Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

HERBERT

Lebenslage

Jetzt bin ich zur Zeit auch wieder mit H. auf'm Dachboden. Jetzt ist der aus der Wohnung geflogen, weil er abgebrannt ist, da oben. Jetzt ist er seine Wohnung auch los geworden, jetzt hat er sich in ein Obdachlosenheim einweisen lassen. Da gefällt es ihm auch nicht, weil er da mit vier Mann zusammen ist. Erst hat er sich gut verstanden mit denen, und jetzt gefällt ihm das wieder nicht mehr. So, sagt er: "Herbert, ich komme zu dir mit auf Platte wieder!" Ich sage: "Mir doch egal!" Ich habe einen zum Quatschen. Das ist praktisch jetzt das Ende. Und wie es weiter geht, weiß ich auch noch nicht. Aber irgendwo ist immer ein Lichtlein an. Irgendwo gelingt's immer.

Alkohol - Unfall - Therapie

Wir saßen alle B.Straße Ecke P.Straße und haben gesoffen. Jetzt sagt ein Kumpel von uns: "Herbert!", ich mußte ja immer laufen, "Geh' mal Schnaps holen und Bier!" Ich laufe schnell, weil ich selbst schon geil auf den Stoff war, und da steht einer von diesen Einkaufswagen und ich fliege auf die Schnauze. Im Fallen will ich mich abstützen, da habe ich mir das abgeschürft. Und das hat sich entzündet. Ist ja klar, wenn du nur Alkohol im Blut hast, das Blut ist ja schon fast vergiftet. Ich bin jetzt erst da gewesen auf der Unfallstelle. Aber das ist auch schon wieder 'ne Woche her. Da habe ich zwei Tetanus-Spritzen gekriegt. Und ich sollte mir noch eine bei meinem Hausarzt abholen, aber da war ich noch nicht da.

Ich will ja ein bißchen einschränken, das war ja zuletzt zu grob. Du hast ja gesehen heute früh den Tatterich. Ich konnte gar nicht die Tasse richtig halten. Ja, vielleicht einen für die Nacht, daß wir richtig schlafen können. Ich kann auf der Stelle aufhören. Ich habe das schon mal sieben Tage lang gemacht, weil ich so einen Tatterich hatte und Schweißausbrüche, heiß und kalt. Da habe ich einfach nicht mehr gesoffen. Bloß jetzt mache ich das, wollen wir mal sagen, mehr aus Langeweile. Nüchtern kannst du dich nachts nicht auf deinen Schlafplatz legen. Und zweitens, ein bißchen Unterhaltung will man haben, und dann: Der trinkt ein Bier, der trinkt ein Bier, der gibt eine Runde, der gibt eine Runde, dann bleibt das gar nicht aus. Aber unbedingt saufen muß ich nicht. Ich kann auch mit dem Rauchen mich einschränken. Einmal habe ich ein halbes Jahr nicht geraucht, also das muß ich nun sagen, ich muß das nicht unbedingt haben. Bei mir ist das Langeweile, und Unterhaltung. Ein anderer kann fernsehgucken, das kann ich ja nicht. Mit Therapie und Entzug habe ich nichts zu tun, das habe ich noch nie gemacht. Außerdem, da muß man selber den Willen haben. Die Therapie nützt nichts, ich sehe das ja bei den Kumpels. Die gehen rein zur Therapie, der eine ist schon drei oder vier Mal drin gewesen, und wenn sie rauskommen, saufen sie wieder. Das bringt doch nichts. Und kostet dem Staat sein Geld. Das wieder finde ich einen Wahnsinn.

Sozialamt - Fiananzen

Meine Sachbearbeiterin ist schwer in Ordnung. Ich bin ja gemeldet, ein Kumpel hat mich angegeben, dadurch habe ich im Monat 100 Mark mehr. Ich kriege 180 Mark Miete, und da gebe ich ihm immer 80 Mark im Monat. So habe ich 100 Mark mehr und er hat auch was. Ich konnte mir meinen Ausweis neu machen lassen, Lohnsteuerkarte holen, Versicherungsnummer holen, so kann ich wenigstens, wenn ich mal ganz in Not bin, auf die Börse gehen und dazuverdienen. Das ist offiziell erlaubt vom Sozialamt. Ich kriege ja wöchentlich. Ich will ja monatlich nicht haben, ich habe ja gesagt: "Ich bin so leichtsinnig, ich habe bloß zwei Tage was, und wenn ich monatlich kriege, auch bloß zwei Tage. Dann gehe ich den Rest des Monats fechten! Ich treibe mich doch sowieso hier laufend rum. Das ist doch kein Umweg für mich, dann hier mal kurz raufzukommen!"

