Freie Universität Berlin
Sommersemester 1996
Fachbereich: Politische Wissenschaft
HS 32511 "Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland"
DozentInnen: Margit Mayer, Stefan Schneider


Andreas Wutta

Das Bundesmodellprojekt: "Hilfen für alleinstehende wohnungslose Frauen"

 


Die Zahl wohnungsloser Frauen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Der Anteil an den geschätzten 180.000 Obdachlosen liegt nach Angabe der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. gegenwärtig bei rund 15%. Jedoch sind noch nicht die Frauen, die z.B in kommunalen Wohnersatzunterkünften oder Obdachlosenhäusern leben oder aber notdürftig Unterschlupf bei Bekannten und Verwandten suchen, in dieser Zahl berücksichtigt. Somit kann man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, zumal bisher ein spezielles, auf die Lebenssituation von Frauen zugeschnittenes Hilfsangebot, kaum vorhanden ist.


Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Modellprojekt "Hilfen für alleinstehende wohnungslose Frauen" vergeben. Mit diesem Projekt sollen Ansätze zur Überwindung der sozialen Schwierigkeiten alleinstehender wohnungsloser Frauen entwickelt und erprobt werden. Es soll versucht werden, diesen Frauen die Wiedereingliederung in das Gemeinschaftsleben zu ermöglichen.


Bundesfrauenministerin Claudia Nolte erklärte zu dem neuen Modellprojekt:


"Frauen sind in unserem Land wesentlich häufiger mittel- und wohnungslos als bisher vermutet wurde. Wir dürfen diese Frauen nicht im Stich lassen. Es kann nicht sein, daß sie, die buchstäblich auf der Straße stehen, einfach weggeschickt oder in gemischte Unterkünfte vermittelt werden, wo sie vor Übergriffen und männlicher Gewalt nicht sicher sein können. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese Frauen nicht ins soziale Abseits gedrängt werden. Es ist dringend erforderlich, das Hilsangebot für alleinstehende wohnungslose Frauen auszubauen."


Das Projekt "Hilfen für alleinstehende wohnungslose Frauen" wird über eine Dauer von zweieinhalb Jahren an zunächst vier Standorten in den alten und neuen Bundesländern in Schwerin, Iserlohn, Karlsruhe und Stuttgart durchgeführt. Ein fünfter Standort befindet sich in der Planung und ist für Berlin vorgesehen. Die Schwerpunkte des Modellprojekts liegen bei

  • offenen Angeboten in Form von Frauenläden, Frauentreffs oder Tagesstätten
  • betreutem Wohnen in Kleingruppen oder Einzelwohnungen
  • dem Angebot von Bildungsberatungs-, Arbeits- und Qualifikationsmöglichkeiten.


Über die oben genannten Angebote sollen vor allem auch die Frauen einbezogen werden, die bisher noch nicht als wohnungslose Frauen aufegefallen sind, weil sie sich aus Mangel an adäquaten Hilfen in ihren prekären Wohnverhältnissen versteckt haben. Wie an den oben genannten Städten zu sehen ist, wurden sowohl Standorte im eher kleinstädlichen Bereich berücksichtigt, die noch am Anfang beim Aufbau eines Hilfesystems für Frauen stehen, als auch Projekte in Großstädten, die teilweise auf langjährige Erfahrungen eines frauenspezifischen Hilfesystem zurückgreifen können.


Das Modellprojekt wird von der Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Frauenforschung e.V (GSF), Frankfurt, wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Diese Gesellschaft ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein, der 1993 als außeruniversitäre Trägereinrichtung für interdisziplinär und praxisorientiert angelegte Forschungsprojekte in der Frauenforschung, gegründet wurde. Arbeitsschwerpunkte sind: Sozialisation und Bildung - Frauenerwerbsarbeit und Familienarbeit- Sozialpolitik, psychosoziale Versorgung - Stationäre und ambulante Pflege - Frauen in der Migration- Politik- und Institutionsberatung. Die Gründerinnen der GSF, Dr. Uta Enders-Dragässer und Dr. Brigitte Sellach, sind auch im Modellprojekt als Projektleiterin und als hauptamtliche Mitarbeiterin tätig.


Da sich die Mitarbeiter der einzelnen Projekte aufgrund der räumlichen Distanz sowie aus zeitlichen Gründen nur selten treffen können, um Gedanken und Erfahrungen in ihrer Arbeit gegenseitig auszutauschen, bringt die wissenschaftliche Begleitung von Zeit zu Zeit Rundbriefe heraus. In ihm werden Informationen zu den einzelnen Modellprojekten und ihren Mitarbeitern veröffentlicht. In diesen Rundbriefen sollen aber auch Fragen, auf die man während der Arbeit eine Antwort sucht oder schon gefunden hat, näher eingegangen werden.


