Freie Universität Berlin
Otto-Suhr- Institut/ John F. Kennedy - Institut
SoSe 1996
Hauptsemiar: Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland
Dozenten: Margit Meyer/ Stefan Schneider
Sylvia Richter
"Die Darstellung von Obdachlosigkeit in der Literatur":
1.Buchbesprechung des Romans "Asphaltvenus" von Karin Reschke
2.Buchbesprechung der Autobiographie "Ein Leben auf der Strasse" von Charles Willeford
1.Buchbesprechung des Romans "Asphaltvenus" von Karin Reschke
1.1.Inhaltsangabe von "Asphaltvenus" (Autorin : Karin Reschke)
Tosca Winter hat sich nach dem Tod ihres Mannes von ihren irdischen Habseligkeiten und ihrer Wohnung getrennt. Sie begibt sich auf "Wanderschaft" durch das frühere West-Berlin und hat in einem Schuppen in der Domäne Dahlem ihr zeitweiliges Quartier bezogen, wo sie von dem Studenten Paul, mit dem sie sich angefreundet hat, ab und zu mit warmer Milch und Delikatessen versorgt wird. "Trippeltosca" besucht täglich die Gemäldegalerie im Museum in Dahlem. Ihre Mutter, die eine akademisch ausgebildete Kopistin war, hatte sie schon als Kind regelmäßig dorthin mitgenommen und ihre Tochter in diesem Handwerk unterrichtet. Auch Tosca übte daher lange das Kopieren alter Meisterwerke aus, Rembrandts Hendriekje Stoffels war mit 16 Jahren ihr erstes gelungenes Kopierwerk. Heute gilt Tosca's Interesse vor allem Cranach's Bildern von Venus am Jungbrunnen.
Am 15. April, als die Geschichte beginnt, wird während eines ihrer täglichen Galeriebesuche ein junger Kopist, ein Japaner, den Tosca seit einiger Zeit beim kopieren eines Dürerwerkes beobachtet hat, erstochen aufgefunden. Auch sein noch unvollendetes Werk wurde zerstört. Alle Anwesenden, die beiden Museumswärter Ross und Leupold, die Garderobenfrau, eine japanische Reisegruppe, ein junger Mann mit Haarzopf, ein älteres Ehepaar und Tosca Winter werden von Kommissar Fuchs als Verdächtige verhört. Die Tatsache, daß Tosca keinen festen Wohnsitz hat, macht sie bei der Polizei ebenso verdächtig wie ihre Aussage zum Tathergang. Keiner der Anwesenden will den Mord an dem Japaner gesehen haben. Noch am Tatort begegnet Tosca der deutschen Ex-Geliebten des toten Japaners Kamiko Linasa. Wie sie beim Verhör von Kommissar Fuchs erfährt, war Linasa ein besessener Dürer-Kopist, der an einer Kunstschule in Tokio sein Handwerk gelernt hatte. Eine Zeitlang hatte er seiner deutschen Freundin Hanna Reuter zuliebe seine Leidenschaft aufgegeben, um mit ihr eine Judoschule in Berlin zu eröffnen. Nachdem diese jedoch Pleite gegangen war, hatte sich der Japaner trotz seiner hohen Schulden wieder den Dürer-Kopien zugewendet, die Beziehung zu seiner Freundin war danach in die Brüche gegangen.
Noch am Abend desselben Tages wird Tosca von der Polizei ins Schöneberger Polizeipräsidium gebracht, gegen ihren Willen erkennungsdienstlich behandelt, und nochmals vom Kommissar verhört. Er ist der erste Polizist, dem Tosca, nach vielen negativen Erfahrungen mit der staatlichen Ordnungsmacht, Sympathie entgegenbringt. Fuchs will von Tosca wissen,warum man bei dem Toten ein Buch gefunden hat, auf welchem ihre Fingerabdrücke und die des Japaners gefunden wurden. Tosca, die das Buch mit in die Galerie genommen und es dort nach dem Mord verloren hatte, weiß keine Erklärung dafür. Der Kommissar macht Tosca mit weiteren Fakten zu Kamiko Linasa bekannt. Der Japaner hatte sich im Februar von seiner Lebensgefährtin getrennt und danach ein Zimmer in der Wohnung eines japanischen Gesandtschaftsangehörigen bewohnt. Als die Polizei sein Zimmer besichtigen wollte, fand sie es vollständig ausgeräumt vor, obwohl es laut Aussage des japanischen Gesandtschaftsangehörigen am Tage davor noch komplett gewesen war. Der Kommissar zeigt Tosca ein Foto von der Freundin des Japaners, auf dem auch die Adresse der Frau vermerkt ist. Tosca, die neugierig geworden ist, fährt am nächsten Tag zu dieser Adresse. Dort taucht nicht nur bald die ehemalige Lebensgefährtin des Japaners, sondern auch die Polizei auf. In die Wohnung Hanna Reuters ist eingebrochen worden. Nachdem die Polizei wieder verschwunden ist, erfährt Tosca von Hanna Reuter, daß der Einbruch mit dem Tod ihres japanischen Ex-Geliebten nichts zu tun habe. Bei den Tätern handele es sich um "ihre Jungs" aus der Spielhalle, die sie beaufsichtige. Nachdem Tosca von der Frau aus ihrer Wohnung gewiesen wird, findet sie sich Stunden später im Keller eines verlassenen Hauses in einem anderen Stadtbezirk wieder. Offensichtlich hatte man sie erst ohnmächtig geschlagen und dann dorthin entführt. In einem Café, in dem sie sich nach dem Anschlag langsam wieder erholt, trifft sie auf Hanna Reuter, die eben überfallen worden ist. Hanna Reuter gibt nun allmählich ihre ablehnende Haltung gegen Tosca auf und erzählt ihr, daß die Jungen aus der Spielhalle auch für die Entführung Toscas und den Überfall auf sie verantwortlich seien, nicht aber für den Mord in Dahlem. Am nächsten Morgen trifft Tosca sich mit Kommissar Fuchs im Café Louise, der sie mit weiteren Fakten des Falles vertraut macht. Tosca begreift allmählich, daß ihre "Mitarbeit" an dem Fall vom Kommissar erwünscht ist. Sie stellt die Theorie auf, daß Linasa möglicherweise in die Fänge einer Bande von Kunstfälschern geraten ist, die er auffliegen lassen wollte und die ihn darum umgebracht hat. Fuchs bringt sie jedoch auf die Spur eines bekannten Obdachlosen, mit dem Linasa in den letzten Wochen gesehen worden sein soll. Tosca, die sich im Milieu der Obdachlosen bestens auskennt, begibt sich auf die Suche nach ihm. Hinter der Beschreibung der Person vermutet sie Bertram, den Habicht, einen alten Bekannten. Sie sucht sein Domizil in Onkel-Toms-Hütte auf, eine verfallene Villa, um sich dort umzusehen. Die Villa ist jedoch abgerissen, an ihrer Stelle befindet sich eine Baugrube. In einem Bauwagen entdeckt Tosca eine Portraitskizze des Malers Linasa, die sie an sich nimmt. Sie befragt einige Bekannte aus dem Obdachlosenmilieu nach Bertram, die jedoch vorgeben, nichts über seinen Verbleib zu wissen. Als sie in ihr Domizil nach Dahlem zurückkommt, haben Unbekannte bei ihrem Freund Paul die geraubte Handtasche von Hanna Reuter abgegeben. Tosca entdeckt in der Handtasche ein Heft mit stichwortartigen Notizen Hanna Reuters, aus denen hervorgeht, daß Hanna sich als Gelegenheitsprostituierte verdingt und neben Kamiko Linasa einen weiteren Liebhaber hatte, den japanischen Geschäftsmann und Gesandtschaftsbeauftragten Yosoui Imai, bei dem Linasa nach seiner Trennung von Hanna gewohnt hatte. Imai war auch der Auftraggeber der Dürerkopie. Für Tosca kommt nach dieser Entdeckung auch Rivalität zwischen den beiden Japanern um die Frau als mögliches Motiv in Betracht.
Als sie Hanna Reuter aufsuchen will, um ihr die Tasche zurückzugeben, erfährt sie, daß diese im Krankenhaus liegt. Auf dem Weg dorthin wird Tosca von mehreren Männern aus dem Obdachlosenmilieu beschattet. Sie vermutet, daß Bertram dahintersteckt. Am Tag darauf wird der alte Kowatsch, einer der Obdachlosen, die Tosca nach Bertram befragt hatte, tot aufgefunden. Tosca wird von der Polizei zum Fundort der Leiche gebracht und dort von Kommissar Fuchs über den Toten, der an Herzversagen gestorben ist, befragt. Jemand hat ihn nach seinem Tod zu dem Fundort, einer alten Baracke, gebracht. Sie verschweigt dem Kommissar, daß sie den alten Kowatsch noch zwei Tage zuvor gesehen und nach Bertram befragt hatte. Auch verschweigt sie ihm ihr Wissen um Hannas Notizbuch, ihre Beschattung durch die Odachlosen-Kollegen und die Portrait-skizze von Linasa, die sich immer noch in ihrem Besitz befindet. Wieder zurück in Dahlem, vertraut Tosca sich Paul an. Sie macht sich Sorgen um Hanna, hat Angst, daß der Japaner Imai, der seit dem Tattag verschwunden ist, ihr im Krankenhaus etwas antun könnte. Am Kiosk in Dahlem-Dorf trifft Tosca kurz darauf einen japanischen Journalisten. Er ist an ihrer Meinung über die unvollendete Dürerkopie des Toten interessiert. Bei dieser Gelegenheit erfährt sie, daß der Gesandtschaftsangehörige Imai nicht verschwunden, sondern von der Familie des Toten mit dessen Überführung nach Japan beauftragt worden ist.
Wieder zurück am Kiosk in Dahlem-Dorf, trifft Tosca auf einen weiteren Bekannten aus dem Obdachlosenmilieu, Monolisa. Er gibt vor, von Bertram geschickt worden zu sein, und lädt sie zu einer Feier am Abend anläßlich des Todes von Kowatsch ein.
Tosca begibt sich danach zum zweiten Mal ins Krankenhaus, um Hanna Reuter zu besuchen, erfährt dort aber, daß diese schon entlassen worden ist. Als sie an einem kleinen Café vorbeikommt, erinnert sie sich an Titus, einen der Wächter aus der Gemäldegalerie, dem sie vor Jahren ihre Hendriekje Stoffels Kopie dort geschenkt hatte. Titus hatte damals versucht, sie von der Straße zu holen, was ihm nicht geglückt ist und ihr freundschaftliches Verhältnis eine Zeitlang belastet hatte.
Am Treffpunkt in der Potsdamer Straße, wo die Feier zum Tode des alten Kowatsch stattfinden soll, trifft Tosca auf ein junges Paar, daß dort sein Zelt aufgeschlagen hat, wartet aber vergeblich auf ihren alten Bekannten Bertram.
Am fünften Tag nach dem Mord begibt sie sich das erste Mal wieder in die Gemälde-galerie, wo man inzwischen die Tatwaffe, einen Dolch, im Sanitätsraum gefunden hat. Von der Kassiererin in der Cafetria erfährt sie, daß ihr alter Freund, der Museumswärter Titus, sie seit Tagen gesucht habe. Als sie Titus schließlich trifft, macht er ihr ein Geständnis. Titus, der an diesem Tag eigentlich frei hatte, war zur Tatzeit zufällig in der Galerie, weil er dort etwas in seinem Spind vergessen hatte. Zum Zeitpunkt des Geschehens befand er sich in der Nähe des Japaners und beobachtete, wie dieser mit einem spitzen Gegenstand zunächst sein eigenes Bild zerstörte und dann damit auf sich selbst einstach. In seiner Panik machte Titus dann einen Fehler nach dem anderen. Zunächst entfernte er das Messer aus dessen Brust, dann steckte er es weg und verließ die Galerie, ohne Hilfe zu holen oder sich bemerkbar zu machen. Niemand hatte ihn herein- oder hinausgehen sehen. Erst am Nachmittag wurde ihm klar, was vorgefallen war, und er versuchte seinen Fehler zu vertuschen, indem er das Messer zunächst in seinem Spind versteckte. Tage später legte er das Messer in den Sanitätsraum, wo es dann schließlich auch entdeckt wurde. Erst danach brachte er den Mut auf, der Polizei den Hergang der Tat zu schildern.