Das mit dem Unterhalt war mein Fehler. Ich kann, ich will nicht Unterhalt zahlen, das geht ja gar nicht, weil ich Sozialhilfeempfänger bin. Diesmal habe ich das anders gemacht, diesmal habe ich mir eine Bescheinigung vom Sozialamt geben lassen, daß ich selber hilfebedürftig bin, daß ich nicht fähig bin, zu zahlen. Zwar gewillt, aber nicht fähig. Das ist ja auch den Tatsachen entsprechend. Und da habe ich mir gleich ein Schreiben im Warmen Otto aufsetzen lassen, mit Schreibmaschine und Briefkuvert, und gleich ab zur Post, eingeschmissen, alles in den Briefkasten rein. So, und nun wissen sie drüben Bescheid und nun habe ich erstmal Ruhe.

Und ich habe auch einen Kredit im Zigarettenladen, da gehe ich immer montags bezahlen, und bei dem Türken gleich nebenan da. So ist das nicht. Und mit ihm, von dem ich gerade den Brühreis spendiert gekriegt habe, habe ich auch einmal Scheiße gebaut. Da bin ich ein halbes Jahr nicht rangegangen, er hat mir nichts mehr gegeben. Er hat mir auch angeschrieben, wie ich noch mit E. im Keller gewohnt habe. Und einen Tag komme ich ran - Ich hatte bezahlt gehabt schon, ich hatte keine Schulden!, habe ich mir eingebildet -, nun sagt er zu mir: "Ich kriege von dir noch sieben Mark!" Ich sage: "Das kann nicht sein! Ich habe doch bei dir bezahlt!" - "So", sagt der, "ist gut. Ich schenke dir die sieben Mark. Aber bei mir brauchst du nicht mehr an den Stand kommen." Dann ist mir nach einem halben Jahr irgendwie im Unterbewußtsein was gedämmert, ich kriege gerade Geld, ich gehe ran, ich sage: "Hier sind die sieben Mark, das mußt du entschuldigen!" Seitdem sind wir wieder pari. Aber das ist mir dann nach ner Ewigkeit erst gedämmert. Im allgemeinen bezahle ich immer pünktlich, da kannst du den Wecker nach stellen, das ist das erste, was ich mache. Bevor ich überhaupt anfange, was zu trinken.

Franklinstraße

In Abständen, du darfst du ja bloß drei Tage in der Franklinstraße. Dann hast du dein Frühstück, hast dein Mittag. Ich sage dir, das ist eine Wucht! Das Essen ist vom Feinsten, da kriegst du manchmal nicht genug von. Hast deine Sauberkeit, deine Ordnung, kannst duschen, alles. Da bist du mit mir auf einem Zimmer, aber ich bin ja verträglich. Du bist ja sowieso bloß drei Tage da. Da gehst du einfach hin und sagst: "Ich möchte hierbleiben!" Dann sagen sie: "Ja, drei Tage!" Ausweis. Du kannst auch ohne Ausweis. Das erste, was sie fragt, - ist ja nur die eine, die Dicke, die kann ja keiner leiden: "Haben Sie drei Mark da?" - "Habe ich nicht!" Dann gibt sie dir die Essenmarke und die Karte fürs Zimmer und die Bettnummer. Steht ja alles drauf. Dann kriegst du oben dein Rasierzeug, dein Handtuch, deine Seife, alles was du brauchst zur Körperpflege. Da oben kannst du ab und zu auch mal eine Jacke kriegen, die haben Sachen da, da kannst du dich nicht beklagen. Ich habe zwei Mal eine Verlängerung erwirkt, aber die muß ich übers Sozialamt haben. Muß ich auf doof machen und sagen: "Haben Sie eine Einweisung für mich, fürs Heim?", so wie H. sich immer geholt hatte. - "Nein, ist ja gar nichts frei, jetzt bei der Jahreszeit sowieso nicht." - "Dann sagen Sie bitte, können Sie mir das schriftlich geben für die Franklinstraße?" - "Ja, klar!" Dann kriegst du einen Stempel auf so ein Kärtchen, daß nichts da ist. Dann gibst du die ab, dann hast du nochmal eine Verlängerung. Das habe ich zwei Mal geschafft, das war aber das Längste. Das geht.

