[Hintergrund und Bezug] Im Jahr 1997 benötigt der Obdachlosenselbsthilfeverein mob – obdachlose machen mobil e.V., der auch Herausgeber der Straßenzeitung strassenfeger ist, neue größere Räumlichkeiten. Weniger für die redaktionelle Arbeit als für die Erweiterung der selbstverwalteten Notübernachtung um weitere Übernachtungsplätze und den Aufbau eines Treffpunkts, da sich herausgestellt hatte, dass die meist obdachlosen Verkäufer_innen auch tagsüber einen Ort zum Aufhalten, zur Kommunikation und zur Essensversorgung brauchen. Es ist der Redakteur Karsten Krampitz, der aufgrund seiner redaktionellen Kontakte die Aufmerksamkeit des Vereins auf die etwa 100qm große Ladenwohnung der Umweltbibliothek – einer wichtigen DDR-Oppositionsgruppe, die zu diesem Zeitpunkt gerade in Auflösung begriffen ist - in der Schliemannstraße 18 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg lenkt – keine 80 Meter vom Helmholtzplatz entfernt. Nur den wenigsten im Verein ist damals bewusst, dass dieser neue Standort ein sozialer Brennpunkt mit langer Vorgeschichte ist. Zwei Dinge fallen aber sofort und unmittelbar auf: Zum einen, dass in dem Gebiet rund um den Helmholtzplatz einige Projekte der Wohnungslosenhilfe bereits seit einigen Jahren anwesend sind, die den ungefragten (und "nicht abgestimmten") Zuzug eines weiteren Projekts, vorsichtig ausgedrückt, mit Argwohn betrachten. Und zweitens, dass schon bald im Zuge der ersten Arbeiten zur Inbetriebnahme des neuen Standorts neue Kunden auftauchen, für die der Verein gemäß seinem eigenen Selbstverständnis gegründet war, die sich aber nicht ohne weiteres problemlos in die laufende Arbeit integrieren lassen. Keine sechs Jahre später, im Jahr 2003 gibt der Verein diesen Standort wieder auf, weil die Kapazitätsgrenzen permanent überschritten werden. Im dauerhaften 24-Stunden-Betrieb an 7 Tagen in der Woche sind die Räume in kombinierter Nutzung Notübernachtung (mit 10 Plätzen), Treffpunkt, Suppenküche, Beratungsstelle, Zeitungs- und Kleiderlager, Redaktions- und Ausstellungsraum zugleich. Der Verein sucht und findet – am Rand des Quartiers Helmholtzplatz im Hinterhaus der Prenzlauer Allee 87 – neue Räumlichkeiten, die mit mehr als 600qm auf 3 Ebenen den neuen Ansprüchen besser genügen. Das Thema Helmholtzplatz bleibt – in mehrfacher Hinsicht. Ein Teil der Gäste vom Helmholtzplatz folgt dem Verein in die neuen Räumlichkeiten, zugleich engagiert sich der Verein mob e.V./strassenfeger bis 2007 weiterhin auf dem Platz durch seine Mitarbeit im Förderverein Helmholtzplatz, etwa durch seine Beteiligung auf diversen Platzfesten und weitere Formen des praktischen Engagements. Bezugspunkte genug, um einen Schritt zurückzutreten und die unterschiedlichen Erfahrungen zum Anlass zu nehmen, das Thema Sozialraumorientierung und Wohnungslosenhilfe etwas allgemeiner zu betrachten.
[Fragestellung, Material und Methode] Weil in der Gegend um den Helmholtzplatz Wohnungslosigkeit und damit verbundene Lebenslagen in besonderer Weise sozialräumlich präsent waren und sind, soll in dem folgenden Beitrag versucht werden, einige Elemente der bislang noch nicht systematisch untersuchten Sozialgeschichte des Platzes und des Quartiers zusammen zu tragen und einer ersten vorläufigen Bewertung zu unterziehen. Als Quellen können eine gute handvoll Beträge aus der Sanierungszeitschrift VorOrt, Dokumente aus dem Kontext der umgesetzten Maßnahmen (vor allem: Sanierungsgebiet, Soziale Stadt, Quartiersmanagement), Aussagen von Zeitzeugen und Akteuren aus jüngerer Zeit sowie eine verstreute Presseberichterstattung herangezogen werden. Die Dichte und Vielfalt der seit der friedlichen Revolution 1989 dort konstatierbaren Konzepte, Ansätze, Strategien, Angebote, Maßnahmen und Programme machen diesen Ort einerseits zu einem überaus interessanten Studienobjekt, stellen aber andererseits eine besondere methodische Schwierigkeit dar, da es kaum noch möglich ist, die sich überlagernden Effekte voneinander abzugrenzen. Trotzdem soll in teils vereinfachender Darstellung versucht werden, Muster zu identifizieren, die darüber Auskunft geben können, wie Wohnungslosigkeit im Sozialraum sichtbar wird und welches die Reaktionen darauf sind, welche Bedeutung dem Sozialraum und seinen Akteuren zukommt bezüglich der Ursachen, dem alltäglichen Umgang sowie in Bezug auf die Möglichkeiten zur Überwindung von Wohnungslosigkeit – und welche Widersprüche, Effekte und Erfolge im Einzelnen zu würdigen sind. Der Helmholtzplatz bietet sich auch deshalb als Untersuchungsgegenstand an, weil auch aktuell eine Debatte über konkret sichtbare Folgen der sogenannten Gentrifizierung geführt wird und hier zu fragen ist, wie insbesondere wohnungslose Menschen und Akteure der Wohnungslosenhilfe (ja, auch die!) davon betroffen sind. Es ist aber auch danach zu fragen, warum der Helmholtzplatz immer auch ein Ort war, an dem wohnungslose Menschen sein konnten und welche konkreten Möglichkeiten der Integration bestanden. Gerade weil Wohnungslosigkeit in konkreten Sozialräumen entsteht, in einzelnen Fällen dort vielleicht sogar abgefedert, kompensiert, kaschiert, forciert werden kann, ist es berechtigt zu fragen, welchen Beitrag ein Sozialraum leisten kann, um Wohnungslosigkeit wieder aufzuheben, sein Auftreten abzuwenden. Und selbst wenn das nur schwer möglich ist, bleibt die Frage, ob wenigstens Provisorien des Wohnens und eine Infrastruktur zum Überleben bereit gestellt werden kann. Diese Vielfalt von Fragen, Aspekten und Sichtweisen, aber auch von Akteuren und Geschehnissen macht eine eindeutige Analyse nicht einfacher, zeigt aber, wie komplex auf den sozialraumorientierte (Soziale) Arbeit im Einzelnen sein kann.
[Platz und Quartier] Der Helmholtzplatz ist ein viereckiger Platz im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mit einer Länge von ca. 225 Metern und einer Breite von 60 Metern und einer Fläche von ca. 13.5000 qm, der durch die Lettestraße im Norden, der Lychener Str. im Westen, der Raumerstr. im Süden und der Dunckerstraße im Osten begrenzt ist. Zusätzlich strukturiert die Schliemannstraße, die parallel zur Lychener und zur Dunckerstraße verläuft, den Platz mittig, ohne aber als Verkehrsstraße ausgeführt zu sein. Umgangssprachlich wird die Gegend um den Helmholtzplatz wegen der etwa in Nord-Süd-Richtung über den Helmholtzplatz verlaufenden Lychener-, Schliemann- und Dunckerstraße, auch LSD-Viertel genannt.
Die 4 – 5 geschossige durchgängige Blockrandbebauung aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts strukturiert den Platz als innerstädtische Fläche. Damit ist der Helmholtzplatz städtebaulicher Mittelpunkt eines qleichnamigen Quartiers, der durch die S-Bahn-Trasse der Ringbahn im Norden, der Prenzlauer Allee im Osten, der Danziger Straße im Süden und der Schönhauser Allee im Westen begrenzt ist. Der Stadtteil Helmholtzplatz ist 84 Hektar groß und zählt im Jahr 2007 mehr als 21.000 Einwohner, die in insgesamt 13.350 Wohnungen leben.
[Hobrecht-Plan] Auf einer Karte des Jahres 1856 existiert lediglich eine mit sporadischer ländlicher Bebauung gesäumte Ausfallstraße vom Prenzlauer Tor zum nördlich von Berlin gelegenen Dorf Pankow. Auf der Höhe des heutigen Helmholtzplatzes finden wir zur Linken den Excercier Platz, der heute Sportfläche ist und einen abzweigenden Feldweg, die spätere Pappelallee. Alles andere ist zu dieser Zeit offene Feldfläche mit landwirtschaftlicher Nutzung. In dem von James Hobrecht 1862 vorgelegten "Generalbebauungsplan der Umgebung Berlins" wird in dieser Gegend ein "Platz D" einschließlich der ihn umfassenden und tangierenden Straßen konzipiert. Eine Karte aus dem Jahr 1866 belegt eine vom Prenzlauer Tor ausgehende massive Bautätigkeit, in deren Zuge (damals!) außerstädtische Wohngebiete entstehen.