Kommissar Fuchs, den Tosca wenig später in der Galerie trifft, bestätigt diese Version des Tathergangs. Linasa hatte am Tag vor seinem Tod einen Abschiedsbrief an Yosoui Imai geschickt, den aber weder er, noch Linasas Familie an die Polizei aushändigen wollten. Erst nachdem er von der Polizei unter Druck gesetzt worden war, gab Imai den Abschiedsbrief Linasas heraus. Linasa sah seine Arbeit als Kopist und damit sein Leben als gescheitert an, darum brachte er sich um. Er wollte verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen, aus diesem Grund heuerte er Bertram, den Straßenhändler an, der sein Zimmer ausräumte. Bertram hat seither sein Revier gewechselt, ist mitsamt der Sachen Linasas verschwunden. Linasas Ex-Geliebte, Hanna Reuter, hatte offensichtlich nichts mit seinem Tod zu tun.
Tosca kehrt am Ende wieder in die Domäne zurück, wo einige junge Leute gerade ein Stück der Berliner Mauer zu Grabe tragen.
1.2. Beurteilung von "Aspahltvenus"
Der Roman, in dessen Mittelpunkt die ältere Witwe Tosca Winter als Hauptfigur steht, wurde von Karin Reschke in der Ich-Form geschrieben. Die Geschichte umfaßt eine Zeit-spanne von fünf Tagen, sie beginnt am 15.April. Die Heldin schildert zu Beginn des ersten Kapitels zunächst einmal, warum sie sich für das Leben auf der Straße entschieden hat. Tosca will nach dem Tod ihres Mannes lieber auf der Straße zu leben, als sich in ihrer Wohnung zu verkriechen, ihren Besitz zu horten, ihre aufkommenden Krankheiten zu pflegen, und einmal wöchentlich Besuche beim Friseur, im Supermarkt und in Cafés mit Altersgenossinnen abzuhalten. Ihre Obdachlosigkeit ist das Ergebnis einer bewußten Entscheidung, die sie auch im nachhinein nie bereut hat. Sie hat sich so ihre Agilität bewahrt und lernt ihre Heimatstadt Berlin noch einmal ganz neu kennen.
Diese unproblematische Einstellung zur Nichtseßhaftigkeit wird allerdings im Laufe der Geschichte immer unglaubhafter. Sie gibt ihre Wohnung nicht wegen einer finanziellen Notlage auf, sondern um sich auf eine Abenteuerreise durch die Stadt zu begeben. Dies erscheint gerade angesichts ihres Alters nicht so recht glaubwürdig. Ihre täglichen Besuche in der Galerie, am Kiosk, und in der Domäne hätte sie durchaus auch mit einem festen Dach über dem Kopf abhalten können. Stattdessen haust sie in einem Schuppen, muß auf der Straße frieren, und leidet unter den mangelhaften hygienischen Verhältnissen, die ein Leben ohne festen Wohnsitz mit sich bringt. Durchgängig beschreibt die Heldin andere Obdachlose als Kriminelle oder Alkoholkranke, zu denen sie eine ablehnende, arrogante Haltung hat, da sie sich als "Freiwillige" für Überlegen hält. Ein glaubhafter Einblick in das Obdachlosenmilieu wird dem Leser verwehrt.
Auch die Kriminalgeschichte, in die Tosca verstrickt wird, weist einige Ungereimtheiten auf. So bleibt beispielsweise Rätselhaft, warum Tosca von ihren Kollegen eine Zeitlang verfolgt wird, und warum man sie am Betreten des Krankenhauses zu hindern versucht. Auch die Einladung ihres Kollegen zur Totenfeier an der Potsdamer Straße bleibt unver-ständlich, zumal dort niemand erscheint.
Tosca's zufälliges Zusammentreffen mit Hanna Reuter nach ihrer Entführung und dem Überfall auf Hanna wirkt ebenso unglaubhaft, wie ihre Entdeckung der Portraitskizze im Bauwagen. Und warum fordert der Kommissar, der sie auf Bertram angesetzt hat, keine Informationen von ihr ein, duldet aber trotzdem die weitere Einmischung in seine Er- mittlungsarbeit ? Ungeklärt bleibt auch, warum die Leiche von Kowatsch in die Ruine gelegt wurde, und wer dafür verantwortlich ist.
Nach den zahlreichen Verstrickungen und Theorien , die im Laufe der Handlung präsen-tiert werden, erschient der Schluß etwas zu kurz und banal. Die Heldin wirkt enttäuscht, und auch der Leser bleibt etwas ratlos zurück.
2.Buchbesprechung der Autobiographie "Ein Leben auf der Strasse" von Charles Willeford
2.1.Inhaltsangabe von "Ein Leben auf der Strasse" (Autor: Charles Willeford)
Charles Willeford, geboren 1919 in Little Rock, Arkansas, verbringt den ersten Teil seiner Kindheit in Los Angeles, im Hause seiner Großmuttter. Sein Vater stirbt, als er zwei Jahre alt ist, an Tuberkulose, seine Mutter verliert er sechs Jahre später aufgrund der selben Krankheit. Charles, der bis zum Tode seiner Mutter wohlbehütet im Kreise seiner Großfamilie aufgewachsen war, wird danach von seiner Großmutter Mattie in ein Internat geschickt. Mattie verspricht ihm, ihn zu sich holen, sobald er zehn Jahre alt sei. Charles verbringt nach anfänglichen Schwierigkeiten zwei glückliche Jahre im Internat, wo er regelmäßig von Mattie besucht wird, die als Hutverkäuferin in einem Kaufhaus in Los Angelos arbeitet. Als Charles zehn ist, hält Mattie ihr versprechen und holt ihren Enkel zu sich. Charles verbringt danach eine glückliche Kindheit bei seiner Großmutter. Kurz nach seinem zwölften Geburtstag ziehen Mattie's wesentlich älterer Bruder Jake und dessen Tochter Ethel zu ihnen. Jake, der bereits mehre Menschen dank seines locker sitzenden Revolvers auf dem Gewissen hat, mußte sein kleines Hotel in Arkansas fluchtartig verlassen. Er fürchtete die Rache zweier Väter, deren Söhne er bei einem Einbruch in seinem Hotel erschossen hatte. Charles fürchtet sich vor seinem Großonkel, ist aber in dessen Tochter, die bereits Anfang Dreißig ist, verliebt. Ethel ist zweifache Witwe, ihre beiden Ehemänner verlor sie durch Selbstmord. Als sie einen reichen Texaner kennenlernt, der sie heiraten will, verlangt sie zuvor eine notarielle Beglaubigung von ihm, daß er auf keinen Fall Selbstmord begehen werde. Nach ihrer Heirat mit dem Texaner zieht Ethel zu ihrem Ehemann nach Santa Monica. Mit Beginn der Großen Depression verliert zunächst Mattie ihre Arbeit im Kaufhaus, dann auch Jake seine Stelle als Nachtwächter. Jake zieht zu seiner Tochter, sein Schwiegersohn begeht kurze Zeit später Selbstmord, weil er sein Vermögen durch die Depression verloren hat. Mattie wird fortan von ihrem Sohn Roy finanziell unterstützt. Ein Jahr später, als Charles Dreizehn ist, glaubt er, seinem Onkel nicht mehr diese finanzielle Belastung zumuten zu können und verläßt er sein Zuhause, um auf der Straße zu leben.
Ohne sich von seiner Großmutter zu verabschieden, begibt er sich zu den "Tramps" auf dem Güterbahnhof von Los Angelos und nimmt einen Zug in Richtung Osten. Seine erste Station ist ein "jungle" in Colton, ein Lager aus improvisierten, einfachen Hütten, in denen Arbeitslose und ihre Familien leben. Charles verbringt zwei Tage dort, um danach mit dem Güterzug nach Yuma in Arizona weiterzufahren. Auf dem Weg dorthin muß er Zwischenstation in Indio machen, wo er zum ersten Mal betteln geht. Auf seiner Weiterfahrt lernt Charles bald die rauhen Methoden der Bahnpolizei kennen, sich der Tramps in Californien zu entledigen. Von mit Axtstielen bewaffneten Männern werden alle Tramps an der Grenze zu Arizona aus dem Zug geholt und mehrere Stunden in ein Lagerhaus gesperrt, bis der nächste Güterzug nach Arizona eintrifft. Charles weiß nun, daß eine Rückkehr nach Californien auf diesem Weg für ihn unmöglich sein wird. In Yuma, wo es ihm gefällt, lernt er einen Tramp kennen, der sich dort als berufsmäßiger Trauzeuge verdingt und ihm einen Schlafplatz nennt, wo er nicht von der Polizei behelligt wird. Hier denkt Charles zum ersten Mal über sein Leben nach, und beschließt, eine neue Identität anzunehmen. Er hält dies für notwendig, um seiner Großmutter keinen Kummer zu bereiten, falls man ihn schnappt und er ins Gefängnis käme. Er wählt den Namen seines Großonkels und nennt sich fortan Jake Lowey. Am nächsten Tag trifft er auf einen zeltenden Mann am Fluß, der ihm eine warme Mahlzeit gibt und ihm danach eine Möglichkeit anbietet, etwas Geld zu verdienen. Er möchte von Charles mit einer Gerte ausgepeitscht werden. Charles, der zunächst irritiert ist und sich den sonderbaren Wunsch des Mannes nicht erklären kann, willigt schließlich in dieses Geschäft ein. Vier Tage lang verdient er sich sein Geld auf diese Weise bei dem Mann, bricht aber seine "Geschäftsbeziehung" zu ihm ab, als der Mann nicht mehr bezahlen kann.
Seine nächste Station ist ein staatliches Obdachlosenlager in Tuscon, das nach strengen Regeln geführt wird. Charles genießt dennoch seinen Aufenthalt dort und bekommt nach zwei Probewochen einen Job als Laufbursche der Lagerleitung zugeteilt. Seine besondere Sympathie gilt dem "ersten Offizier" des Lagers, Mr. Adams. Charles lernt im Lager die verschiedenen Typen von Obdachlosen kennen: die "Bums", Tramps oder Penner, die aus freier Entscheidung unterwegs sind und nicht arbeiten wollen, die"Hobos", sogenannte Wanderarbeiter, die Straßenkinder, und die neue Gattung, die Obdachlosen der Depression. Nach fünf Wochen verläßt er das Lager. Er macht von der Möglichkeit Ge-brauch, sich eine Fahrkarte nach Hause bezahlen zu lassen, steigt aber in Yuma aus. Dort lernt er einen Jungen kennen, der beim Aufspringen auf einen Zug schwer verunglückt. Charles nimmt den abgetrennten Fuß des Jungen an sich, um am Bahnhof Hilfe zu holen. Nachdem er den Schock dieses Erlebnisses überwunden hat, fährt Charles weiter nach El Paso. Im dortigen jungle lernt er eine neue Verfahrensweise kennen, die von den Behör-den in Texas praktiziert wird, um den Farmern billige Arbeitskräfte zu beschaffen. Mit Hilfe der Polizei werden regelmäßig Tramps aus den Lagern geholt (dezimiert ), die ohne Bezahlung Farmarbeiten verrichten müssen. Da Charles nicht dezimiert werden möchte, verläßt er das Lager und fährt weiter in das neue Obdachlosenlager nach Douglas, Arizona. Er bekommt einen Job als Kehrjunge beim dortigen Friseur. Mit ihm besucht Charles zum ersten Mal in seinem Leben ein Bordell in Mexiko. Charles fühlt sich wohl im Lager, wird aber von Mr. Adams, dem neuen Lagerkommandanten, der ihn gleich wiedererkennt, davongejagt. Er flüchtet in das Bordell nach Mexiko, betrinkt sich dort und wird anschließend ausgeraubt. Splitternackt muß er nachts durch die Wüste zurück zur amerikanischen Grenze laufen. An einem Lagerfeuer trifft er zwei Tramps, Billy Tyson und Pearson, die ihm Kleidung geben. Die Drei freunden sich an und ziehen von nun an gemeinsam weiter, obwohl sie unterschiedliche Ziele haben. Charles will zur Weltausstellung nach Chicago, Pearson will in Detroit arbeiten, und Billy will als angeblicher Cowboy nach Hause zurückkehren, wozu ihm aber noch der entsprechende Cowboyhut fehlt. Man beschließt, mit dem Güterzug nach St. Louis zu fahren, zieht auf den Zwischenstationen gemeinsam herum, hilft sich gegenseitig und macht für eine Mahlzeit Aushilfsarbeiten in einer Bäckerei. Auf dem Weg nach Norden kommen sie in einen Blizzard und erfrieren beinahe im Güterzug. Als der Zug in der Nähe einer Kleinstadt im Schnee steckenbleibt, werden sie vom Sheriff in einem Gerichtsgebäude untergebracht.
