Rezension zu: Karlberg, Anna-Maria: Denunziert und abserviert. Gelnhausen: Wagner Verlag GmbH 2012
141 Seiten, 9,90 €, ISBN 978-3-86279-611-3
[Vorbemerkung] Wohl deshalb, weil ich einen Verein namens mob e.V. gründete und viele Jahre leitete, wurde ich von der Autorin des Buches angefragt, ob ich ihr Buch Denunziert und abserviert, das sich mit dem Thema Mobbing befasst, rezensieren wolle. In meinem Fall hat mob nichts mit Mobbing zu tun, sondern mit dem mob – magazin und dem wenig später gegründeten Verein mob – obdachlose machen mobil. Damals, in den Jahren 1994 und 1995 war das Thema Mobbing in Deutschland noch nahezu unbekannt. Das sollte sich Jahre später ändern.
[Autorin] Anna-Maria Karlbert, geboren 1957, ist verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern. Sie hat eine Hörminderung von 50% und leidet an chronischem Tinnitus. Über zehn Jahre arbeitet sie in einer sozialen Einrichtung als Buchhalterin und Personalsachbearbeiterin. Nach einem Wechsel auf der Leitungsebene beginnen ihre Mobbing-Probleme, über die sie im Buch ausführlich und detailgenau berichtet.
[Hintergrund] Der als lesenswert ausgezeichnete Artikel in Wikipedia charakterisiert Mobbing wie folgt: "Mobbing oder Mobben steht im engeren Sinn für Psychoterror am Arbeitsplatz mit dem Ziel, Betroffene aus dem Betrieb hinaus zu ekeln. Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, andere Menschen ständig bzw. wiederholt und regelmäßig zu schikanieren, zu quälen und seelisch zu verletzen, beispielsweise Mobbing in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sportverein, im Altersheim, im Gefängnis und im Internet (Cyber-Mobbing). Typische Mobbinghandlungen sind die Verbreitung falscher Tatsachen, die Zuweisung sinnloser Arbeitsaufgaben, Gewaltandrohung, soziale Isolation oder ständige Kritik an der Arbeit." (vgl.: Seite „Mobbing“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Januar 2013, 15:54 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mobbing&oldid=112995599 (Abgerufen: 16. Januar 2013, 08:34 UTC))
[Aufbau und Inhalt] In diesem schmalen Buch beschreibt die Autorin einen kleinen Teil ihrer Geschichte aus einem sehr persönlichen Blickwinkel. Sie beginnt mit der Schilderung eines Fehlers, der ihr auf Arbeit unterläuft. Ein Fehler, wie er jedem und jeder unterlaufen könnte. Sie ist seit 10 Jahren zuständig für die Buchhaltung in einer sozialen Einrichtung im ländlichen Raum. Eine Einrichtung, die ganz klein angefangen hat auf einem ehemaligen Pferdehof. Stück für Stück ist daraus ein soziales Dorf entstanden für behinderte Menschen, die hier leben und arbeiten können. Und so ist es nur naheliegend, dass Menschen mit Behinderungen sich auch Chancen ausrechnen, hier eine Anstellung zu finden. Die Autorin hat einen Sohn, der körperlich eingeschränkt ist, und sie selbst hat ein gemindertes Hörvermögen. Aber dessen ungeachtet erkämpft sie sich einen Arbeitsvertrag, gewinnt das Vertrauen der Bewohner_innen und Mitarbeiter_innen, im Verlauf der Zeit wächst nicht nur ihre Erfahrung, sondern auch ihre Verantwortung. Betriebliche Umstrukturierungen macht sie mit, auch dann, wenn es für sie Mehrarbeit bedeutet, mit Kolleg_innen versucht sie gut zurecht zu kommen. Mit Skepsis beobachtet sie die Intrigen und Ränkespiele der Leitung und nimmt auch deren Privilegien und Sonderregelungen genau war. Sie selbst glaubt, eine wichtige und kaum verzichtbare Arbeit zu leisten. Dann unterläuft ihr ein Fehler, sie verschickt in einer Rundmail, in der es um die Kostenbeteiligung der Mitarbeiter_innen an den Mittagsmahlzeiten geht, versehentlich in der Anlage eine vertrauliche Gehaltsliste. Sie selbst bemerkt den Fehler, meldet ihn den Vorgesetzten, leitet eine Schadensbegrenzung und kann in den meisten Fällen verhindern, dass die Daten eingesehen werden. Sie rechnet mit einer Abmahnung, muss aber zur Kenntnis nehmen, dass dieser Vorfall von der Geschäftsleitung als Vorlage genommen wird, sie loszuwerden. Sie und mit ihr einige andere langjährige Mitarbeiter_innen sind der Geschäftsleitung zu teuer geworden. Die Arbeit kann man heutzutage preisgünstiger einkaufen und bei der Gelegenheit die Stellen mit eigenen Gefolgsleuten besetzen. Die Kündigung stürzt die Autorin in eine Krise, in eine gesundheitliche wie psychische. Aber sie lässt sich nicht unterkriegen, klagt auf Wiedereinstellung. Sie muss erleben, wie sich einige Kolleg_innen gegen sie verbünden, wie ihr gezielt schikanierende Aufgaben aufgebürdet werden, wie in der Klageerwiderung gelogen wird und Falschbehauptungen aufgestellt werden. Sie gewinnt die Klage und steht vor der belastenden Situation, sich Tag für Tag in einer ablehnenden Umgebung – zumindest in Hinblick auf die Leitung und Verwaltung – behaupten zu müssen. Die Geschäftsleitung geht in Berufung und will die Kündigung unbedingt durchsetzen. Die schleppende Arbeitsweise des Gerichts tut ihr übriges, um die Situation zu verschärfen. Am Ende gewinnt sie den Kampf gegen das Mobbing nicht. Aber sie verliert ihn auch nicht. Sie geht erhobenen Hauptes aus dieser Auseinandersetzung und kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie ihren Gegnern nichts geschenkt und für sich eine neue Perspektive errungen hat. Und vor allem, dass sie mit diesem Buch sich selbst und anderen Mut gemacht hat.