Die einzelnen Modellprojekte:

1. "Bürgerinnen ohne Wohnung":

Träger: Sozialpädagogische Alternativen e.V. Karlsruhe
Anschrift: Kronenstr. 2, 76133 Karlsruhe, Tel.: 0721/694545


Im Rahmen dieses Projektes wird ein ambulantes Wohnprojekt mit bis zu 10 Plätzen für alleinstehende wohnungslose Frauen angeboten.


Neben der organisatorischen Abwicklung der An- und Untervermietung des Wohnraums werden den Frauen lebenspraktische Hilfestellung sowie Beratung hinsichtlich ihrer individuellen Problemlagen angeboten. Das Projekt besteht aus folgenden Arbeitsinhalten:

  • Die Aquisation und Anmietung von Wohnraum durch den Projektträger als Hauptmieter und Untervermietung an die Frauen.
  • Hilfestellung bei der Einrichtung im lebenspraktischen Bereich (Organisation des Alltags, Umgang mit Geld, Haushaltsführung u.ä.)
  • Hilfe bei der Einrichtung und dem Bezug der Wohnung
  • Erschließung von Arbeits- und Qualifikationsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnisse
  • Bearbeitung bestehender Suchtproblematiken unter Hinzuziehung fachlich qualifizierter Institutionen (Beratungsstellen und Kliniken)
  • Aufarbeitung von Beziehungsproblemen und Gewalterfahrungen
  • Gemeinsame Durchführung von Freizeitaktivitäten
  • schrittweise Integration in das soziale und gesellschaftliche Leben des Stadtteils.

Das Angebot richtet sich an obdachlose ebenso wie an sogenannte nichtseßhafte Frauen; ausschlaggebend für die Aufnahme ist der von den Frauen geäußerte Wunsch nach einer Wohnung und ihre Bereitschaft zur Teilnahme am Modell. Für die Arbeit stehen eine Stelle Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin sowie 10 Wochenstunden Verwaltung zur Verfügung.

2. "Frauenpensionen & Frauen(info)laden in der Landeshauptstadt Schwerin

Anschrift: Max-Planck-Str.19, 19063 Schwerin, Tel.: 0385/342012
Dieses Projekt hat folgende zwei Projektansätze:


1. Die Pension:


Es stehen 4 abgeschlossene 3-Raum-Wohnungen für insgesamt 8 Frauen zur Verfügung.
Jeweils 2 Frauen teilen sich eine Wohnung. Einziehen können Frauen, die alleinstehend, mittellos und wohnungslos bzw. von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Wichtig ist, daß sie daran mitarbeiten wollen, ihre Wohnfähigkeit (wieder)herzustellen.


2. Der Frauen(info)laden:


Er steht als Beratungs- und Aufenthaltsstätte allen Frauen offen, die in irgendeiner Form von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen bzw. bedroht sind. Ganz wichtig im Frauenladen sind der Treffpunkt und die Notübernachtung. Es werden Freiräume für die Körperpflege, den Treff, das Klönen und einfach ausruhen geschaffen. Insgesamt 3 hauptamtliche Mitarbeiterinnen begleiten das Projekt.

3. "Tagesstätte für wohnsitzlose Frauen":

Anschrift: Ottostraße 1, 70190 Stuttgart, Tel.: 0711/2628049
Träger: Kath. Sozialdienst Stuttgart eV.


Die Tagesstätte in Stuttgart soll ein Ort der Begegnung sein, wo zwischenmenschliche Beziehungen entstehen und wachsen können. Die Tagesstätte bietet folgende Möglichkeiten der Tages- und Freizeitgestaltung:

  • Betreutes Wohnen, Räume (auch zum Ausruhen), Kaffee, Tee, gemeinsames Kochen eines Mittagessens, Dusche, Schließfächer, Waschmaschine und Trockner, Verwahrgeldkonto, Computer für Schriftverkehr und zum Einarbeiten, die Anschrift als Postadresse, ärztliche Versorgung nach Voranmeldung, Kleiderkammer, gute Gespräche, Spiele, kreatives Gestalten, Ausflüge und Kinobesuche, Feiern von Geburtstagen.

In der Tagesstätte arbeiten 3 Frauen hauptamtlich und fünf ehrenamtlich.

4. "Komm rein": Treff und Tagesaufenthalt für Frauen in Wohnungsnot in Iserlohn

Anschrift: Theodorl-Heuss-Ring 9, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/13269
Träger: Stadt Iserlohn Sozialamt in Kooperation mit der Frauengleichstellungstelle


Zum Schluß möchte ich näher auf das Projekt im Sauerland/NRW eingehen, daß ich selbst besucht habe. Durch Zufall wurde ich auf diese Einreichtung aufmerksam gemacht. Meine Mutter, der ich zuvor von dem Seminar erzählt habe, hatte im Radio einen Bericht über die Iserlohner Tagesstätte gehört.


Iserlohn ist eine Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen. Die Einwohnerzahl liegt schätzungsweise knapp über 100.000 Einwohner. Der größte Teil der Häuser sind Ein- bis Zweifamilienhäuser mit viel "grün" umher. Mitten im Zentrum liegt die Tagesstätte "Komm rein", die Ende Oktober 1995 im Rahmen des Modellprojektes "Hilfen für alleinstehende wohnungslose Frauen", ihre Arbeit aufgenommen hat.