[Boom und Bankrott] Der gewonnene Krieg gegen Frankreich 1870/71 und die den Franzosen auferlegten Reparationsleistungen in irrwitziger Höhe lösen im gerade proklamierten Deutschen Reich und seiner Hauptstadt Berlin einen für heutige Begriffe kaum vorstellbaren Bauboom aus. Der 1872 gegründete Deutsch-Hollaendische Actien-Bau-Verein verfolgt dabei die Idee, alles für den Bau von Häusern benötigte Material vor Ort zu produzieren. Die in großen Mengen zum Bau benötigten Ziegel sollen nicht mehr umständlich auf dem Wasserweg von Mildenberg und Zehdenick nach Berlin verschifft, sondern direkt vor Ort gebrannt werden. 1873 nimmt auf dem "Platz D" ein riesiger, 200 Meter breiter Ziegelofen mit hohem Schornstein und weiteren angrenzenden Gebäuden den Betrieb auf. Aber auch der Bauverein kommt unter die Mühlen des Börsenkrachs, die Rentabilität geht zurück und die Baukosten steigen, nicht zuletzt aufgrund – sachlich durchaus berechtigter - behördlicher Auflagen zur Befestigung und Kanalisierung von Straßenzügen als Auflage für weitere Baugenehmigungen. So muss der Bauverein bereits 1876 Konkurs anmelden, die Ziegelei wird geschlossen, das Gelände verödet, der Ofen verkommt zur Ruine. Anfang 1880 sprengt schlußendlich das Militär den Schornstein und die Ziegeleiruine wird notdürftig planiert. Um den Helmholtzplatz herum entsteht kein attraktives Wohnviertel. Die besser verdienenden, die aufstrebenden und die, die es sich leisten können, wohnen stadtnäher am Kollwitzplatz. Schon zum Zeitpunkt der Errichtung ist das Quartier um den Helmholtzplatz ein proletarisch geprägter Stadtteil, überwiegend ein Wohnort für einfache Leute, Ungelernte und Hilfsarbeiter. Ein Beleg dafür ist die bereits 1903 von der Direktion der Armenspeisungsanstalt eingerichtete 16. Kochanstalt in der Lychener Str. 106 (Seefeld 2000, S. 13).
[Ruine und Unterschlupf] In den späten 1880er Jahren gibt es erste Beschwerden: "Dieser Platz ist eine halbe Etage hoch mit Lehm bepackt, in den Ziegeleitrümmern suchen jene Unterschlupf, die im nahen Obdachlosenasyl keinen Platz finden" (Molle 1997) heißt es in Petitionen von Grundstückseignern und Anwohnern an den Magistrat. Doch der verschiebt "alle Regulierungsmaßnahmen von einem Jahr aufs andere." (Molle 1997). Bei dem angesprochenen Obdachlosenasyl handelt es sich um das 1886 außerhalb der Stadtgrenzen errichtete nahegelegene städtischen Obdach namens "Die Palme" – benannt nach einer im Vorraum stehenden Topfpalme – mit der unvorstellbaren Kapazität von 5.000 Plätzen in 40 Schlafsälen. Die Ruinen bieten eine ideale Alternative für alle, die im städtischen Obdach mit seinem strengen Reglement nicht unterkommen können oder wollen.
[Platzgestaltung] Eine massive Medienöffentlichkeit, die "diese Zustände als einer Weltstadt mehr wie unwürdig" anprangerte (Molle 1997) sorgt dafür, dass der "Platz D" am 1.9.1897 den Namen des 1894 verstorbenen Berliner Universitätsprofessors, Physikers und Physiologen Herrmann Ludwig Ferdinand von Helmholtz, der u.a. den Augenspiegel erfunden hatte, erhält. Weitere Jahre dauert es, bis der Magistrat die Mittel für die Platzgestaltung bewilligt und bis der Platz schließlich 1903 die von Hobrecht vorgesehene Form erhält und die Unterschlupfmöglichkeiten verwinden. Weil aber für die Platzgestaltung nicht viel Geld zur Verfügung steht, wird auf ein weiteres Abtragen der Ruinen verzichtet: "Stattdessen wurden die Reste mit Gartenerde überdeckt und auf den so entstandenen Hügeln zwei Spielplätze angelegt. (Senatsverwaltung 1993). Darüber hinaus gruppieren sich um ein Oval weitere "von Wegen durchbrochene baumgesäumte Grünflächen" (Molle 1997), die bis 1910 aber nicht betreten werden durften.
1928 wird auf Antrag der Elektrizitätswerke auf dem östlichen Hügel eine Netzstation ("Trafohaus") errichtet. Das Gebäude integriert gleichzeitig einen Parkwächterraum und eine Unterkunftshalle, um Besuchern bei Regen Schutz zu bieten. Nach dem zweiten Weltkrieg ist der Platz stark zerstört, aber in seiner ursprünglichen Form erhalten. Im Zuge der Wiederherstellung entstehen, nunmehr stärker akzentuiert als Stadtplatz, nutzbare Grünflächen mit Aufenthaltsmöglichkeiten für alle Altersgruppen, Kinderspielplätze und Sitzplätze. Der Säulenbereich des Trafohäuschens wird um 1950 vermauert und ist fortan nicht mehr nutzbar. In den 70er Jahren wird der Platz nochmals umgestaltet. 1976 wird auf dem Platz eine öffentliche Toilettenanstalt errichtet. Die Ausschreibung für die bislang letzte Umgestaltung aus dem Jahr 1993 bilanziert in der Wettbewerbsausschreibung: Die Veränderungen in der DDR-Zeit lassen den Platz "als Flickenteppich ohne einheitliches Gestaltungskonzept erschienen. Allein der alte Baumbestand läßt die historische Gestaltung erkennen und schafft einen optischen Zusammenhang." (Senatsverwaltung 1993, S. 15)
[Verfall und Freiraum] Die Deutsche Demokratische Republik hat kein Rezept im Umgang mit den wilhelminischen Wohnungsbaubeständen der Gründerzeit. Nicht die kleinteilige Sanierung, sondern das großflächige Errichten von modernen Plattenbauten entspricht den herrschenden Vorstellungen von einer sozialistischen Wohnungspolitik. Zwar ist die Gegend um den Helmholtzplatz von massiver Bombardierung verschont geblieben und es gibt nur wenige Bombenlücken, aber die Zwangskollektivierung und Verstaatlichung der Wohnungsbestände fördert auch eine individuelle und institutionelle Gleichgültigkeit mit der Folge, dass die Häuser zunehmend verfallen. Auf der anderen Seite scheitern selbst gut gemeinte Absichten zur Instandsetzung schlichtweg an den Dimensionen dieses Stadtquartiers mit seinen mehr als 13.000 Wohnungen. Viele, die die Möglichkeit haben, eine moderne Plattenbauwohnung in Marzahn zu erhalten, kehren dem Quartier den Rücken. Der Rat des Stadtbezirks vergibt im Rahmen seiner Belegungsrechte die Wohnungen verstärkt "an Personen oder Familien (...), die der staatlichen Unterstützung (z.B. nach Heimaufenthalten, Straffälligkeitskarrieren etc.) bedurften." (Bezirksamt 2012). Teilweise werden leere Wohnungen auch nicht mehr neu vermietet, ganze Häuser stehen leer und es gibt Mitte der 1980 Jahre erste Planungen für einen großflächigen Abriss.
Der 1982 zugezogene Wolfram Kempe beschreibt einen typischen Mechanismus der damaligen Aneignung dieser leerstehenden Wohnungen: Sie werden geöffnet und einfach durch den Einbau eines neuen Schlosses in Beschlag genommen. Dann wird für 3 Monate die Miete auf das Konto der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft eingezahlt und mit den Mietzahlungsbelegen kann der Eintrag der Wohnung als Hauptwohnung bei der Polizei beantragt werden. Mit dem Eintrag im Ausweis wiederum ist es möglich, von der Wohnungsbaugesellschaft einen offiziellen Mietvertrag einzufordern (vgl. Tacke 2009). Das Quartier wird attraktiv für viele, die nichts anderes bekommen können und es entstehen zugleich auch Freiräume, die vor allem von Künstlern und Menschen, die der DDR gegenüber kritisch einstellt sind, genutzt werden. Die so entstehende Szene begründet den Mythos vom Prenzlauer Berg.