[Diskussion] Ich bin Sozialwissenschaftler und Blogger und würde, wenn es um ein Buch zum Thema Mobbing geht, in erster Linie ein Sachbuch erwarten, in dem neben einer ausführlichen Schilderung des Phänomens, Theorien und Erscheinungsformen eine ganze Reihe von Praxisbeispielen die verschiedenen Facetten des Themas beleuchten. Also ein Lehrbuch vielleicht. Ein solches Buch ist die Publikation von Anna-Maria Karlbert nicht. Es ist auch keine, aus der Distanz geschriebene Reflexion mit eingestreutem Fachwissen. Anna-Maria Karlbert ist keine Mobbing-Expertin, sondern eine Buchhalterin in einem Sozialunternehmen, die gekündigt wurde und begreift, dass nicht sie etwas falsch gemacht hat, sondern dass sie das Objekt einer Strategie wurde, die das Ziel hat, sie jenseits von rechtlichen Regelungen und gesetzlichen Bestimmungen von ihrem Arbeitsplatz zu vertreiben, koste es, was es wolle. Aber es wird ihr auch klar, dass es in ihrem Möglichkeitsbereich liegt, sich dagegen zu wehren. Dieses Buch, so persönlich es sein mag, ist keine direkte Abrechnung, denn die Orte und Namen der handelnden Personen sind anonymisiert und dürften auch für Insider nur mit Mühe zu dechiffrieren sein. Aber in dem die Autorin alles aufschreibt, was ihr widerfährt, setzt sie sich mit dem Mobbing auseinander und kämpft dagegen an. Sie hat diesen Job erkämpft, sie hat Verantwortung übernommen, sie will sich weder kündigen noch abfinden lassen. Auch wenn die vielen im Buch (teilweise nur ganz kurz) erwähnten Personen – ich habe insgesamt 34 Namen gezählt – den Erzählfluss etwas unübersichtlich gestalten, wird doch deutlich, dass der Prozess des Mobbings Mechanismen und Strukturen folgt, die große Ähnlichkeiten aufweisen. Vorgesetzte und Kolleg_innen verdrehen Tatsachen, bauen Drohkulissen auf, führen Gespräche im Hinterzimmer, schmieden Intrigen und stellen Fallen. Der Arbeitsalltag besteht aus Schikanen, Spießrutenlaufen, Zermürbung.
Mobbing existiert, weil das, was zu tun ist, falsch organisiert ist. Es mag sein, dass es für bestimmte Vorhaben einer Leitung bedarf. Es mag auch sein, dass Zuständigkeiten und Handlungsabläufe für viele Vorgänge festgelegt werden müssen. Aber die Idee, dass jenseits einer zeitlich begrenzten, per Absprache legitimierten Leitung Menschen über die Arbeit oder Nichtarbeit, Bezahlung oder Nichtbezahlung anderer entscheiden, ist grundverkehrt. Wer an einer Sache mitwirken will, soll es tun, und wenn es darüber Probleme gibt, muss das besprochen werden. Es ist bezeichnend für Mobber_innen, dass sie sich nicht an Regeln halten und sich darauf versteifen, andere mit regelwidrigem Verhalten zerstören zu wollen. In jeder Sportart würde ein solches Verhalten als Foul abgepfiffen, im Wiederholungsfall die Störer_innen vom Spiel ausgeschlossen werden. Nicht so im Arbeitsleben. Es sind in der Regel unsouveräne, kleingeistige, auf den eigenen Vorteil bedachte Menschen, die zu derart primitiven Mitteln greifen. Eine solche Erkenntnis hilft auf den ersten Blick den Opfern sehr wenig – aber es ist trotzdem der erste Schritt. Das Problem erkennen, benennen, sich entschlossen dagegen zu Wehr setzen, den Mobber_innen Einhalt gebieten, ihnen entschlossen entgegen treten. Die mit der Abmahnung, der Kündigung, dem Arbeitsgerichtsprozess oder der Revision verbundene Unsicherheit aushalten. Alternativen entwickeln.