Nachdem sich der Blizzard gelegt hat, wollen Charles und seine beiden Freunde ihre Reise nach St. Louis fortsetzen. Kurz vor der geplanten Abreise findet Charles in einer Billard-halle einen Cowboyhut, den er für seinen Freund Billy mitnimmt. Obwohl er den Hut gern selbst behalten hätte, schenkt er ihn Billy. An diesem Punkt trennen sich die Freunde. Billy, der sein Ziel nun erreicht hat, fährt nach Hause, Pearson macht sich auf den Weg nach Detroit. Charles bleibt am Ende allein zurück und träumt von neuen Zielen.
2.2. Beurteilung von "Ein Leben auf der Strasse" (Autor: Charles Willeford)
Der erste Teil der Autobiograhpie von Charles Willeford, der vier Kapitel umfaßt und den Titel "Ouvertüre" trägt, behandelt seine Kindheit. Trotz des frühen Todes seiner beiden Elternteile verlebt er diese glücklich. Er ist intelligent und wißbegierig, und wird vom Internat und von seiner Großmutter früh zur Selbständigkeit erzogen, die ihm später sehr zugute kommt. Er liebt seine Großmutter sehr,beschließt aber im Alter von dreizehn Jahren, als fast seine ganze Familie arbeitslos geworden ist, die Verantwortung für sein Leben selbst zu übernehmen und verläßt sein Zuhause.
Hier beginnt der zweite Teil der Jugendgeschichte des Autors, der insgesamt zehn Kapitel umfaßt und mit dem Titel "Oper" versehen ist.
In verschiedenen Rückblenden erzählt Charles von seiner Reise durch den Südwesten der USA, auf der er, anfangs noch als unbedarftes, naives Kind, sehr bald mit den rauhen Sitten des Tramperlebens vertraut gemacht wird. Die Reise entwickelt sich im weiteren Verlauf auch zu einem Trip der Selbsterkenntnis, in dem der Junge allmählich erwachsen wird. Mit viel Geschick , einer guten Anpassungsgabe, und etwas Glück schlägt er sich durch, erlebt aber auch einiges, das er nur schwer verkraftet. Die Begegnung mit dem Mann in Yuma, der sich von ihm auspeitschen läßt, ist sein erstes traumatisches Erlebnis. Er beschließt danach, nie wieder nach Yuma zurückzukehren.Yuma bildet auch den Ausgangspunkt für seine neue Identität, die er sich zurechtlegt. Die Wahl des Namens seines Großonkels Jake offenbahrt seine Bewunderung für ihn, der sich immer so gut durchs Leben geschlagen hat. Da zu seiner neuen Identität auch ein Reiseziel gehört, legt er sich auf Chicago fest. Er glaubt niemals wirklich daran, nach Chicago zu wollen, tischt aber selbst seinen neuen Freunden diese Geschichte auf, die ihn im übrigen auch belügen. Hierbei handelt es sich nicht etwa um fehlendes gegenseitiges Vertrauen, sondern um einen in Tramperkreisen anscheinend üblichen Brauch. Mit der Akzeptanz der Bräuche und Regeln der Tramper hat er ohnehin keine Schwierigkeiten, selbst das strenge Reglement in den Obdachlosenlagern empfindet er nach seinen Erfahrungen im Internat nicht als zu hart.
Ein weiteres traumatisches Ereignis stellt auf seiner Reise der Unfall des Jungen dar, hier wird ihm bewußt, daß auch ihm ein solch tragisches Erlebnis widerfahren könnte.
Seine Jugend bewahrt Charles davor, sich angesichts der Unmenschlichkeit, die ihm im Laufe seiner Reise immer wieder begegnet, entmutigen zu lassen. Eine große Rolle spielt dabei sicherlich die Tatsache, daß er seinen Entschluß zu dieser Lebensform freiwillig gefaßt hat, sowie das Wissen darum, daß dies eine (Erlebnis-) Reise auf Zeit sein wird, und das er jung genug ist, um andere Alternativen wahrnehmen zu können.
Charles Willeford zeichnet in seiner Autobiographie ein düsteres Bild von den Zuständen, unter denen viele Arbeitslose zur Zeit der Großen Depression in Amerika zu leben gezwungen waren. Er beschreibt sehr anschaulich, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten und wie sich das Leben in den staatlichen Obdachlosenlagern gestaltete. Trotzdem gewinnt der Leser nie den Eindruck, daß Charles jemals auch nur einen Augenblick dieser Zeit missen möchte.
3.1. Quellen
Reschke, Karin. Asphaltvenus: Toscas Groschenroman. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1994. Willeford, Charles. Ein Leben auf der Strasse. Hamburg: Rowolt Taschenbuch Verlag, 1995.
Freie Universität Berlin
Sommersemester 1996
Fachbereich: Politische Wissenschaft
HS 32511 "Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland"
DozentInnen: Margit Mayer, Stefan Schneider
Sabine Rehder
Obdachlosigkeit in Kreuzberg
Interview vom 29.07.1996 mit Werner Neske und Peter Distelkamp-Franken in Berlin von der AG Leben mit Obdachlosen
Frage: Gerade in Berlin-Kreuzberg wird das Problem Obdachlosigkeit besonders sichtbar. Gleichzeitig gibt es dort auch eine Reihe nicht-staatlicher Hilfsangebote unterschiedlichster Art. Werner Neske und Peter Distelkamp-Franken, Ihr beide arbeitet in jeweils einer Kreuzberger Gemeinde vornehmlich mit Obdachlosen und Ihr seid auch beide Mitglieder im Arbeitskreis "Leben mit Obdachlosen". Diesem Arbeitskreis gehört auch Pfarrer Ritzkowsky an, über den vor einiger Zeit in Zusammenhang mit einem spektakulären Rechtsstreit von den Medien berichtet wurde.
Werner Neske: Joachim Ritzkowsky, Pfarrer der Heilig Kreuz Gemeinde, hat vor ca. 1 1/2 Jahren einen Obdachlosen in einem ehemaligen Gemeindehaus angemeldet, welches ausschließlich der Gemeindearbeit und nicht als Wohnraum dient. Joachim Ritzkowsky wurde wegen Ordnungswidrigkeit zu einem Bußgeld verurteilt und verpflichtet, denjenigen abzumelden.
Frage: Worin genau bestand denn die Ordnungswidrigkeit?
Werner Neske: Die Ordnungswidrigkeit bestand darin, daß er einen Obdachlosen im Gemeindehaus angemeldet hat, obwohl dieser dort nicht wohnt. Pfarrer Ritzkowsky wollte diesen Begriff "Wohnen" neu definiert haben, weil er sagte, Obdachlose wohnen auch auf öffentlichen Toiletten, das ist ihr Zufluchtsort, ihre Heimat und das ist auch ihr Wohnraum. Und die müssen sich auch dort melden dürfen. Und deshalb dachte er erst recht, in der Gemeinde, wo diese Leute auch tatsächlich wöchentlich ankommen, ihre Habseligkeiten unterbringen, auch z.T. schlafen, sich mal eine Stunde hinlegen, um Frieden zu finden, müssen sich anmelden dürfen. Joachim Ritzkowsky hat den Menschen nicht abgemeldet und dann kam es zum zweiten Verfahren. Die Sozialstadträtin von Kreuzberg, Junge-Reyer, war als Gutachterin geladen und hat Joachim Ritzkowsky unterstützt. Die Richterin hat die Interpretation von dem Begriff Wohnen tatsächlich übernommen und akzeptiert, daß eben Obachlose in solchen Einrichtungen angemeldet werden dürfen.
Frage: Das bedeutet also, daß nicht nur die Klage auf Ordnungswidrigkeit zurückgewiesen wurde, sondern...?
Werner Neske: Durch diesen Rechtsstreit wurde ein Präzedenzfall geschaffen. In Göttingen z.B. hat schon vor 3 oder 4 Jahren eine Gemeinde 300 Obdachlose in ihrer Kirche angemeldet und das hat sogar der Stadtrat dort erwünscht, damit diese Leute erreichbar sind. Und das war natürlich auch ein Argument für diese Richterin in Berlin, das zu übernehmen.
Frage: Besonders deutlich finde ich, daß für den Ausgang des Rechtsstreits die Definition von "Wohnen" ausschlaggebend war. Vielleicht ein Hinweis, wie folgenreich Begriffsdefinitionen für die jeweilige Praxis im Umgang mit Wohnungslosen sein können.
Peter Distelkamp-Franken: Also in diesem Rechtsstreit, ich war bei der ersten Verhandlung dabei, war es so, daß der Staatsanwalt und auch der Richter sich beide sehr gequält haben und die ganz ehrenwerten Motive von Pfarrer Ritzkowsky anerkannt haben, sich aber an die Gesetzesvorgaben halten mußten. Es war allen Beteiligten unwohl bei der ganzen Geschichte und sie sahen ein, daß hier eine bürokratische Schranke aufgebaut wird, die die Hilfe für Obdachlose zusätzlich erschwert.
Werner Neske: Beim zweiten Verfahren trat dieser innere Konflikt der Richter noch stärker zu Tage. Hier war es nur noch die Vertreterin vom Landeseinwohneramt, die starr auf ihren Formalia bestand.
Frage: Nachdem es in dem Rechtsstreit um die Definition von Wohnen ging, würde ich gerne mal fragen, wie Ihr für Euch persönlich die Begriffe "obdachlos" und "nichtseßhaft" definieren würdet, welche in Deutschland in erster Linie für das Problem "wohnungslos" benutzt werden.
Peter Distelkamp-Franken: Nichtseßhafte sind für mich Menschen, die freiwillig, ich sage wirklich freiwillig und bewußt in keine feste Wohnung wollen. Es gibt Leute, die haben Phobien, die können keine vier Wände um sich herum haben, dann werden die verrückt. Das kann man vielleicht therapeutisch behandeln, man muß es ja nicht. Obdachlose sind für mich Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, wobei das nicht gleich mit Wohnung zu setzen ist. Also ein Dach über dem Kopf zu haben, das kann eine Läusepension sein, das kann irgendwo im Heim sein, das kann auch auf einem Speicher sein mal für ein halbes Jahr oder im unbewohnten Haus, in der Ruine, auch da hat man ja ein Obdach, aber das ist ja keine Wohnung. Das ist für mich der Unterschied. Obdachlosigkeit ist Wohnungslosigkeit. Jeder, der obdachlos ist, ist - aus meiner Sicht - auch gleichzeitig wohnungslos. Es gibt also Menschen, die wählen freiwillig einen solchen Lebensstil, die sagen, "Ich lebe draußen!"
Frage: Aber ein Obdach wäre für Dich etwas anderes als eine Wohnung. Wo siehst Du den Unterschied?
Peter Distelkamp-Franken: Also ich denke, dieser Begriff Obdachlosigkeit ist ja auch negativ belastet. Wenn ich Obdach für mich definiere, daß ich sage, jemand, der ein Obdach hat, der muß auch gleichzeitig menschenwürdige Wohnzustände haben, also der muß in diesem Obdach, in dem er lebt, seine Heimat haben, also nicht ein Zimmer in einem Heim, sondern das müssen seine eigenen vier Wände sein mit Mietzins, in denen er machen kann, was er will. Aber in der augenblicklichen Praxis gilt obdachlos als asozial und wird abgetrennt. Und die, die man Obdachlose nennt, wohnen in irgendwelchen Grenzbereichen, in irgendwelchen Siedlungen oder sie werden an den Rand gedrängt. Der Begriff Obdach müßte auch beinhalten, daß das so die Heimat ist, der Ruhepunkt, die anständige Wohnung, so etwas muß es ja eigentlich beinhalten, dieses Obdach. Der Begriff Obdach müßte - um dem Begriff Wohnung gleich zu sein - auch Aspekte wie Heimat und Ruhepunkt beinhalten.