[Einheit] Mit der friedlichen Revolution von 1989 verstärkt und potenziert sich dieser Prozess zunächst. Noch mehr freie, leerstehende Wohnungen von Menschen, die der DDR den Rücken kehren, locken weitere, meist junge Menschen aus allen Teilen Deutschlands und auch Europas an. Bestehende Regeln sind in der Phase des Zusammenbruchs der DDR nicht mehr in Kraft, neue Strukturen greifen noch nicht. Es entstehen offene Räume und viele träumen zu dieser Zeit den Traum von einem Dritten Weg zwischen real existierendem Sozialismus und Kapitalismus. Im Zeitraum bis Oktober 1990 werden in Prenzlauer Berg 34 Häuser besetzt und der Mythos vom Prenzlauer Berg als Szene- und Künstlerbezirk verfestigt sich in dieser Zeit weiter und wird weltweit verbreitet.
[Runder Tisch Hausbesetzungen] Die gewalttätigen dreitägigen Exzesse bei der Räumung von insgesamt 13 besetzten Häusern in der Mainzer Str. im benachbarten Bezirk Friedrichshain vom 12. bis 14. November 1990 haben auf die Situation in Prenzlauer Berg einen eher deeskalierenden Effekt. Seit Oktober ist klar, dass keine neuen Besetzungen mehr geduldet werden. Der BesetzerInnenrat und die Bezirksverwaltung nehmen Gespräche auf, und in zahlreichen Verhandlungen am Runden Tisch können schließlich ein Rahmenvertrag und zahlreiche Einzelmietverträge ausgehandelt werden. Auch das - noch aus Westberliner Hausbesetzer_innen-Zeiten resultierende - Förderinstrument der "Wohnungspolitischen Selbsthilfe", mit dem ein großer Teil der Häuser instandgesetzt und modernisiert werden konnte, existiert noch und wird auf den Ostteil Berlins ausgeweitet. Diese vergleichsweise friedliche Strategie der Verhandlungen am Runden Tisch, die mehrheitlich sowohl von den Besetzer_innen als auch vom Bezirksamt getragen wird, erklärt sich aus den Erfahrungen mit und in der Westberliner Hausbesetzer_innen-Szene gut ein Jahrzehnt vorher. Die damals auf besetzte Häuser ausgedehnte Wohnungsbauförderung1 - die aber eine Einigung mit den Hauseigentümern erfordert – erweist sich als zentrales Instrument zur Entschärfung und Befriedigung des Konfliktes und ist eine der Grundlagen der Idee von einer "Behutsamen Stadterneuerung" (vgl. Schneider 2008), die später flächendeckend in den Sanierungsgebieten und auch am Helmholtzplatz eingeführt und umgesetzt wird.
Auf Grundlage der durch den Runden Tisch erzielten Einigung wird auch ein großer Teil der Szene vom Helmholtzplatz durch die Stadterneuerung und konkret auf dem Wohnungsmarkt eingebunden. Zurück – und in erster Linie auch sichtbar präsent auf dem Helmholtzplatz - bleibt aber der Teil, der sich nicht auf diese Weise integrieren lassen will oder kann. In Verbindung mit einem Teil der traditionellen Wohnbevölkerung entsteht damit neben dem Bild der bunten, internationalen Boheme, die sich auf dem Helmholtzplatz versammelt, gleichzeitig das Bild eines verwilderten Platzes als zentraler Treffpunkt von "Punks und Alkoholikern". Parallel zu diesen Aushandlungs-, Integrations- und Differenzierungsprozessen gibt es nach dem Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" erste Immobilienspekulationen, Räumungen und Brandstiftungen. Unter dem Namen Wir bleiben alle! formiert sich eine Widerstandsbewegung gegen die beginnenden Mietsteigerungen und den sich abzeichnenden Verdrängungsprozess (vgl. Tacke 2009), die später im Sanierungsgebiet vor allem ihren Handlungsraum in ein Betroffenenvertretungen der einzelnen Quartiere findet.
[Sozialarbeit] Gleichzeitig sind diese Phänomene die Geburtsstunde einiger Projekte der Wohnungslosenhilfe, die – häufig aus einem kirchlichen Umfeld heraus - in dieser Zeit entstehen. Zu nennen sind hier das in der nahegelegenen Kirchengemeinde Gethsemane aus einer Jugendinitiative erwachsene Projekt Schneckenhaus sowie das von einer Adventistengemeinde gegründete offene Angebot Lazarus. Beide Projekte mit der konzentionellen Ausrichtung "geschützter Raum – Beratung – offenes Angebot – Grundversorgung" durchlaufen einen raschen Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung und gehören bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahr als geförderte Projekte – dann unter dem Träger Beratung und Leben vereint - zur Hilfelandschaft in der Region am Helmholtzplatz. Ebenfalls hinzu kommt – auf Einladung des Bezirks – der offene Treffpunkt der Heilsarmee am nördlichen Rand des Quartiers. Zeitgleich entstehen in Anbindung an das Sozial- und Jugendamt in freier Trägerschaft Unterbringungs- und später differenzierte Betreuungsangebote gemäß SGB, zu denen häufig die offenen Angebote eine vermittelnde Funktion einnehmen. Die Zahl der Obdachlosen steigt im gesamten Bezirk Prenzlauer Berg von 44 im Jahr 1992 auf 561 im Jahr 1995 (vgl. Seefeld 1996, S. 10).
[Sanierungsgebiet] Mit der deutschen Einheit zeichnet sich sehr schnell die Notwendigkeit ab, mit dem städtebaulichen Instrument der Festlegung von Sanierungsgebieten die Infrastruktur, vor allem aber die gründerzeitlichen Wohnungsbaubestände flächendeckend instand zu setzen. "Zu Beginn der 1990er Jahre hatten 25 % der Wohnungen Außentoiletten und 45 % verfügten über kein in der Wohnung befindliches Bad. 75 % der Wohnungen hatten erheblichen oder hohen Modernisierungsbedarf." Bezirksamt 2012). Nach einigen Jahren planerischer Vorarbeiten erfolgt die förmliche Festlegung des Helmholtzplatzes als Sanierungsgebiet am 8.10.1993. Zusammen mit den anderen, meistenteils angrenzenden Sanierungsgebieten entsteht so in Prenzlauer Berg das größte zusammenhängende Sanierungsgebiet Europas. Maßgeblich für den – durchaus umstrittenen2 – Erfolg des Sanierungsgebiets erweist sich das Verfahren der "Behutsamen Stadterneuerung". Die Beteiligung der Anwohner_innen ist gesetzlich verankert und institutionell ausgestattet. Organisierte und von den Anwohner_innen gewählte Betroffenenvertre-tungen (BVs) mit eigenen Räumlichkeiten, eine monatlich erscheinende Sanierungszeitschrift, verschiedene Beteiligungsrechte, Mieterberatungsstellen und vor allem das häufig unterbewertete Sozialplanverfahren sind zentrale Instrumente. Insbesondere die Betroffenenvertretungen solidarisieren sich wiederholt mit räumungsbetroffenen Mieter_innen und den alteingesessenen Anwohner_innen, deren Lebensmittelpunkt der Helmholtzplatz war oder wurde.
[Sozialplanverfahren] Das mit dem Sanierungsgebiet eingeführte und von den Mieterberatungsstellen durchgeführte Sozialplanverfahren sieht im Kern vor, dass sanierungsbetroffene Mieter_innen nicht nur umfassend und frühzeitig über die anstehenden Maßnahmen informiert werden. Vielmehr macht das Bezirksamt – vorrangig bei geförderten Wohnungsbauprojekten – massiv von der Möglichkeit einer Belegungsbindung von (fertig sanierten, bezugsfähigen) Wohnungen Gebrauch. Damit wird ein beachtliches Kontingent an Zwischen- oder wahlweise Endumsetzwohnungen im Quartier geschaffen. Zudem werden die sanierungsbedingten Umzüge finanziert und Mietobergrenzen3 nach Ende der Sanierung auferlegt und weitere Lösungen für soziale Härtefälle geschaffen. Andere nehmen eine anstehende Sanierung zum Anlaß, in die nächste unsanierte Wohnung zu wechseln – ein Segment, dass im Verlauf der Jahre zunehmend knapper wird und letztlich auch eine Verdrängung aus dem Quartier zur Folge hat. Auch wenn die Sanierung (Instandsetzung und Modernisierung) eines Hauses de facto eine Zerstörung der gewachsenen Hausgemeinschaft bedeutet, muß doch gewürdigt werden, dass durch diese Maßnahmen eine Reihe von prekären Wohnverhältnissen stabilisiert und häufig – durch das ortsnahe Kontingent an Umsetzwohnungen - ein Verbleib im Quartier gewährleistet werden kann. Allerdings werden diese integrativen Effekte langfristig neutralisiert durch kontinuierliche Mietpreissteigerungen und einer Verdrängung der finanzschwächeren Wohnbevölkerung durch finanzstärkere Gruppen. Ein weiterer Prozess ist die zunehmende Umwandlung von Mietwohnungen in Wohneigentum mit einem vergleichbaren Verdrängungseffekt.
