Pestalozzi und Fröbel

Prof. Dr. Paul Mitzenheim, Jena


Der weltweit geschätzte Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi wurde vor 250 Jahren - am 12. 1. 1746 - als Sohn eines Arztes in Zürich geboren. Sein Wirken und sein Werk waren auf das päd agogische Denken und die Erziehungswirklichkeit in Europa und darüber hinausgehend von anregendem und gestaltendem Einfluß. Manche der Gedanken und Forderungen Pestalozzis verraten eine starke geistige Verwandtschaft mit Anschauungen Rousseaus, aber er erkannte mehr die soziale Aufgabe und Funktion der Päd agogik. Durch seine erzieherische Tätigkeit wurde er für seine Zeitgenossen das Vorbild eines Lehrers in Hingabe an seinen Beruf, in Liebe zu den Kindern. Vom armen, verlassenen Menschen her suchte er die Natur und das Wesen des Menschen zu begreifen. Für die Meisterung des Lebens war er bestrebt, im Menschen vor allen Dingen Kräfte zu wecken:

  • Geisteskraft in intellektueller Bildung, Herzenskraft in sittlich -religiöser Bildung,
  • Kunstkraft in physischer Bildung.

Er wollte die Erziehung hauptsächlich in den Dienst einer harmonischen Ausbildung von "Kopf, Herz und Hand" gestellt wissen und verlangte, daß die Berufs- und Standesbildung sich auf der Grundlage der allgemeinen Menschenbildung aufbaue, daß durch die Betonung der Selbsttätigkeit bei den Heranwachsenden Wissen und Können verbunden werden. Er half dem didaktischen Grundsatz der Anschauung im Unterricht zum Durchbruch, indem er die Anschauung als das absolute Fundament aller Erkenntnis hinstellte und praktizierte.


In seinen Schriften befaßte sich Pestalozzi immer wieder damit, "Was der Mensch ist, was er bedarf, was ihn erhebt und was ihn erniedrigt, was ihn stärket und was ihn entkräftet", denn er erfuhr selbst viele Rückschläge in seinem Leben. Weit über die Grenzen der Schweiz hinaus wurde er durch seinen großen Volksroman "Lienhard und Gertrud" bekannt. Aber er fühlte sich "nicht zum Schriftsteller gebildet" und sagte von sich: "Mir ist wohl, wenn ich ein Kind auf meinen Armen habe."


Erst die Französische Revolution von 1789 und deren Auswirkungen in der Schweiz führten die entscheidende Wende im Leben Pestalozzis herbei. Im Jahre 1798 übertrug ihm die Regierung der Helvetischen Republik die Leitung eines Waisenhauses Stans, wo er zeitweilig allein, nur untertützt von einer Haushälterin, 50 bis 80 Kinder betreute, das heißt, er war ihnen Vater und Mutter sowie zugleich ihr Lehrer. Er weilte in ihrer Mitte bei Tag und Nacht. Das Erlebnis in Stans bestärkte ihn in seinem Entschluß, "Schulmeister" zu werden. Nach weiteren Versuchen in Burgdorf und Münchenbuchsee gründete er in Schloß Iferten am Neuenburger See ein eigenes Erziehungsinstitut, wo er von 1805 - 1825 als Pädagoge große Anerkennung fand.


Viele namhafte Pädagogen aus europäischen Ländern suchten seine Schule auf, um als Hospitanten, Lehrer und Schüler seine Erzieherpersönlichkeit und seine Methode näher kennenzulernen. So bemühten sich auch in Thüringen Kenner der pädagogischen Praxis Pestalozzis um eine Verbesserung des Schulwesens und der Lehrerbildung. Friedrich Fröbel beschloß nach seiner ersten Bekanntschaft mit Ideen Pestalozzis, Lehrer zu werden und hielt sich als Hauslehrer mit seinen Zöglingen 1808 - 1810 an der Wirkungsstätte Pestalozzis, in Iferten, auf. Er war von der dortigen Erziehungspraxis sehr beeindruckt, so daß er sich in mehreren Schreiben an die Regentin Caroline von Schwarzburg-Rudolstadt wandte und Vorschläge zur Verbesserung des Bildungswesens unterbreitete: "Lassen Sie unser Vaterland nicht das letzte sein, nein! Lassen Sie es das erste sein, welches sich der Einführung Pestalozzis naturgemäßer Unterrichtsmethoden erfreut ..."