Hilfesystem - Beratungsstelle - Kleidung

Das gibt ja so viele Stationen jetzt, wo du essen kannst. Da gibt es ja überall. In Kreuzberg, war ich auch schon gewesen, Wassertor, dann hier Schillerpromenade, da kannst du Donnerstag frühstücken, Mittag essen. Wrangelstraße, dann gibt auf dem Wedding welche, ich kenne ja gar nicht mal alle, aber die Kumpels wissen das. Einer sagt dem anderen das auch, ist doch klar. Die Berber untereinander sowieso. Bloß da war ich ja selten, das ist spontan, wenn ich dahinfahre, oder wenn ich richtig Kohldampf habe. Meistens treibe ich ja immer was auf. Hast ja gesehen, heute früh hat ein Kumpel mir die Jagdwurst noch gegeben, und ich hätte noch mehr Schrippen haben können, das ergibt sich so.

Also, wenn einer sagt, er muß hier klauen gehen oder verhungern, das gibt's nicht. Bloß jetzt ist meine Monatskarte weg, die Sozialkarte, wo du für zehn Mark einen ganzen Monat fahren kannst. Die habe ich aus Versehen mit Ausweis und Portemonnaie im Mantel gehabt und in eine Waschmaschine geschmissen. Der Ausweis ist ja wieder glänzend rausgekommen, aber die Karte ist weg. Muß ich mir erst eine neue holen. Dann gehe ich eben Montag zweimal aufs Sozi. Wenn ich Geld gekriegt habe, Paßbilder machen lassen, und wieder rauf, die Karte holen.

In der Levetzowstraße kriegst du immer, wenn sie mit dir reden, eine Tasse Kaffee: "Ja, was haben Sie denn für Probleme?" Ich sage: "Ich brauche ein paar Sachen!" - "Und was ist mit Wohnung?" Jedenfalls haben wir auch so gequatscht, da sagt sie: "Naja, wenn Sie auf Platte sind, ist ja gut und schön, aber ich finde, Sie sind gar nicht mal traurig darüber. Sie klönen ja gar nicht mal." Ich sage: "Was soll ich da klönen? Hat ja kein anderer damit zu tun. Das ist doch mein Problem. Was soll denn das? Und wenn ich hier weine, das hat doch auch keinen Zweck!" Die hat ja auch bald eine halbe Stunde mit mir gequatscht, noch einen Kaffee, noch einen Kaffee, dann habe ich schon einen Flattermann gehabt. Ich denke, jetzt mußt du aber bald raus hier, da habe ich schon wieder an hier[17] gedacht. Durch den Kaffee hatte ich einen richtigen Tatterich. Dann sagt sie: "Wenn Sie weiter keine Probleme haben?!" Ich habe mir erstmal oben ein paar Schuhe ausgesucht, Hosen, Pullover, Jacke. Ich habe ja überall was zu stehen. - Also, da war ich schon ein paar Mal gewesen. Eine Zeit haben sie ja auch Kleiderausgabe gehabt. Das haben sie jetzt nicht mehr. Da kann man sich auch anmelden. Also ich habe ja nun immer noch einen Kumpel gefunden, der das gemacht hat. Ich habe schon Kumpel. Das geht schon. Aber wenn man es sich erstmal mit denen verscherzt, dann ist man ganz am Boden, das ist dann schlecht.

Im Moment habe ich das, was ich jetzt auf'm Arsch habe. Aber ich habe noch Taschen überall zu stehen. Aber wenn du was brauchst, kommst du nicht ran! Der ist gerade weg, der andere hat Besuch, das ist dann die Scheiße. Dann war ich 'ne Weile bei W.S. oben. Das ging auch bloß eine Weile gut. Dann haben wir uns im Dschumm wieder in der Wolle gehabt. Kommt immer nur durch den Suff. Ist aber nicht so, daß einer hinterher nachtragend ist. Klamotten waschen mache ich in der S.Straße, im Laden da unten. Da kann ich waschen, duschen, alles. Kostet mich nichts. Levetzowstraße muß man ja Voranmeldung machen. Und dann kenne ich die Frau hier unten vom Roten Kreuz sehr gut. Das ist auch so eine Art kleine Jugendliebe, die hat bei uns im Haus, wie ich bei Mutter noch gewohnt habe, hinten war eine Wäscherei, und sie hat da als Büglerin gearbeitet. Und ich habe sie immer angemacht: "Na, Mäuschen, wollen wir nicht zusammen gehen?" Wie du so als Jugendlicher bist. Und sie mußte immer grinsen: "Nee, nee!", sagte sie immer. Und jetzt ist sie beim Roten Kreuz da unten, ich brauche gar keine Nummer, ich kann gleich runter, ich kriege gleich die Sachen. Gibt sie mir. Ich sage: "Meine Sachen sind schon wieder geklaut!" Stimmt ja auch!