Ähnlich wie in der Phase des Runden Tisches Hausbesetzungen markiert der Beginn der Ausweisung als Sanierungsgebiet für die prekäre Wohnbevölkerung einen widersprüchlichen Prozess, innerhalb dessen erneut ein bedeutsamer Anteil der prekären Wohnbevölkerung (wenigstens zeitweilig) integriert werden kann, während ein anderer weiterhin als Wohnungsnotfall bzw. als von Wohnungslosigkeit bedroht angesehen werden muss. Aber wenigstens für die erste Zeit ist es möglich, "die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung zu verhindern, dem ökonomischen Druck der privaten Eigentümer gegenzusteuern, die Betroffenen in einen qualifizierten Abstimmungsprozeß zu integrieren und so nach einem Modell für eine andauernde, nachhaltige Stadtentwicklung zu suchen." (Flierl 1996, 14)
[Wintercamp] Nach einem Brand am 27.12.1995 wird der besetzte Seitenflügel der Schliemannstraße 10 geräumt und gesperrt. Die Besetzer_innen campieren über Wochen in einem Großzelt auf dem Helmholtzplatz und fordern die Unterbringung "als Gruppe" in einem anderen leerstehenden Objekt in Prenzlauer Berg. Doch ein solches gibt es zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr. Der marode Seitenflügel soll abgerissen, auf seiner Fläche gemäß Bebauungsplan ein dringend erforderlicher Kinderspielplatz entstehen. Polizeikontrollen ergeben, dass – entgegen den wiederholt kursierenden Aussagen, es handele sich überwiegend um zugereiste Menschen - die Mehrzahl der meist jugendlichen Besetzer_innen keineswegs obdachlos oder zugezogen sind, sondern Wohnadressen im Umfeld des Helmholtzplatzes angegeben haben. Im Zuge der sich über Wochen hinziehenden Auseinandersetzung werden Teillösungen mit Teilgruppen ausgehandelt (vgl. Molle 1996). Das anfanghaft bestehende Netz der offenen Jugendhilfen in Prenzlauer Berg wird in dieser Zeit weiter auf- und ausgebaut und differenziert. Die Pfefferwerk Stadtkulturgesellschaft eröffnet in dieser Zeit das an Strassenjugendliche gerichtete Projekt "Bett ohne Bedingungen", an das sich bald schon weitere jungen- und mädchenspezifische Angebote des betreuten Gruppen- und Einzelwohnens anschließen. Auch wenn das Zelt schließlich im Frühjahr 1996 wieder abgebaut wird, bleibt der Helmholtzplatz dennoch weiterhin zentraler Treffpunkt von Trinkern und Unangepassten sowie Kristallisationspunkt der Szene. Das Zeltcamp auf dem Helmholtzplatz markiert eine sozialräumlich Zäsur in der Geschichte des Helmholtzplatzes: Einen vorläufigen Endpunkt historisch gewachsener Freiräume und nachbarschaftlichen Strukturen eines herunter gewirtschaften Wohnquartiers und den Anfang einer auf den Einzelfall fokussierten sozialarbeiterischen und spezialisieren Hilfe vor dem Hintergrund einer allgemein städtebaulichen Aufwertung.
[Gefährlicher Ort] Im Jahr 1999 erklärt, für die meisten der Anwohner_innen und Akteure eher überraschend, der damalige Innensenator Eckhart Werthebach (CDU) den Helmholtzplatz zusammen mit einem guten Dutzend weiterer Orte im berliner Innenstadtbereich zu einen "Gefährlichen Ort". Damit verbunden sind besondere, verdachtsunabhängige Zugriffsrechte der Polizei auf öffentliche Räume, beispielsweise in Form von Personenkontrollen, die zu beliebigen Zeiten unabhängig von einem Verdacht oder einer Gefahr durchgeführt werden können. Möglich ist nicht nur die Feststellung der Identität, sondern auch eine Untersuchung von Personen und Sachen. So kann mit dem Argument, diese Maßnahmen auch durchführen zu müssen, eine permanente Präsenz der Polizei an dem Ort gerechtfertigt werden. Auch ist die Polizei befugt, "zur Abwehr einer Gefahr" und zur "Verhütung von Straftaten" Platzverweise und Aufenthaltsverbote auszusprechen. Grundlage ist die 1999 beschlossene Verschärfung des ASOG (Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin).
Der überwiegende Teil der Anwohner_innen und Akteure schätzt den Platz als eher "nicht gefährlich" ein, allerdings gibt es seit 1998 verstärkt Aktivitäten, die darauf hindeuten, dass der Platz und die ihn umgebenden Straßen, insbesondere die Schliemannstraße auf dem besten Weg sind, sich zu einem "offenen Umschlagplatz" illegaler Drogen zu entwickeln. Das wird darauf zurückgeführt, dass die Drogenszene durch verstärkte und regelmäßige Kontrollen und Razzien von ihren angestammten Treffpunkten (z.B. vom Kottbusser Tor in Kreuzberg) vertrieben wird und in Ausweichbewegungen nach neuen Orten sucht. Die vom ASOG vorgesehenen Instrumente werden auf dem Helmholtzplatz ab seiner Neueröffnung im Jahr 2000 nach dem Ende einer mehrjährigen umfassenden Umgestaltung auch angewandt. "Zwar waren sie ursprünglich nur auf Drogendealer bezogen, aber im Laufe der Zeit hat die Polizei auf Beschwerden der AnwohnerInnen reagiert und auch für einige aus der Gruppe der AlkoholkonsumentInnen Platzverweise und Bußgelder ausgesprochen. Hier geschah dies in der Regel aber nur nach Anzeige durch AnwohnerInnen." (Helmholtzplatz o.J.)
Die Einstufung als Gefährlicher Ort wird im März 2005 wieder aufgehoben: "Wesentlich war auch, dass in dieser Zeit der gesamte Kiez mit der Sanierung der Wohnhäuser eine gewaltige Aufwertung erfahren hat. Zudem haben sich im Umfeld des Platzes einige Bürgerinitiativen gebildet, deren Mitglieder mit hohem persönlichen Engagement Nachbarschaftshilfe leisten und damit gleichfalls bedeutend dazu beigetragen haben, dass die Entwicklung auf diesem Platz so eine positive Wende genommen hat", bilanziert der zuständige Abschnittsleiter der Polizei. (Böttcher 2006, S. 5)
[Quartiersmanagement] Parallel zur Ausweisung als Gefährlicher Ort wird das Gebiet um den Helmholtzplatz im Jahr 1999 zum Quartiersmanagement - Gebiet erklärt und erhält den Status "Verdachtsgebiet". Damit wird das Ziel verbunden, einer "möglichen Negativentwicklung" entgegen zu steuern. "Bestimmt wurde das Image des Gebietes sehr stark durch die sozialen Probleme und Nutzungskonflikte auf und im unmittelbaren Umfeld des Helmholtzplatzes. Defizite bei der Ausstattung mit sozialer und kultureller Infrastruktur, Mängel im Wohnumfeld, eine hohe Fluktuation der Gebietsbevölkerung mit gleichzeitigem Verlust von sozialen und nachbarschaftlichen Zusammenhänge sowie der Fortzug von Familien mit Kindern" (Quartiersmanagement 2006). Mit der Durchführung des Programms wird die S.T.E.R.N. GmbH beauftragt, eine Gesellschaft, die bereits in Westberlin Akteur bei der Entwicklung von Verfahren zur "behutsamen Stadterneuerung" war. Erklärtes Ziel ist, "gemeinsam mit Bewohnern, Gewerbetreibenden, sozialen Einrichtungen, Akteuren und Initiativen die Wohn- und Lebensqualität im Gebiet zu steigern und zu einer Stabilisierung beizutragen. Durch unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung wie Open Space, Zukunftswerkstätten und thematischen Arbeitsgruppen konnten Kommunikation aufgebaut, Netzwerke gestärkt, und die Handlungsschwerpunkte für die Quartiersentwicklung gemeinsam entwickelt werden." (Quartiersmanagement 2006)
Tatsächlich können die bereits im Quartier oder dessen Nähe ansässigen Träger wie Beratung und Leben (Schneckenhaus, Lazarus) ihre Angebote auf Grundlage von Geldern aus dem Quartiersmanagementgebiet insbesondere in den Jahr 2001 bis 2005 weiter und quartiersbezogen ausbauen und entwickeln. Konkret sichtbar wird dies an der Einrichtung eines sogenannten Hundehaltercafés. Der Ansatz richtet sich vordergründig an die Hundehalter im Quartier4, tatsächlich sollen insbesondere die Nutzergruppen auf dem Helmholtzplatz erreicht werden, von denen viele einen oder mehrere Hunde haben. Auch innerhalb der Wohnungslosenhilfe ist dieses Angebot eine Innovation, da obdachlose Menschen mit Hunden häufig Schwierigkeiten haben, mit Hunden Einrichtungen zu nutzen oder dort unterzukommen. Mit einem Computerkabinett in der Schliemannstraße soll dazu jener Teil der Bevölkerung erreicht werden, der aufgrund prekärer Lebensverhältnisse keinen Computer bzw. Internetzugang hat.