Der Aufenthalt in Iferten war das praktisch wichtigste Bildungserlebnis für den weiteren Lebensweg des noch nach einem Lebensinhalt suchenden und mit sich ringenden jungen Fröbel. Er bat die Landesfürstin Caroline, Pestalozzis Methode in den Schulen Schwarzburg-Rudolstadts einzuführen und einige fähige junge Männer nach Iferten zur Ausbildung als Lehrer zu schicken. Für ihn war Pestalozzi Ratgeber und Freund und er schrieb dazu, "bei jeder Begegnung gibt er mir Beweise seiner vertrauensvollen Liebe und Achtung". Aber auch Pestalozzis Eintragung in Fröbels Stammbuch verdeutlicht uns, wie eng die persönlichen Beziehungen zwischen den beiden hervorragenden Pädagogen zeitweilig waren: "Der Mensch bahnt sich mit der Flamme des Denkens und mit dem Funken des Redens den Weg zu seinem Ziel, aber er vollbringt diesen Weg, er vollendet sich selber nur durch Schweigen und Tun".


Das Lebensregime in Iferten war für Fröbel sehr hart, er blieb Betreuer seiner Zöglinge und Lernender und setzt sich schließlich auch kritisch mit Pestalozzis Erziehungsauffassung auseinander. Als Fröbels Versuche, bei Pestalozzi Veränderungen in bestimmten Fragen zu erwirken, ergebnislos blieben und er zu der Meinung gelangte, daß alles "Handeln, Bitten, Fordern und Streiten" vergeblich sei, zog er sich von Pestalozzi zurück und entwickelte später ein eigenständiges pädagogisches Programm und wesentliche Gesichtspunkte, in denen er über seinen Lehrer hinausging.


Pestalozzi und Fröbel bewahrten sich bis ins Greisenalter ihr seltenes Gemüt und waren für Kinder noch in hohem Alter von hinreißender Anziehungskraft. Einig waren sie sich in der Auffassung, daß die ersten Lebensjahre die wichtigste Zeit für das ganze Leben seien und hier der Grund gelegt wird zu dem ferneren Dasein und Streben. Sie trafen sich in der Wertschätzung der Sprache bei der Menschenbildung oder auch darin, daß ohne Mathematik die Erziehung nur Flickwerk sein könne.


Nach Middendorfs Tagebuch bekannte sich Fröbel anläßlich der Pestalozzi-Feier 1846 in Keilhau noch einmal nachdrücklich zu Pestalozzi: "Was von Pestalozzi gewünscht wurde, daß er seine Idee rein bei den kleinen Kindern ausführen möchte, ist hier angebahnt in dem Kindergarten und dem Erziehungsverein. Und so ist sein Leben und Streben mitten unter uns lebendig." Das von Pestalozzi in schwerer Zeit und unter schwierigen sozialen Bedingungen vorgelebte Erzieherethos hatte sich Friedrich Fröbel als einer der großen pädagogischen Denker und Praktiker im 19. Jahrhundert inzwischen zu eigen gemacht. Besonders in seinem Hauptwerk "Die Menschenerziehung" (Keilhau 1826) bekräftigt Fröbel viele Gedanken im Sinne Pestalozzis, die das Subjektwerden des Menschen durch Erziehung unterstützen. Es war eine erfreuliche Tat und ein Zeichen der engen geistigen Verbundenheit zwischen demokratisch gesinnten Kräften der Universitätsstadt Jena mit der Erziehungsanstalt in Keilhau, wenn in der von Lorenz Oken herausgegebenen Zeitschrift "Isis" Anfang 1827 bereits eine knappe Würdigung Fröbels als Erzieherpersönlichkeit und Autor der "Menschenerziehung" erschien:


"Die Erziehungsanstalt zu Keilhau hat sich in der neueren Zeit durch den Eifer ihres Stifters und seiner Gehilfen kräftig hervorgetan und einen Ruf durch ganz Deutschland erhalten, welcher der Anstalt ebenso günstig ist, als es vielen Eltern angenehm sein muß, welche ihre Kinder an einem Orte erziehen lassen wollen, von dem sie überzeugt sein können, daß daselbst für ihr moralisches und physisches Wohl ebenso gesorgt wird wie für ihr geistiges. Wenigstens hören wir, die wir in der Nachbarschaft wohnen, daß man allgemein mit der Erziehungsweise zu Keilhau, und besonders mit der wahrhaft väterlichen und mütterlichen Sorge für die Kinder zufrieden ist ... " "Die Menschenerziehung" enthält eine große Masse sinniger Bemerkungen, geschickter Anleitungen und beweist, wie allseitig der Verfasser seinen Gegenstand aufgefaßt und die Natur des Kindes studiert habe.


"Das Lesen dieser Schrift wird jeden mit Achtung für die großen Kenntnisse, den Eifer und das Geschick des Verfassers erfüllen; nur wird er eine etwas einfachere Sprache wünschen".


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