Frage: Problematisch in diesem Zusammenhang erscheint mir, daß Menschen, die im eben genannten Sinne keine Wohnung, kein Obdach haben, auch gleichzeitig aus anderen Bereichen automatisch ausgegrenzt werden können. Wie seht Ihr das?
Peter Distelkamp-Franken: Um jemanden überhaupt aus dieser Obdachlosigkeit herauszuholen, braucht er eine Meldeadresse. D.h., wenn jemand Sozialhilfe will oder eine Lohnsteuerkarte, muß er gemeldet sein. Mindestens eine Postadresse. Und sobald er eine Meldeadresse hat, geht dieser ganze bürokratische Apparat von selbst mehr oder weniger los, wie wenn man einmal auf einen Knopf drückt.
Werner Neske: Du hast dann Rechte.
Mir fällt da eine Gruppe von 15 Leuten ein, die sich in einer Reinigung aufhalten, bis die abends rausgeschmissen werden. Die sind in den 70er Jahren politisiert worden, und die gehen mit dem Begriff "obdachlos" ganz stolz um. Die haben einen äußeren Feind, das ist das Sozialamt, der Wachschutz, die Bullen, die sie von diesem Ort vertreiben und die sagen, wir sind ja obdachlos, wir kämpfen um unseren Raum und das ist für die eine ganz wichtige Sache, sich über diesen Begriff zu definieren und einen Zusammenhang zu finden.
Frage: Das ist ein Beispiel, in dem sich die Betroffenen mit dem Begriff "obdachlos" identifizieren und ihn selbst aktiv nutzen.
Werner Neske: Die gehen da offensiv mit um. Einer von denen hat sich anscheinend totgetrunken, das Obduktionsergebnis liegt noch nicht vor. Es gab ein Gerücht, er sei totgeschlagen worden, vom Wachschutz, aber das glaube ich erst einmal nicht. Jedenfalls war das einer aus einem Haus der Clique und da merkte man auch, daß die ganz stark zusammenhalten. Sofort wurde eine Beerdigung organisiert, ein Flugblatt wurde gedruckt: "Man lebt gefährlich in Kreuzberg, der Wachdienst prügelt Obdachlose tot", und da habe ich eine starke Betroffenheit festgestellt, da merkt man auch, daß die sich eingerichtet haben.
Frage: In dieser Gruppe gehen die Aktivitäten offenbar auch über das Organisieren von alltäglichen Notwendigkeiten hinaus.
Werner Neske: Ja, aber wie gesagt, daß ist nur eine Gruppe.
Peter Distelkamp-Franken: Einige, mit denen wir zu tun haben, sind irgendwann mal politisiert worden und die haben immer noch dieses Feindbild und das ist dieser kapitalistische Staat. Und ich sehe bei den einzelnen ein grobes Feindbild, also schwarz-weiß ohne ein paar Töne dazwischen. Man kann es auch verstehen: dort wo die stecken, kann man wahrscheinlich nur noch schwarz-weiß sehen. Da ist dann das Sozialamt und diese Behörde und die Kirche, einfach nur noch Feind. Und insofern weiß ich nicht, ob das - jetzt kann man spekulieren - schon ein politischer Akt ist, der über das hinausgeht, was die normale Alltagsbewältigung betrifft. Der Tod des Gruppenmitglieds löst einen Schock aus und bestätigt die Einstellung, daß das System wieder einen kaputtgemacht hat. Aber ich denke, mehr wirds dann nicht sein. Wäre es den Leuten möglich, ihre Situation differenzierter zu sehen, könnten sie sich wahrscheinlich noch anders zur Wehr setzen.
Werner Neske: Das Feindbild gibt es oft im Bewußtsein der Leute, mit denen wir arbeiten, aber darüber hinaus entsteht eben wenig. Das ist schon bei allen in den Köpfen, daß sie sich verarscht fühlen.
Frage: Könntet Ihr nun etwas über Eure Arbeit mit Obdachlosen berichten?
Werner Neske: Ich arbeite hier als Straßensozialarbeiter im ehemaligen Kreuzberg 36, das ist so der Raum Hallesches Tor, Gneisenaustraße, Mehringdamm hauptsächlich. Wir machen in den Wintermonaten, hauptsächlich 1x wöchentlich mittwochs, Obdachlosentreffen, da kommen so 80 - 100 Obdachlose und bekommen auch jetzt inzwischen warme Speisen. Und ansonsten laufe ich hier rum und höre mir die Probleme von diesen Leuten an und mache viele Einzelfallarbeiten. Das ist auch das Effektivste. Die Leute kommen zu mir ins Büro und ich versuche ihnen eine Wohnung zu suchen, wenn sie Interesse haben oder viele haben juristische Probleme und da vermittle ich mit dem Anwalt. Und ich gehe auch zum Gericht und zum Gerichtshelfer, besorge auch, das ist auch ganz wichtig, denn die Leute haben Hunger. Das Geld geht immer für Alkohol drauf oder für sonstige Drogen, so besorge ich von der "Berliner Tafel", das ist so eine gemeinnützige Institution, Brote und die hole ich dann dreimal wöchentlich ab und verteile die dann auch in der Umgebung. Im Winter verteile ich dann auch Kleidung, die ich vom Kreuzberger Wäschedienst hole am Lausitzer Platz und die Leute können auch unregelmäßig herkommen, dann gebe ich ihnen Kleidungsstücke, falls die erforderlich sind, oder Schlafsäcke. Für diese Arbeit bin ich zwar bei der Gemeinde zum Heiligen Kreuz angestellt, werde aber vom Bezirksamt bezahlt.
Peter Distelkamp-Franken: Also ich komme aus der Emmaus-Ölberg Kirchengemeinde, das ist der Bereich hauptsächlich des Lausitzer Platzes. Und es ist halt eben so mehr oder weniger ein Brennpunkt. Wir haben also im Winter in der Woche drei Öffnungstage gehabt, Di., Mi., Do. von 9-13 Uhr und von Sonntag auf Montag ein Nachtcafe. Außerdem begleitend dazu eine Wäschekammer für Obdachlose. Sie können auch duschen und den hygienischen Dingen nachgehen. Finanziert wird das Ganze erstmals im Winterhalbjahr wie immer von der Kältehilfe des Senats, d.h. es gibt Honorare für Mitarbeiter, davon werde ich dann auch bezahlt und es gibt Sachmittel und ab und zu gibt es auch Spenden. Im Sommer, jetzt, haben wir zwei Tage geöffnet, Di. und Mi., es sind nur zwei Stunden, die wir geöffnet haben und es wird ehrenamtlich gemacht, durch mich und durch eine andere Mitarbeiterin, die früher selbst obdachlos war. Das Wintercafe unterscheidet sich vom Sommercafe insofern, als daß wir im Winter im Schnitt 85 Besucher täglich in der Wärmestube hatten und etwa zwischen 25 und 30 Besucher im Nachtcafe.
Jetzt im Sommer haben wir 30 - 40 Besucher, wir versuchen eine Atmosphäre herzustellen, die cafeähnlich ist und es gibt bestimmte Dinge, wie Magarine, Marmelade, die umsonst sind und wer möchte, kann einen Wurstteller kaufen für eine Mark. Die Preise liegen unter dem Selbstkostenpreis. Gleichzeitig ist es uns aber auch wichtig rüberzubringen: "Ihr habt hier auch Rechte, ihr könnt Euch hier verhalten, wie in jedem anderen Cafe auch."
Frage: Euch ist es also wichtig den Menschen nicht nur materielle Hilfe zur Verfügung zu stellen, sondern Ihnen auch Respekt entgegenzubringen.
Werner Neske: Wir sagen immer, das sind unsere Gäste und die bedienen wir auch. Die können sich bei uns wohl fühlen, die bekommen Kaffee, die müssen nichts tun. Die können sich hier entspannen.
Frage: Wie versteht Ihr Eure Arbeit? Und mit welchen Augen seht Ihr Euer Klientel, als Opfer...?
Peter Distelkamp-Franken: Ich weiß nicht, ob es Werner ähnlich ergangen ist, Du bist ja wahrscheinlich auch vorher nicht mit Obdachlosen zusammengewesen und ich bin da auch nur zufällig rangekommen. Und ich dachte, na ja, was kommt da auf mich zu? Die riechen, die sind aggressiv, die saufen, also betrunken usw. - mein Gott. Natürlich alles, das ist mir teilweise begegnet aber meine Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Unsere Vorstellung in dem Team, das wir gebildet haben, war: "Wir schaffen erst einmal einen Raum, in dem Menschen zusammenkommen können, wo sie sich hinsetzen können, dort in Ruhe gelassen werden, die nicht mit Fragen überfrachet werden, denen dort keine Vorschriften gemacht werden, außer Minimalregeln wie Alkoholverzicht und Gewaltfreiheit. Aus meiner Erfahrung war das auch erstmal gut, das zu machen.
Frage: Woran hast Du das gemerkt? Welche Erfahrungen habt Ihr mit diesem Konzept gemacht?
Peter Distelkamp-Franken: Die Leute sind erst einmal mißtrauisch. Was wollen die denn schon wieder oder wenn ich ein Brötchen bekomme, muß ich dafür was tun? Muß ich ein nettes Gesicht machen oder darf ich einfach mürrisch sein und da habe ich, also dieses Mißtrauen, was erst zu spüren war, oder auch Zurückhaltung, Scheu, auch teilweise vielleicht Angst. Bei manchen Besuchern konnte man das explizit beobachten. Sie haben zunächst zwei, drei, vier Wochen kein Wort gesprochen. Dann kamen sie irgendwann langsam aus sich heraus, haben Fragen gestellt und mit uns gesprochen. Das führe ich darauf zurück, daß wir keinen Druck gemacht haben, auch keinen positiven Druck, sondern einfach nur gewartet haben.
Frage: Wie siehst Du in diesem Konzept Deine eigene Rolle? Welche Ziele hast Du in Deiner Arbeit? Ich könnte mir vorstellen, ich wäre ziemlich hin- und hergerissen zwischen dem entlastenden Gefühl, nicht alles verändern bzw. verbessern zu müssen und andererseits würde es mir wahrscheinlich schwerfallen, einfach alles anzunehmen, wie es ist.
Peter Distelkamp-Franken: Ich kann ja natürlich nur für mich sprechen, aber je mehr ich in die Arbeit reinwachse, möchte ich natürlich doch helfen, etwas anstoßen, also der Wunsch ist da. Also ich denke, so ein Elend immer zu sehen, sich damit zu konfrontieren, selbst dazu Anlaß zu geben, ganz bewußt zu sagen, ich will so nicht leben, aber auch akzeptieren zu können, daß andere sagen, ich will aber so leben. Oder wenn man eine Wohnung besorgt hat oder einen Gang zum Arbeitsamt gemacht hat, und hinterher stürzt das wieder ab, da ist dann schon eine Frustration, da kommt schon ein Stückweit auch ein Helfersyndrom hoch, und es ist wichtig zu gucken, und dann wieder zurückzugehen und denken, na gut, geht nicht anders. Und trotzdem: Irgendwo möchte jeder kreativ sein und etwas in Bewegung setzen. Aber oft ist unsere Arbeit eher ein Begleiten, manchmal sogar zum Sterben. Da weiß man, es ist abzusehen, in 4, 5, 8 oder 10 Jahren sind sie nicht mehr, sie haben sich totgesoffen, die da auf der Bank sitzen.
Frage: Auf die Frage nach den Ursachen für Obdachlosigkeit finden sich in der Literatur zwei Erklärungsansätze: Obdachlosigkeit als individuelles Problem, welches sich aus der jeweiligen Biographie ableiten läßt und zweitens: Obdachlosigkeit als Folge gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen, wie z.B. dem hiesigen Wohnungsmarkt.