Haft

So ungefähr schätze ich, noch über ein Jahr wird das. Wenn sie mich demnächst verhaften, soll mich das nicht stören. Ist gerade die richtige Jahreszeit. Ich kenne das Spiel, was soll mir das ausmachen? Wenn du alles zusammenrechnest, mit rein und raus, gute fünf Jahre sind das auch. Ist ja kein Ruhmesblatt. Wenn du weißt, wie das drin abläuft, tut einen das ja gar nicht mehr weh. Bloß beim ersten Mal, da ist mir das ja schwergefallen. Du hast ja keine Ahnung, wie das so ist. Und wenn du bloß einen Monat hast, kriegst du ja auch keine Arbeit. Drinne habe ich ja immer in der Schlosserei gearbeitet, wenn ich länger habe. Dann holen sie mich ja schon automatisch. Das kratzt mich nicht mehr, bloß das darf ich nicht vor Gericht sagen, dann kriege ich gleich einen höheren Schuh. Dann sagen sie: "Sie sind ja haftgewohnt!" Da muß ich ja, dann mache ich immer auf treudoof, anliegende Ohren, verstehst du, und fast Tränen in den Augen. Da mußt du mal sehen, wie schüchtern ich aussehe. Da habe ich niemals so eine große Fresse, das kannst du wohl glauben! - Nein, auf'm Termin behalten sie mich auch nicht weiter, das weiß ich. Das kann sein, nur wegen dem Schwarzfahren, daß schon ein Haftbefehl raus ist, weil das schon ewig herliegt. Ich bin ja auch nicht stolz drauf, kann man nicht sein. Ein Haftbefehl geht nur raus, wenn ich einen Termin versäumt habe. Und das kann sein, weil ich doch ohne festen Wohnsitz war, und ich komme ja gar nicht an meine Post, daß das schon auf der Post lag, und ich habe das nicht abgeholt. Dann geht die Ladung zum Termin zurück, und dann geht automatisch ein Haftbefehl raus. Und das kann sein, daß schon einer draußen ist. Und deswegen, auf den Termin, dann kriege ich jetzt, wenn sie mich wirklich verhaften, ich habe ja auf das Schwarzfahren noch keinen Termin gehabt. Dann bleibe ich ja erstmal in U-Haft, bis der Termin kommt. Und wenn ich Glück habe, dann kommt alles zusammen, dann kriege ich einen Strafzusammenzug. Dann bleibt es beim Jahr. Aber wenn ich getrennte Termine habe, dann kriege ich auf jeden Termin entsprechend die Haftstrafe, dann wird das länger. Also kann ich nie genau definieren, was ich kriege, nur so ungefähr.

Deswegen kann ich mir jetzt keine feste Bude nehmen. Die können mich ja nicht gleich festnageln, auf das Ding muß ja erst ein Termin kommen. Und den müssen sie mir erst zuschicken. Ich habe ja noch gar keinen Termin darauf gehabt. Ich muß erst einen gerichtlichen Termin haben und verurteilt sein. Und dann kriegt man einen Haft- ..., na, wie sagt man nun, ich bin ja gemeldet, praktisch habe ich ja einen festen Wohnsitz, dann schicken sie mir den Strafantritt zu. Und deswegen mache ich ja Platte, wenn sie mir den Strafantritt zuschicken, gehe ich ja auch nicht gleich rein. Das glaubst du doch wohl nicht. Bloß, dann muß ich hier die Markthalle meiden. Hier haben sie mich schon ein paar Mal verhaftet. Die kennen meine Kreise. Einmal drüben an den Bänken im Sommer, werde ich nie vergessen, ich habe gerade wieder einen Kumpel, eine Pulle Wein unterm Arm. Auf einmal tippt mir einer auf die Schulter. "K.?" Ich sage in dem Moment automatisch: "Ja!" Da hätte ich mir gar nichts anderes einfallen lassen können, die haben ja meine Akte bei. Das kannst du bei der Polizei machen, bei Überprüfungen, aber bei der Kripo nicht. "Mitkommen!" Und der andere Kumpel, der lebt ja auch nicht mehr, hat meinen Tabak in der Tasche. Die beiden stehen neben mir, sagen: "Komm, wir haben's eilig!" Die haben's ja dann immer eilig komischerweise, und ich mußte rein, ohne Tabak, ohne Streichhölzer in der Tasche.