Eine zentrale Alternative in der Arbeitswelt kann es nur sein, alle Angelegenheiten kollektiv, gemeinsam zu leiten und zu entscheiden, nicht zuletzt vor allem deshalb, weil nur so die entscheidenden Fähigkeiten und Fertigkeiten der einzelnen zum Tragen kommen können. Für den ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner war die basisdemokratische Organisation in Räten vor allem eine pädagogische Notwendigkeit. So argumentierte er in einer kurzen Rede vor dem Münchner Arbeiterrat im Jahr 1918:
"Der Gegensatz zwischen Führern und Massen, der bisher uns beherrscht hat, soll verschwinden. Jeder soll lernen, selbst ein Führer zu sein. Das ist die große Erziehungsarbeit, die diese Räte leisten müssen. Und wenn jeder dann ein Glied der Gesellschaft geworden ist, das fähig ist, mitzuarbeiten an den Aufgaben der Gesamtheit, dann ist jene Vorbedingung erfüllt, die den Sozialismus ermöglicht. Die Übernahme der Produktion durch die Gesamtheit setzt zweierlei voraus: einmal die Reife der Wirtschaft, die vollkommene Entfaltung der produktiven Kräfte. Die andere Vorbedingung ist, dass, wenn die Gesellschaft selbst die Produktion übernimmt, sie auch in allen ihren Gliedern fähig ist, diese Produktion zu leiten. Dann brauchen wir keine Unternehmerintelligenzen mehr, wenn jeder selbst eine Unternehmerintelligenz geworden ist. So können diese unscheinbaren Gebilde der Arbeiter- und Bauernräte Pflanzschulen zur Erziehung der Männer [und Frauen, Einfügung des Verfassers] sein, die einst berufen sein werden, an der Vergesellschaftung der Produktion mitzuarbeiten."
(Eisner, Kurt: Aufgaben der Räte. Rede auf der ersten Sitzung des Münchner Arbeiterrats am 5.12.1918. Nach: Münchener Neueste Nachrichten Nr.620, 8. 12. 1918, vgl. http://www.kurt-eisner-werke.org/IV078.html)
Ich selbst war mehr als 12 Jahre lang ein von Vereinsmitgliedern demokratisch gewählter und wiedergewählter Vorsitzender mit geschäftsführenden Kompetenzen. Habe ich gemobbt? In der Anfangszeit hatte ich große Schwierigkeiten, Kritik oder Missfallen zu äußern. Erst wenn sich einiges aufgestaut hatte, sagte ich etwas, und dann war es häufig ein einschüchterndes Poltern. Von Freunden darauf hingewiesen, arbeitete ich daran, Kritik frühzeitig und und vor allem konstruktiv zu äußern. Nicht immer gelang es mir. Das Regelwerk des Vereins, die Vereinssatzung oder die Texte von Arbeitsvereinbarungen empfand ich als hinreichende Handlungsgrundlage. Ich habe Menschen ausgeschlossen, wenn sie wiederholt gegen Vereins- oder Vertragsregeln verstoßen haben. Es stärkte meine Autorität, wenn ich andere in diesen Entscheidungsprozess einbezogen hatte, und es war wichtig, Menschen nicht vorzuverurteilen. Es war auch wichtig, Menschen noch eine weitere Chance zu geben. Oft waren zwischenmenschliche Konflikte dadurch lösbar, in dem die Arbeit anders verteilt oder Teams anders strukturiert wurden. Eine wichtige Devise im Umgang mit den verschiedensten Charakteren und Konflikten war, deutlich zu machen, dass das Projekt groß genug ist, um sich im Zweifelsfall aus dem Weg zu gehen und dass alle Beiträge wichtig sind. Obwohl ich sagen würde, dass ich nicht vorsätzlich gemobbt habe, würde ich nicht ausschließen wollen, dass es Elemente in meinem Leitungshandeln gab, die andere als Mobbing wahrgenommen haben. Wenige Jahre später, ich war bereits aus der Leitung ausgeschieden, musste ich erleben, wie eine geschätzte und kluge Kollegin Opfer von Mobbing-Attacken wurde. Es war nicht die Leitung selbst, von der es ausging, aber es stand zu vermuten, dass es ihr nicht ungelegen kam. Auch ein Nicht-Einschreiten bei offensichtlichem aktiven Mobbing ist ein Teil vom Mobbing. Die empörte Reaktion auf das Ansprechen des Themas zeigte, dass wir damit genau ins Schwarze trafen. Fähige Leute verließen den Verein, und ein ambitioniertes Projekt ist heute nur noch Mittelmaß und politische nahezu bedeutungslos. Mobbing zahlt eben nicht aus, weder kurzfristig noch langfristig.
[Fazit] Das Buch ist ein lesenswertes Dokument einer mutigen Frau, die die Entscheidung getroffen hat, sich gegen Mobbing zur Wehr zu setzen und die daran gewachsen ist. Eine hilfreiche Lektüre für andere Mobbing-Betroffene. Ein Buch, dass dazu ermutigt, sich ebenfalls dagegen zur Wehr zu setzen, Täter zu nennen, und eigene Netzwerke und Selbsthilfegruppen gegen Mobbing zu gründen.
Berlin, 17.01.2013
Stefan Schneider