Peter Distelkamp-Franken: Ich denke, es ist beides, in Zeiten, wo eine gute Wohnungspolitik gemacht wird, wo es wirtschaftlich gut geht, fallen Leute raus, bei denen es mehr aus ihrer Biographie erklärbar ist, daß sie Alkoholiker werden oder andere Süchte haben, daß sie eben nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen können usw. Momentan denke ich, daß es vorwiegend strukturelle Probleme sind, daß keine Gelder da sind. Es gibt hier keinen sozialen Wohnungsbau mehr in Berlin, es ist aus, Schluß, Ende. Es gibt nur noch den zweiten Förderweg. Aus meinen Erfahrungen in den letzten Jahren würde ich sagen, ist vorwiegend das der Grund. Hier trifft man auch oft auf Leute, die aus ihrer Biographie anfällig sind. Wenn sich die strukturellen Probleme verschärfen, sind diese Leute natürlich noch viel anfälliger. Dann kommen zwei Dinge zusammen.
Frage: Also würdet Ihr sagen, daß sich die Situation durch wohnungspolitische Entscheidungen der letzten Jahre verschärft hat?
Werner Neske: Diese These würde ich aufstellen.
Peter Distelkamp-Franken: Würde ich auch so sehen.
Frage: Wenn wir allerdings noch mal auf die Gründe für den Rechtsstreit um die Anmeldung von Obdachlosen in der Gemeinde zurückkommen, so scheint auch die Unfähigkeit der einzelnen gesellschaftlichen Instanzen und Bürokratien, sich im Sinne der Betroffenen zu koordinieren, eine Rolle zu spielen, also ein weiterer Faktor, der die Situation verschärft?
Peter Distelkamp-Franken: Ja, das sieht man am Beispiel einer Frau, die jetzt bei uns hilft, sie hat zwei Jahre gebraucht, bis sie soweit war, eine Meldeadresse zu bekommen und sie ist schon sechzig, deshalb kann man sie relativ gut unterbringen. Sie wohnte in Hamburg, stammte aber aus Berlin, hatte ihre Taufurkunde und war bei uns konfirmiert worden und wollte halt wieder nach Berlin. Und da haben die hier gesagt, nö, du gehörst hier nicht hin, du bist da gemeldet, kriegst auch noch Sozialhilfe da, fahr nach Hamburg. Viermal hat man ihr eine Fahrkarte gegeben.
Frage: Das heißt doch eigentlich, daß Obdachlose gar nicht umziehen können.
Peter Distelkamp-Franken: Hat sie hier eine Meldeadresse, dann kann sie selbstverständlich umziehen. Aber die Berliner Kommune verschiebt ihre Zuständigkeit auf die Hamburger Behörde. Und dann schicken sie die Frau zurück, anstatt ihr Tips zu geben und zu sagen, wie sie sich hier anmelden kann.
Werner Neske: Und in solchen Fällen sind Institutionen wie wir absolut wichtig, denn dieses Hin- und Herschieben von Zuständigkeiten geht ja hier in Berlin zwischen den einzelnen Bezirken weiter. Wir versuchen uns daran zu orientieren, was für die einzelnen noch möglich ist und Hemmschwellen abzubauen. Manche Menschen sind z.B. körperlich und psychisch nicht mehr in der Lage, zum Sozialamt am anderen Ende der Stadt zu gehen und sich selbst um ihre Dinge zu kümmern.
Frage: Das hört sich so an, als würdet ihr versuchen, die Folgen von bürokratischen Reglementierungen mit Eurer Arbeit aufzufangen und auszugleichen.
Werner Neske: Es gibt Fälle, in denen die Leute sogar von Krankenhäusern weggeschickt werden. Schwerkranke Leute, die dort wirklich erfrieren würden, nicht mitgenommen werden. Da lag z.B. ein Mann bei 20 Grad minus draußen. "Wir sind nicht mehr zuständig", sagt dann die Polizei, "den kennen wir, wir sind nicht mehr zuständig." Und da mußten wir die veranlassen - gegen Drohung - ihn mitzunehmen und dann gings erst. Aber ich denke, so sind einige auch schon erfroren, es gibt Beispiele, daß sogar die Krankenhäuser einige weggeschickt haben.
Frage: Gibt es weitere Beispiele aus Eurer Praxis, in denen ihr die mangelnde Kooperationsbereitschaft zwischen einzelnen Verwaltungen auffangen müßt?
Werner Neske: Ein weiteres Beispiel aus jüngster Zeit sind die BVG-Karten. Die Sozialsenatorin und die BVG schaffen die BVG-Karte ab.
Peter Franke: Das ist so etwas von politisch dumm, aber ich denke mal, es war wieder politische Taktik von der Senatorin. Eine Art Warnschuß. Zunächst hatte der Senat 58 oder 54 Millionen Zuschuß für die BVG gestrichen. Die BVG reagiert nach dem Motto: "Wir sind hier nicht das Sozialamt. Wir schreiben selber rote Zahlen" - und streicht die Sozialkarte ganz. Das politische Ziel war, so stellt sich das für mich dar, die Kosten auf die Bezirke abzuwälzen. Was dabei rausgekommen ist, ist zumindest, daß die Karte 5 DM teurer geworden ist. Also es ist auf jeden Fall für die Sozialsenatorin etwas dabei rausgekommen und so geht man denn vor.
Werner Neske: Ich habe jetzt mit mindestens 7 oder 8 Leuten zu tun, die schwarz gefahren sind in dieser Phase, die jetzt diese brauchten schon, die jetzt 60 DM Strafe am Hals haben, die natürlich auch nicht bezahlen können und jetzt kriminalisiert werden. Jetzt hat den Fall ein Inkassobüro, jetzt müssen sie 300 DM zahlen.
Peter Franke: So wird das künstlich aufgebaut.
Werner Neske: Und man muß natürlich auch sagen zur Entlastung, ich kenne das Bezirksamt Kreuzberg und die sind völlig überlastet und die sind sehr kooperativ.
Peter Franke: Also gerade der Sozialbereich. Die waren ja am schimpfen, die Sozialstadträtin Junge-Reyer auch, so einen Blödsinn zu veranstalten und denn halt eben auch noch diese Einzelanträge, die man hätte stellen müssen, das wenigstens auf Pauschalwege zu vereinfachen. Und Gottseidank haben sich die Bezirke durchsetzen können, so daß es jetzt wenigstens die Karte erhalten bleibt, auch wenn es jetzt teurer wird.
Frage: Wie reagiert Ihr als Arbeitskreis auf solche Vorgänge?
Werner Neske: Also zu diesem Thema haben wir eine Demo gemacht, eine Spontan-Demo am Bahnhof Zoo. Erst mit 10 Leuten, dann waren es es nachher 100. Es gab ein breites Echo in der Presse und wir waren gefragt als Betroffenenverbände.
Frage: Wart nur Ihr da, die Betroffenenverbände, oder habt Ihr die Aktion mit den Betroffenen gemacht?
Werner Neske: Wir haben es mit den Betroffenen zusammengemacht, aber es war eigentlich eine Spontanidee. Wir haben Flugblätter gemacht usw.
Frage: Ihr seid inzwischen also Ansprechpartner?
Werner Neske: Kann man so sagen, wir wollen es nicht ganz hochhängen, aber wir haben auch Veranstaltungen gemacht, mindestens einmal im Jahr eine politische Veranstaltung, die letzte ging um die Vertreibung von den Obdachlosen von Bahnhöfen, da gab es eine Pressekonferenz zu und auch eine Veranstaltung in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und wobei wir dachten, es hätte nicht so viel Anklang gefunden, weil fast keiner der geladenen Vertreter gekommen war. Trotzdem haben wir hinterher noch ein Echo erfahren, indem da Nachfragen kamen, auch von Journalisten und Fernsehteams. Da kann man schon ein stückweit etwas bewegen. Und Pfarrer Ritzkowsky ist auch ein sehr bewegter Mensch und sehr bekannt bei Politikern und auch bei Journalisten. Und er schreibt auch Artikel, und ein Buch jetzt über Obdachlosigkeit, so wie er das sieht. Das Buch ist wohl schon beim Verlag, ich weiß nicht, ob es schon fertig ist.
Frage: Könntet Ihr die Arbeit und Struktur des Arbeitskreises "Leben mit Obdachlosen" noch etwas ausführlicher darstellen?
Peter Distelkamp-Franken: Wir sind kein Verein, wir sind kein juristischer Träger in diesem Sinne. Wir haben das bewußt so gemacht, weil in dem Moment, in dem man ein Verein wird, unterliegt man Statuten, die man sich geben muß. Unsere Erfahrung war, so wie wir zusammenarbeiten, geht das viel flexibler und viel schneller. Wir haben einen Sprecherrat gewählt, ich glaube, das sind sechs Personen und es gibt von Zeit zu Zeit Treffen, und dort werden Vorarbeiten zu den nächsten größeren Treffen geleistet, und schauen, was steht dann an und um Veranstaltungen vorzubereiten.
Frage: Wie kam es zur Gründung des Arbeitskreises?
Peter Distelkamp-Franken: Pfarrer Joachim Ritzkowsky hatte mit der Obdachlosenarbeit angefangen und gesehen, daß so viele notwendige Dinge im Argen liegen, auch z.B. die medizinische Versorgung von diesen Leuten, und es wäre besser, wenn sich die einzelnen Kirchengemeinden, die diese Arbeit machen, daß diese Leute sich zusammenschließen, um ihre Arbeit ein wenig aufeinander abzustimmen, um Erfahrungen auszutauschen. Es ging auch um finanzielle Geschichten, es müssen Anträge gestellt werden, das war noch beim Senat. Die Frage ist, wie macht das die einzelne Kirchengemeinde
Anlaß für Ritzkowskys Arbeit war auch eine Minderversorgung derjenigen, die einfach bestimmte Dinge nicht mehr können, die die Bürokratie vorschreibt. Diese Problematik hat er gesehen und angefangen, zu versuchen, das im größeren Kreis auf einer politischen Ebene, die über die Hilfe im Einzelfall hinausgeht, anzugehen. Dazu gehört es auch, Forderungen grundsätzlicher Art aufzustellen und damit an die Öffentlichkeit zu treten. Von Jahr zu Jahr sind immer mehr dazugekommen. Erst ein relativ kleiner Kreis, meine Frau gehörte erst dazu, die ist Pfarrerin in der Emmaus-Ölberg Gemeinde und es zog immer mehr Leute an, so daß wir in einer bestimmten Weise Sprachrohr geworden sind.
Frage: Ist der Arbeitskreis auch ein Ort, in dem ihr Eure eigene Arbeit reflektieren könnt...?
Peter Distelkamp-Franken: Einmal im Jahr findet Fortbildung statt für uns selbst, ein paar Tage, diesmal liegen die im September in der Taborgemeinde und dort setzen wir uns dann auch auseinander, mit Historie, und auch über unsere Schwierigkeiten, die emotional und psychisch sind. Andererseits beschäftigen uns auch die bürokratischen und finanziellen Strukturen.
Frage: Gibt es noch weitere Beispiele dafür, wie der Arbeitskreis in der Öffentlichkeit aktiviert wird?
Werner Neske: Ja, die Grünen haben im letzten Winter eine Anfrage gemacht zur Vertreibung Obdachloser von öffentlichen Plätzen und Parks. Ziel dieser Anfrage war es zu klären, ob das überhaupt zulässig ist, und nach welchen Kriterien. Darauf gab es eine Veranstaltung im Abgeordnetenhaus mit allen Parteien und Bundesgrenzschutz sowie Polizeivertreter und Planungsvertreter mußten zu dem Thema Stellung beziehen.
Frage: Welchen Anlaß hatte diese Anfrage?
Werner Neske: In den Wintermonaten bei 20 Grad minus wurden betrunkene Obdachlose ergriffen, in ein Polizeiauto gesperrt und nach Grunewald gefahren. Es hieß immer, so etwas gibt es nicht, so etwas machen wir nicht seitens der Polizei. Wir machten dann ein Interview und nach den Recherchen sagt auf einmal die Pressesprecherin des Polizeipräsidiums: Wir machen das aber nach rechtlichen Grundsätzen - und dann definierte sie das. Da hatten die Grünen dann die Anfrage gemacht und dann traf sich der Sozialausschuß. Die Privaten waren vertreten, die Bahnpolizei war da, der Innensenat war vertreten, dann waren wir zu dritt und die Angestellten waren noch da. Dort kam heraus, daß es rechtlich ist, Menschen zu verfrachten. Und zwar muß man aber beachten, sie dürfen nicht unter Drogen stehen oder krank sein, sie müssen Fahrgeld haben, es darf nicht Nacht sein und es darf nicht kalt sein. Dann darf man sie nach Wannsee verfrachten, es darf kein längerer Weg als eine halbe oder dreiviertel Stunde bis zur nächsten öffentlichen Bushaltestelle sein. Und jetzt frage ich mich, welcher Obdachlose hat nicht was getrunken, steht nicht unter Drogen? Es gibt natürlich Leute, die das nicht sind, aber meistens sind sie betrunken oder angetrunken. Also diese Regelung kann gar nicht eingehalten werden.
