Schon seit einigen Jahren haben sich in den Städten neue Straßenszenen gebildet. Zu den bereits bekannten Gruppen der Stadtstreicher, Berber, verarmten ortsansässigen Bürger oder Tagesobdachlosen gesellen sich jetzt Migranten, Aussiedler und vor allem Alkoholkranke, „Tagelöhner“ aus den osteuropäischen Ländern, die sich nach der Öffnung der EU-Grenzen illegal aufhalten und keinerlei soziale Perspektiven haben. Sie stellen ein neues Subproletariat dar.
Matthias Röhrig, Wiesbaden:
Was bei uns den Ausländeranteil ausmacht, so teilt sich das etwa in zwei Bereiche auf: Wir haben viele US-Amerikaner, viele Europäer, etwa aus Holland und Luxemburg, die auf Durchreise sind. Sie sind ein paar Tage hier und verschwinden wieder. Dann tauchen sie nach ein paar Monaten wieder auf und bleiben einige Tage. Diese bekommen dann auch den Sozialhilfetagessatz ausgezahlt. Sie ziehen im Rhein-Main-Gebiet umher und bilden eine wachsende Gruppe. Und dann gibt es noch eine ganz problematische Gruppe, die neuen Europäer. Und besonders die aus Polen, denen auch vom Gesetzgeber unterstellt wird, dass sie hier einreisen, um Arbeit zu suchen. Deswegen bekommen sie auch keine Sozialleistungen und sind nicht krankenversichert. Sie haben einen Lebenswandel, der durch das Draußen-schlafen-müssen hohe gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Sie dürfen nicht in der städtischen Obdachlosenunterkunft übernachten, weil das über die Sozialleistungen läuft. Das heißt, sie müssen draußen schlafen. Die meisten sind Alkoholiker. Sie trinken wenig Bier und Wein, hauptsächlich die harten Sachen. Und das greift natürlich die Schleimhäute an so dass wir immer wieder Leute haben mit Rachenkarzinomen, Leberzirrhosen und wirklich schweren Hautkrankheiten. Denen können wir kaum weiterhelfen. Sie können zwar in unsere medizinische Versorgung kommen, aber eine Krankenhausbehandlung ist unmöglich. Was passiert mit diesen Leuten? Da muss man einfach warten, bis sie irgendwo auf der Straße zusammenbrechen, und dann werden sie ins Krankenhaus transportiert. Sie können dann erst entlassen werden, wenn sie einigermaßen wiederhergestellt sind. Aber so etwas passiert wirklich nur in lebensbedrohlichen Notfällen.
Außer den Polen sind das Menschen aus Litauen, Estland, Lettland, Rumänien oder Bulgarien. Und immer wieder Sinti und Roma, die staatenlos sind. Es ist immer wieder eine Herausforderung, wenn sie hier auftauchen und ihre Sprachprobleme haben. Dazu kommt, dass die meisten gar nicht mehr arbeiten können. Da sind viele, die mal als Saisonarbeiter hierher gekommen sind. Es kommen auch Leute, die selbständig waren und hier gearbeitet haben, etwa eine Baufirma hatten oder als Subunternehmer tätig waren, sich aber im Steuerrecht nicht auskannten und ruck-zuck eine Million Steuerschulden angehäuft haben, die sie nicht mehr bezahlen konnten. Seitdem sind sie wohnungslos und haben keine Chance mehr. Wir nennen diese Gruppe Osteuropäer. Damit ist dann weniger über ihren Status gesagt. Im Gegensatz zu den Westeuropäern, die Sozialhilfe beantragen können, gibt es mit den neuen EU-Ländern noch keine zwischenstaatlichen Abkommen. Ich vermute, dass die Politik ganz bewusst noch keine Abkommen geschlossen hat, weil sie sich davor fürchtet, dass vielleicht alle Leute aus Polen, Rumänien und Litauen hierher kommen und Kosten verursachen.
Quelle: Wohnungslose Menschen: Ausgrenzung und Stigmatisierung.
Jürgen Malyssek (Autor), Klaus Störch (Autor)
ISBN-10: 3784118674
ISBN-13: 978-3784118673