[Zaun] Die im Rahmen eines Treffens von Anwohnern, Quartiersmanagement und Bezirksamt "von offizieller Seite" (TSP 2002) vorgeschlagene Idee, den Platz mit einem zwei Meter hohen Zaun einzufassen, provoziert massive Proteste, der sich in zahlreichen Stellungnahmen und öffentlichen Mieterversammlungen auf dem Helmholtzplatz äußert. Die Idee erweist sich als nicht durchsetzbar. Statt dessen ist der damals zuständige Sozialstadtrat Johannes Lehmann (SPD) für die Einrichtung eines aus einem oder zwei Personen bestehenden Platzdienstes aus Mitteln der Arbeitsamtsförderung, eine Idee, die aus rechtlichen Gründen gar nicht umgesetzt werden kann. Die tatsächlich für die Dauer von einem Jahr bei einem Freien Träger beschäftigen 2 ABM-Kräfte übernehmen lediglich ergänzende pflegende Grünflächenarbeiten.
[Strassensozialarbeit] Weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt und nicht hinreichend gewürdigt bleibt die im Zeitraum von 2001 bis 2003 durchgeführte Straßensozialarbeit am Helmholtzplatz und Umgebung. In inhaltlicher Anbindung an das Sozialprojekt Lazarus und mit Förderung durch das Arbeitsamt Nord konnte über einen längeren Zeitraum kontinuierlich durch aufsuchende Sozialarbeit Kontakt zu den Menschen auf dem Helmholtzplatz hergestellt werden. Viele alltagspraktische Hilfestellungen zur Bewältigung von Schwierigkeiten der Lebenslage, zahlreiche Kontakte zu weiterführenden Angeboten und immer wieder die Einzelfällen erfolgreiche Vermittlung in Wohnungen sind konkrete und positive Effekte der von Peter Holtz durchgeführten Tätigkeit. Ein häufig übersehener, aber deutlich zentralerer Aspekt war die unmittelbare pädagogische Tätigkeit auf dem Platz: Endlose und wiederkehrende Einzel- und Gruppengespräche mit dem Ziel, für die Einhaltung einiger zentraler grundlegender Regeln zu werben: Kinderspielplätze respektieren, keine Scherben zu hinterlassen, den Müll wegzuräumen, die Hunde anzuleinen oder wenn möglich, nicht völlig frei herumstreunen zu lassen, den Lärmpegel zu bestimmten Zeiten zurückzunehmen. Die damit zum Ausdruck kommende Idee war, Leben und Leben lassen in Verbindung mit der Vorstellung, dass der Helmholtzplatz genug Raum bieten könnte für alle Nutzerinteressen, wenn es nur gelänge, vernünftige Arrangements zu verabreden, eine Idee, die auch von anderen Akteuren (s.u.) propagiert, getragen oder aufgegriffen iwird.
[Kritik] Der Soziologe Andrej Holm charakterisiert die sozialen Effekte des Quartiersmanagents auf dem Helmholtzplatz wie folgt: "Ziel des neuen Konzepts der Sozialen Arbeit ist es: 'eine soziale Ausgewogenheit auf dem Platz herbeizuführen, indem der Versuch unternommen wird, Teile der Alkoholikergruppe an andere Räume heranzuführen. Grundgedanke ist die Verbindung von sozialer Fürsorge und Beratung mit Freizeitangeboten, niedrigschwelligen Qualifizierungsangeboten, stufenweiser Arbeitsgewöhnung usw (...)' Der verantwortliche Koordinator des Konzeptes sieht in der 'Entlastung des Platzes von der Gruppe' die Voraussetzung für eine integrative Sozialarbeit: 'erst wenn positive Nutzungen störungsfrei auf dem Platz stattfinden können, können Versuche unternommen werden, die Personengruppe und ihr abweichendes Verhalten zu integrieren'“ Ausgrenzung wird so zu einer vorübergehenden Phase der Integration. Oder mit anderen Worten: Faktisch erweist sich die Gemeinwesenorientierung bisher als Ausschlussinstrument gegen die Trinker, Obdachlosen und Punks." (Holm 2001, S. 10). Die Sozialarbeit wird für eine bestimmte Strategie funktionalisiert und "auf eine neue Linie verpflichtet. Angebote für die Klientel sind von nun an außerhalb des Platzes anzubieten und zu schaffen. Die in der finanziellen Abhängigkeit erzwungene Zustimmung für diesen Wechsel der Arbeit wurde für alle Beteiligten mit zusätzlichen Stellen belohnt." (Holm 2001, S. 10). Insbesondere die Kombination der Instrumentarien "Gefährlicher Ort" und "Quartiersmanagement" wird als "Behutsame Verdrängung" (Holm 2001) scharf kritisiert: "Für bis zu 50 Trinker, Punks und Obdachlose, die den Platz in den Zeiten der Desinvestition und Vernachlässigung als Treffpunkt und gelegentliche Schlafstätte nutzten, ist auf dem neuen Platz kein Platz. (...) Während sich für die an ökonomischen und sozialen Ressourcen schwache Gruppe der gesellschaftlichen Verlierer die Zugänglichkeit auf dem Platz erschwert, kann in Bezug auf die neuen Bewohner von einer Aneignung des Platzes gesprochen werden." (Holm 2001, 9ff)
[Platzhaus] Bereits im Jahr 1998 bemüht sich der gemeinnützige Verein Förderband e.V. aus dem Nachbarbezirk Mitte um das ehemals volkseigene Toilettenhäuschen auf dem Platz. Es gelingt, das Häuschen, das sich inzwischen im Eigentum des Toilettenbetreibers WALL AG befindet, wieder in bezirkliches Eigentum zu überführen und mit einer Förderung zu einem Platzhaus auszubauen. Es entsteht ein etwa 50qm großer Innenraum mit einem großen Glasportal zum Platz, einer Theke und einer Innentoilette. Zwei vom Platz zugängliche Toiletten werden wieder hergestellt und in Betrieb genommen.5 Der soziokulturelle Verein Förderband erhält vom Bezirk das Platzhaus für einen Zeitraum von drei Jahren zur Nutzung überlassen. In der Konzeption wird das Haus verstanden als "Begegnungsort für AnwohnerInnen, Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, Schaltstation für Aktionen auf dem Platz oder auf den Platz hinaus, generationsübergreifende Angebote, Kiezprojekte und Kommunikation für gute Nachbarschaft" (Platzhaus 2000). Tatsächlich wird das Förderband-Projekt vom Arbeitsamt Nord, mit Mitteln aus dem Aktionsfonds des Quartiertsmanagements S.T.E.R.N sowie aus dem Senatsprogramm “Soziale Stadt” (Platzhaus 2000) gefördert.
Das Platzhaus wird in dieser Konzeption ausdrücklich beschrieben als "Ort des Dazugehörens, des sich Zeigens, der Erinnerung und Identifikation verbunden mit Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen, wo sich das Individuum in der Öffentlichkeit zeigt und selbst darstellt und mit anderen über soziale Rituale und symbolische Handlungen auf engstem Raum kommuniziert, Atmosphäre mitträgt und mitprägt." (Platzhaus 2000) Die zentralen Inhalte der Nutzungskonzeption sehen "eine Mischung aus planmäßigen thematischen Veranstaltungen, Kulturangebote auf den Platz hinaus (insbesondere für Kinder und Senioren), die Entwicklung eigener Projekte und Veranstaltungen sowie die Nutzung des Terrassencafés, der öffentlichen Toilette für den Platz und die Ausleihe von Spielgeräten" (Platzhaus 2000) vor. Das maßgeblich von Sonja Kemnitz initiierte Projekt ist in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unumstritten, weil es – so die Hauptkritik –, viel zu eindeutig Stellung nimmt zu Gunsten der als problematisch eingeschätzten unangepassten Platznutzer. Akzeptiert wird aber, dass neben vielfältigen sozialen und kulturellen Angeboten erstmalig seit Jahrzehnten wieder ein überdachter, geschlossener Ort vorhanden ist, der als wetterunabhängiger Treffpunkt genutzt werden kann. Zur Vernetzung des Platzhauses in das Quartier – und das ist die eigentlich Leistung in Konkurrenz zum Quartiersmanagement – gelingt es, einen kontinuierlich tagenden Beirat zu gründen, in dem Sozial- und Kulturprojekte, Beschäftigungsträger, Jugend- und Senioreneinrichtungen, Kirchengemeinden, die Betroffenenvertretung Helmholtzplatz das Bezirksamt, das Quartiersmanagement, die Polizei, aber auch Projektmitarbeiter_innen, Anwohner_innen und Vertreter_innen von Nutzer_innengruppen meistenteils konstruktiv mitarbeiten.