Frage: Und was war das Ergebnis dieser Sitzung?
Werner Neske: Alles wurde sich bei der Ausschußsitzung angehört und es wurde dann vereinbart, einmal abzugleichen, ob die Fälle, die wir haben, irgendwo bei der Polizei auftauchen. Ob das tatsächlich relevant ist, was wir sagen, bzw. was als Vorwurf gegenüber der Polizei aufgebaut wird und daß das eben noch einmal weiter verfolgt wird, wenn sich da Ergebnisse zeigen.
Frage: Wie seid Ihr als Arbeitskreis weiter vorgegangen?
Werner Neske: Wir haben eine Fragebobenaktion unter Obdachlosen gemacht. Von den Bögen haben wir 62 Bögen zurückbekommen, was nach unserer Meinung schon viel war. Es waren ca. 150 Personen über die berichtet wurde, oder die von sich selbst berichtet haben, die vertrieben worden sind. Das Ergebnis dieser Umfrage zeigt ganz eindeutig, daß Leute vor die Stadt gekarrt werden.
Peter Franke: Aber vor allen Dingen werden die Leute vertrieben. Der von der Bahn-AG z.B. sagte: "Wir rufen die Polizei." Die Polizei wird als Instrument eingesetzt, wenn Politik versagt. Die müssen was tun, damit den Geschäftsleuten nachgekommen wird oder der Bahn-AG oder wie auch immer. Die Bahn-AG selbst hat sogar davon gesprochen, mit unserem Arbeitskreis evtl. nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Wichtig wäre es, Räume zu schaffen, die Obdachlosen vor Ort vorbehalten bleiben, wo sie ihre Nacht verbringen können, ohne zu frieren.
Frage: Gibt es aus Eurer Arbeit noch etwas, das ihr abschließend an dieser Stelle ansprechen wollt?
Werner Neske: Ich beobachte, daß immer mehr Leute von Obdachlosigkeit bedroht sind. Die leben zwar noch relativ günstig in ihrer Wohnung und das Sozialamt zahlt auch einen Teil oder die ganze Miete. Aber der Strom ist abgestellt, das Telefon ist längst abgestellt und dann kommen Mahnungen von der BEWAG usw. und dann wirds schwierig. Und da könnte man mit den Sozialämtern viel besser zusammenarbeiten, aber das verweigern die. Letztendlich zahlen die dann lieber nach dem Verlust der Wohnung für eine Pension bis zu 3.000 DM im Monat anstatt den Zuschuß für die Miete aufzustocken, was wesentlich günstiger wäre.
Frage: Warum wird das so gehandhabt, obwohl doch so viele Gründe dagegen sprechen?
Peter Distelkamp-Franken: Es steht so im Bundessozialhilfegesetz, also wird es so gemacht. Da steht, daß die Leute ein Recht haben untergebracht zu werden - aber eben nicht wie.
Ich möchte noch sagen, daß man die Arbeit, die wir machen, auch sehr kritisch sehen kann. Eigentlich stützen wir das System, in dem wir ein Stückweit seine Schwächen wegnehmen. Gleichzeitig erlebe ich aber, daß ich einzelnen Menschen helfen kann. Und ich finde, daß sollte ich dann auch tun. Es ist wohl nicht möglich, diesen Widerspruch aufzulösen. Aber ich finde es notwendig im Blick zu behalten, was wir denn da machen und uns auch zu befragen, ob wir an bestimmten Stellen nicht zu sehr entlasten und damit strukturelle Probleme letztendlich verdecken helfen.
Sabine Rehder: Vielen Dank Euch beiden für das Gespräch.
FU Berlin
SoSe 96
FB Pol. Wiss. (Otto-Suhr-Institut)
FB Nordamerikastudien (J. F. Kennedy-Institut)
HS32 511 Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland
Doz.: Prof. Dr. Margit Mayer / Stefan Schneider
Nina Musmann
Interview mit einer zeitweilig Obdachlosen
Ich führte das Gespräch mit Silke* (Name wurde auf Wunsch geändert), die aus einem sozial abgesicherten Elternhaus stammt und eines vieler Einzelschicksale aus Berlin aufzeigt. Ich werde das Interview als vollständigen Text widergeben, um es für die Leser verständlicher zu machen.
Silkes Eltern wollten, als sie noch minderjährig war nach Nürnberg ziehen und sie gegen ihren Willen mitnehmen. Da der Vater bis zu ihrem 18. Lebensjahr das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht für sie besaß und sie gegen ihn keine Klage erheben wollte, wendete sie sich an eine Organisation für betreutes Einzelwohnen. Ihr wurde ein sozialarbeiter zugewiesen, der sich um sie kümmerte und sie auf die Warteliste für obdachlose Jugendliche setzte. Zu dieser Zeit war Silke allerdings noch nicht obdachlos, da sie noch bei ihren Eltern wohnte. Alle zwei Wochen mußte sie nun zun Sozialarbeiter, der ihr schließlich eine Wohnung vermittelte, die sie jedoch ablehnte, da sie bis zu diesem Zeitpunkt (wie schon erwähnt) noch bei ihren Eltern wohnhaft war und die Wohnung bedürftigeren Jugendlichen überlassen wollte. Nach ein paar Wochen setzte sie jedoch rechtlich den Präzidenzfall zur Aberkennung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch, da sie nach dem Abitur einen Studienplatz an der HdK in Aussicht hatte. Die Spannung im Elternhaus nahm daraufhin zu, verstärkt durch Drogenprobleme, bis der Vater letztendlich sein Eiverständnis für die Aberkennung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gab, da er nicht wollte, daß Silke zum Sozialfall wird, aufgrund der Drohung mit einem gegen ihn eingeleitetem Gerichtsverfahren. Sie erhielt daraufhin 800 DM monatlich vom Vater und zog in die ihr vermittelte Wohnung zusammen mit ihrem Freund ein. In diesem Haus wohnten ein paar Neonazis, die ebenfalls von dem Projekt (siehe oben) betreut wurden und mit denen Silke häufig Streß hatte. Nach einer paar Wochen mußten diese jedoch aus dem Haus ziehen und setzten ihre Wohnung in Brand. Silke war zu jener Zeit im Abiturstreß und von heute auf morgen obdachlos. Da sie keine Hausratsversicherung hatte und die WIP (Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg) ihr keine Umsatzwohnung stellte, wohnte sie gelegentlich bei Freunden und auf der Straße. Sie konnte kaum noch zur Schule gehen, da sie sich zum größten Teil auf den Ämtern aufhielt. Nachdem sie sich mit gerichtlichen Rechtswegen auseinandergesetzt hatte erhielt sie endlich von der WIP zwei Wohnungsangebote, welche allerdings unzumutbar waren. Daher forderte sie den selben Standard wie bei ihrer alten Wohnung und mit Hilfe des Vaters setzten sie die Renovierung dieser Wohnung durch. Als Silke obdachlos war (für ca. 3 Monate) lernte sie viele Leute aus dem Friedrichshain kennen, die regelmäßig in der Franziskanerkirche (Pankow) zum Essen gingen. In diesem Stift gab es Duschen und 1mal pro Woche wurden Klamotten umsonst verteilt, sowie Mischbrot und Senf. ZU essen gab es vorwiegend Eintopf, Tee, Früchte und Obst, was mittags von 12-14 Uhr verteilt wurde. Als ich Silke über die Atmosphäre in der Franziskanerkirche befragte, sagte sie, daß es gemischt gewesen sei. Viele Obdachlose, viele Punks, die nur zum Essen kamen aber auch ältere Leute von denen sie nicht wußte woher sie kamen und ob sie obdachlos waren oder nicht. Zu den Schwestern, die in dem Stift arbeiteten, sagte sie, daß sie sehr hierarchisch miteinander umgingen. Zeitweilig stellten sie auch Notübernachtungen zur Verfügung. Im großen und ganzen gab es ein Stammpublikum, darunter Obdachlose aller Altersklassen. Im Sommer, sagt Silke, sei die Atmosphäre sehr nett gewesen, da das Essen draußen verteilt wurde. Im Winter dagegen mußten sie anstehen, da es aufgrund von Platzmangel nur stoßweise ausgeteilt werden konnte. Ferner erzählte sie mir, daß der Stift für ein paar Wochen zumachte (Grund unbekannt) und sie für die Obdachlosen Tiefkühllasagne verteilten! Silke meinte, daß jeder Obdachlose oder wohnhaft in besetzten Häusern etc. wußte, wo er drei Mahlzeiten pro Tag auftreiben konnte. Zu jener Zeit wurde auch in der Rigaerstraße im Friedrichshain ein kleiner Kreis von einem Pfarrer geleitet, der regelmäßig Abendessen verteilte und dort sei die Atmosphäre sehr nett und familiär gewesen. Es hatte den Anschein eines Jugendzentrums, mit einem Klavier, Fernseher und Kicker. Es bestand ein enger Kontakt zwischen den hauptsächlich Jugendlichen und dem Pfarrer, der auch auf ein Beten vor den Essen verzichtete, im Gegensatz zum Franziskaner. Darüberhinaus erzählte sie mir über mehrere Volxküchen in der Oderbergerstraße und in der Umweltbibliothek, sowie über Organisationen, die das Essen per Auto an Plätze verteilten, wo vorwiegend Obdachlose lebten. Ab und zu kam es auch zu einer gesundheitlichen Unterstützung, insofern sie eine persönliche Beziehung zu den Obdachlosen hatten. Silke meinte, daß sie einerseits froh war selbst für sich zu sorgen, sprich auf eigenen Füßen zu stehen, andererseits hatte sie ein schlechtes Gefühl anderen das Essen wegzunehmen, da sie ja noch die Möglichkeit hatte zu Freunden zu gehen. Silke erzählte mir auch, daß sie vile Obdachlose aus dem Osten kannte, die vorher fest im System integriert waren und nach dem Mauerfall alles verloren haben und obdachlos geworden sind. Ein bißchen Geld hat sich Silke auch mit Schnorren verdient, wobei sie jedoch feststellen mußte, daß man mehr Geld bekommt, wenn die Klamotten heile sind, was natürlich den Bedingungen entsprechend quasi unmöglich ist. Daran sieht man mal wieder, wie wenig die Bürger überhaupt Kontakt zu Obdachlosen haben und die Mißlage und Notlage in der sie sich befinden verstehen und durchschauen. Ignoranz und Ausgrenzung von Obdachlosen nimmt speziell in Deutschland zu und wird von den Politikern nicht als Produkt des kapitalistischen Systems gesehen, sondern als Selbstverschulden. Es wird Zeit, daß wir, die jeden Tag etwas zu essen haben und ein Dach über dem Kopf, aktiv werden und nicht nur ab und zu 'ne Mark spenden, sondern auch persönlich Hilfe leisten, denn es kann jeden von uns betreffen, vielleicht schon morgen!
FU Berlin
Fachbereich Politische Wissenschaft
HS 32511 "Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland"
Dozenten: Margit Meyer, Stefan Schneider
Referentin: Karen Knoll
Karen Knoll
Ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Beratungsstelle Besondere Soziale Wohnhilfe Kreuzberg/ Charlottenburg der Arbeiterwohlfahrt
Mein Themenschwerpunkt "Obdachlosigkeit als Folge von Mietschulden" führte mich in die Schuldenberatung der Arbeiterwohlfahrt der "BeSoWo" Kreuzberg/ Charlottenburg, um vor Ort etwas über ihre Aufgaben, Funktionen und Wirkungsweisen erfahren. .
