Krisenintervention. Den Vortrag in Barcelona werde ich nie vergessen. Ich war eingeladen zum World Urban Forum und als Teilnehmer wurden mir Unterkunft und Anreise finanziert und ich hatte die Gelegenheit, ein paar Tage in dieser zauberhaften Stadt zu verbringen, schick! Den Vortrag nahm ich auf die leichte Schulter. Ich wußte ja, worüber ich sprechen sollte. Zwei Tage vor dem Vortrag wurde mir schlagartig bewußt, dass es doch etwas anderes ist, in englischer Sprache zu präsentieren. Mir wurde klar, dass es eigentlich zu spät für eine seriöse Vorbereitung war. Der Vortrag selbst war dann – und das war vorauszusehen – eine Verkettung widriger Umstände. Das Mikrophon am Rednerpult stand so ungünstig, dass ich mich ständig nach vorne beugen musste. Vor lauter Streß wurde ich kurzatmig und rang die ganze Zeit nach Luft. Durch die vorgebeugte Haltung hatte ich keinen guten Blick auf meine handschriftlichen Notizen. So suchte ich während des Vortrages ständig nach Worten, die ich nicht finden konnte und mir war, als verfiele ich in ein Kindergarten-Englisch. Es war eine große Zuhörerschaft, und ich spürte von Minute zu Minute, dass ich dabei war, diesen Vortrag richtig gehend zu vergeigen. Ich stotterte mich von Folie zu Folie, war schweißgebadet und wollte am liebsten im Erdboden versinken. Und natürlich sah ich an den Gesichtern, dass die Mehrheit im Auditorium alles andere als begeistert war von dem, was sie da zu hören bekam. Es war am Ende mein Freund Knut Unger vom MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V., der mich aus dieser peinlichen Situation halbwegs rettete, in dem er in der anschließenden Diskussion sich als erster zu Wort meldete und in einem etwas längeren Statement meinen Beitrag in den Kontext brachte, in den er hinein gehörte. Denn es ging um aktuelle Tendenzen und Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland mit Schwerpunkt Mietwohnungen und Mieterrechte.
Debattenkultur. Heute – nach vielen Jahren der Übung – schließe ich meinen Laptop an und habe viel Spaß auf meinen Vorträgen, Foren und Panels. Ich gehe flexibel um mit dem, was ich an Präsentation oder Moderationsstrategie vorbereitet habe, und bin offen für Interventionen aus dem Publikum. Ja, ich freue mich sogar, wenn eine Nachfrage mir den Anlaß gibt, auf einen bestimmten Aspekt genauer einzugehen oder wenn ich eine Debatte intensiv anheizen kann. Auch Vorträge in englischer Sprache halte ich immer öfter, und gelernt habe ich, dass es gerade eine gute, gründliche und exakte Vorbereitung ist, die es mir erlaubt, in der konkreten Situation locker aufzutreten und tendenziell frei zu sprechen. Gelernt habe ich auch, dass nicht ich mich den technischen Gegebenheiten unterordnen muss, sondern dass die Ausstattung das Hilfsmittel ist, dass ich so einrichte, dass ich optimal unterstützt werde. Deshalb bin ich in Vortrags- und Seminar- und Moderationssituationen rechtzeitig da, um alles so zu arrangieren, dass ich mich wohl fühle. Insbesondere bei der Firma Neuland habe ich eine Menge trendiges Moderationszubehör gefunden, das exakt für diese Anwendungen produziert worden ist: Workshops, Moderationen, Seminare, Präsentationen. Dies ist auch zwingend erforderlich, denn die Zeiten von Top-Down-Kommunikation sind lange vorbei. Alle wollen mitreden, jede_r hat was zu sagen, und das ist auch gut so.
Aristau, 12.03.2012
Stefan Schneider
Fotonachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Danny_Shine_Speaker%27s_Corner.JPG
Dieser Beitrag wurde transpiriert.
Kriechgang. Im Sommer des Jahres 2011 habe ich insgesamt 7 Wochen auf deutlich weniger als 8 Quadratmetern gelebt. Wie ich auf diese Zahl komme? Nun, mein Segelboot ist 6,5 Meter lang und an der breitesten Stelle gerade 2,5 Meter breit. Doch lange nicht das gesamte Boot ist uneingeschränkt nutzbar. Vorne in der Bootspitze und nur mit Mühe erreichbar werden die Segel gelagert und ist die Batterie montiert. Und hinten im Achterschiff sind die Tanks für den Aussenbordmotor, der Werkzeugkasten, ein Eimer sowie Anker und Leine deponiert. Auch die Duchten unter Deck sind nicht wirklich Wohnraum – sondern Lagerstätte für Taue, Schwimmwesten, Kleidung, Lebensmittel. Die Kajüte hat gerade mal Sitzhöhe, und alle Arbeiten darin sind irgendwie liegend, hockend oder kriechend zu erledigen. Und dennoch ist genug Platz für zwei ausreichend breite und lange Schlafmöglichkeiten, einen kleinen Schrank, einer zweiflammigen Kochgelegenheit, dazu eine Musikanlage mit Radio und mp3-Player sowie Bordstrom für Laptop und LED-Beleuchtung – kurzum, der ganze Komfort. Mit diesem Boot kann ich hervorragend auf den Binnenrevieren unterwegs sein und mache von dieser Möglichkeit auch exzessiv Gebrauch. Wasserwandern heißt diese Sportart, und die Möglichkeiten, mit einem kompletten Haushalt mobil unterwegs zu sein, wiegt so manche Unannehmlichkeit auf.