Mit dem Ende der Förderung für das Projekt Ende 2003 zieht sich Förderband aus dem Platzhaus zurück und die offene Zukunft des Platzhauses wird Gegenstand des politischen Diskurses im Bezirk. Während das Bezirksamt eine offene Ausschreibung vorbereitet, konstituiert sich im Jahr 2004 als Folge einiger Diskussionen im noch immer arbeitenden Beirat der Förderverein Helmholtzplatz, der sich in erster Linie als komplementäres Netzwerk unterschiedlicher Akteure am Helmholtzplatz versteht. Der Förderverein gibt eine Bewerbung zur Nutzung des Platzhauses ab und erhält den Zuschlag. In der eingereichten Konzeption setzt sich der Förderverein vorsichtig von der bisherigen Konzeption ab und relativiert die Ansprüche: "Die ursprüngliche Konzeption von Förderband basierte auf der Vorstellung, dass PlatzHaus für ALLE zu öffnen. Diese 'Offenheit' führt zu einer Erwartungshaltung, die das Haus räumlich und personell nicht erfüllen kann. Statt dessen setzen wir mit unserem Konzept auf eine Offenheit der Angebote, um damit die bestehende Arbeit fortzusetzen und behutsam zu entwickeln." (Förderverein 2004) Das Haus wird von nun an überwiegend in ehrenamtlicher Initiative betrieben, zur Finanzierung erfolgt eine Vermietung für private Feiern am Wochenende, die Wochentage sind für Gruppen, Kursangebote und offene Treffen reserviert.
[Koexistenz] Konkret nutzbar ist für die auf dem Platz präsenten Menschen im Platzhaus nur weniges: In erster Linie die ständig geöffnete (und häufig defekte) Aussentoilette, bei Regen die Markise als Unterstand. Aber schon ein erkennbar alkoholisierter Zustand oder die Begleitung eines Hundes verhindert den Zugang. Ein dauerhafter Aufenthalt der Dauergäste vom Platz im Platzhaus ist eher nicht erwünscht, toleriert werden Notfälle. Das Platzhaus ist kein Ort integrativer Sozialarbeit für diese Gruppe und will es auch nicht sein. Versuche des Schnorrens um eine Zigarette oder um Geld werden höflich aber bestimmt abgelehnt. Und trotzdem repräsentiert das Platzhaus die spezifische Qualität friedlicher Kooexistenz, von Toleranz und Respekts und den Versuches, es miteinander aushalten zu wollen. Lassen wir uns am besten gegenseitig weitgehend in Ruhe! wäre möglicherweise der kleinste gemeinsame Nenner. Quelle für die Haltung, die sich im Zweifelsfall auch deutlich und eindeutig für eine Existenzberechtigung der Trinker, Punks und Dauergäste auf dem Platz stark macht, ist mit Sicherheit auch die Reflexion vieler Akteure im Platzhaus, dass die eigenen Projekte der Jugend-, Kultur- oder Seniorenarbeit latent unter Existenzdruck stehen, sei es durch die permanent steigende Mieten oder die permanent gefährdete öffentliche Finanzierung. Zudem sind die Akteure gut vernetzt mit dem politischen Pankow (Bezirksverordnetenversammlung, Parteien, Bezirksamt und Verwaltung) und können, anders als die oft einseitig argumentierende Betroffenenvertretung oder neu hinzugezogene Eigentumswohnungsbesitzer_innen, die sich gestört fühlen, für ihre Position des Ausgleichs der Interessen, einflussreiche Partner_innen gewinnen. Die Position wiederum wird gestärkt durch eine starke, weitestgehend historisch gewachsene Verankerung im Stadtteil, nicht zuletzt durch die starke Vernetzung der einzelnen Akteur_innen im Quartier, aber auch durch die Kontinuität der auf dem Platz ausgerichteten Feste, Gesprächsrunden sowie durch eine Kultur der internen Selbstverständigung.
Das Platzhaus erweist sich als Konstante innerhalb der Veränderungen der letzten Jahre. Mit dem Ende des Quartiersmanagementgebiets im Jahr 2005 fallen wichtige Fördermittel weg. Damit verschwinden auch die geförderten sozialen Projekte wie Hundehaltercafé und Computerkabinett, die sich auch an die Gruppe auf dem Helmholtzplatz richteten. Für eine Übergangszeit bis 2007 sollen in einem angewohnergetragenen Verfahren eigenständige Strukturen aufgebaut werden. Die Anwohnergruppen beschäftigen sich im Kampf um die Verteilung der letzten, deutlich geringeren Mittel verstärkt mit sich selbst. Der Sanierungsprozess schreitet weiter voran, das Quartier erscheint optisch aufgewertet, die Austausch der Einwohner wird im Straßenbild sichtbar. Jüngere Familien bestimmen das Bild, häufig sind es gut ausgebildete Doppelverdiener, die sich die sich in Eigentumswohnungen eingekauft haben. Auch die Struktur der Geschäfte ändert sich langsam aber merklich hin zu gehobeneren Angeboten von Gastronomie, Mode und Lifestyle. Mit dem sozialstrukturellen Wandel einher geht auch ein Wandel in der Kultur. Subjektiv als rechtmäßig empfundene Bedürfnisse nach Ruhe und Ordnung auf dem Platz werden vehement eingefordert und nicht selten eingeklagt. Der Förderverein unternimmt 2008 einen Versuch, die Nutzungsmöglichkeiten des Platzhauses durch einen Anbau zu erweitern, hat aber nicht die Kraft, daran kontinuierlich zu arbeiten. Die Wohnungslosenprojekte Schneckenhaus und Lazarus fusionieren aus Kostengründen nach dem Willen der Bezirksverordentenversammlung – aber die Anmietung eines neuen, kieznahen Standorts scheitert 2009 am Widerstand der Anwohner_innen, ein neuer Standort deutlich außerhalb des Quartiers muß akzeptiert werden. Mit Beginn des Jahres 2010 ist kein offenes Angebot der Wohnungslosenhilfe mehr vor Ort. Gleichzeitig steigt im Bezirk Pankow seit 2006 die Zahl der vom Sozialamt als obdachlos erfassten Personen kontinuierlich an von über 500 im Jahr 2006 auf an die 900 im Jahr 2010.6 Im Sozialausschuss wird erstmalig 2010 von Trägern der Angebote für Wohnungslosenhilfe darüber geklagt, dass die Klienten zunehmend länger im Betreuten Wohnen verblieben, da eine Vermittlung in Wohnraum zunehmend schwerer sei und innerhalb des Quartiers Helmholtzplatz nahezu unmöglich sei.
[Zustände] Im November 2010 wendet sich eine Gruppe von 10 Anwohner_innen mit einem Brief an das Bezirksamt und die in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow vertretenen Fraktionen. Sie konstatieren eine wahrnehmbare Verschlechterung und fokussieren die Kritik auf "die Passage, die mittig den Platz durchquert und die nördliche und südliche Schliemannstrasse miteinander verbindet. Die Situation wird von einer Gruppe von rd. 30 offenbar nichtsesshaften Mitbürgern und –innen verursacht, denen es eklatant an Rücksichtnahme auf die Platzanwohner- und –innen fehlt." (Anwohnerbrief 2010). Kritisiert werden in pauschaler Form unter anderem lautes Gegröhle, Musizieren bis in die Morgenstunde, Notdurftverrichtung, Flaschen, Scherben, entblößte Oberkörper, fläzen, die Wirkung durchgängiger Alkoholisierung, ohne Leine streunende Hunde, Abfälle und das Veranstalten von einem "Spießrutenlauf" für Passanten. Gefordert wird die Präsenz von Sozialarbeitern/ Mitarbeitern des Ordnungsamtes, ein Alkoholverbot, ein Hundeverbot sowie stündliche Polizeikontrollen (vgl. Anwohnerbrief 2010).