Die BeSoWo als eine der verschiedenen Hilfstypen der Arbeiterwohlfahrt gibt es in dieser Form Funktion seit 15 Jahren und im Moment sieht es so aus als sei es ihre längste Zeit gewesen. Das für die Finanzierung zuständige Bezirksamt Kreuzberg teilte dem "freien Träger" verbindlich mit, daß die öffentlichen Mittel gestrichen und die Beratungsstelle daher geschlossen werde. Die vier Mitarbeiter, bereits in gekündigter Stellung, seien bald in ähnlicher Stellung wie die bei ihnen Rat- und Hilfesuchenden Menschen, kommentierter ein Mitarbeiter. In diesem bitter klingenden Kommentar des Mitarbeiters schwang eher die Enttäuschung ob einer so kurzsichtig angelegten Sparpolitik mit, denn der ernsthafte Vergleich mit seinem "Klientel".
Die Problematik, die sich aus der Schließung der Beratungsstelle fast zwangsläufig ergeben muß, wird deutlicher wenn ich zunächst einmal die Aufgaben, Funktionen und Zuständigkeiten derselben, erläutere.
Die Hauptaufgaben und Funktion liegen ihrem eigenem Bestreben nach im präventiven Bereich. Wie es auch dem Sinn des Paragraphen 15a entspricht, geht es auch den Mitarbeitern darum die Wohnungslosigkeit der Betroffenen um jeden Preis zu vermeiden - allein es ist nicht nur von ihrem guten Willen abhängig. In einem ersten Gespräch mit dem Betroffenen, wird der neben Frage der Zuständigkeit (es werden auch Betroffene aus anderen Bezirken in der Beratungsstelle beraten, für die Antragsbewilligung ist jedoch immer nur das Sozialamt in dessen Bezirk der Antragsteller gemeldet ist zuständig.) auch die genaue Gefährdungslage geklärt. Es ist z.B zuerfragen, ob und in welcher Form der Vermieter schon den ausstehenden Mietzins beanstandet hat. Die Betroffenen wüßten selber manchmal nicht so genau ob sie nur eine Mahnung oder bereits eine Kündigung erhalten hätten, erzählte der Mitarbeiter und bestätigte die schon angesprochene Problematik von der passiven Verdrängungshaltung mancher Betroffener. [[florin]]hnliche Fragen, die nicht nur für den ständigen Wettlauf mit den Fristen von erheblicher Bedeutung seien, sondern auch für ein zukünftiges Betreungsverhältnis, könnten mit der Einverständniserklärung des Betroffenen durchaus von Dritten ( z.B. Vermieter oder Sozialamt) erfragt werden. Es gehe, so gestand mein Gesprächspartner ein, daher nicht immer so diskret zu wie dies bei anderen Beratungsstelle erwartet werden könne.
Bereits auf dieser Stufe der Beratung eines Betroffenen durch einen "freien Träger" komme es bereits auf einen funktionierende Kommunikation auf den verschiedenen verantwortlichen Ebenen an. Eine eindeutige Antwort, inwieweit die Kooperation zwischen kommunaler Verwaltungsebene und den Wohlfahrtsverbänden, im konkreten Fall der BeSoWo fortgeschritten sei, bekam ich nicht. Herauszuhören war, daß der reine Informationsaustausch wohl noch gelänge, doch an anderer Stelle wurde von "Kompetenzrangeleien" zwischen den Einheiten gesprochen. Die Kompetenzstreitigkeiten, deren Hintergrund meistens in der Aufteilung der verfügbaren Gelder zu suchen ist, geht eher zu Lasten der freien Träger aus. In ihrem Jahresbericht heißt es diesbezüglich nüchtern : "Das Zusammenwirken der BeSoWo mit den jeweils zuständigen Fachabteilungen der beteiligten Bezirksämter ist arbeitsteilig und im Interesse des Klientels kooperativ...".
Die BeSoWo berät also auf der einen Seite die Betroffen hinsichtlich der zutreffenden Maßnahmen und bereitet vor allem alle Formalitäten zur Antragstellung mit ihnen vor, was auch bedeutet dafür zusorgen, daß alle notwendigen Unterlagen rechtzeitig und vollständig vorliegen. Darüberhinaus kann es erforderlich sein eine weiterreichende Beratung, z.B hinsichtlich eines zukünftigen Konsumverhaltens, durchzuführen, um (Miet-) Schulden , deren Ursache darin lag, zu vermeiden .
Die Beratung ist für den Betroffenen kein "passiver Vorgang" an deren Ende die Antragsstellung bzw. die Befürwortung der BeSoWo einer Mietschuldenübernahmen durch das Sozialamt steht, sondern, wie schon an anderer Stelle angeklungen, von der Mitwirkung desselben angewiesen. Ehrlichkeit den Beratenden gegenüber ist für deren Handeln notwendig. Doch lassen sich Menschen nicht gerne in Lebensgewohnheiten einsehen, und so kann es auch sein, daß der Betroffene sich nach einem ersten Kontaktgespräch wieder der Aufmerksamkeit der Beratenden entzieht. Ein sehr großer Teil der Betroffenen komme freiwilig und rechtzeitig zur Beratung. Die Adresse der Beratungsstelle werde teilweise auch durch die Vermieter selbst mitgeteilt, die an einer Lösung durch finanziellien Ausgleich durch ein Amt natürlich nicht uninteressiert seien. Bestätigt wurde die These, daß immer mehr Arbeitslose in den Strudel von Schulden und letztlich auch Mietschulden geraten. Die Kürzungen auf dem Gebiet der Sozialleistungen und die Zunahme der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen führten zu dieser stastischen Zusammensetzung der Hilfesuchenden.
Beratung und Betreuung finden im Rahmen der BeSoWo auch bereits von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen. Die Beratung hat, wie auch schon beim [[section]]15a - Paragraphen, u.a den Sinn den Betroffenen "über die zur Überwindung seiner sozialen Schwierigkeiten in Betracht kommenden Maßnahmen zu unterrichten". Die Betreuung ist darauf angelegt eine Ursachenanalyse der Schwierigkeiten durchzuführen, um die Hilfeleistungen die der ß 72 umfasst, individuell auf die Notlage des Betroffenen abstimmen zu können.
Über die bisher beschriebenen Aufgaben der BeSoWo hinaus, kümmert man sich hier auch um die "Wohnraumbeschaffung". Insbesondere eine Institution erweist sich dabei als hilfreich: Der Wohnungsfonds des sogenannten "geschützten Marksegmentes". Ein Wohnungsfonds von ca. 1500 - 2000 Wohnungen bei dem die Arbeiterwohlfahrt auch sogenannter Vorteilsnehmer ist. Diese Wohnungen sind in ganz Berlin verteilt , und werden nach einer Quotenregelung den Bezirken zugeordnet. Sie können Wohnungslosen und unabwendbar von Wohnungslosigkeit betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings leidet diese Einrichtung darunter, daß 80% dieser Wohnungen im Ostteil der Stadt liegen, während die Mehrzahl der Wohnungslosen bisher aus dem Westen der Stadt stammt. Bedingt wird den Betroffenen Verständnis dafür eingeräumt ihren "vertrauten Bezirk" nicht verlassen zu wollen. So etwa wenn sie noch einer Arbeit nachgehen, oder aber es sich um ältere oder kranke Menschen handelt, welche auf ihr soziales Umfeld angewiesen sind, um nicht ganz der Pflege durch die Fürsorge anheim zu fallen, sondern entsprechende Unterstützung noch dort erfahren. Eine andere einschränkende Bedingungen hinsichtlich einer Zuordnung der Wohnungen für Betroffenen, stellt auch die Betreuung durch öffentliche Stellen, oder den zugeteilten Sozialhelfer selber dar. Benötigt der Betroffene auch weiterhin Hilfe um die Wiederholung der Notsituation zu vermeiden, sollte er in erreichbarer Nähe der betreuenden Stelle ansässig werden. Es gehe ja schließlich auch darum den Teufelskreis endlich zu verlassen. Wenn dem Betroffenen kein Wohnraum dieses Marktsegmentes zugewiesen werden muß oder kann, hilft die BeSoWo auch anderweitig bei der Wohnungssuche, indem sie z.B Kontakt mit Wohnungsbaugesellschaften aufnimmt, Bewerbungsschreiben mitgestaltet etc.
Die Sparmaßnahmen, die bereits zur Schließung der Beratungsstelle im Wedding / Tiergarten führten, werden also mit dem kommenden Jahr auch das Ende der Beratungsstelle Kreuzberg/ Charlottenburg bedeuten. Die Beratungsfunktion in all ihren Einzelheiten wird den ohnehin schon überbelasteten Sozialämtern zusätzlich aufgebürdet. Die Sozialämter mit laufenden Ansprüchen beschäftigt werden gerade auf die Rubrik "Mietschuldner" kaum noch die Aufmerksamkeit verwenden können, die im präventiven Bereich so entscheidend ist. Der Abbau der vorgelagerten Instanz, die die Beratung durch die freie Träger darstellte, macht wieder ein mal das Paradoxon der "Sparmaßnahmen" sichtbar; Oder sollte es noch nicht zu den Veranwortlichen vorgedrungen sein, daß die Kosten für einen in die Wohnungslosigkeit abgesunkenen Menschen ca. 5 -7 mal höher sind, als die Präventivmaßnahmen in diesem Bereich ??
Es genügt nicht Gesetze und Einrichtungen zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit zu haben, wenn die Ebene fehlt auf der die Interessen effektiv und angemessen koordiniert werden können.
FREIE Universität Berlin
FACHBEREICH POLITISCHE WISSENSCHAFT
(Otto-Suhr-Institut)
Sommersemester 1996
Hauptseminar Obdachlosigkeit in Nordamerika und Deutschland
Dozentin/Dozent Margit Mayer/Stefan Schneider
Peter Gebauer
Der Strassenfeger*
Einleitung
Die Anfänge der Straßenzeitungen in Berlin
Der Strassenfeger
Die Gründung des Strassenfegers
Organisation/Leitung
Intentionen für den Strassenfeger zu arbeiten
Die Zeitung der Strassenfeger
Käufer und Verkäufer
Strassenzeitungverkäufer
Einleitung
Im folgenden sollen die in Berlin zuletzt herausgekommene Obdachlosenzeitungen der Strassenfeger dargestellt werden. Es wurde nach den Intentionen, Beweggründe struktureller Ablauf, Probleme nachgefragt. Es kann keine Garantie für die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Interviewpartner übernommen werden.
Die Anfänge der Straßenzeitungen in Berlin
Die Idee eine Straßenzeitung zu gründen kam aus Frankreich. Der Initiator brachte dann die Idee mit nach Berlin. In Frankreich wurden auch die ersten Zeitungsausgaben gedruckt. So entstand die Hass und Mop. Die motz entstand aus der ehemaligen Mop und Hass, diese wurden wegen finanzieller Schwierigkeiten aufgelöst. Gründung der Platte von ehemaligen Mob- und Hatzmitarbeitern.
Der Strassenfeger - Die Gründung des Strassenfegers
Den Straßenfeger gibt es seit Oktober 1995. Es ist die jüngste der drei Straßenzeitungen die in Berliner existieren. Der Strassenfeger befindet sich, in einem kleiner Laden, (in der nähe der motz) in Friedrichshain in der Kupernikusstraße 2. Es ist ein sehr kleiner Laden. Zwei von drei Mitarbeiterinnen des Strassenfegers kommen von der Platte und zwar Angelika Standring-Auer, unsere Interviewpartnerin, und Britta. Beide verließen die Platte wegen der Mißwirtschaft.
Angelika Standring-Auer erzählte uns, daß bei der Platte mit Geld nicht seriös umgegangen wurde. Keiner wußte was mit dem Geldern geschieht. Nach Auskunft von Angelika Standring-Auer existieren auch die Projekte (Druckwerkstatt, Bau- u. Planungsbüro, Katja's Haarmobil, Transporte & Co, Wohnheim, Schmiede) der Platte nicht. Diese (Pseudo) -projekte sollen nur dazu dienen um an Spenden heranzukommen.
Es gab aber auch unterschiedliche Vorstellungen bzw. interne Differenzen über Inhalt und äußeres Erscheinungsbild einer Straßenzeitung, was die beiden schließlich veranlaßte die Platte zuverlassen und den Strassenfeger zu gründen. Einige Verkäufer der Platte sind ebenfalls, wegen der finanziellen Probleme weggegangen, für sie gab es keine Motivation mehr bei der Platte zu bleiben.
Organisation/Leitung
Beim Strassenfeger gibt es drei Redakteure. A. Standring-Auer, Britta und ein männliches Mitglied.