Kompromisse. Mit einer Freundin habe ich mal überlegt, Urlaub in den USA zu machen. Weil es dort viele tolle Musikgruppen gibt, die nur selten nach Europa kommen, Die Idee wäre, dort einen Wohnwagen zu organisieren und von Stadt zu Stadt und Konzert zu Konzert zu fahren. Irgendwo in der Pampa in Ruhe zu übernachten, morgens nach einem starken Kaffee loszufahren, unterwegs einen Frühstücksstop einlegen, in der nächsten Stadt anzukommen, Einkaufen, Stadtbesichtigung, Essen gehen, Konzert, und dann in Ruhe nachts den nächsten Schlafplatz anzusteuern. Quasi eine Urlaubstournee. Noch haben wir das nicht gemacht, und meine Freunde schaute auch skeptisch, als ich ihr das Vorschlug. Wahrscheinlich ahnt sie, was auf sie zukommt und dass ich als Musikenthusiast jeden Tag hunderte von Meilen fahren würde, nur um in irgendeinem lausigem Nest in irgendeiner Spekunke irgendein Konzert irgendeiner Band zu erleben ... Ich rieche schon die Frage: Und was war daran jetzt so besonders?
Klar ist, das wir für so einen Plan mit Sicherheit eine gute Versicherung brauchen werden, denn wir werden an Orten unterwegs sein, an denen das Wohnmobil nicht immer sicher sein wird. Das Wohnmobil sollte gut versichert sein. Vor allem, wenn wir spät abend noch unterwegs sind. Um meine Freundin von diesem Plan zu überzeugen, werde ich das eine oder andere Zugeständnis machen müssen. Jeden dritten Tag Wellness, Strand, Sonnenstudio oder Kino. Oder einfach nur im Wohnmobil vor der Glotze hängen....
Komfort. Wie auch immer: Es ist dieses einzigartige Gefühl der Freiheit, der Unabhängigkeit und Flexbilität, das Menschen wie mich dazu motiviert, mit mobilen Vehikeln längere Zeit unterwegs zu sein. Und auf Wohnmobilen, habe ich mir sagen lassen, ist der Komfort deutlich höher als auf meinem kleinen Segelboot.
Berlin, 06.03.2011, Stefan Schneider
Abbildung: http://boondocking.files.wordpress.com/2011/06/camper-bike.jpg
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Imitate. Mit 15 unternahm ich meine ersten eigenen Reisen und konnte dazu die große schweinslederne Reisetasche meiner Eltern nutzen. Die war praktisch. Ich stopfte als erstes meinen Schlafsack hinein, und dann war immer noch Platz für eine zweite Hose, ein paar Hemden, Socken, Unterhosen und was ich so mitnahm. Das seitliche Fach war der Ort für Zahnbürste, Duschzeugs, Tabakvorräte und weiteres Kleinzeugs. An den Kopfenden presste ich noch das eine oder andere Buch hinein. Bei längeren Reisen war die Tasche so gestopft, dass das Ganze nur noch mit einem Riemen zusammengehalten werden konnte. Und bemerkenswert war auch, dass ich von Büchern, die ich regelmäßig mitnahm, so gut wie keins wirklich las. Auf Reisen ist eben alles andere Interessant: Landschaften, Leute, Museen – und selten Bücher. Jedenfalls damals. Viele Jahre später riss einer der Henkel dieser Tasche aus und ich brachte sie zu einem Taschenmacher zur Reparatur. Sehen Sie mal, echtes Leder, sagte ich, da lohnt sich doch bestimmt eine Reparatur. - Da muss ich sie leider enttäuschen, sagte der Taschenmacher nach einem kurzen Blick. Das hier ist eines der ersten Lederimitate, die auf den Markt kamen. Die wurden damals so dick gearbeitet. Damit verlor ich das Interesse an diesem vermeintlich wertvollen Familienerbstück, und die Tasche verschwand bald auf dem Müll.