Offenbar als Reaktion auf diesen Brief (und möglicherweise auch, weil es vom Bezirksamt keine zufriedenstellenden Reaktionen gab) bringt die CDU auf der 40. Tagung der BVV Pankow am 02.03.2011 den Antrag Drucksache VI – 1262 Ordnung und Sicherheit auf dem Helmholtzplatz ein. Darin wird das Bezirksamt ersucht, "im Bereich des Helmholtzplatzes durch stärkere Präsenz der Mitarbeiter des Ordnungsamtes dafür Sorge zu tragen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingehalten wird." (BVV Pankow, Drucksache VI – 1262 Ursprungsantrag CDU 2011) Die Fraktion Bündnis 90/Grünen stellt dazu einen Änderungsantrag mit der Intention, zunächst "zu prüfen, ob im Bereich des Helmholtzplatzes besondere ordnungsrechtliche und/oder soziale Probleme vorzufinden sind, die außerordentliche Maßnahmen des Bezirks erforderlich machen." (BVV Pankow, Drucksache VI – 1262 Änderungsantrag Grüne 2011). Beide Anträge werden erst auf der darauffolgenden 41. Tagung der BVV Pankow am 30.03.2011 behandelt. Der Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) berichtet, dass er – als für die Grünfläche zuständiger Stadtrat - zwischenzeitlich, aber unabhängig vom Antrag, im Platzhaus ein lange vorher vereinbartes Gespräch mit den Anwohner_innen und weiteren Akteur_innen auf dem Helmholtzplatz geführt habe. Im übrigen habe der Bezirk keine ordnungsrechtliche Handhabe im Sinne der Anwohner_innen – und es müsse stets neu der Ausgleich unterschiedlicher Interessen und das Gespräch auch mit einer schwierigen Nutzergruppe gesucht werden. Bündnis 90/ Die Grünen zieht als Resultat aus der Debatte ihren Änderungsantrag zurück, der Antrag der Fraktion der CDU wird mehrheitlich abgelehnt. Ein Unbehagen aber bleibt, weil niemand wirklich zufrieden sein kann. Zu fragen ist auch, ob die angesprochenen Probleme richtig adressiert sind. Aufgrund unzureichender Toiletten auf dem Platz ist das Urinieren oder sogar die Notdurft ein gar nicht mal seltenes Phänomen. Durch die Übernutzung, gerade in den Sommermonaten ist auch Müll ein häufiges Problem. Alkoholisierte Gäste des an der Raumer Straße gelegenen Hostels lassen gerne den Abend lautstark und bei weiterem Alkoholkonsum auf der Platz ausklingen. Und auch private Veranstaltungen im Platzhaus verursachen gelegentlich störenden Lärm und das Problem mit dem Auslauf von Hunden nach wie vor existent. Und selbst wenn ein Großteil dieser eher willkürliche aufgezählten Probleme tatsächlich auf die Gruppe derer zurückzuführen ist, die dort ständig präsent ist, ist es eine unzulässige Vereinfachung, alle Nutzungsprobleme und Konflikte auf diese Teilgruppe reduzieren und fokussieren zu wollen. Auch von daher kann das Verbieten und Unterbinden keine nachhaltige Strategie sein, wie die zweifelhaften Resultate aus der Zeit als Gefährlicher Ort belegen.
[Attraktivität] Der Platz war und ist attraktiv, weil er für nahezu alle Gruppen und in gewisser Unabhängigkeit von der Veränderungsdynamik im Stadtteil eine starke Aufenthaltsqualität bietet, die sicher durch die Neugestaltung noch optimiert worden ist. Hintergrund für die starke Inanspruchnahme ist auch der extrem verdichtete Stadtraum und das Fehlen von alternativen Grünflächen und Erholungsflächen – die wenigen im Bebauungsplan ausgewiesenen Spielplätzen und Grünflächen (meist ein den nur wenig vorhandenen Baulücken) können den Mangel nicht kompensieren. Auch wegen der hohen Frequentierung als Verkehrsweg für Fußgänger und Radfahrer ist der Platz eine Art ein öffentlicher Fernseher, bei dem es immer etwas zu Erleben gibt, ein Sehen und Gesehen-werden. Als Kommunikationsort in einem sehr verdichteten Stadtraum wird der Helmholtzplatz häufig aufgesucht, denn mit großer Wahrscheinlichkeit sind Bekannte da zum Treffen und Reden. Aufgrund der Nähe von U-Bahn, S-Bahn und Straßenbahn ist der Platz auch gut zu erreichen und liegt zugleich ein wenig im Abseits der großen innerstädtischen Verkehrsachsen. Eine Mischung aus Bahnhof und Dorfplatz. In dem am Platz gelegenen Edeka-Markt kann zudem regelmäßig Alkohol gekauft werden, und andererseits gibt es auf dem Platz keinen Konsumzwang. Selbst das oftmals genannte Pöbeln oder aggressive Ansprechen von anderen könnte von Psychologen als Strategie ausgedeutet werden, sich selbst zu erleben in einem ansonsten erlebnisarmen Alltag. Ein öffentliches Wohnzimmer eben auch für Modernisierungsverlierer, für die ein Latte Machiato im einem der nahe gelegenen Cafés ein Luxus bleiben wird.
[The "making" of Obdachlosigkeit] Dennoch ist Obdachlosigkeit ist nicht die richtige Kategorie, denn nur selten übernachten Menschen hier, und es ist zutreffender, von Menschen mit Lebensmittelpunkt auf der Straße zu sprechen. Sie sind in der Mehrheit alteingesessene Prenzlauer Berger oder leben seit Jahren hier, nur eine Minderheit sind echte "Fremde". Es ist auch keine einheitliche Gruppe, sondern mehrere Kleingruppen.
Weil seit einigen Jahren so gut wie keine bezahlbaren Wohnungen im Quartier mehr zu vermitteln sind für diejenigen, die wirklich eine bräuchten, stagnieren sozialräumliche Integrationsversuche. Auch die Wohnungslosenhilfe selbst – die mit ihren Angeboten der Grundversorgung eine weitere Verelendung oft verhindern kann - ist dem Prozess der Gentrifizierung ausgesetzt: Nahezu alle Einrichtungen in unmittelbarer Nähe vom Helmholtzplatz sind jetzt an deren Peripherie angesiedelt.
[Perspektiven] Strategien der Vertreibung waren weder effektiv noch brachten sie langfristig Resultate. Neben der aufsuchenden Sozialarbeit, für die es seit 2003 aber keine Finanzierung mehr gibt, hat sich als Konzept mit der größten Tragweite die vom Förderverein Helmholtzplatz propagierte und von zahlreichen Akteuren der Politik geförderte Strategie erwiesen, ein Arrangement aller Nutzergruppen auf dem "Helmi" zu suchen. Die Wohnungslosenhilfe vor Ort muss weiterhin befähigt und beauftragt werden, Angebote bereitzustellen. Und, ja: Die Wohnungslosenhilfe (nicht allein) ist eben auch zuständig für Menschen, die nicht im eigentlichen Sinne obdachlos sind, deren Lebensmittelpunkt aber die Straße ist. Der ehrenamtlichen Platzhausarbeit kommt zentrale Bedeutung zu, denn nur aus dem Dialog heraus können Probleme richtig adressiert, Konflikte konstruktiv ausgetragen und Verabredungen (auch wenn sie stets temporär und brüchig sind) getroffen werden.
Medien
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Anwohnerbrief: Zustände auf dem Helmholtzplatz (Prenzlauer Berg) vom 03.11.2010. (Unterlage des Verfassers)
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Berlins besondere Orte. Städtische Politik zwischen Bürgergesellschaft und Polizeistaat. In: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 453 / 30.8.2001 (http://www.akweb.de/ak_s/ak453/08.htm)
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Bezirksamt Pankow von Berlin: Portrait der Bezirksregion XIII – Helmholtzplatz. April 2012 (http://www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/jugend/prenzl.berg-portraits_der_bezirksregionen.html)
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Böttcher, Thomas: Keine gefährlichen Orte. Interview. In: VorOrt, Nummer 11/2006, S. 4-5.
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BV Helmholtzplatz: Der Kiez kennt seine Probleme. Stellungnahme der BV Helmholtzplatz zur geplanten Quartierskonferenz. Berlin 2000. In: VorOrt, Nummer 7/8/2000, Seite 6.
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BVV Pankow, Drucksache VI – 1262: Ordnung und Sicherheit auf dem Helmholtzplatz - Ursprungsantrag CDU 2011
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BVV Pankow, Drucksache VI – 1262; Ordnung und Sicherheit auf dem Helmholtzplatz - Änderungsantrag Grüne 2011
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Flatau, Sabine: Plötzlich ist der Helmholtzplatz ein Problemkiez. In: Berliner Morgenpost vom 30.04.2011. Berlin, 2011 (http://www.morgenpost.de/berlin/article1624207/Ploetzlich-ist-der-Helmholtzplatz-ein-Problemkiez.html)
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Flierl, Thomas: Vorwort. In: Prenzlauer Berg. Ein Bezirk zwischen Legende und Alltag. Berlin 1996, S. 13 - 15.
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Förderverein Helmholtzplatz: Konzeption (Stand 14.04.2004). Berlin 2004 (Unterlagen des Verfassers)
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Helmholtzplatz – Eine Platzanalyse o.j. http://forge.fh-potsdam.de/~suchtprojekt/dokumentation/plaetze/plaetze_doku.htm
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Holm, Andrej: "Behutsame Verdrängung“ am Helmholtzplatz: Ausgrenzung im Aufwertungsgebiet. Trinker, Punks und Obdachlose im Zangengriff von Polizei, Sozialarbeit und Quartiersmanagement. In: MieterEcho. Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft. Nr. 286 von Juni/August 2001, S. 9-11.
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Kemnitz, Sonja: Eine Arche auf dem Helmi. Berlin 2000. In: VorOrt, Nummer 6/2000, Seite 6.