Angelika Standring-Auer, unsere Interviewpartnerin ist die Presseverantwortliche beim Strassenfeger. Alle drei Redakteure schreiben Artikel für den Strassenfeger. Da sie sich mit dem Layout nicht so gut auskönnen haben sie ein männlichen Mitarbeiter für die Gestaltung von Texten angestellt. Neben seiner Tätigkeit als Layouter veröffentlicht er auch Artikel im Strassenfeger.
Den Strassenfeger lassen sie ebenfalls wie die motzzeitung in der Uniondruckerei drucken, denn für eine eigene Druckerei ist kein Geld vorhanden. Geschrieben wird zu hause am Computer denn es gibt kein eigene Redaktion. Der Strassenfegerladen als Redaktion wäre auch zu klein.
Auch die Auswahl der Themen werden zu hause bei den Mitarbeiten besprochen und ausgewählt. Wenn jemand ein Thema für interessant hält so darf er auch darüber schreiben. Es kann aber vorkommen das ein Artikel aufgrund seiner Aktualität für die kommende Ausgabe vorgezogen wird, wenn kein Platz für den ursprünglichen geplanten Text mehr vorhanden ist. Eine Bevormundung wer was zu machen hat, gibt es nach Auskunft von Angelika Standring-Auer nicht, es wird alles gemeinsam besprochen und abgestimmt. Obdachlose sollen (nach Möglichkeit) zum schreiben animiert werden. Wer nicht schreiben will kann seine (Lebens) geschichte(n) auch erzählen.
Angelika hat uns berichtet das Obdachlose oft nicht die Wahrheit erzählen, da sie Anerkennung suchen. Das hängt damit zusammen das sie am Rande unserer Gesellschaft leben und daher keine Zuneigung erfahren. Kritik wird geübt wenn man der Auffassung ist das nur die halbe Wahrheit geschrieben wurde. Das kann daß zum Beispiel vorkommen, so sagte es uns A. Standring-Auer, wenn nur halbherzig recherchiert wurde.
Intentionen für den Strassenfeger zu arbeiten
Angelika Standring-Auer macht diese unbezahlte Tätigkeit Ehrenamtlich aus sozialen Engagement wie sie sagt und sie schreibt gerne Artikel. Für den Straßenfeger arbeitet sie etwa 25 Stunden in der Woche Die anderen beiden Redakteure und der Layouter werden für ihre Tätigkeit geringfügig bezahlt. Mit dem Strassenfeger möchte man den Leser durch gut recherchierte Artikel über soziale Mißstände informieren. Es ist also keine Zeitung von Obdachlose für Obdachlose, sonder für den (sozial) interessierten Bürger.
Zum anderen hat man sich zum Ziel gesetzt keine Parteiwerbung (im Gegensatz zur Platte) im Straßenfeger aufzunehmen Sie wollen wie A. Standring-Auer sagt Unabhängig und Neutral bleiben. Im Gegensatz zu ihrer Kollegen Britta hat sie nicht den Anspruch allen Obdachlosen zu helfen, der Wille von der Straße weg zukommen, muß nach ihrer Auffassung von den einzelnen selbst kommen.
Die Zeitung der Strassenfeger
Der Straßenfeger hat eine Auflage 20.000. Obwohl es die jüngste der drei Zeitungen ist, hat der Strassenfeger bereits eine größere Akzeptanz als die Platte.
Die Zeitung kostet zwei DM. Von den zwei DM erhält der Verkäufer eine DM die andere Mark fließt in den Betrieb um die Unkosten zu decken. Gewinne macht der Betrieb aufgrund der geringen Einnahmen nicht, das Geld reicht so gerade aus wie uns A. Standring-Auer erzählte. Spenden erhält der Strassenfeger nur in Form von Sachspenden, wie zum Beispiel Kleider, Schuhe ect. Die Sachspenden werden den Obdachlosen zur verfügung gestellt. Es werden auch Aufrufe im Strassenfeger annonciert um passende Kleidung für Obdachlose als Spenden zu bekommen.
Um ein Anreiz für die Verkäufer zu schaffen und um die Verkäufer an sich zu binden aber auch um neue Verkäufer dazu zugewinnen gibt es beim Strassenfeger ein Bonussystem: Wer 30 Zeitungen kauft bekommt 5 Zeitungen Gratis dazu. Alle drei Wochen gibt es eine Neuausgabe, im Gegensatz zur motz und zur Platte die alle 14 Tage erscheinen .
Käufer und Verkäufer
Nach Angaben A. Standring-Auer gibt es etwa 60 feste Verkäufer davon sind 1/4 obdachlose Frauen die den Straßenfeger verkaufen. Nicht jeder verkauft den Strassenfeger gleich gut. So gibt es Verkäufer die den Strassenfeger besser verkaufen als andere. Das hängt nach der Ansicht von A. Standring-Auer (auch) mit der Attraktivität bzw. (erotische) Ausstrahlung der Verkäufer zusammen. Das auftreten eines Verkäufers spielt eine entscheidende Rolle. Ob er mit (halbwegs) sauberer Kleidung verkauft ob er nüchtern ist und nicht nach Alkohol riecht hat Einfluß auf den Verkauf.
Das Geschlechterverhältnis spielt sicherlich auch eine Rolle. Männer kaufen öfter bei Frauen und Frauen öfter bei Männer. Es kaufen aber auch Männer bei Männer. Frauen verkaufen (aufgrund ihres Auftretens) den Strassenfeger wiederum besser als Männer.
Manche verkaufen sowohl den Straßenfeger als auch motz. Die Verantwortlichen des Straßenfegers haben nichts dagegen das Strassenfegerverkäufer auch für die Konkurrenz arbeiten. Ein Fall ist der A. Standring-Auer bekannt, das ein Obdachloser beim Straßenfeger nicht mehr arbeiten kann, da er ein Notunterkunft bei der motz bekommen hat, Bedingung er darf nicht mehr für den Straßenfeger arbeiten. Auf die Frage wie sie zur Konkurrenz steht, antwortet A. Standring-Auer das Konkurrenz das Geschäft belebt. A. Standring-Auer betrachtet die anderen beiden Obdachlosenzeitungen eher kritisch wegen der Mißwirtschaft und wie mit den Straßenverkäufer umgegangen wird. A. Standring-Auer findet es eine Zumutung, daß die Straßenverkäufer der motz in der motzzeitung beschimpft werden.
Strassenzeitungverkäufer
Verteilt wird der Strassenfeger am Bahnhof Zoo. Dort steht ein Bus bereit der die Zeitungen an die Verkäufer und Verkäuferinnen verteilt. Die Redakteurinnen und der Redakteur wechseln sich mit dem Verkauf im ab. Das verteilen der Zeitung ist nicht nur ein formaler Vorgang, sondern man unterhält sich auch mit den Verkäufern des Strassenfegers. Die Verantwortlichen des Strassenfegers, so erzählte uns A. Standring-Auer, wollen Ansprechpartner für die Obdachlosen sein.
Es soll nach Möglichkeit ein familiäres Verhältnis vorherrschen, Obdachlose können im Straßenfegerladen zum Kaffeetrinken kommen. Der Laden soll aber zur Begegnungsstädte für alle Bürger werden. Der Strassenfegerladen soll im Winter als Notunterkunft dienen. Sanitäranlagen werden zu diesem Zweck instandgesetzt. Duschmöglichkeit soll dann auch vorhanden sein.
Obdachlose die keine Adresse angeben können wohin die Post geschickt werden kann, sollen die Möglichkeit bekommen den Straßenfegerladen als Adresse anzugeben. Das hätte auch den Vorteil, das Obdachlose wenn sie sich bei einen Arbeitgeber vorstellen eine (Schein)adresse angeben können.
A. Standring-Auer kritisiert den leerstand von Häuser. Nach ihrer Meinung sollte eine Zwangsmeldestelle eingerichtet werden, wo Hausbesitzer, wenn sie freien Wohnraum haben, sich melden müßten .
Aufgrund des lockeren Verhältnis untereinander können starke Zuneigungen entstehen. So erzählte uns A. Standring-Auer das ein Strassenfegerverkäufer nur gewillt ist mehr Zeitungen zu kaufen, wenn die (Redakteurin) Britta am Wagen steht und die Zeitungen herausgibt. Das Vertrauen zueinander ist nach Aussage von A. Standring-Auer sehr wichtig, denn man braucht auch jemanden der die Kasse verwaltet. Die Kasse verwalten kann aber nur jemand der nicht zu stark Drogenabhängig ist. Denn ein Drogenabhängiger, egal ob Alkoholiker oder Junkie, ist immer in Versuchung weil er regelmäßig seinen "Stoff" braucht, mit der Kasse durchzubrennen.
Der Drogenkonsum (vorwiegend Alkohol und Heroin) unter den Strassenverkäufern ist schon ein Problem sagte uns A. Standring-Auer. Zum einen schaden sich die Verkäufer durch ihren exzessiven Drogenkonsum selber, wenn sie alkoholisiert oder durch andere Drogen im Rausch versetzt den Strassenfeger feilbieten, weil sie dann von potentiellen Käufer als Säufer bzw. Junkies und Arbeitsscheues Gesindel abgestempelt werden. Zum anderen wirft es aber auch ein schlechtes Image auf den "Strassenfeger" (als Produkt bzw. Unternehmen), wenn Strassenfegerverkäufer im Rausch die Zeitung verkaufen. Daher müssen sich alle Strassenfegerverkäufer mit ihrer Unterschrift verpflichten kein Alkohol und oder andere Drogen vor und während des Verkaufs zu sich zu nehmen.
Nach Auskunft von A. Standring-Auer sind manche Obdachlose, aufgrund ihrer schlechten physischen und psychischen Verfassung nicht in der Lage den Strassenfeger zu verkaufen, für sie zählt nur wie sie den nächsten Tag überstehen können. Nach Beurteilung von A. Standring-Auer sind etwa 98 % der Obdachlosen für ihr Schicksal selbst verantwortlich.
Die Sozialhilfe die Obdachlosen erhalten wird meisten für Alkohol ausgegeben. Da das Geld oftmals bis zum Monatsende nicht reicht wird den Rest des Monats geklaut. A. Standring-Auer sagte uns, daß viele Obdachlose, da sie sich so an die Straße gewöhnt haben, überhaupt gar keine eigene Wohnung mehr haben wollen. Dann gibt es wieder andere Obdachlose die gehen lieber betteln, denn betteln bringt (oftmals) mehr ein als Zeitungen zu verkaufen.
Manche Obdachlose verkaufen pro Tag 10-15 Zeitungen. Nach Angabe von A. Standring-Auer ist das ungefähr das Verkaufslimit was Strassenfegerverkäufer pro Tag an Zeitungen absetzen.
Es wird den Verkäufern und Verkäuferinnen freigestellt wo sie den Strassenfeger verkaufen. Bevorzugter Platz den die Verkäufer aufsuchen um den Strassenfeger feilzubieten ist die S-Bahn, weil dort nach Auskunft A. Standring-Auer zum einen die Atmosphäre angenehmer ist, wie zum Beispiel in der U-Bahn und zum anderen günstigere Bedingungen für die Verkäufer, was den Verkauf anbelang, vorherrschen als an anderen Orten.
Das besondere bei der S-Bahn ist die aktive Fahrgastbetreuung, ein Essen und Trinkservice der S-Bahn. Die Verkäufer vom Essen- und Trinkservice und die Verkäufer des Strassenfegers ergänzen sich zu gegenseitigen Nutzen, indem der Strassenfegerverkäufer mit den Serviceverkäufer mitläuft.
Kaufen Fahrgäste Getränke und oder etwas zu Essen so sind die Fahrgäste dann oft geneigt sich noch etwas zum Lesen zu kaufen.
Demnächst will man im Umland, eventuell Magdeburg als erstes Ziel mit dem Straßenfeger gehen, mit dem Ziel Obdachlosigkeit zu dezentralisieren. Obdachlose sollen ins Umland gehen, da sie dort eher eine Chance haben eine Wohnung zu finden, denn dort gibt es weniger Obdachlose als in Berlin.
*Dieser Beitrag wurde so als Seminararbeit eingereicht. Für den Inhalt, die Qualität und die Rechtschreibung zeichnet jedoch allein der oben genannte Autor verantwortlich. Hier wird nur dokumentiert!]