Das Gespräch führte ich mit Claudia Metzger, einer der drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen.


Zuerst besichtigte ich die Räumlichkeiten, die aus einem Kommunikationsraum, einem Ruheraum mit 2 Liegen, einen Sanitär-/Hygienebereich, einer Küche, einem Büro und einem Besprechungsraum bestehen. Was sofort auffiel war, daß die ganze Wohnung sehr hell und auch mit hellen Möbeln eingerichtet ist. Dies erzeugt meiner Meinung nach schon eine freundliche Atmosphäre, die vielleicht auch auf die Besucherinnen einen gewissen Einfluß nehmen kann. Die Wohnung liegt direkt im Zentrum der Stadt. Durch diese günstige Lage fallen längere Anfahrzeiten für die Besucherinnen weg. Das Rathaus mit dem Solzialamt liegt nur einige Meter entfernt. Diese räumliche Nähe zum Sozialamt ermöglicht eine noch engere Zusammenarbeit zwischen "Komm rein" und dem Amt.
Nach der Besichtigung der Räumlichkeiten gingen wir in ein Büro um die Besucherinnen nicht länger zu stören. Normalerweise ist männlichen Besuchern der Eintritt nicht gestattet.


Hier erklärte mir Frau Metzger das Konzept des Projektes "Komm rein".


Bei dem Tagesaufenthalt für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen handelt es sich um ein niederschwelliges offenes Tagesangebot mit dem Ziel, den Betroffenen in frauengerechter Atmosphäre einen Schon- und Schutzraum im Alltag bereitzustellen.


Neben der Aufenthaltsmöglichkeit gibt es verschiedene Tagesangebote, die sich an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Frauen orientiert. Jeden Monat gibt es einen "Flyer" auf dem das Programm für den jeweiligen Monat festgehalten ist. So stehen z.B. Töpfern, Handarbeiten, Nähen und Zeichnen/Malen für Juli auf dem Programm.


Weiterhin kann jede Frau persönliche Beratung durch die sozialpädagogischen Fachkräfte in Anspruch nehmen. Hier soll die persönliche Situation der einzelnen Betroffenen geklärt und gemeinsam mit der Pädagogin ein Hilfeplan erarbeitet werden. Dieser kann z.B. die Unterbringung in einer Kleinwohnung mit sozialpädagogischer Betreuung oder in einer sozialtherapeutischen Einrichtung sowie erste Schritte zur Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung beinhalten.


Meine Frage ob die Mitarbeiterinnen auch rechtliche Beratungen geben, mußte leider verneint werden, da dies aus juristischen Gründen nicht möglich ist. Jedoch liegen zahlreiche Broschüren zu rechtlichen Fragen zur Verfügung. Vor allem natürlich zu den Fragen des Mietrechts, mit dem sich die Mitarbeiterinnen auch gut auskennen.


Auf die Frage welche Themen zur Zeit besonders behandelt würden sagte Frau Metzger: " Momentan diskutieren wir lebhaft die Frage : wie weit sind Frauen bereit zu gehen für die Zuneigung eines Mannes und welche praktischen Konsequenzen ergeben sich daraus für unsere Arbeit, ganz besonders für die Betreuungsvereinbarung?".


Die Mitarbeiterinnen stellten immer wieder fest, daß Frauen, die zunächst den Zielen des Projektes mündlich oder schriftlich per Betreuungsvertrag zugestimmt haben, die Vertragsvereinbarungen, ihre Existenz, ihre Gesundheit, sogar teilweise ihr Leben gefährden, indem sie:

  • die Betreuerinnen belügen, wenn es um Männer geht
  • Schulden machen, keine pünktlichen Mietzahlungen leisten, um einen Mann finanziell zu unterstützen
  • keine Verhütungsmittel benutzen, in völlig ungeklärten Verhältnissen schwanger werden
  • Gewalt hinnehmen

Hier stellen sich dann viele Fragen, die die Betreuerinnen nicht einfach beantworten können:

  • wie kommt deartiges Verhalten zustande?
  • kann man darauf überhaupt einen Einfluß nehmen?
  • bei welchen Vorfällen muß der Betreuungsvertrag gekündigt werden? Oder kündigt man gar nicht, um jede noch verbleibende Möglichkeit pädagogischer Beeinflussung zu erhalten?

Zum Schluß wies Frau Metzger nochmals darauf hin, daß die Tagesstätte "Komm rein" im Rahmen des Bundesmodellprojektes nur auf 2 Jahre beschränkt ist. Um dieses jedoch zu verhindern, wird schon jetzt nach Möglichkeiten gesucht die Tagesstätte auch nach dieser Zeit weiter zu führen. Dies ist jedoch nur durch finanzielle Unterstützung möglich.


Feste Zusagen von der Stadt oder anderen möglichen Finanzgebern gibt es bis jetzt noch nicht.

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