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Künstlerhaus Bethanien (Hrsg.): Wohnsitz: Nirgendwo: Vom Leben und Überleben auf der Straße. – Berlin 1982
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Lochner, Heinz: Erste Bilanz für Helmholtzkiez. Stand der Erneuerung im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz (Teil 1: Wohnen). Berlin 1997. In: VorOrt, Nummer 10/1997, Seite 7.
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Lochner, Heinz: Erste Bilanz für Helmholtzkiez. Stand der Erneuerung im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz (Teil 1: Infrastruktur). Berlin 1997. In: VorOrt, Nummer 11/1997, Seite 15.
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Molle, Albrecht: Der Zukunft zugewandt: Quartiersmanagement zur Entwicklung am Helmholtzplatz. Interview mit Heinz Lochner. Berlin 2000. In: VorOrt, Nummer 7/8/2000, Seite 7.
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Molle, Albrecht: Helmi war ein Ofen. Helmholtzplatz erhielt vor 100 Jahren seinen Namen. Berlin 1997. In: VorOrt, Nummer 12/1997 Seite 13.
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Molle, Albrecht: Gefahr im Verzug. Den BesetzerInnen der Schliemannstr. 10 droht Räumung. Berlin 1996. In: VorOrt, Nummer 1/1996, Seite 18.
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Molle, Albrecht: Kalte Füße. Eis-Camping der "Schliemänner" soll nicht vergebens gewesen sein. Berlin 1996. In: VorOrt, Nummer 2/1996, Seite 7.
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Platzhaus am Helmhotzplatz. Eine Präsentation. Berlin 2000 (Unterlagen des Verfassers) (http://de.scribd.com/doc/97301322/Platzhaus-Helmholtzplatz-Prasentation-2000)
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Quartiersmanagement Helmholtzplatz – Internet-Seite. Berlin 2006 http://www.kiez-lebendig.de/quartiersmanagement/wasistqm/
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Roder, Bernt/ Tacke, Bettina (Hrsg.): Prenzlauer Berg im Wandel der Geschichte: Leben rund um den Helmholtzplatz. Berlin 2004.
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Stefan: Soziale Arbeit in Sanierungsgebieten. Nürnberg 2008 (http://www.drstefanschneider.de/publikationen/608-schneider-stefan-soziale-arbeit-in-sanierungsgebieten-nuernberg-2008.html)
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Schneider, Stefan: Sozialraumorientierte Wohnungslosenhilfe zwischen Gentrifizierung und Integration am Beispiel vom Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, Berlin. Leipzig 2011 (= Präsentation zu einem Vortrag auf der Bundestagung der BAG-Wohnungslosenhilfe in Leipzig 2011) (= http://bit.ly/zypFD6)
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Stefan: Squattings in Berlin. A brief history and current struggles, strategies and visions. Brussels 2010. (http://prezi.com/ivuwj_ezh9gy/squat-in-berlin)
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Schneider, Stefan: Treffpunkt Helmholtzplatz. Berlin 2012. In: VorOrt, Nummer1/2/2012, Seite 6.
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Seefeld, Hartmut: ... und raus bist Du. Auswegloser Streit einer Pankowerin um Mietschulden. Berlin 2011. In: VorOrt 7/8/2011, Seite 7.
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Seefeld, Hartmut: Der rote Kiez. Zur Geschichte der Lychener Straße. Berlin 2000. In: VorOrt, Nummer 10/2000, Seite 13.
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Seefeld, Hartmut: Die "72er" haben eine Chance. Über 500 Menschen haben in Prenzlauer Berg kein Dach mehr über dem Kopf. Berlin 1996. In: VorOrt, Nummer 1/1996, Seite 10-11.
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Senatsverwaltung für Stadtentwicklung/ Bezirksamt Pankow: Stadterneuerung. Sanierungsgebiet Prenzlauer Berg – Helmholtzplatz. Berlin 2001 (Broschüre)
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Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz: Realisierungswettbewerb Freiraumgestaltung Helmholtzplatz. Prenzlauer Berg. Auslobung. Berlin 1993.
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Tacke, Bettina: Zeitreisen. Prenzlauer Berg 1979 – 1999. Der Helmholtzplatz. Die Häuser, die Menschen und der Wandel. Berlin 2009. Film (http://vimeo.com/6927155)
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Tagesspiegel Berlin: ABM-Kräfte statt Zaun für den Helmholtzplatz. Berlin 04.07.2002
[Dank] Mein ausdrücklicher Dank gilt den Expert_innen, mit denen ich im Herbst 2011 Gespräche führen konnte und die mir ihr Wissen und wichtiges Material zur Verfügung stellten: Sergeant Siegfried Fischer vom Café Treffpunkt der Heilsarmee, Johannes Kevenhörster von Beratung und Leben, Sonja Kemnitz als Akteurin bei Förderband auf dem Platzhaus, Ilona Sachs vom Förderverein Helmholtzplatz e.V., sowie Hartmut Seefeld von der Sanierungszeitung VorOrt.
[Kurzfassung] Schneider, Stefan: Lebensmittelpunkt: Helmholtzplatz. Berlin 2012. (In: Sanierungszeitschrift VorOrt, Ausgabe Feb. 2012, S. )
[Präsentation] Schneider, Stefan: Sozialraumorientierte Wohnungslosenhilfe zwischen Gentrifizierung und Integration
[Herkunft] Es handelt sich hierbei um die schriftliche Fassung eines Vortrags auf der Bundestagung der BAG-Wohnungslosenhilfe in Leipzig 2011
[Anmerkungen]
1 Eine Idee, die dem linken Flügel der Berliner Sozialdemokratie um den damals amtieren Senator für Wohnungsbau, Harry Ristock zugeschrieben wird.
2 Die Debatte oszilliert im wesentlichen um die divergierenden Einschätzungen, dass die Sanierung ein Erfolg war, weil wesentliche Ziele der Sanierung erreicht und immerhin ein gutes Fünftel der Mieter nach wie vor im Bezirk verblieben ist. Die andere Position wertet diese Zahl als Indiz für das Scheitern der Behutsamen Stadterneuerung, und kritisiert den weitestgehenden Austausch der Bevölkerung und die aus der Sanierung hervorgegangenen Verdrängungsprozesse massiv. Unbestritten ist, dass der Helmholtzplatz sich von einem der eher ärmeren zu einem der eher reicheren Quartiere im Verlauf von etwa 20 Jahren (1990 – 2010) entwickelt hat.
3 Diese sind aber schon nach wenigen Jahren durch ein richterliches Grundsatzurteil gekippt worden.
4 In der Tat werden Probleme mit Hunden im Quartier Helmholtzplatz wiederholt thematisiert. Die Debatte fokussiert sich zum einen auf frei umher laufende Hunde auf dem Helmholtzplatz und daraus resultierende Nutzungskonflikte bzw. konkrete Probleme mit Kindern und ihren Spielplätzen. Als Resultat der Umgestaltung des Platzes werden die verschiedenen Nutzungszwecke (Weg, Spielplatz, Sportplatz, Liegewiese) klarer voneinander abgegrenzt. Ein zweites Problem bezieht sich auf das starke Aufkommen von Hundekot. Auch hier gibt es verschiedene Initiativen wie Kampagnen, die Hundehalter an ihre Entsorgungspflicht erinnern sollten, Stationen zur Entnahme von Tüten zur Aufnahme von Hundekot, auch wird am nahegelegenen Mauerpark eine erste Hundeauslaufzone eingerichtet. Aber ähnlich wie bei den dem Diskurs zum Konsum von Alkohol auf dem Platz kann davon ausgegangen werden, dass es sich auch um eine symbolische Argumentation handelt: Das Thema der Hunde oder des Alkoholkonsums wird genannt, tatsächlich gemeint sind aber die unangepassten Nutzer_innen auf dem Helmholtzplatz.
5 Im Zuge der Umgestaltung des Helmholtzplatzes wird auch das 1928 errichtete Trafohäuschen aufwändig instand gesetzt und modernisiert. Im Zuge einer öffentlichen Ausschreibung bekommt eine Betreiberin den Zuschlag, die dort ein Second-Hand-Laden für Kinderbekleidung mit ergänzender Gastronomie betreibt. Im Inneren ist ebenfalls Platz für einen ganzjährig nutzbaren Buddelkasten – eine echte Attraktion für Kinder im Winter.
6Durch die Fusion der Bezirke Pankow, Weissensee und Prenzlauer Berg zum Bezirk Pankow sind die Zahlen aus Prenzlauer Berg und Pankow nicht miteinander vergleichbar. Aus dem Gesamtbild Berlins ist aber zu Schlussfolgern, dass das Aufkommen von Obdachlosigkeit in den Innenstadtbezirken deutlich höher ist als an den Randbezirken und dass sich die Mehrzahl der Fälle aus Pankow tatsächlich auf Prenzlauer Berg beziehen. Und auch berlinweit ist seit 2006 eine deutliche Zunahme der Obdachlosenzahlen zu konstatieren.