Reisefieber. Jahre später und vor allem mit dem Aufkommen der Billigflieger nahm ich meine exzessive Reisetätigkeit wieder auf und organisierte mir das eine oder andere Xtend-Adventure. Weil ein Kurztrip nach Barcelona, Istanbul oder Brüssel kaum aufwändiger als ein Ausflug zum Schlachtensee ist, um den herum ich früher gelegentlich mit meinen Großeltern spazierte. Bald begriff ich, dass die Flugpreise nur dann wirklich preisgünstig sind, wenn ich kein zusätzliches Gepäck bei mir hatte. Also organisierte ich mir einen neuen Rucksack, der genau den Vorgaben der Fluggesellschaften für die maximalen Maße vom Handgepäck entsprach. Das hatte noch andere Vorteile, einen erheblichen Gewinn an Geschwindigkeit. Während die anderen Passagiere noch am Laufband auf ihre Gepäckstücke warteten, saß ich schon längst im Zug oder Bus in die Stadt. Allerdings musste ich, um diese Effizienz zu erreichen, extrem umlernen. Was ist wirklich wichtig auf einer Reise? Genau genommen ist weltweit alles nahezu überall erhältlich, was Mensch brauchen könnte – von T-Shirt und Nagelknipser über Badekappe und Kopfschmerztablette bis hin zu Fotoapparat und Unterhose. Seit dieser Erkenntnis benutze ich den kleinen Rucksack auch für lange Reisen, selbst wenn ich vor der Abreise immer noch regelmäßig nervös bin, etwas wichtiges vergessen zu haben. Aber das, worauf es ankommt, passt ohnehin in keinen Rucksack: Offenheit gegenüber Land und Leuten, gegenüber anderen Kulturen, Sitten und Bräuchen
Milanowek, 28.02.2012
Stefan Schneider
Fotonachweis: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Astronaut_Edward_White_first_American_spacewalk_Gemini_4.jpg
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Ausflüge. Mein Übergang in eine wirtschaftlich unabhängige Existenz vollzog sich mehr oder weniger schleichend.Ich weiß noch, dass ich als 16jähriger Schüler in Erfahrung brachte, dass mir möglicherweise Schüler-BAföG zustehen könnte. Mein Vater verdiente als Schlosser zwar so viel, dass er uns alle gut über die Runden bringen konnte, aber doch nicht so viel, dass wir wohlhabend waren. Um in den Genuss der Leistungen zu bekommen, musste ich seine Verdienstbescheinigung einreichen und ein eigenes Konto bei der Postbank eröffnen. Ich meine, dass ich damals 160,00 DM monatlich an Ausbildungsförderung erhielt. Zusammen mit dem Taschengeld war ich für meine Begriffe von einen Tag auf den anderen unvorstellbar reich – was sich in zahlreichen Fahrten zu irgendwelchen Jugendtreffen und -tagungen ausdrückte. Ich war praktisch jedes Wochende unterwegs.
Nachtleben. Mit diesem Reichtum war es vorbei, als ich mit dem Studieren begann und auch von zu Hause auszog. Plötzlich kam die Miete dazu und die jährliche Umlage für Briketts und Eierkohlen, dazu die anteiligen Kosten für Strom, Gas und Telefon. Und auch in die Haushaltskasse, die alle Positionen außer Alkohol und Zigaretten einschloss, wollte wöchentlich aufgefüllt werden. Natürlich sahen wir uns um, wo wir Studentenrabatte bekommen konnten. Zwar konnte ich dann Studenten-BAföG (nun ja, als Darlehen) beziehen, aber der Betrag war eher knapp bemessen und es war schon sinnvoll, den einen oder anderen Studentenjob anzunehmen, um finanziell keinen Stress zu haben. Auch war ich dankbar über jeden Gutscheinrabatt.eu. Von meinen Eltern wollte ich zu dieser Zeit kein Geld und auch sonst keine Unterstützung annehmen, das war eine Frage der Ehre und mehr noch des Stolzes. Insbesondere mit meiner Mutter hatte ich damals schwerwiegende Differenzen: Dieses Leben in einer Wohngemeinschaft, das eher schlampige Outfit und vor allem das intensive Nachtleben beurteilte sie eher skeptisch und nicht förderlich für meine Entwicklung.
Erfolg. Es war im Grunde diese Abgrenzung, dass ich es allein schaffen würde, die mich auch disziplinierte: Natürlich brachte ich mein Studium zu Ende, in zahlreichen Studentenjobs im Bau, bei der Deutschen Post, bei einer Kunsttransportspedition, bei einer Gartenbaufirma, bei einer Konservendosenproduktionsfabrik usw. lernte ich die Arbeitswelt kennen, und weil ich einfach sparsam lebte, konnte ich mit meinen Reisen nach Spanien, Frankreich, England, Nicaragua, Norwegen, Polen, Italien und in die Sowjetunion sogar einiges von der Welt kennen lernen. Zwar wusste ich am Ende meines Studium immer noch nicht, was ich beruflich machen wollte – das ergab sich dann später im Verlauf der Jahre – immerhin hatte ich aber ein Diplom in der Tasche. Ich weiss noch genau, dass ich mit der Urkunde in der Tasche vor lauter Verwirrung Diesel statt Benzin tankte, aber das ist eine andere Geschichte.
Berlin, 24.02.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Der_Fleissige_Student.jpg
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