheiße!", sagt er. "Jetzt bin ich die Knete los und die Olle auch los. Jetzt kann ich wieder hier unten mitpennen." Ich war ja wieder zufrieden, ich hatte ja wieder einen Kumpel unten gehabt.

Aber natürlich habe ich in ernst gemacht, ich sage: "So eine Scheiße, E., das tut mir aber leid." Innerlich habe ich mich ja gefreut, ist ja logisch. Das ging eine ganze Weile gut, dann kam ich wieder in Knast. Das war auch wieder eine Geldstrafe, aber das war länger, das waren fünf Monate. Nun hatten wir immer Läuse-K. mit runtergenommen, weil der nicht wußte, wohin. Und der wird unten pennen und schläft mit einer Kerze ein, und der ganze Keller brennt ab. Ich komme raus, die Platte weg! Ich konnte ja nicht mehr runtergehen, der hat ja gedacht, ich war das vielleicht. Dann hätte ich das noch alles bezahlen können. Wo jetzt wieder hin? Ich hatte gerade Geld geholt, habe eingekauft und setze mich da vor so einen Trödlerladen auf die Stufen, es war ja Sommer. Ich denke, jetzt bleibst du hier auf den Treppen sitzen und pennst im Sitzen. Wer kommt an? Ein älterer Herr, K.-V., der wohnt vier Treppen oben in dem Haus: "Was machst du denn hier?" Ich sage: "Ich weiß gar nicht, wohin?" - "Na!", sagt er, "Ich habe auch schon mal Platte gemacht, kommst du zu mir mit rauf." Das ging auch 14 Tage gut. "So!", sagt der, "Ich habe Ärger gekriegt. Dich haben die Mieter gesehen, und ich darf doch hier keinen Untermieter haben. Tut mir ja leid, aber mußt du gehen." Ich wieder runter, setze mich wieder auf die Treppen hin. Ich denke: "Was machst du denn bloß, was machst du denn bloß?" Wer kommt an, der Lange hier, H.: "Herbert, was ist denn los?" Ich sage: "Geh' doch mal zu Penny", Geld hatte ich noch ein bißchen, "hol' mir bloß mal was zu trinken. Ich muß jetzt einen Saufen auf den Schreck. Ich kann bei K.-V. nicht mehr bleiben. der kriegt Ärger mit dem Hausbesitzer!" Das war keine Ente, das stimmte wirklich. "Also", sagte H., "das ist doch kein Problem", sein Untermieter war gerade im Krankenhaus, "kannst ja bei mir bleiben!" Ich hatte schon aufgeatmet. Also wir nach Hause, dann haben wir erstmal beide im großen Zimmer gepennt, weil sein Untermieter, der dann an Lungenkrebs gestorben ist, sein Zimmer abgeschlossen hatte. Jetzt ging das so ungefähr ein Dreivierteljahr mit uns beiden gut. Dann haben wir uns natürlich im Suff gestritten, dann haben wir uns noch auf das Keilen gekriegt, mal hat er mir eine gedonnert, mitten auf der F.Brücke, wie wir von Aldi kamen, dann habe ich ihn oben zusammengehauen, das war dann die Revanche, weil ich wütend war. Da war ich aber auch angeschossen, das ging hin und her. Dann hat er mich auch wieder mal rausgeschmissen im Suff. Ich bin ja drei Mal raus und wieder rein bei ihm gewandert. Und dann kam er mal wieder an: "Herbert, komm wieder rum!" - Nachtragend ist er ja nicht.

Bauwagen - Dachboden

Ich habe ja am L.Bahnhof einen ausgedienten Bauwagen gehabt, da habe ich mit H., dem Langen drin geschlafen, eine ganze Weile schon. Jetzt habe ich aber Kanthölzer vorgelegt, daß ich runterkomme. Und einmal haben wir die aus Versehen liegen lassen, als wir früh gingen. Sonst haben wir sie immer reingeschmissen. Und wir hatten 'ne halbe Flasche Schnaps noch drin, und verschiedene Sachen zum Anziehen. Jetzt kommen wir eines abends an, wir sind ja meistens vor elf nicht hingegangen, weil da eine Autoschlosserei ist, und die haben immer ziemlich lange gearbeitet, damit sie uns nicht entdecken. Und wir freuen uns auf den Schnaps und auf das Pennen, weil wir den ganzen Tag mit der U-Bahn hin und her gefahren sind. Stehen zwei Container übereinandergestellt, genau gegen die Tür gelehnt. Die müssen das gemerkt haben, daß die Klötzer da liegen, also daß da einer drin ist. Jetzt gehe ich nach 14 Tagen wieder mal hin, da ist das Ding wieder auf. Die Kerzen haben sie da gelassen, den ganzen Karton. Aber alles andere war weg. Da war ich ja blaß. Da war wieder was weg, das geht immer so. Auf Platte mußt du mit Schwund rechnen. Das geht nicht anders. Das war gar nicht schlecht im Bauwagen. Bloß das wäre jetzt schon zu kalt, obwohl wir Decken da hatten. Bei dem Wetter geht's nicht. Das zieht ja von unten durch. Wie es wärmer war, da hatten wir es ja gut gehabt. Und vor allen Dingen konnten wir quatschen.

Da war ich auch in der B.Straße auf Platte, da ist auch ein ganz sauberes Haus, da ist der ganze Treppenaufgang mit Kokosteppich ausgelegt. Und oben auch. Auf'm Dachboden, wenn du schläfst, mußt du dir immer die Hand vors Maul halten oder die Decke, wenn du hustest oder so. Das ist dann, wenn dich unten einer hört, ich weiß nicht, ob die die Polizei holen würden. Aber das ist ein ganz ruhiges Haus. Und da liege ich ganz oben, das sieht aus wie ein Vorboden, aber da wohnen zwei Parteien, und da habe ich mich einfach vor die Tür gelegt. So. Erstmal kommt einer um drei die Treppe raufgeschossen. Ach, dachte ich, du Scheiße. Bis obenhin. Da legt er mir, war der der Telegrammbote, legt mir ganz sachte ein Telegramm auf die Nase. Frühmorgens geht die Tür auf, das war die erste Nacht. So, das muß so zehn vor fünf gewesen sein, geht die Tür auf, kommt der Mann raus, steigt ganz leise über mich rüber, anständig so was, und sagt: "Schlafen Sie ruhig weiter!" Ein anderer hätte gesagt: "Mensch, was suchen Sie denn hier? Ich hole die Polizei!" Gut, da war ich ja wieder happy gewesen. Da war ich auch eine Weile oben gewesen. Bloß da hatte ich keine Decken.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97