Zoo - Anständigkeiten

Ich kenne zwar die meisten alle, schon durch die U-Bahn-Fahrerei, und ich quatsche auch mal mit denen, aber so am Zoo verkehre ich nicht. Ist nicht mein Pflaster. Das ist mir zu kriminell da. Das ist nichts. Erstmal laufen da zu viele Bullen rum. Erst saufen sie, dann prügeln sie sich, dann haben sie sich inder Wolle und so eine Scheiße. Dann werden sie laut, dann pöbeln sie die Leute an. Das kann ich ja nun gar nicht leiden! Das habe ich ja nun gar nicht drauf. Da kriegst du nur Ärger. Das bringt nichts. Ist sowieso noch nie mein Pflaster gewesen, ich fühle mich da nicht wohl. Das ist nicht meine Welt. Da kommt keine Freude auf. Das einzige, wenn ich immer mal da bin, der Kiosk da unten auf der U-Bahn ist preisgünstig, hat gute Ware, kannst gut essen. Das ist das einzige, was ich da mache.

Ich sitze auf der U-Bahn, ich habe doch eine ganze Weile auf der U-Bahn hin und hergefahren. Am Wochenende, weil sie da nachts immer durchfährt. Hin und her. Und wenn nicht, in der Woche, bin ich anschließend mit dem Nachtbus kreuz und quer. Einmal war der Fahrer auch, hat er abgerechnet, schalten sie doch Licht aus und alles, sagt er: "Bleib ruhig sitzen, dann habe ich einen zum Quatschen!" Ich brauchte nicht raus, konnte gleich sitzen bleiben. Der war anständig. - Ich will noch ein Ding erzählen, was ich so anständig fand. Ich sitze auf der U-Bahn, habe meine Tasche da mit einer Decke drin. Kommt eine junge Frau mit ihrem Kind an der Hand, und sie kiekt so auf die Tasche von der Seite, ich sage: "Brauchen Sie eine Tischdecke?" - "Nein!", sagt sie. "Aber ich habe auch zwei Jahre mal Platte gemacht. Brauchen Sie noch Decken?" Ich sage: "Das wäre ja nicht schlecht, es wird kälter." - "So", sagt sie, "kommen Sie mal mit, ich gebe Ihnen paar. Sonst schmeiße ich sie bloß weg." Jetzt hat die mir drei riesengroße Decken gegeben, Bettbezüge, und Kopfkissenbezüge. Das fand ich anständig.

Andere Wohnungslose - Bilanz

Von meiner Seite aus, jetzt nur von meiner Clique, von den anderen weiß ich ja nicht, sind das ungefähr acht bis neun Mann, die Platte machen. Die sind aus Moabit, also nur hier in unmittelbarer Umgebung, wie soll ich das jetzt erklären? Was wir zusammen verkehren. Ja, wenn ich auf'm Sozialamt höre, da kommen ja auch von weiter weg welche, schon innerhalb von Moabit, aber weiter weg. Da sind auch eine Menge bei.

Mit neun kommt das auch nicht hin. Das sind ja mehrere. Ich habe jetzt gar nicht das Sozialamt mit berechnet, was ich da noch kenne. Ich habe bloß so... Und eine Menge sind auch gestorben. Junge Menschen auch, also Kumpels von mir. - Frauen sind auch nicht wenig. Aber bei einer Frau kann ich das wieder nicht verstehen, eine Frau hat das nicht nötig, finde ich. Die braucht keine Platte machen. Die klemmt sich bei einem Macker ein, macht ein bißchen den Haushalt, läßt sich mal einmal nehmen, wenn er von der Arbeit kommt oder: "Schätzchen, hier sind die Latschen!", Mittag auf den Tisch, dann hat sich das. Bei einem Mann ist das schwieriger.

Also Platten, wenn man das zusammenrechnet, manche habe ich auch vergessen, das sind 35 Stück circa. Und bei Kumpels? Mindestens bei 15. Ja, zwischendurch habe ich ja in der L.Straße gewohnt, aber das waren auch bloß anderthalb Jahre. Deswegen, weil ich gesagt habe, mit Unterbrechungen. Dann kam ich wieder in Knast, etwas über zwei Jahre, wegen Unterhalt.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97